„Vom Christsein in der Fremde“

„Vom Christsein in der Fremde“
Universitätsgottesdienst am 26. April 2015
Pfarrer Dr. Arne Dembek, landeskirchlicher Beauftragter für Christen anderer Sprache und Herkunft,
Kandel
Liebe Gemeinde,
„ut unum sint“ – „damit sie alle eins seien“, so steht es in großen Lettern über dem Portal des Speyerer Domes.
Es ist ein Wort aus dem Gebet, das Jesus kurz vor seinem Tod betete. Sein Vermächtnis an alle, die ihm nachfolgen. Jesus sagt hier:
„Ich bitte aber nicht allein für die Jünger, die hier anwesend sind. Ich bete auch für die, die durch ihr Wort zum
Glauben an mich kommen, auf dass sie alle eins seien.“ (vgl. Joh. 17, 20f)
Eine schöne Vorstellung: die geeinte Christenheit. Alle Christenmenschen eins im Glauben, in der Lehre, im
Feiern des Gottesdienstes. Ohne dogmatische Streitigkeiten um Taufe, Amt und Abendmahl, ohne gegenseitige
Ausgrenzung, ohne Fremdheit.
Eine schöne Vorstellung. Doch schaut man sich die Wirklichkeit an, scheint die Einheit der Christenheit doch
nicht viel mehr zu sein als ein frommer Wunsch. Da mögen Jesu Worte in noch so großen Lettern an der pfälzischen Kathedralkirche stehen, die Realität ist eine andere.
Das wird schon dadurch augenfällig, dass in Sichtweite des Domes eine zweite Kathedrale steht. Neugotisch
prachtvoll ragt die Gedächtniskirche hier auf und erinnert an die Trennung der abendländischen Kirche im 16.
Jahrhundert.
Würden wir auch noch all die anderen Kirchen, Kapellen, Gemeinde- und Versammlungshäuser in der Pfalz in
den Blick nehmen, wäre allen klar: Die, die an Jesus Christus glauben, sind nicht alle eins. Sie glauben katholisch
und protestantisch an ihn, methodistisch und mennonitisch, baptistisch und pfingstkirchlich und auf viele Arten
und Weisen mehr.
Und als ob das nicht genug wäre, sind wir gerade dabei zu erkennen, dass es nicht nur konfessionelle Unterschiede gibt, die Christen trennen, sondern dass wir auch verschiedene Sprachen sprechen, aus vielen Ländern
und Erdteilen stammen, unterschiedliche Kulturen haben.
Im Bereich der pfälzischen Landeskirche gibt es mindestens 26 Gemeinden anderer Sprache und Herkunft, die
man unter der groben Kategorie „evangelisch“ einordnen kann. Das sind mehr Gemeinden, als das größte Dekanat der Landeskirche hat. Hinzu kommen noch katholische muttersprachige Gemeinden, orthodoxe Kirchen
und in den letzten Jahren auch viele Flüchtlinge, die nach Deutschland gekommen sind und ihren christlichen
Glauben mitgebracht haben oder die hier zum Christentum gefunden haben und getauft worden sind.
Wenn wir an Kirche denken, dann assoziieren wir meist das Althergebrachte, das Traditionelle, dann denken
wir an die in Stein gebaute Ewigkeit, an Orte wie den Dom und die Gedächtniskirche in Speyer: Kirche ist schon
immer da. Die Kirche steht mitten im Dorf. Die Kirche verändert sich nicht.
Doch in Wahrheit ist es anders. Die Kirche ist ein Spiegelbild unserer Gesellschaft. Einer Gesellschaft, die immer
bunter wird. Wir leben in einem Einwanderungsland und die Menschen, die zu uns kommen, sind zu einem
großen Teil Christen.
Die Kirche ist darum längst nicht mehr nur die sonntägliche Versammlung in dem mächtigen Gebäude mit dem
hohen Turm. Die Kirche ist auch die afrikanische Gemeinde in der stillgelegten Fabrikhalle. Die Kirche steht
vielleicht immer noch im Dorf, aber in diese Kirche kommt jetzt auch die iranische Familie, die sich bei ihrer
Ankunft in Deutschland hat taufen lassen. Die Kirche ist nicht nur der protestantische Predigtgottesdienst,
sondern auch das laute Trommeln und Schreien der tamilischen Pfingstgemeinde.
Das Christentum, das wir heute erleben, ist vertraut und fremd zugleich. Es ist vielfältig, international, interkulturell: Wir beten auf ganz verschiedene Weisen, wir singen Lieder und feiern Gottesdienste, die anderen Christen fremd vorkommen, wir lesen die Bibel und leben unseren Glauben ganz unterschiedlich. Die einen feiern
mit Kunst in der Kirche, die anderen beten um Heilung. Die einen meditieren in der Stille, die anderen trommeln und schreien vor Begeisterung und Klage. Die einen feiern mit fünfzehn Menschen in Kirchen, die für
fünfhundert gebaut sind, die anderen zwängen sich in mit hundert Leuten in einen kleinen Raum.
Das Fremde ist uns nahe gekommen in Gestalt des uns fremden Christseins von Menschen aus anderen Ländern und Kulturen. Die Begegnung mit dem Fremden löst immer unterschiedliche Reaktionen aus: Da gibt es
Faszination für das Neue und den Wunsch, es besser kennenzulernen. Aber es gibt auch Verunsicherung, weil
das Andere mein Eigenes immer auch infrage stellt.
Im Gespräch mit Christinnen und Christen aus Migrantengemeinden bekomme ich diese Fragen manchmal
auch ganz direkt gestellt: „Warum sind eure Kirchen so leer?“ „Warum feiert Ihr in euren Gottesdiensten nicht
richtig?“ „Warum geht es dort immer so ernst und traurig zu?“ „Warum tut ihr so wenig für uns, obwohl wir
doch in Jesus Christus alle Geschwister sind?“ –
Gute Fragen, finde ich, berechtigte Fragen und gerade darum auch: verunsichernde Fragen!
Wie also umgehen mit dieser neuen Fremdheit im altvertrauten eigenen Glauben? Wie sich einstellen auf eine
Situation, in der Christsein hier bei uns so vielfältige Gestalten annimmt? Woran sich halten, wenn wir den
christlichen Geschwistern von anderswo begegnen wollen?
Vielleicht kann ein Blick auf den vorgeschlagenen Predigttext für den heutigen Sonntag uns weiterhelfen. Auch
dieser Text steht im Johannesevangelium. Jesus verwendet hier ein Bild, das die Gemeinschaft der Menschen,
die ihm nachfolgen beschreiben soll:
„Ich bin der Weinstock“, sagt er, „ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn
ohne mich könnt ihr nichts tun.“ (Joh. 15, 5)
In Jesus bleiben, das heißt im Johannesevangelium: in seiner Liebe bleiben. – Liebe ist das, was im Leben der
Menschen, die Jesus folgen, das Wichtigste sein soll: „Bleibt in meiner Liebe und bleibt damit in mir und ich in
euch.“
Liebe – das ist auch die Kraft, die das zusammen bringen kann, was uns unvereinbar erscheint. Liebe – das ist
die Kraft, die verbinden kann, was unsere Gewohnheit, unsere altvertraute Sichtweise, voneinander trennen
will. Liebe ist die Kraft, die Getrenntes eint, die Verschiedenes zusammenbringt, ohne aber – und das ist das
Besondere – ohne aber die Unterschiede aufzulösen.
Im Bild geblieben: Die Liebe ist die Lebenskraft des Weinstockes. Sie durchströmt Wurzeln und Stamm und
über den Stamm jede seiner Reben. So hält sie den ganzen Weinstock am Leben. Und doch sind die Reben sehr
unterschiedlich: manche wachsen höher, manche sind breiter, die einen tragen weniger Frucht, die anderen
mehr ... Doch all diese Unterschiede fallen nicht ins Gewicht, solange die Verbindung zum Weinstock da ist,
solange die Kraft der Liebe alles bestimmt.
Was wäre, liebe Gemeinde, wenn wir diese Worte Jesu hörten als Worte für eine vielfältige, getrennte und in
viele uns fremde Kirchen geteilte Christenheit? Was wäre, wenn wir das, was Jesus hier sagt, ernst nehmen für
unser Leben mit Christenmenschen aus anderen Konfessionen, Nationen und Kulturen?
Vielleicht könnte Jesus dann sagen: Wer in mir bleibt und ich in ihm, der fragt nicht, wie können wir die anderen überzeugen, so zu werden wie wir! Der überlegt sich nicht, woran mangelt es bei denen, die anders sind:
Ob sie ihren Glauben zu wenig leben? Ob ihre Weise, die Bibel zu lesen zu wenig aufgeklärt und wissenschaftlich ist? Oder ob ihre Art, Gottesdienst zu feiern zu sehr die Sinne anspricht und zu wenig den Verstand?
Jesus sagt: Wer in mir bleibt und ich in ihm, der besinnt sich auf das, was euch alle verbindet! Denn darauf
kommt es in Wahrheit an. Ihr habt eine Aufgabe in dieser Welt, eine gemeinsame Aufgabe: „Dein Reich komme. Dein Wille geschehe“ – so betet Ihr alle und dafür sollt ihr etwas tun. Fangt endlich an, etwas gemeinsam
zu machen. Sprecht miteinander, anstatt zu schweigen. Begegnet Euch, anstatt Euch aus dem Weg zu gehen
und sucht, wo ihr gemeinsam Gottes Gerechtigkeit tun könnt. –
Seid Licht der Welt und Salz der Erde! Ihr alle gemeinsam!
Vielleicht könnte Jesus uns ganz konkret sagen: Wer in mir bleibt und ich in ihm, der schaut nicht mehr misstrauisch, wenn ein Mensch mit einer anderen Hautfarbe den Raum betritt.
Wer in mir bleibt und ich in ihm, der zieht sich nicht zurück, wenn jemand nicht seine Sprache spricht, sondern
versucht, trotzdem mit ihm in Kontakt zu kommen.
Wer in mir bleibt und ich in ihm, der stört sich nicht daran, wie andere beten, auch wenn es laut wird oder
inbrünstig. Dem ist es weniger wichtig, wie pünktlich Gemeindehausschlüssel abgeholt und wie sauber Kirchenräume sind, als wie wohl sich deine christlichen Brüder und Schwestern in den Räumen deiner Gemeinde fühlen.
Wer in mir bleibt und ich in ihm, der hört irgendwann auf, das Fremde zu sehen und erkennt das Gemeinsame.
Der öffnet sich, anstatt sich abzuschotten. Der erkennt an, anstatt abzuwerten. Der spürt, dass sein Herz schon
weiter sein kann, als sein Verstand.
Liebe Gemeinde, „ut unum sint“ – „dass sie alle eins seien“, betet Jesus. – Wer sagt uns denn, dass dieses Gebet – SEIN Gebet – von Gott nicht schon längst erhört worden ist?
„Dass sie alle eins seien“ – An der Innenseite des Portals der Gedächtniskirche in Speyer steht ein Engel mit
einem geöffnetem Buch. Darin steht: „Selig, die Gottes Wort hören und bewahren.“ Amen.
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Gottesdienst in der Friedenskirche Kaiserslautern
Musikalische Gestaltung: Chor Gospel Wave
Leitung: Stefan Schöner