Tarifwechsel-Leitfaden „Man muss sich schon vor Verwunderung die Augen reiben“ Es bewahrheite sich immer mehr – der Tarifwechsel-Leitfaden sei nichts als ein trojanisches Pferd im Hofe der ahnungslosen Versicherungskunden, meinen die PKV-Experten Frank Dietrich und Andreas Sokol. Neuerdings erhielten Kunden ein Informationsblatt dazu, datiert aus 01/2011. Die beiden Spezialisten prüften die Inhalte kritisch – und kamen zu keinem guten Urteil. Es geht um folgendes Formular: Merkblatt zur Umstellung des Versicherungsschutzes mit Leistungseinschränkung statt Risikozuschlag. Wichtige Hinweise auf Besonderheiten des Leistungsumfangs Bitte nehmen Sie dieses Blatt zu Ihren Versicherungsunterlagen Dieses Blatt wendet sich an einen Versicherungsnehmer, der – im Rahmen eines Tarifwechsels nach Paragraf 204 VVG – sein Recht aus diesem Gesetz wahrnimmt und anstatt eines Risikozuschlages auf die Mehrleistungen, die im bisherigen Tarif ohnehin nicht vereinbart waren, verzichtet. Schauen wir uns die Ausführungen an und beleuchten die Aussagen etwas näher. Zukünftige Behandlungskosten für Krankheiten werden aus Ihrem neuen Versicherungsschutz erstattet, jedoch nicht diejenigen Leistungen, die ihrem Umfang und ihrer Höhe nach den bisherigen Versicherungsschutz übersteigen. Das stimmt so nicht, sondern das betrifft nur die vom Versicherer enumerativ aufzuzählenden Mehrleistungen, nicht alle Leistungen, die den bisherigen Versicherungsschutz übersteigen (zum Beispiel Zusatzbausteine, die keiner Gesundheitsprüfung unterliegen). Die Mehrleistungen Ihres neuen Versicherungsschutzes sind für alle Erkrankungen und zukünftigen Behandlungskosten ausgeschlossen. Der Pfefferminzia Newsletter ‐ für Versicherungsprofis www.pfefferminzia.de Das stimmt auch nicht, wegen Paragraf 41 VVG. Außerdem muss auch die Rechtsprechung beachtet werden, hier seien exemplarisch lebensvital notwendige Maßnahmen genannt. Die Generalisierung dieser Aussage ist folglich schlichtweg falsch. Der Kunde ist Vertragspartner des Arztes/Behandlers und muss – unabhängig von der Höhe der Kostenerstattung der Krankenversicherung – die Rechnung des Arztes/ Behandlers in der gesetzten Zahlungsfrist bezahlen. Dieses Wissen kann ein langjähriger Versicherungsnehmer, der einen Tarifwechsel durchführt, natürlich nicht haben, oder für wie dumm halten die Versicherer Ihre Kunden? Was hat sich gegenüber der alten Situation geändert? Nichts, aber hier wird durch die Hintertür etwas ganz Anderes vorbereitet. Dazu kommen wir noch. Gehen wir davon aus, dass üblicherweise der Zahlungsverzug 30 Tage nach Rechnungsstellung eintritt. Wir empfehlen Ihnen, den jeweiligen Behandler vor Beginn von Untersuchungen und/oder Therapien über Einschränkungen im Umfang Ihres Versicherungsschutzes zu informieren. Kommunikation im Vorfeld ist immer wichtig mit dem Behandler. Was aber hat dies mit der vorliegenden Thematik zu tun? Warum sollte ein Patient seinem Arzt mitteilen, was er für Mehrleistungen gehabt haben könnte, und diese aber nicht versichert hat, weil er sein Recht auf Ausschluss eben dieser Mehrleistungen wahrgenommen hat? Eine Bitte an die Versicherer: Greifen Sie aber diesen Punkt 3 für die alten Tarife auf und erstellen ein Merkblatt für die Leistungserbringer. Wir empfehlen dies auch für Neukunden, die aus der GKV übergetreten sind: ein umfassendes Merkblatt über die tariflichen Einschränkungen gegenüber der bisherigen gesetzlichen Absicherung. Selbstverständlich könnte sich hier auch der PKV Verband (endlich mal) positiv positionieren. Die Information der Ärzte/Behandler über die eingeschränkten Leistungen muss während der gesamten Vertragslaufzeit über Jahre hinweg beachtet werden. Siehe Punkt 3 In Notsituationen (zum Beispiel bei Herzinfarkt oder Schlaganfall) können die Ärzte und Behandler nicht auf Lücken im Versicherungsschutz hingewiesen werden und so könnten von Der Pfefferminzia Newsletter ‐ für Versicherungsprofis www.pfefferminzia.de diesen Leistungen erbracht und in Rechnung gestellt werden, die Ihr neuer Versicherungsschutz aufgrund der Leistungseinschränkung nicht übernimmt. Man muss sich schon vor Verwunderung die Augen reiben, dass derartige Aussagen aus dem Haus eines Krankenversicherers stammen. Weiterhin bieten wir gerne Seminare an, die sich unter anderem mit den Themen Notfallversorgung im Krankenhaus, DRG-System und Wahlleistungen beschäftigen. Auch bei weiteren Tarifwechseln wirkt die getroffene Leistungseinschränkung während der gesamten Laufzeit des Versicherungsvertrages fort. Siehe Punkt 1 Bereits vereinbarte medizinische Wagnisausgleiche, Leistungsausschlüsse und -einschränkungen behalten weiterhin ihre Gültigkeit. Hier nochmal die Frage, was das mit dem Verzicht auf Mehrleistungen zu tun hat? Weiterhin nochmals der Verweis auf Paragraf 41 VVG. Es muss bei der Leistungsauszahlung wegen erhöhtem Prüf- und Bearbeitungsaufwand mit längeren Bearbeitungszeiten gerechnet werden. Vorab erwähnt, würden wir diese Aussage hinsichtlich Paragraf 240 Absatz 3 StGB prüfen lassen, wenn wir der Adressat wären. Diese Aussage ist blanker Unsinn. Ein simpler Blick in das Gesetz und elementares logisches Denken bringt das schnell an den Tag. Wann sind Versicherungsleistungen fällig? Lesen wir gemeinsam Paragraf 14 VVG. Auszuzahlen sind die Leistungen nach einem Monat, wie bisher auch. Wenn ein Vorstand internes Organisationsverschulden, hier offenbar fehlende Implementierung einer funktionierenden EDV, zu verantworten hat, ist das allenfalls eine Angelegenheit für Ihren Aufsichtsrat, aber nicht für die Fälligkeit. Ein solches Problem hat grundsätzlich überhaupt nicht aufzutauchen, da bei Tarifwechsel und entsprechend der eigenen Verpflichtungen, die Mehr-/Minderleistungen detailliert, vollständig und transparent ausgewiesen werden sollten. Der Pfefferminzia Newsletter ‐ für Versicherungsprofis www.pfefferminzia.de Dass entsprechende Software, die Abweichungen verarbeiten kann, bereits offenbar in diesem Haus existiert, wurde vorher in Punkt 8 zugegeben. Oder erhielten alle diese betroffenen Kunden die Auszahlung immer verspätet? Wurden diese Kunden seinerzeit vor einem erstmaligen Vertragsschluss auch mit einem derartigen Merkblatt belästigt? Allerdings zählt ja bekanntlich eine umfassende Informationsgrundlage bei Krankenversicherern wenig und so soll dieses (Des)-Informationsblatt eher Verunsicherung schüren, denn Orientierung ermöglichen. In der Folge soll dann bewirkt werden, den Risikozuschlag zu zahlen. Das lohnt und ist weit einfacher für den Anbieter. Hier, mehr oder weniger intelligent, bereits manipulierend vorbereitet durch Punkt 3. Es bleibt zu hoffen, dass der fehlende Anstand durch mehr Verstand der Kunden ersetzt wird. Die Autoren sind schon fast geneigt, eine neue Einheit einzuführen. Ein peinlicher Krankenversicherungs-(Tatsachen)verdreher (kurz pKV) entspricht dem maximalen Unsinn, der auf einem Informationsblatt mit der Norm DINA4 dargestellt werden kann. Vorliegend sprechen wir von 1,0 pKV. Und letztendlich stellt sich die Gretchenfrage. Das kann doch so viele Kunden gar nicht mehr betreffen, wenn wir uns das Urteil des OLG Karlsruhe 12 U 106/15 vom 12.1.2016 anschauen, oder? Wir wünschen den Versicherern mit der Gestaltung der neuen Merkblätter für Neukunden, die aus der GKV übergetreten sind und auch für die Kunden aus ihren alten Tarife viel Erfolg, vermuten aber, das sich inhaltlich nicht wirklich was ändern wird. Diesen Schritt, der ganz dem Sinne der versprochenen „Neuen Transparenz“ des PKV-Verbandes entsprechen würde, würden wir ausdrücklich loben. Tarifwechsel „ohne Mehrleistungen“ Nun zu einer anderen Verhaltensweise, die uns gegenüber erschreckend klar und unmissverständlich per entsprechendem Schriftverkehr (E-Mail) dokumentiert wurde. Zur Vorgeschichte: Eine Kundin klagte über zu hohe Beiträge, insbesondere über die neueste Anpassung, gültig ab Beginn dieses Jahres. Begründet durch die lange Vorversicherungszeit und Vorerkrankungen erschien uns Der Pfefferminzia Newsletter ‐ für Versicherungsprofis www.pfefferminzia.de lediglich ein Tarifwechsel innerhalb der Gesellschaft als (noch) möglich und sinnvoll. Da der Tarif aus der „Neuen Welt“ in die Unisex-Welt übernommen wurde (der Versicherer bezeichnet diesen Tarif als sein verkaufsstärksten), waren die Möglichkeit einer solchen Prüfung gegeben. Natürlich wiesen wir auf den Verlust der Möglichkeit der Absicherung im Standardtarif hin, denn dieser Hinweis wurde nicht von Seiten des Anbieters gegeben. Die Beitragseinsparung lag bei 200 Euro monatlich. Ein Hinweis auf eine erneute Gesundheitsprüfung für zu erwartende Mehrleistungen, denn es gibt keine zwei gleichen Tarife am Markt, fehlte. Wir fragten nach. Hier die Antwort: Sehr geehrter Herr xxx, bei einem Wechsel wäre keine Risikoprüfung erforderlich, sodass auch kein Mehrleistungsausschluss zum Tragen käme. Bei einem Wechsel in den Basistarif (Beitrag derzeit 665,29 EUR), der mit seinen Leistungen den Leistungen der GKV entspricht, wäre zwar eine Risikoprüfung erforderlich, aber nur in Bezug auf den wegfallenden Selbstbehalt von 360 EUR. Ein erforderlicher Zuschlag würde jedoch auch nicht zu zahlen sein, sondern ist nur aufgrund des sogenannten „Pool-Ausgleiches“ im Vertrag zu vermerken. Freundlich grüßt Sie xxx Sachbearbeiter – Kranken Betrieb Wir fragten nochmals dezidiert nach Minderleistungen. Nun wollten wir es genau wissen. Danke Herr xxx, ergeben sich aber ggf. Minderleistungen, welche die Kundin bei einem Wechsel in Kauf nehmen müsste? Grüße Die Antwort lautete: Der Pfefferminzia Newsletter ‐ für Versicherungsprofis www.pfefferminzia.de Sehr geehrter Herr xxx, Minderleistungen ergeben sich nicht. Eine konkrete Gegenüberstellung der Leistungsunterschiede aller Tarife, für die jeweils ein Tarifwechsel möglich ist, steht uns leider nicht zur Verfügung; aus den beiliegenden Tarifbedingungen können Sie die Leistungsunterschiede jedoch auch ersehen. Was lässt sich daraus schließen, wenn Maßstäbe neu definiert werden? Der hier besprochene Tarif hat sich mit dem Wechsel in die Unisex-Kalkulation nicht inhaltlich verbessert oder verschlechtert –an keiner Stelle. Ein Wechsel ist damit jederzeit ohne Gesundheitsprüfung möglich und eröffnet die Möglichkeit einer zum Teil großen Beitragseinsparung. Dass ein Leistungsvergleich nicht zur Verfügung steht, impliziert sich aus dieser Aussage heraus. Dem Kunden zuzumuten, die AVBs der beiden Tarife inhaltlich zu vergleichen, verbietet sich durch ein Gerichtsurteil (Landgericht Nürnberg?Fürth, Urteil vom 08.04.2015, Aktenzeichen 2 O 1683/14). Wir empfinden die pauschale Gleichstellung zweier unterschiedlicher Tarife mit gleichen Tarifnamen lediglich so, dass der Anbieter nicht in der Lage ist, die Unterschiede klar und transparent aufzulisten. Offensichtlich wäre dieser Anbieter somit auch nicht in der Lage, bei anderen Tarifwechselangeboten, Mehrleistungen zu benennen. Während externe Experten Minderleistungen und Fallstricke bei einem Tarifwechsel vollständig und klar kommunizieren (zumindest, wenn sie nicht auf Basis von Erfolgshonoraren arbeiten), ist dies bei Mehrleistungen nicht der Fall, da Paragraf 204 VV hier dem Versicherer einen Spielraum einräumt [...kann verlangen…] Insoweit muss der Versicherer diese Mehrleistungen enumerativ benennen. Wenn er sich schon nicht an den Tarifwechsel-Leitfaden hält (was ohnehin nur die wenigsten Versicherer mehr oder weniger vollständig erfüllen können oder wollen), so ist er dennoch den elementarsten Normen des BGB zum Vertragsschluss unterworfen. Wenn er dies nicht einhalten kann, sollte der Aufsichtsrat aus unserer Sicht die Eignung seiner Vorstände genauer hinterfragen. Über die Autoren Der Pfefferminzia Newsletter ‐ für Versicherungsprofis www.pfefferminzia.de Frank Dietrich ist Inhaber der gleichnamigen Fachmakler GmbH und betrieb bis Ende 2014 die Premiumcircle Berlin GmbH. Dietrich schloss ein Wirtschaftsstudium ab und studierte Jura bis zum ersten Staatsexamen. Seit über 20 Jahren ist er auf die Versicherungssparten der privaten Krankenversicherung und angrenzenden biometrischen Risiken spezialisiert. Andreas Sokol ist für die Versicherungsberatung ProAuxilium tätig, welche die Seite www.beitragsoptimierung24.de in eigener Verantwortung betreibt. Außerdem ist er einer der Mitbegründer des Projektes www.expertennetzwerk24.de. Diese Autorengemeinschaft ehemaliger Konkurrenten soll auch das Zeichen setzen, über den Tellerrand hinauszublicken und sich – trotz oder gerade wegen der unterschiedlichen Sichtweisen – zusammen zu unterhalten. Wir tauschen uns mittlerweile regelmäßig und vor allem gerne aus und möchten diese Gespräche nicht mehr missen. Dieser Artikel erschien am 21.03.2016 unter folgendem Link: http://www.pfefferminzia.de/tarifwechsel-leitfaden-man-muss-sich-schon-vor-verwunderung-die-augen-reiben-1458551432/ Der Pfefferminzia Newsletter ‐ für Versicherungsprofis www.pfefferminzia.de Powered by TCPDF (www.tcpdf.org)
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