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Hilfe für psychisch kranke Flüchtlinge | Manuskript
Hilfe für psychisch kranke Flüchtlinge
Bericht: Arndt Ginzel, Alexander Ihme, Jana Merkel
Valerija Manjuk will heute über Schmerz sprechen. Sie bereitet eine Gruppensitzung für
traumatisierte Flüchtlinge vor. Ahmad Al Hasan übersetzt für sie ins Arabische. Hier im
Psychosozialen Zentrum in Leipzig beraten und therapieren sie geflüchtete Menschen, die
psychisch krank sind.
Valerika Manjuk: „Wie gehe ich mit dem Schmerz um?“
Viele der Klienten haben Schmerzen: Die einen als Folge von Verwundung oder Folter,
andere psychosomatisch bedingt. Bilder sollen ihnen helfen, ihre Gefühle zu beschreiben.
Valerika Manjuk: „Also, was heißt das, wie geht es Ihnen heute mit diesem Bild?“
Übersetzer: „Solche Bilder sehe ich, dass die ähnlich als meine Situation“
Valerika Manjuk: „Aha, ok. Sie fühlen sich so ähnlich wie die Menschen da auf dieser Leiter,
die von einem Berg zum anderen wandern. Vielen Dank fürs Teilen.“
Am Abgrund zu stehen, um das eigene Leben zu fürchten – das hat viele hier traumatisiert.
Ohne Psychotherapie drohen dauerhafte Depressionen. Psychologin Corinna Klinger und
ihre Kollegen wissen, dann wird ein normales Leben, die viel beschworene Integration,
unmöglich.
Corinna Klinger, Psychologin, Mosaik Leipzig e.V.
„Zu sehen wie Häuser einstürzen, wo geliebte Menschen drin sind. Auf der Flucht zum Teil, ja
dass die Kinder geweint haben. Babys geweint haben und die Schlepper damit gedroht
haben, die Kinder aus dem Boot zu werfen. Und man einfach permanent in Lebensgefahr
war. Oder zum Teil eben Kriegsgeschehnisse, bis hin wirklich zu den Foltererlebnissen.“
Flüchtlinge dürfen nicht einfach in eine psychologische Praxis gehen. Sie müssen vorher
Anträge stellen, klären, wer die Therapie bezahlt. Der Verein um Corinna Klinger hilft beim
Papierkram, bietet aber auch eigene Therapieplätze an, finanziert durch Fördermittel.
Zurzeit haben sie aber nur Platz für 35 Klienten.
Corinna Klinger, Psychologin, Mosaik Leipzig e.V.
„Unsere Schwierigkeit besteht vor allem darin, dass die Finanzierung immer nur für ein Jahr
gesichert ist. Und das heißt, wir müssen uns jedes Jahr von den Klienten im Dezember
verabschieden und sagen: Wir wissen nicht, ob wir im Januar wieder für sie da sein können.
Und das ist keine Basis, auf der wir gut beraten und behandeln können.“
Allein in Leipzig stehen über 100 Menschen auf der Warteliste. Bundesweit werden in
ähnlichen Zentren 14.500 Flüchtlinge betreut. Doch es gibt zu wenig Plätze. Und auch die
Sprache ist ein Problem. Für 80 Prozent der Gespräche sind Dolmetscher nötig.
Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für den privaten Gebrauch des Empfängers
verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig.
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Hilfe für psychisch kranke Flüchtlinge | Manuskript
Corinna Klinger, Psychologin, Mosaik Leipzig e.V.:
Wenn‘s um das körperliche geht, kann man schon mal zeigen, wo tut es weh oder ich sehe,
da ist eine offene Wunde. Aber das kann ich nicht bei psychischen Belastungen. Ja, da muss
ich schon fragen und mit demjenigen ins Gespräch gehen. Also es ist wirklich wichtig, dass
wir mit jemandem sprechen können, kommunizieren können und das geht nur über die
Dolmetscher.“
Übersetzer sind also medizinisch notwendig. Trotzdem weigern sich die Krankenkassen,
die Kosten dafür zu übernehmen. Das Gesetz sieht das nicht vor.
Das hat auch Mohammad Najmeh erlebt. Er lebt als politischer Flüchtling in Leipzig. In
Syrien machte er Kriegsverbrechen öffentlich. Dafür landete er in einem berüchtigten
Foltergefängnis des Assad-Regimes. Vor allem nachts suchen ihn die schrecklichen
Erinnerungen heim.
Mohammed Najmeh, politischer Flüchtling aus Syrien:
„So viel Blut sehe ich auch in meinem Traum, so viele Kinder mit Blut auf der Straße. Die
Leute schreien. Ich erinnere mich immer, was, wenn die Polizei kommt und einen Mann
schlagen. Und wenn dieser Mann sagt immer zum Beispiel: Bitte Schluss, bitt stopp, bitte
stopp, aber niemand hören.“
Gerne hätte er eine Therapie gemacht. Doch das Geld für einen Dolmetscher fehlte.
Mohammed Najmeh, politischer Flüchtling aus Syrien:
„Diese Krankheit ist nicht normale Krankheit, diese Krankheit ist im Kopf. Und immer mit dir.
Wenn du schläfst, immer sehen so viele schlechten Träume.“
Mohammad Najmeh hat es inzwischen ohne Therapie geschafft: Er lernt Deutsch, arbeitet
als Sozialarbeiter in einem Flüchtlingsheim, konzentriert sich auf seine Familie.
Das gelingt nicht allen. Die richtig akuten Fälle landen hier: In der Psychiatrischen Klinik
von Chefarzt Peter Grampp. Neben Opfern von Gewalt behandelt er auch immer wieder
Flüchtlinge, die durch Ausraster auffallen. Bei diesen Patienten kommen viele Faktoren
zusammen: Krieg, Flucht, Lagerkoller.
Dr. Peter Grampp, Chefarzt für Psychiatrie und Psychotherapie Fachkrankenhaus
Hubertusburg (Klinikum St. Georg):
„Dann kommen dann diese Wartesituationen, diese Damoklesschwerter, dieses Unsichere,
permanent nicht wissen, was passiert nächste Woche. Und das halten viele einfach nicht
durch.“
Für Anzeichen von Radikalisierung sind die Ärzte hier sehr sensibel. Nicht erst seit den
Gewalttaten der vergangenen Wochen.
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Dr. Peter Grampp – Chefarzt für Psychiatrie und Psychotherapie Fachkrankenhaus
Hubertusburg (Klinikum St. Georg):
„Es ist eher so, dass die Patienten auch uns selten radikalen Ideen vermitteln. Also ich
wüsste nicht, dass das in der letzten Zeit passiert sei. Trotzdem haben wir schon Bedenken.
Weil wir natürlich wissen wie Radikalisierung passiert und wir sehen natürlich schon auch,
dass Klientel auch zu uns kommt, die grundsätzlich in diese Gruppe mit fallen könnten.“
Für diese Fälle sei Psychotherapie das richtige Mittel, um zu deeskalieren, sagt der
Facharzt. Er sieht aber kein größeres Risiko für Gewalt oder gar Terrorismus bei
Flüchtlingen. Auch wenn sie in der Heimat Schreckliches erlebt haben.
Dr. Peter Grampp, Chefarzt für Psychiatrie und Psychotherapie Fachkrankenhaus
Hubertusburg (Klinikum St. Georg):
Wir wissen mittlerweile, wenn wir unsere Daten nutzen, dass eine Traumatisierung NICHT
dazu geeignet ist jemanden zu radikalisieren. Das Trauma als solches ist es nicht. Es sind eher
die Frustrationen derjenigen, die lange Zeit warten. Die oft so das Gefühl haben, sie kommen
nicht an, sie werden nicht intergiert. Das sind eher die Gefahren.
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