KVProfi Thorulf Müller: Ein nettes Haftungsproblem

Nachteilserklärung im Tarifwechselrecht
KVProfi Thorulf Müller: „Ein nettes Haftungsproblem“
KVProfi Thorulf Müller nimmt sich in seinem Kommentar den Tarifwechsel in der PKV vor. Vermittler, die
ihre Kunden dabei unterstützen, aber etwa einen Mehrleistungsverzicht anbieten oder die Angebote der
Versicherer vorlegen, ohne zu verhandeln, haben seiner Meinung nach ein Haftungsproblem. Warum, lesen
Sie hier.
Das Thema Tarifwechsel gemäß Paragraf 204 VVG in der PKV macht manchmal sehr nachdenklich.
Wenn der Kunde seinen Tarifwechselwunsch äußert, dann bekommt er manchmal einige und selten
alle Vorschläge, die interessant sind.
Rechtsverstoß – nein, diesen Tarif bekommen Sie nicht
Es ist schon vorgekommen, dass der Versicherer, selbst uns als Versicherungsberater, mitteilt, dass ein
Wechsel in den Tarif ABC nicht möglich ist, da der Tarif ABC Mehrleistungen im Vergleich zum
bisherigen Tarif hat.
Paragraf 204 sagt aber klipp und klar, dass der Versicherer einen Antrag auf Tarifwechsel annehmen
muss, wobei er die erworbenen Rechte zu übernehmen hat und die Anrechnung aus der
Alterungsrückstellung anrechnen muss. Er kann Mehrleistungen ausschließen oder einen
angemessenen versicherungsmedizinischen Zuschlag verlangen.
Nein, gibt es nicht und Ablehnung schon mal gar nicht. Sie können sogar vom Grundschutz in den
absoluten Top-Schutz wechseln wenn Sie schwer krank sind. Ob das Sinn ergibt, wenn der Versicherer
die Mehrleistungen ausschließt, Sie aber den höheren Beitrag zahlen, ist eine ganz andere Frage,
nämlich díe der individuellen Sinnhaftigkeit.
Rechtsverstoß – Nachteilserklärung
Wenn es dann soweit ist und der Antrag eingereicht wird – oder manchmal sogar schon beim Angebot
des Versicherers – verlangen einige Versicherer eine Nachteilserklärung. Diese ist in der Regel völlig
unspezifisch und sagt nur aus, dass der Kunde über die Nachteile des Tarifwechsels informiert ist.
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Es wird manchmal sehr freundlich gefragt, ob man den Tarifwechsel wirklich will. Das aber immer in
Verbindung mit der Aufforderung die Nachteilserklärung zu unterschreiben.
Einige Versicherer machen daraus sogar ein eine Frage der persönlichen Sicherheit, die man verliert,
wenn man Tarife mit einem niedrigeren Leistungsniveau wählt.
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Wir fragen uns natürlich: welche Nachteile? Fragt man nach, kommt vom Versicherer selten etwas
Substantielles. Es ist aus unserer Sicht aber nicht möglich, pauschal zu erklären, dass man über
Nachteile informiert ist, die der Versicherer nicht konkret und abschließend aufzählt.
Einige Versicherer treiben es richtig auf die Spitze und haben sogar ein Merkblatt mit drei Spalten. In
der ersten Spalte steht die Leistungsart und in der zweiten Spalte die Leistung Tarif „bisher“ und in der
dritten Spalte die Leistung Tarif „neu“. Beispiel: Arzneimittel – bisher 100 Prozent, künftig 80 Prozent
bis 2.500 Euro und dann 100 Prozent.
Ist das ein Nachteil? Ich spare monatlich 200 Euro und riskiere unter Umständen in der Zukunft 500
Euro zusätzlichen Selbstbehalt. Kaufmännisch kann man das gegenüberstellen, indem man die
Ersparnis in Höhe von 2.400 Euro pro Jahr (im ersten Jahr ja sicher) mit möglichen Selbstbehalten (hier
500 Euro) verrechnet.
Beispiel: Sehhilfe – aktuell 100 Euro für das Gestell und 100 Prozent für die Gläser alle zwei Jahre oder
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bei Änderung der Sehschärfe um 0,5 Dioptrin, zukünftig alle 200 Jahre bis zu 400 Euro für die Sehhilfe.
Auch gerne genommen: Sie kommen nie wieder in den bisherigen Tarif zurück. OK, weil die
Wahrscheinlichkeit, dass sich bei einem 50-jährigen Arbeitnehmer die wirtschaftliche Situation so
radikal ändert, dass der Beitrag für Versicherungsschutz irrelevant ist, gerade für die Babyboomer so
unglaublich wahrscheinlich ist?
Wenn der Versicherer dann aber nur die Nachteile nennt und die Vorteile weg lässt? Nehmen wir
Vorsorge und Schutzimpfung ohne Anrechnung der Selbstbeteiligung zu 100 Prozent statt wie bisher
nur unter Anrechnung der Selbstbehalte.
Was haben Vorteile auch in einer Nachteilserklärung zu suchen, oder?
Ich kann in Paragraf 204 VVG nirgendwo die Stelle finden, an der der Gesetzgeber den Versicherern
das Recht eingeräumt hat, die Annahme eines Antrages auf Tarifwechsel von einer Nachteilserklärung
abhängig zu machen.
Wenn ich dann Paragraf 6 VVG zur Hand nehme, dann finde ich dort aber:
(1) Der Versicherer hat den Versicherungsnehmer, soweit nach der Schwierigkeit, die angebotene
Versicherung zu beurteilen, oder der Person des Versicherungsnehmers und dessen Situation hierfür
Anlass besteht, nach seinen Wünschen und Bedürfnissen zu befragen und, auch unter
Berücksichtigung eines angemessenen Verhältnisses zwischen Beratungsaufwand und der vom
Versicherungsnehmer zu zahlenden Prämien, zu beraten sowie die Gründe für jeden zu einer
bestimmten Versicherung erteilten Rat anzugeben.
...
(4) Die Verpflichtung nach Absatz 1 Satz 1 besteht auch nach Vertragsschluss während der Dauer des
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Versicherungsverhältnisses, soweit für den Versicherer ein Anlass für eine Nachfrage und Beratung des
Versicherungsnehmers erkennbar ist.
Wir haben ausreichend schriftliche Aussagen von Versicherern, in denen die Versicherer ausdrücklich
und unmissverständlich die Aussage getroffen haben, dass der Antrag ohne die Nachteilserklärung
nicht bearbeitet wird.
Die Versicherer beharren sogar selbst dann weiter darauf, wenn man dem Versicherer erklärt hat, dass
sein Verhalten unzulässig ist.
Treppenwitz Tarifwechsel-Richtlinie PKV-Verband
Ich muss zugeben, dass zwei der drei Beispiele von Versicherern kommen, die der
Tarifwechsel-Richtlinie des PKV-Verbandes – zumindest bisher – nicht beigetreten sind.
Dennoch sind es Mitgliedsunternehmen des PKV-Verbandes und insoweit messe ich sie schon an dem,
was Ihre Interessenvertretung (richtig, mehr ist der PKV-Verband nach eigener schriftlicher Aussage
nicht) veröffentlicht:
Tarifwechsel-Richtlinie, Punkt 2, 3. Absatz
Im Rahmen der Beratung beim Tarifwechsel hat der Versicherte einen Anspruch auf eine verständliche
Darstellung, welche Mehr- und Minderleistungen mögliche Zieltarife gegenüber seinem bestehenden
Versicherungsschutz aufweisen, welche Beitragsunterschiede damit einhergehen und ob im Zieltarif
eine Risikoprüfung erforderlich wird; im Falle eines Risikozuschlags umfasst die Beratung die
Möglichkeit und die Folgen einer Vermeidung des Zuschlags durch Vereinbarung eines
Leistungsausschlusses. Steht in einem Zieltarif eine Beitragsanpassung fest, weist das
Versicherungsunternehmen den Versicherten darauf hin. Auf Wunsch des Kunden wird die Beratung
dokumentiert.
Kein Rechtsverstoß aber wider Treu und Glauben – Mehrleistungsverzicht
In Bezug auf den Verzicht auf Mehrleistungen ist das Gesetz eindeutig:
204: .... soweit die Leistungen in dem Tarif, in den der Versicherungsnehmer wechseln will, höher oder
umfassender sind als in dem bisherigen Tarif, kann der Versicherer für die Mehrleistung einen
Leistungsausschluss oder einen angemessenen Risikozuschlag und insoweit auch eine Wartezeit
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verlangen; der Versicherungsnehmer kann die Vereinbarung eines Risikozuschlages und einer
Wartezeit dadurch abwenden, dass er hinsichtlich der Mehrleistung einen Leistungsausschluss
vereinbart; ....
Dennoch ist es schon abenteuerlich, was da versucht wird.
Da sollen zum Beispiel alle Mehrleistungen per se ausgeschlossen werden. Das ist dann
unverständlich, wenn es zum Beispiel Schutzimpfungen oder mehr beziehungsweise zusätzliche
Vorsorgeuntersuchungen sind. Besonders bizarr ist aber der Versuch einiger Versicherer, sogar
pauschale Leistungen auszuschließen, die bei Leistungsfreiheit des Vertrages fällig werden würden.
Da fehlen mir dann doch der Bezug zur Realität und die Kausalität zu vorhandenen Erkrankungen.
Ein pauschaler Mehrleistungsverzicht, ohne die Mehrleistungen explizit und abschließend aufzuzählen
geht bitte gar nicht. Der Streit, was denn tatsächlich eine Mehrleistung ist, müsste dann irgendwann in
der Zukunft und sicher nur unter Einschaltung mehrerer Gutachter ausgetragen werden.
Wenn Versicherer mir sagen, dass Sie nicht wissen, welche Mehrleistungen es sind und ich solle selbst
in die Bedingungen schauen, dann hat das etwas von einer Dauerrunde in der Geisterbahn.
PKV in Absurdistan
Ganz absurd wird es aber, wenn Versicherer anfangen aufzuzählen und selbst die ambulante
Palliativmedizin, das Hospiz beziehungsweise die Anschlussheilbehandlung als Mehrleistung
bezeichnen wollen. OK, das mag früher dort nicht ausdrücklich geregelt gewesen sein, aber es war
versichert und den Prozess verliert die PKV.
Ganz nett fand ich auch diesen Fall:
Alter Tarif ambulant 2.700 Euro, neuer Tarif 1.600 Euro.
Vorschlag 1 PKV: 1.100 Euro versicherungsmedizinischen Zuschlag für Krankheiten A, B und C
Vorschlag 2 PKV: 1.600 Euro SB und für Krankheiten A, B und C 1.100 darüber hinaus zusätzlicher
Selbstbehalt.
Unsere Frage: „Wenn der Kunde im ersten Halbjahr 1.600 Euro Kosten durch Behandlungen der
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Diagnosen A, B und oder C verursacht und dann im zweiten Halbjahr 1.600 Euro an Kosten für D
verursacht, wie wird das dann abgerechnet?“ ist bis heute unbeantwortet.
Ob und wie ein normal gebildeter Mensch das persönlich nachvollziehen kann, ist und bleibt uns bis
heute verborgen.
Rechtsverstoß – Mehrleistungsverzicht
Wer als Versicherungsvermittler seinen Kunden bei Tarifwechsel (natürlich unentgeltlich) unterstützt
und dann …
1. … statt eines versicherungsmedizinischen Zuschlages Mehrleistungsverzicht anbietet,
2. … die Angebote der Versicherer seinem Kunden zur Unterschrift vorlegt, ohne zu verhandeln oder
klarzustellen beziehungsweise geltendes Recht umzusetzen,
3. … dabei nicht alle Positionen des Vertrages komplett prüft und korrigiert,
der hat ein nettes Haftungsproblem, wenn ein wirklich guter Versicherungsberater diesen Fall später in
die Finger bekommt.
Fazit
Können PKV-Versicherer Tarifwechsel? Nein!
Behandeln PKV-Versicherer ihre Kunden bei Tarifwechsel fair? Mehrheitlich NEIN!
Sollten Versicherungsvermittler Tarifwechsel durchführen? Wenn Sie es können und der Kunde in
ihrem Bestand ist, ja!
Dürfen Versicherungsvermittler für einen Tarifwechsel Geld nehmen? Ja, wenn der Tarifwechsel zu
einem Mehrbeitrag führt und der Vermittler dafür eine Courtage/Provision bekommt! Direktes Entgelt für
die Tätigkeit sollte der Versicherungsvermittler lassen.
Hier empfehle ich Ausnahmsweise einen Artikel des Rechtsanwalts Norman Wirth vom 9. Juli 2015:
Zitat: Sonderfall Tarifwechselberatung in der privaten Krankenversicherung (§ 204 VVG)
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Das ist äußerst strittig. Dass die ausschließliche Beratung eines Neukunden zum Tarifwechsel
innerhalb der Gesellschaft einer privater Krankenversicherung gem. Paragraf 204 VVG so pauschal
zulässig ist, wie es zuletzt der DIHK am 1. Juli 2014 verlautbart hat und wie auch das LG München
(Urteil vom 16.05.2013, Aktenzeichen 4 HK O 5253/12) geurteilt hat, wird hier in Zweifel gezogen. Beide
setzen einen Tarifwechsel gemäß Paragraf 204 VVG mit einem Neuabschluss eines
Versicherungsvertrages gleich. Was irritierend ist, da es sich ganz klar nur um eine Vertragsänderung
handelt und ein Neuabschluss eines PKV-Vertrages häufig gar nicht gewollt ist. Es ist also auch gut
vertretbar, dass hierfür eine gewerberechtliche Zulassung als Versicherungsberater gemäß 34 e GewO
erforderlich ist. Das letzte Wort dürfte eines Tages der BGH sprechen.
Dieser Artikel erschien am 16.07.2015 unter folgendem Link:
http://www.pfefferminzia.de/nachteilserklaerung-im-tarifwechselrecht-kvprofi-thorulf-mueller-ein-nettes-haftungsproblem-1437026277/
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