im PDF weiterlesen - HANSER automotive

ELEKTRONIK
© Carl Hanser Verlag GmbH & Co.KG, München, www.hanser-automotive.de; Nicht zur Verfügung in Intranet- u.Internet-Angeboten oder elektron. Verteilern
Aktive Geräuschunterdrückung
innenraum, sie bereichert auch das allgemeine Fahrerlebnis. Der folgende Beitrag
beschreibt die Funktionsweise und was bei der Implementierung zu beachten ist.
U
m den Komfort im Automobil zu
verbessern, kommt zum Beispiel
eine Technologie zum Einsatz, die
mithilfe digitaler Signalverarbeitung den
Geräuschpegel im Fahrzeuginnenraum
senkt. Abgesehen vom offensichtlichen
Bedürfnis nach mehr Komfort, wird die
aktive Geräuschunterdrückung (Active
Noise Cancellation, ANC) auch aus wirt­
schaftlichen Gründen angestrebt, denn
damit können schwere Geräuschdämp­
fungsmaterialien
und
Isolierungen
entfallen, die Fahrzeuge werden da­
­
durch kostengünstiger, leichter und
sparsamer.
Geräuschpegel in einem
fahrenden Auto
In einem Automobil gibt es zwar viele
Geräuschquellen, die beiden Hauptur­
sachen sind jedoch der Motor und die
Straße. Die Eigenschaften dieser bei­
den Quellen sind sehr unterschiedlich.
16
HANSER automotive 9 / 2015
Das vom Motorblock ausgehende
Geräusch hängt von der Größe des
­
Motors und der Geschwindigkeit ab
­
(Motorumdrehungen pro Minute), mit
der das Fahrzeug fährt. Das Motor­
geräusch ist schmalbandig und harmo­
nisch zusammengesetzt. All dies hat
­einen wesentlichen Einfluss auf die Ent­
wicklung
einer
Geräuschunter­
drückungslösung.
Das Fahrbahngeräusch entsteht
durch den Kontakt zwischen Reifen und
Straße. Es wird in unterschiedlichen
Schwingungen durch die Karosserie
des Fahrzeugs übertragen und im Fahr­
zeuginnenraum wahrgenommen. Diese
Art von Geräusch ist nicht vorhersag­
bar, ändert sich ständig und hängt von
Variablen wie Fahrbahnoberfläche,
Reifenzustand, Wetter und Fahrzeug­
­
mechanik ab. Angesichts dieser Eigen­
schaften ist es sehr schwer, das Fahr­
bahngeräusch zu minimieren oder zu
unterdrücken.
Senkung des
Geräuschpegels
Das Konzept der aktiven Geräusch­
unterdrückung beruht auf der Generie­
rung eines zweiten geräuschdämpfen­
den Tonsignals (Bild 1) mit gleicher Am­
plitude und entgegengesetzter Phase
zum original Rauschsignal. Werden die
beiden Signale kombiniert, so heben sie
sich gegenseitig auf und eliminieren alle
unerwünschten Geräusche. Ein System
zur aktiven Geräuschunterdrückung
muss Geräusche aufnehmen (z. B. mit
einem Mikrofon) und ein entsprechen­
des Rauschunterdrückungssignal gene­
rieren können, zum Beispiel über ein
Lautsprechersystem. Die Gesamt­
lösung wird typischerweise als DSP-­
basiertes System implementiert.
Aktive Geräuschunterdrückung ist in
verschiedenen Applikationen zu finden,
insbesondere in industriellen Anwen­
dungen und der Unterhaltungselektro­
© Carl Hanser Verlag, München
Bilder: Mentor Graphics
Die aktive Geräuschunterdrückung senkt nicht nur den Geräuschpegel im Fahrzeug­
ELEKTRONIK
© Carl Hanser Verlag GmbH & Co.KG, München, www.hanser-automotive.de; Nicht zur Verfügung in Intranet- u.Internet-Angeboten oder elektron. Verteilern
zeuginnenraum strategisch Mikrofone
anzuordnen.
ANC-Lösung
Bild 1: Grundlagen der aktiven Geräuschunterdrückung: Die Geräusche im Fahr­
zeuginnenraum (rot) werden durch ein geräuschdämpfendes Tonsignal (blau)
unterdrückt.
nik, zum Beispiel in Kopfhörern mit
Rauschunterdrückung. Innerhalb des
letzten Jahrzehnts wurde die aktive
Geräuschunterdrückung auch in Auto­
­
mobilanwendungen eingesetzt.
Motorgeräusch
Um zu erkennen, welche Geräusche
unterdrückt werden müssen, verwen­
­
det die aktive Geräuschunterdrückung
an der Geräuschquelle nichtakustische
Sensoren. Zur Realisierung einer einfa­
chen
Motorgeräuschunterdrückung,
allgemein als Motorgeräuschkompen­
­
sation bezeichnet, reicht die Umdre­
hungszahl des Motors aus. Da diese Art
von Geräusch direkt mit der Motordreh­
zahl zusammenhängt, lässt sich das
Motorgeräusch einigermaßen zuverläs­
sig modellieren und unterdrücken.
Aufgrund ihrer relativen Einfachheit
verwenden die meisten ANC-Systeme
heute Schmalbandlösungen zur Unter­
drückung des Motorgeräuschs (Bild 2).
Für komplexere Geräusche wie bei
­Motoren mit Zylinderabschaltung oder
zur Unterdrückung von Fahrbahn­
geräuschen kommen Beschleunigungs­
sensoren zum Einsatz. Um eine Ruhe­
zone rund um die Köpfe der verschiede­
nen Insassen zu schaffen, sind im Fahr­
Zur Realisierung einer umfassenden
ANC-Lösung müssen sowohl die Mo­
tor- als auch die Fahrbahngeräusche ad­
ressiert werden. Zudem sollte jede vor­
geschlagene Lösung anpassungsfähig
sein, schnelle Reaktionszeiten auf sich
ändernden Geräuschquellen bieten
(zum Beispiel Änderungen bei den Fahr­
bahnoberflächen) und sich relativ leicht
im Fahrzeug implementieren lassen.
Mentor Automotive hat als Teil sei­
nes In-Car-Experience-Portfolios ein
fortschrittliches ANC-System (Bild 3)
mit modernen adaptiven Algorithmen
entwickelt, mit dem sich die wechseln­
den Geräusche im Fahrzeuginnenraum
schnell verfolgen lassen. Mithilfe von
Referenzsensoren und Mikrofonen im
Fahrzeuginnenraum gleichen die Algo­
rithmen verschiedene Parameter ab
und generieren so ein geräuschdämp­
fendes Signal, das über das Standard­
audiosystem des Fahrzeugs wieder­
gegeben wird. Die Angleichung der
wichtigen Parameter erfolgt zum Teil
automatisch. Dieses Autotuning über­
brückt die Zeit, bis ein System auf den
Markt kommt, das im Vergleich zu den
derzeit
verfügbaren
traditionellen
­Lösungen eine optimalere Geräuschun­
terdrückung ermöglicht.
Bild 2: Typische
Implementie­
rung einer akti­
ven Geräusch­
unterdrückung
im Fahrzeug­
innenraum zur
Unterdrückung
der Motorgeräu­
sche.
www.hanser-automotive.de
HANSER automotive 9 / 2015
17
»
ELEKTRONIK
Die
Motorgeräuschkompensations­
lösung dieses Systems nutzt einen
Breitbandalgorithmus, der für die Unter­
drückung von Fahrbahngeräuschen ent­
wickelt wurde. Das heißt, ein Algorith­
mus wird für alle Anwendungsfälle ver­
wendet. Für eine einfache Motor­
geräuschkompensation ist die Mo­
torumdrehung das einzig erforderliche
Referenzsignal. Mithilfe der Motor­
umdrehungskennlinie generiert der Al­
gorithmus automatisch die Signale, die
zur Erzeugung der geräuschdämpfen­
den Signale erforderlichen sind. Jede
weitere Motorgeräuschkompensation
vergrößert minimal den CPU-Overhead.
Für komplexere Motorgeräusche,
etwa das Übergangsrauschen bei Hyb­
rid-Fahrzeugen, das beim Ein-/Aus­
schalten des Motors oder beim An-/Ab­
schalten der Zylinder entsteht, kann ein
sogenannter On/Off-Beschleunigungs­
sensor verwendet werden. Daraus
­resultiert eine breitbandige Anwendung
für die Motorgeräuschunterdrückung.
Fahrbahngeräusch
Die akustischen Eigenschaften eines
Fahrzeuginnenraums variieren je nach
Marke und Modell stark. Deshalb stellt
18
HANSER automotive 9 / 2015
die kundenspezifische Anpassung einer
ANC-Lösung und deren fristgerechte
Integration in das Fahrzeug eine große
Herausforderung für die AutomobilOEMs und Tier-1-Zulieferer dar. Für eine
effektive Leistung des ANC-Systems
ist die optimale Platzierung der Be­
schleunigungssensoren und Mikrofone
entscheidend. In Anbetracht dessen ist
es wichtig, als Teil des Tuning- und In­
stallationsprozesses ein Echtzeit-Feed­
back zu bekommen. Die ideale ANC-­
Lösung und ein praktischerer Ansatz
(Bild 3) bieten einen robusten Rahmen,
der es einem Ingenieur ermöglicht, auf
jeden Teil des Systems zuzugreifen und
die Reaktion des Systems auf unter­
schiedliche Parameter in Echtzeit zu
­visualisieren. Da die gleichen Algorith­
men sowohl für die Unterdrückung von
Motor- als auch von Fahrbahn­
geräuschen genutzt werden, ist eine
­Lösung gleichzeitig für beide Situatio­
nen einsetzbar. Für Offline-Analysen
bietet die Mentor-Lösung einen fort­
schrittlichen Algorithmus zur optimalen
Platzierung der Sensoren. Der Algorith­
mus erfasst die Daten von den Be­
schleunigungssensoren und Mikro­
fonen und ermittelt auf diese Weise die
geeigneten Stellen und die passende
© Carl Hanser Verlag GmbH & Co.KG, München, www.hanser-automotive.de; Nicht zur Verfügung in Intranet- u.Internet-Angeboten oder elektron. Verteilern
Bild 3: Die ANC-Lösung von Mentor Automotive zur Unterdrückung von Motor- und Fahrbahngeräuschen.
Anzahl von Sensoren, die für ein
­bestimmtes Geräuschunterdrückungs­
niveau erforderlich sind.
Fazit
Kunden erwarten von ihrem Automobil
ein qualitativ hochwertiges Fahrerleb­
nis. Dadurch wird das Beherrschen von
Fahrzeuggeräuschen zu einer immer
wichtigeren technischen Herausforde­
rung. Die vorgestellte ANC-Lösung
­bietet den Vorteil, dass die Technologie
mit weniger Hardwarekomponenten
eine Vielzahl von Funktionen zur
­Geräuschunterdrückung
ausführen
kann. Eine solche Lösung erfordert im
Vergleich zu heute verwendeten ANCAnsätzen weniger Tuning und Kalibrie­
rung. W (oe)
»» www.mentor.com
Vasant Shridhar ist Principal Engineer bei der
Embedded Systems Division (ESD) von Mentor
Graphics und ist Hauptentwickler des
ANC-Algorithmus von Mentor Graphics.
Anil Khanna verantwortet als Senior-Manager
der Embedded Systems Division (ESD) von
Mentor Graphics die Produktmarketingstrate­
gie des Mentor-Automotive-Lösungs-Portfolios.
© Carl Hanser Verlag, München