Predigt zu Matthäus 25, 14-30 zum Sendungsgottesdienst

Predigt zu Matthäus 25, 14-30 zum Sendungsgottesdienst
gehalten am 31. Mai 2015 von Bischöfin Rosemarie Wenner
Matthäus 25 „verfolgt“ mich in diesen Tagen. Ihr habt mich gebeten, über das Gleichnis zu predigen,
das in vielen Bibelübersetzungen „Die Geschichte vom anvertrauten Geld“ genannt wird. Und in der
nächsten Woche werde ich Bibelarbeit über das Gleichnis halten, das direkt davor steht, das Gleichnis
von den klugen und den törichten Jungfrauen. Ich muss gestehen, beide Gleichnisse sind für mich wie
eine harte Nuss. Ich behaupte nicht, dass ich sie knacken kann. Aber ich will Euch gern weitersagen,
was ich bei wiederholten Lesen, Studieren und Beten gelernt habe.
1) Eine unmögliche Geschichte
Was für eine Geschichte! Kaum zu glauben, dass sie aus Jesu Mund kommen soll. Der Wanderprediger
Jesus, der nichts sein Eigen nennt, der die Armen selig preist und davor warnt, Gott und dem Mammon
dienen zu vollen, redet plötzlich vom großen Geld und davon, dass es verdoppelt werden oder
mindestens Zinsen einbringen soll! Von acht Zentnern Silbergeld ist hier die Rede! Die fünf Zentner,
die der erste Sklave erhält, entsprachen 30000 Tagelöhnen.
Viele der Zuhörer Jesu gehörten damals zu den Tagelöhnern, den armen Schluckern, die Tag für Tag
hofften, für andere schuften zu können, um abends ein Stück Brot für ihre Kinder kaufen zu können. So
viel Geld würden sie nie im Leben zu sehen bekommen und Jesus selbst hatte es vermutlich auch nie
gesehen. Doch er spricht von dem Herrn, der 8 Zentner Silbergeld – also das Äquivalent zu 48000
Tageslöhnen - einfach so an drei seiner Sklaven gibt und sagt: „Ich bin dann mal weg! Hier ist mein
Vermögen! Macht was draus!“ Der erste Sklave geht voll auf Risiko, er setzt alles ein und verdoppelt das
Geld. Der zweite Sklave tut es ihm gleich. Das ist Kapitalismus pur! Doch der Herr fragt nicht danach,
auf wessen Kosten der große Reibach gemacht wurde. Der dritte Sklave tut schlicht das, was man
damals tat, wenn man Geld sicher anlegen wollte. Er vergrub es. Sein Herr schimpft ihn übel aus, als er
zurückkommt, um abzurechnen: Wenigstens Zinsen hätte der Knecht erwirtschaften sollen. Dabei gibt
es in der hebräischen Bibel so etwas wie ein Zinsverbot! Dieser dritte Sklave, der bekannte, dass er sich
vor seinem harten Herrn fürchtete, weil dieser keine Skrupel kennt, wird hart bestraft. Er landet in der
Hölle, wo „Heulen und Zähneklappern“ sich breit macht. Dabei hat er weder Geld veruntreut noch
jemandem Schaden zugefügt. All ob dies alles nicht schon anstößig genug wäre, erhält der
erfolgreichste Sklave den Einsatz dieses dritten Sklaven noch obendrauf. „Wer hat, dem wird
gegeben“, heißt es. Das stimmt. Das kennen wir. Auch heute werden die Reichen immer reicher, oft
ohne dafür auch nur einen Finger krumm zu machen. Und die Armen müssen den letzten Pfennig
drangeben. Soll das recht sein? Was ist das denn für eine Geschichte!? Es ist mindestens eine, die
aufhorchen lässt, schon allein durch ihre maßlosen Übertreibungen. Als Gleichnis für das Reich Gottes
kann ich sie freilich nicht lesen! So wird sie übrigens auch nicht angesagt. Sie beginnt nicht mit: „Das
Himmelreich ist wie…“ Und wer meint, Gott sei wie ein skrupelloser Sklavenhalter, der hat wenig von
Jesu Botschaft verstanden. Nun leben wir allerdings manchmal so, als müssten wir vor Gott Angst
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haben, so wie der dritte Sklave sich vor seinem Herrn fürchtete. Wir leben so, als wäre der Hölle nichts
entgegen zu setzen. Ich könnte uns die Hölle ausmalen, wie sie uns heute ihre grausame Fratze zeigt:
Menschen verhungern auf Flüchtlingsbooten im Mittelmeer und im Asiatischen Meer, weil andere
meinen, keinen Lebensraum für sie zu haben. In Syrien herrscht seit vielen Jahren Bürgerkrieg und wir
haben uns mittlerweile daran gewöhnt. In unserer Nachbarschaft warten alte Menschen auf jemanden,
der ihre Geschichten anhört, aber keiner hat Zeit. Junge Frauen, die ohne Papiere in Europa
untergetaucht sind, verdingen sich als Hausmädchen oder sie prostituieren sich. Da ist Heulen und
Zähneklappern. Und wir akzeptieren dies. Oder wir beklagen es, ohne damit zu rechnen, dass Gott da
sein könnte und dass wir in Gottes Namen dem Himmel auf Erden etwas mehr Raum schaffen könnten.
Dabei scheint es doch Mittel zu geben! Und zwar in Hülle und Fülle. Mehr, als wir es uns vorstellen
können! Und mit denen ließe sich vielleicht etwas machen. Der arme Wanderprediger Jesus redet
jedenfalls von dem großen Geld. Im Griechischen steht übrigens das vielsagende Wort „Talent“ für die
Zentner! Uns sind Talente anvertraut. Was machen wir mit dem, was uns gegeben ist?
2) Die „Moral“: Trau dich! Wuchere mit den Talenten!
Liebe Geschwister: Gott ist kein Sklavenhalter! Es gibt keinen Grund, dass wir Gott gegenüber in der
Angst verharren, in der Angst, nicht gut genug zu wirtschaften mit dem, was uns anvertraut ist. „Die
Moral von der Geschicht‘“, die Jesus damals erzählt hat, ist der Appell: „Trau dich! Entdecke deine
Talente! Und dann wuchere mit ihnen!“ Am Freitagabend haben wir hier in der Erlöserkirche in Plauen
ein Feuerwerk erlebt, weil Menschen ihre musikalischen Talente einsetzten. Ich stelle mir vor, dass Ihr
diese Kirche zu einem „Mitmachort“ für Musik macht. Die, die viel können, lehren andere das Singen
und Spielen. Da kann noch mehr draus werden aus dem, was Gott euch gegeben hat! Ich höre Euch
schon sagen: „Ja aber…“ In vielen Gemeinden höre ich „Aber“ oft verbunden mit: „Früher…“. Dann
erzählt man von vollen Kirchen, großen Chören und vielen Mitarbeitern. Im Blick auf das Heute
beginnt das große Klagen. Bitte versteht mich nicht falsch: Klagen hat seine Zeit! Wenn wir allerdings
unser Gleichnis ernst nehmen, dann soll und darf die Klage abgelöst werden von der Inventur: Was
haben wir denn heute an Talenten? Es ist kein Chor mehr da. Aber vielleicht wollen drei Leute eine
kleine Singgruppe gründen mit Gitarre, Querflöte, Cajon und einer Sängerin? Gestern Abend im
Jugendgottesdienst spielte eine solche Band, die sich erst vor Kurzem zusammenfand! Junge Leute
bringen ihre Talente ein. Und sie tun es gern. Jeder und jede von uns kann Talente ausgraben. Auch die
Älteren. Wir brauchen zum Beispiel das Talent der treuen Fürbitte! Manche Gemeinden suchen nach
den Talenten bei den Leuten, die rund um die Kirche wohnen. Bei den Tafeln, die es da und dort gibt,
arbeiten nicht nur die Frommen mit, sondern etliche Leute, die einfach was Gutes tun wollen. Auch in
der Flüchtlingsarbeit gibt es viele „Koalitionen“. Beim Konferenzgemeindetag vor einem Jahr wurden
wir ermutigt, Gottesdienste auf dem Marktplatz zu feiern oder das Bibelgespräch in ein öffentliches
Café zu verlegen. Und in diesem Jahr hörten wir, dass sich die Gemeinde in Aue dies traute und dabei
gute Erfahrungen machte. Solche Gemeindegeschichten haben mit persönlichen Geschichten zu tun.
Wie sehe ich mich? Entdecke ich, was Gott in mein Leben legte? Gebe ich dem kleinen Senfkorn
Glauben in mir Raum, so dass ich weiter hoffe, obwohl die Nachrichten mir so manche Hölle vor Augen
führen? Der kleine Glaube lässt mich die kleinen Taten der Liebe tun, die für einige Menschen die Welt
verändern.
Aber ist er denn da, der kleine Glaube? Moral und Appelle gibt es zu Genüge in unserer Kirche und in
unserer Gesellschaft. Genügt dies denn?
Nein! Um zum Kern zu kommen, sollten wir weiter suchen! Der Kern ist kein Appell, sondern ein
Gnadengeschenk.
3) Das Evangelium: Jesus ist da!
Gott, der in Jesus Christus Mensch wurde, gleicht dem Sklavenhalter in unserer Geschichte nicht! Wäre
Gott sonst arm und nackt auf die Welt gekommen? Hätte Gott sich am Kreuz abschlachten lassen? Da
hatte Jesus ja buchstäblich kein Hemd mehr, um dieses Hemd würfelten die Soldaten unter dem Kreuz.
Gott ist der Schöpfer, der uns das Leben gab und uns die Welt anvertraute. Und weil Gott uns liebt und
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uns Leben mit Tiefgang und Hoffnung gönnt, fragt er uns, was wir aus den Gaben machen, die uns
gegeben sind. Ich hatte in dieser Woche oft einen unverstellten Blick auf die Kirchenfenster. Obwohl
sie nicht ganz meinen Kunstgeschmack treffen, haben sie mich doch angesprochen. Zur Rechten sehen
wir den auferstandenen Christus. Er schaut ernst drein, fast streng. Vor ihm verantworten wir unser
Leben. Wer „mach, was du willst, Gott liebt dich sowieso“ für das ganze Evangelium hält, hat die Tiefe
des christlichen Glaubens noch nicht entdeckt. Der Auferstandene trägt die Wundmale der Kreuzigung.
Er starb, weil er die Welt so sehr liebte! Diesem Gott vertrauen wir. Ihm dienen wir. Dieser Dienst hat
ganz konkret mit dem zu tun, wie wir leben. Das dritte Gleichnis, das in Matthäus 25 zu lesen ist, das
Gleichnis vom Weltgericht, sagt dies unmissverständlich. Jesus ist da und begegnet uns in den
Mitmenschen. Wir dienen Jesus in dem Kind, das vernachlässigt wird, in dem Einsamen, der keinen
Freund mehr hat, in dem Flüchtling, der uns so fremd ist, dass wir gar Angst vor ihm haben und in dem
Sterbenden, dessen Siechtum wir kaum ertragen können. Wir merken es gar nicht, dass Jesus vor uns
steht. Doch er ist da. Er wurde Mensch, hilflos und schutzbedürftig wie ein kleines Baby – siehe das
linke Fensterbild.
Dort, wo in dieser Welt Heulen und Zähneklappern herrscht, ist Gott in Jesus da. Keine der Höllen, die
Menschen durchleben, ist gottlos. Das bedeutet, dass Jesus auch bei uns ist, wenn die Angst zu groß
ist, die Angst, wir könnten zu schwach sein. Oder aber die Angst, wir könnten zu hochmütig werden,
wenn wir unsere Stärke einzusetzen, um die Welt zu verändern. Gott ist da, im Heiligen Geist wohnt
Gott mitten unter uns. Nicht die Furcht, Gott nicht zu genügen, treibt uns zu Veränderung. Die Liebe
treibt die Furcht aus. Wenn wir Jesus, der Mensch gewordenen Liebe Gottes, Raum geben, verändert er
unser Leben von innen her. So werden wir frei, uns selbst einzusetzen im Dienst für die Menschen. Die
Liebe befähigt uns, Christus mitten in dieser Welt zu erkennen und ihm im Mitmenschen zu dienen. In
Christus kommt Gott uns als Richter und als Retter entgegen und befreit uns aus aller Furcht. Deshalb
können wir uns selbst investieren mit all den Gaben, die Gott uns gab. Und das sind viele, liebe
Geschwister. Wenn jeder und jede nur etwas mehr Mut fasst zur risikobereiten Liebe, wird Großes
geschehen in uns und durch uns. Von dem Geist, dessen Kommen wir in dieser Pfingstzeit feiern, heißt
es: „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der
Besonnenheit“. Lasst uns diesem Geist Raum geben. Dann wird sich auch durch uns und durch unsere
Kirche in Ostdeutschland die Welt verändern.
AMEN
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