DGB wirft Maritim-Führung "schäbiges Verhalten" vor Bericht

DGB wirft Maritim-Führung "schäbiges Verhalten" vor | Manuskript
DGB wirft Maritim-Führung "schäbiges Verhalten" vor
Bericht: Christian Bergmann, Sandro Poggendorf, Frank Wolfgang Sonntag
Andreas Lehmann auf dem Weg zu seiner Arbeitsstelle. Es ist eine seiner letzten Fahrten zum
Maritim-Hotel in Halle an der Saale. Dort war der Gesamtbetriebsratsvorsitzende an der
Rezeption tätig. Nach 37 Jahren im Hotelgewerbe wird er jetzt arbeitslos.
Andreas Lehmann, Gesamtbetriebsratsvorsitzender
„Bescheiden, wütend dass der Arbeitsplatz weg ist, keine Ahnung, es kocht. Ich weiß nicht
wie ich es beschreiben soll.“
In einer Hauruck-Aktion wurde aus dem Vier-Sterne-Hotel eine Flüchtlingsunterkunft. Die
Mitarbeiter haben davon erst Anfang September erfahren – aus den Medien. Die große
Flüchtlingskrise, ganz plötzlich ist sie nun auch im Leben der Maritim-Belegschaft in Halle an
der Saale angekommen.
Der 58-Jährige trifft sich mit seinen Kollegen am Nebeneingang des Hotels, auch Britt
Heidenreich ist da. Sie hat Geburtstag, 42 Jahre ist sie alt, 25 Jahre davon hat sie als Kellnerin
hier gearbeitet. Die plötzliche Betriebsschließung hat sie, wie alle 55 versammelten
Mitarbeiter, völlig überrascht:
Britt Heidenreich, Kellnerin
„Gerechnet hat damit glaube ich gar keiner. Bis zum 05. September, als das alle aus der
Presse erfahren haben. Ja, wie gehen wir damit um? Wir versuchen es zu verarbeiten,
erst.“
Mitarbeiterin
„41 Jahre. 41 Jahre. Hier angefangen als Lehrling mit 16 und jetzt wird einem der Boden
unter den Füßen weggerissen, es ist einfach so.“
Alles ging sehr schnell, niemand hatte sie darauf vorbereitet, die Mitarbeiter wurden kalt
erwischt. Kurzfristige Betriebsschließung. Wie es aber mit ihnen weiter gehen würde, blieb
mehrere Wochen völlig offen. Ein eklatanter Fehler der Unternehmensführung, kritisiert
Johannes Krause, Regionsgeschäftsführer des Deutschen Gewerkschaftsbundes: „Die
Geschäftsführung des Maritim hat sich absolut schäbig verhalten. Absolut schäbig,
gegenüber der Öffentlichkeit, gegenüber der Stadt Halle und auch gegenüber den
Beschäftigten. Also, wenn die Beschäftigten aus den Medien erfahren müssen, dass sie
gekündigt worden sind, dann muss man doch fragen was ein solch großer Konzern wie das
Maritim überhaupt für eine Philosophie hat, mit Beschäftigten umzugehen.“
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Versagt habe aber auch das Innenministerium in Sachsen-Anhalt, das jetzt für die Flüchtlinge
im Hotel zuständig ist. So würden ohnehin schon bestehende Ängste nur noch zusätzlich
befeuert:
„Ja, es ist so nach dem Motto, wir müssen gehen, die Flüchtlinge kommen. Wenn die
Landesregierung Unterkünfte bereitstellen muss, dann muss sie das vorher in einer
ordentlichen Strategie kommunizieren, mit allen Betroffenen.“
Die Politik unter Zugzwang. Am 10. September war der Mietvertrag zwischen
Landesregierung und Maritim-Gesellschaft unterschriftsreif, schon am 01. Oktober kamen
dann die ersten Flüchtlinge an. Als die Busse vorfahren, ist der Empfang unwürdig.
„Festung Europa, macht die Grenzen dicht.“
Die Demonstranten verstecken sich hinter dem Transparent und damit den Realitäten einer
Welt voller Fluchtbewegung.
17.000 Asylantragsteller hat allein Sachsen-Anhalt in diesem Jahr aufgenommen. Das Hotel
soll bis zu 700 Menschen Obdach bieten. Mit Luxus im ehemaligen Vier-Sterne-Hotel hat das
alles nichts zu tun. Die kleinen Einbettzimmer werden mit 2 bis 5 Personen belegt. Gerüchte,
die Flüchtlinge würden exklusiv bekocht, sind nichts als böse Behauptungen die im Internet
kursieren.
Während das Hotel zur Zufluchtsstätte wird, müssen die gewerblichen Untermieter im Haus
Abschied nehmen. Die Kundschaft von Friseursalon und Kosmetikstudio durften ab 01.
Oktober nicht mehr ins Haus. Kosmetikerin Karin Lieschke fühlt sich vom Unternehmen
Maritim und der Politik im Stich gelassen.
Kosmetikerin Karin Lieschke, (56) seit 26 Jahren am Platze
„Es hilft ja keiner, es kümmert keinen. Wir haben keinen Zuspruch. Es wird alles getan für
die Flüchtlinge, das heißt auch nicht, dass ich auf die Flüchtlinge sauer bin, auf keinen Fall,
aber es hätte anders mit uns umgegangen werden müssen. Es hätte anders mit uns
gesprochen werden müssen und nicht von heute auf morgen.“
Die Flüchtlinge kommen und irgendwo müssen sie auch untergebracht werden. Dafür haben
die Unternehmer auch Verständnis. Dass sich deswegen jetzt aber Existenzfragen stellen,
sieht man auch in der zuständigen Handwerkskammer mit zunehmender Sorge:
Handwerkskammer Jürgen Rogan
Gerade in einer solchen Situation halte ich es für notwendig, doch möglichst alle Facetten
die hier auch eine Rolle spielen mit zu beachten. Und da zählen natürlich die
Auswirkungen auf Betroffene. Und ich halte das auch für besonders wichtig vor dem
Hintergrund, dass wir hier eine möglichst große Akzeptanz in der Bevölkerung haben und
nicht Befürworter und Gegner gegenseitig lahm legen und aufeinander losgehen.“
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Von all dem Frust hinter den Kulissen bekommen dieser Junge und seine Familie aus dem
Irak nichts mit. Was hier am und im Hotel passiert, wird ganz genau beobachtet, auch von
Helmut Geier – direkt von gegenüber. Der 80-Jährige hat als Seemann für die DDRVolksmarine schon einiges gesehen, aber das was sich jetzt vor seiner eigenen Tür abspielt,
berührt ihn.
Helmut Geier, Anwohner
„Ich bin erst mal recht froh, dass die Leute eine Unterkunft haben. Es war ja so, die sind ja
auf der Flucht gewesen. Egal wo sie her kommen, aber das ist doch erst mal ein Ziel dass
sie erreicht haben. Und das finde ich erst mal recht gut“.
Freitag vergangener Woche Pressetermin: Das Innenministerium hat eingeladen. Das Hotel,
inzwischen von Maltesern betreut, werde dringend gebraucht – das ist die zentrale
Botschaft. Über die Probleme im Umgang mit der Hotelbelegschaft will der zuständige
Stabsleiter des Innenministeriums von Sachsen-Anhalt, Lutz-Georg Berkling, nur ungern
reden.
„Wir sind froh dass das hier relativ Komplikationslos gelaufen ist. Hinsichtlich der
ehemaligen Beschäftigten des Hotels ist es so, dass die Malteser denen auch Angebote zur
Weiterbeschäftigten gemacht haben, die aber die beschäftigten deswegen nicht
annehmen konnten, weil Sie von ihrem Arbeitgeber noch gar nicht gekündigt waren.“
Komplikationslos? Die Belegschaft, die erst Anfang September von der Umnutzung des
Hotels erfahren hatte, stand am 01. Oktober schon auf der Straße. Ohne Kündigungen, ohne
Perspektive. Erst als darüber berichtet wurde, bewegte sich endlich etwas. Seit einer Woche
haben sie zumindest Klarheit. Die Lehrlinge werden übernommen, den anderen Mitarbeiter
wird gekündigt, sie sollen Abfindungen bekommen. Es gibt einen Sozialplan.
Chance vertan – denn vor einigen Wochen hatten die Mitarbeiter schon einmal mit
Flüchtlingen zu tun, die hier als Gäste einquartiert waren. Andreas Lehmann und seine
Kollegen wären bereit gewesen, sich selber mit zu engagieren:
Andreas Lehmann, Gesamtbetriebsratsvorsitzender
„Tja, sicher hätten wir auch eine Möglichkeit gefunden Flüchtlinge hier im Haus zu
betreuen, aber wir haben es ja auch schon gemacht, jetzt dürfen wir es nicht mehr. Ende,
ja.“
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