DR. CORNELIA ZIERAU E-Mail: [email protected] MARTINA KOFER E-Mail: [email protected] Institut für Germanistik und Vergleichende Literaturwissenschaft Fakultät für Kulturwissenschaften plaz.upb.de/vielfalt-staerken ZIELE FÖRDERUNG EINES SUKZESSIVEN KOMPETENZAUFBAUS IM BEREICH INTERKULTURALITÄT, DAZ UND MEHRSPRACHIGKEIT IN DER LEHRERAUSBILDUNG Sprachliche und kulturelle Heterogenität in der Lehrerausbildung nutzen lernen Sprachförderung von Kindern mit Migrationshintergrund Curriculare Verankerung des Sprachförderangebots in den neuen Praxisphasen des Lehramts, BA und MA: Orientierungspraktikum, Berufsfeldpraktikum, Praxissemester Entwicklung von Lehr-/Lernmodulen zu Interkulturalität, DaZ und Mehrsprachigkeit Entwicklung eines fächerübergreifenden und schultypen-spezifischen DaZ-Angebots in Zusammenarbeit mit den Fachdidaktiken Studentische Förderlehrkräfte aller Fächer unterrichten an 10 Schulen in Stadt und Kreis Paderborn/Kreis Höxter Sensibilisierung der Studierenden für die Themen DaZ, Mehrsprachigkeit, Interkulturalität Schulung der Förderlehrkräfte über das reguläre DaZ-Angebot hinaus Etablierung sprachsensiblen und schultypenspezifischen Fachunterrichts Erprobung von sprachsensiblen Materialien im Fach naturwissenschaftlicher Sachunterricht im Förderunterricht AUFGABEN Zusammenarbeit von PLAZ und Fachdidaktiken zur Schaffung von Praxisangeboten im Bereich Interkulturalität, DaZ und Mehrsprachigkeit Entwicklung von Leitfäden unter dem Aspekt Interkulturalität, DaZ und Mehrsprachigkeit für die Portfolioarbeit in den Praxisphasen Zusammenarbeit mit Fachdidaktiken zur Schaffung und Etablierung eines schultypenspezifischen und fächerübergreifenden Lehrangebots zu Interkulturalität, DaZ und Mehrsprachigkeit Entwicklung und Erprobung von Lehr-/Lernformaten Kooperation mit dem ZfsL zur Harmonisierung der DaZ-Ausbildung in beiden Phasen der LA-Ausbildung im Sinne eines sukzessiven Kompetenzaufbaus Pilotierung eines sprachsensiblen naturwissenschaftlichen Sachunterrichts in der Grundschule in Zusammenarbeit mit der Fachdidaktik naturwissenschaftlicher Sachunterricht: Entwicklung, Erprobung und Evaluierung von Unterrichtsmaterialien Förderlehrkräfte auswählen und qualifizieren Zusammenarbeit mit den Schulen zur Etablierung einer fächerübergreifenden Sprachförderung und zur Adaption des Förderunterrichts an die Praxisphasen des Lehramtes, BA und MA Eingangsworkshops und Begleitseminare zum Förderunterricht sowie zu den Praxisphasen unter dem Aspekt Interkulturalität, DaZ und Mehrsprachigkeit entwickeln und durchführen Förderlehrkräfte durch Hospitationen und Unterrichtswerkstätten begleiten Regelmäßige Reflexionstreffen mit allen Projektbeteiligten durchführen Evaluation von Begleitveranstaltungen und Unterricht Sinnvolle Förderpläne erstellen SPRACHFÖRDERUNG UND (INTERKULTURELLER) LITERATURUNTERRICHT „[D]ie TEILHABE AN DER ‚SCHULISCHEN BILDUNGSSPRACHE’“ ist „die zentrale didaktische Herausforderung in der Unterrichtung sprachlichkulturell heterogener Schülergruppen[…].“ (Schründer-Lenzen 2009: 122) Dazu gehört vor allem der Erwerb solider Schriftsprache, wozu eine spezifische Grammatik und fundierte Textsortenkenntnisse in Rezeption und Produktion zählen. Literarische Texte können als Vorbilder einer soliden Schriftsprache dienen. Insbesondere im Kontext interkultureller Literatur gibt es Aspekte von MEHRSPRACHIGKEIT, „die den Gebrauch mehrerer Sprachen oder Sprachvarietäten innerhalb einer Sprache nicht nur dokumentieren, sondern ihn auch kommentieren, reflektieren oder überhaupt erst neu schaffen“ (Rösch 2011: 97f.). Teilbereiche der Deutsch-Curricula lassen sich verbinden, indem über den Umgang mit literarischen Texten Sprachaufmerksamkeit und Sprachreflexion gefördert werden. Formen von Mehrsprachigkeit laden zu Sprachvergleichen und der Auseinandersetzung mit Sprachen ein. Eine Sensibilisierung für (alltägliche) Mehrsprachigkeit findet statt. In einer „DIDAKTIK DER LITERARIZITÄT“ (Dobstadt/Riedner 2013) verbindet sich literarisches und sprachliches Lernen (vgl. auch Belke 2011, Schmölzer-Eibinger 2011, Rösch 2006). Statt reiner Inhaltsanalyse wird das Augenmerk auch auf die sprachliche Ausgestaltung in literarischen Texten gelenkt. Literarische Texte helfen, Schülerinnen und Schülern für die Nutzung verschiedener Sprachvarietäten sowie für Merkmale und Funktionen von konzeptioneller Schriftlichkeit und Mündlichkeit zu sensibilisieren. Defizitursachen im Lesen sind nicht nur auf mangelnde Sprachkompetenz, sondern auch auf monokulturelle Unterrichtsinhalte zurückzuführen (vgl. Edele/Stanat/Radmann/Segeritz 2013: 107) Gezielte Literaturauswahl in einem interkulturellen Deutschunterricht kann „VERSCHIEDENE SUBJEKTPOSITIONEN ERMÖGLICHE[N]“ (Dirim/Eder/Springsits 2013: 121), zur MOTIVATIONSFÖRDERUNG, zur Erzeugung subjektiver Betroffenheit und Beteiligung und mittelfristig zur Verbesserung von Lese- und Textkompetenz beitragen. Mit literarischen Texten können „Kategorien des Andersseins und Anders-gemacht-werdens“ aufgegriffen, kritisch diskutiert und reflektiert werden (Fürstenau/ Gomolla 2009: 14; vgl. Rösch 2006 und 2013; Dirim/Eder/Springsits 2013) Schülerinnen und Schüler können die eigene Verortung und multiple Identität wiedererkennen und reflektieren. LITERATUR kann IM FACHUNTERRICHT eingesetzt werden. Über geeignete literarische Texte bzw. Textstellen lässt sich ein subjektiver Zugang und somit Motivationssteigerung und höhere Beteiligung an spezifischen Sachthemen des Fachunterrichts initiieren. Sachthemen werden vorentlastet und in ihrer Alltagsnähe und ihrem Subjektbezug verdeutlicht. SPRACHLICHES UND LITERARISCHES LERNEN IM DEUTSCHUNTERRICHT Curriculare Verortung/Unterrichtspraktische Überlegungen Durch Fokussierung der im literarischen Text funktional eingesetzten narrativen Strategien der konzeptionellen Mündlichkeit und Schriftlichkeit lassen sich die Teilbereiche „Umgang mit literarischen Texten“ und „Sprachreflexion“ der DeutschKerncurricula der Sek. I verbinden. Sprachreflexion im Sinne von ‚language awareness‘ beruht maßgeblich darauf, Formaspekte einer Sprache bewusst zu beobachten (vgl. A. Knapp 2010: 296; Schweiger 2014: 4ff.) Die Schülerinnen und Schüler werden angeregt, die unterschiedlichen Sprachvarietäten wahrzunehmen und in ihrer Gestaltung zu untersuchen. Durch handlungsorientierte und produktive Verfahren können die Schülerinnen und Schüler weitergehend selber Sprachvarietäten gestalten, indem sie Rollenbiographien verfassen, Figuren im Rollenspiel darstellen oder die Dialoge umschreiben: Wie würde Maik die Geschichte z.B. seinen Eltern oder seinem Lehrer erzählen? Wird der Textauszug unter dem Aspekt „Sprache als Mittel der Verständigung“ betrachtet, können Schülerinnen und Schüler den Dialog auf seine Ge- bzw. Misslingensbedingungen hin untersuchen. Sie können Ursachen für die Kommunikationsstörungen herausarbeiten sowie eigene Dialoge verfassen, in denen die Kommunikation aufgrund veränderter Gesprächsführungen gelingt Tschick fragte ihn, wo denn hier der Norma wäre, und der Junge lächelte entweder sehr verwegen oder sehr ahnungslos. Er hatte unglaublich viel Zahnfleisch. „Wir kaufen nicht im Supermarkt“, erklärte er bestimmt. „Interessant. Und wo ist er?“ „Wir kaufen immer bei Froehlich.“„Ah, bei Froehlich.“ Tschick nickte dem Jungen zu wie ein Cowboy, der dem anderen Cowboy nicht wehtun will. „Aber uns würde interessieren, wo es hier zum Norma geht.“ [...] „Da ist Froehlich! Da kaufen wir immer ein.“ „Phantastisch“, sagte Tschick. „Und jetzt nochmal ungefähr der Supermarkt?“ [...] „Was wollt ihr denn da?“ „Was wollen wir denn da? Maik, Maiki, was wollten wir nochmal im Supermarkt?“ „Wollt ihr einholen? Oder nur gucken?“, fragte der Junge. „Gucken? Gehst du in den Supermarkt, um zu gucken oder was?“ „Komm, lass uns weiter“, sagte ich, „wir finden den auch so. Wir wollten Essen kaufen.“ (Tschick: 127/128) Die Dialoge weisen viele Merkmale des mündlichen Sprachgebrauchs auf: umgangssprachliche Wendungen, Wiederholungen, Ellipsen, parataktischen Satzbau, einfacher, wenig elaborierter Wortschatz, … wird der Textauszug unter pragmatischen Gesichtspunkten betrachtet, werden Kommunikationsstörungen sichtbar. FÄCHERÜBERGREIFENDES LERNEN Curriculare Verortung/ Unterrichtspraktische Überlegungen: Überschneidungspunkte in den Curricula können dazu genutzt werden, einen maximalen Lernerfolg im Fachwissen wie in der sprachlichen Förderung zu erzielen. Fachinhalte und Lernstrategien sollten in der Praxis ergänzend didaktisch vermittelt werden. Das bedeutet in der Konsequenz, dass sich der Deutschunterricht für ein fächerübergreifendes, sprach-intensives Lernen öffnen muss. Konkrete Anknüpfungspunkte an die Curricula: Fach Physik: Das „Gesetz der kommunizierenden Röhren“ ist Teil der naturwissenschaftlichen Curricula verschiedener Schulformen der Sek. I. Im Fach Physik könnte die paradigmatische Herangehensweise an das Thema durch einen Sachtext und/oder einen Versuch um einen alltagsweltlichen und – sprachlichen Bezug erweitert und so Spracharbeit vertieft werden. Fach Deutsch: Förderung der Sprachreflexion: „Sprachen in der Sprache“ kennen und in ihrer Funktion unterscheiden: z. B. Standardsprache, Umgangssprache, Dialekt; Gruppensprachen, Fachsprachen; gesprochene und geschriebene Sprache, Mehrsprachigkeit. Im Sinne eines handlungsorientierten Unterrichts könnte im Fach Deutsch ein physikalischer Versuch durchgeführt werden. Anhand einer sachlichen Beschreibung könnten zudem Fachvokabular und –wissen aus dem Bereich Physik vertieft und wiederholt werden. In dem Topf war Wasser, und über den Rand vom Topf floss das Wasser über einen Schlauch glatt raus. Das beruhte auf irgendeiner physikalischen Kraft. „Was willst du mir erzählen? Dass das Wasser von unten nach oben läuft?“ „Du musst ansaugen.“ „Noch nie was von Erdanziehung gehört? Das läuft nicht nach oben.“ […] „Das ist ein physikalisches Gesetz. Das hat auch einen Namen, irgendwas mit Kräfte. Und Röhren. Kräfte-irgendwas-Gesetz.“ (Tschick: 146 f.) Die Situationsbeschreibungen aber sind Beispiele literar-ästhetischer Sprache: Der „Junge“ wird mit Hilfe elaborierter Adjektive als entweder „sehr verwegen“ oder „sehr ahnungslos“ beschrieben. Über Beschreibungen werden Bilder evoziert: Der Junge ist jemand, der „unglaublich viel Zahnfleisch“ hat. Der metonymische Verweis auf gesunde Ernährung muss von den Schülerinnen und Schülern erst entschlüsselt werden, Ebenso muss der Vergleich: „Tschick nickte dem Jungen zu wie ein Cowboy, der dem anderen Cowboy nicht wehtun will“ erst erschlossen werden. Didaktisch-methodische Überlegungen: Eine zu starke Verwissenschaftlichung der Themen und fehlender Alltagsbezug kann zum Motivationsverlust der Lernenden führen. Der nicht-narrative und sprachlich verallgemeinernde Charakter der Texte verhindert eine Orientierung an der konkreten Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler. Der fehlende Alltagsbezug könnte gerade durch die Verbindung mit literarischen Texten initiiert und dadurch die Lernmotivation gesteigert werden. Vor allem Texte der Adoleszenzliteratur die mit umgangssprachlichen Ausdrucksformen und damit konzeptioneller Mündlichkeit arbeiten, eignen sich für den Einstieg in die Sachthemen. Im nächsten Schritt kann dann auf die Fachbegriffe übergeleitet werden, um die notwendigen „kognitiv-akademischen Sprachfähigkeiten“ (Cummins 1979) zu trainieren. Der literarische Text kann hier als Brücke zur Welt dienen, indem man nicht zuvordererst fachsprachliche Diskurse dazu nutzt, um auf Alltag und Lebenswelt zu verweisen, sondern gerade umgekehrt von der alltäglichen Lebenswelt auf die Fachsprache überleitet. Der literarische Text könnte so Teil einer „narrativen Didaktik“ (Schmölzer-Eibinger et. al. 2013: 78) sein, die in allen Fächern für einen sprachsensiblen Unterricht genutzt werden könnte. Didaktisch-methodische Überlegungen Im Roman Tschick spielt Sprache insofern eine große Rolle, als die Erlebnisse und Erfahrungen der beiden Protagonisten in Dialogen und Monologen der Figuren reflektiert werden: Über die Dialogizität erhält der Roman viele Merkmale von Jugendsprache und wirkt lebendig und authentisch (Merkmale der Face-to-Face-Kommunikation) Aber auch sprachliche Bilder und Wortspiele sind zentral (Merkmale gehobener Schriftsprachlichkeit) Damit weist der Text neben der funktional eingesetzten Mündlichkeit in den Dialogen im Erzählen ebenso Aspekte von Schriftlichkeit auf, die den Schülerinnen und Schülern in ihrer Elaboriertheit und Literarizität nahe gebracht werden müssen. Schülerinnen und Schüler erkennen und erfahren die Unterschiede verschiedener sprachlicher Varietäten, was einen wesentlichen Aspekt von Textkompetenz ausmacht. Schülerinnen und Schüler lernen Sprachvarietäten nicht als höher- oder minderwertig kennen, sondern kommen zur Erkenntnis der funktionalen Unterschiede von Schriftlichkeit und Mündlichkeit (vgl. auch Dohrn 2007: 131). Die Dialogizität und konzeptionelle Mündlichkeit des Textes bietet auch die Möglichkeit des „Scaffolding“ (Gibbons 2010), indem ausgehend von der den DaZSchülerinnen und Schülern vertrauten verschriftlichten Mündlichkeit andere Formen der Schriftsprache eingeführt und geübt werden. Das Beispiel zeigt, dass der Einsatz von Literatur im DaZ-Unterricht sowohl Alltagssprache als auch literarische Sprache aufgreifen kann und somit die „ästhetische Dimension der Literatur“ nicht ausgeklammert wird (vgl. Rösch 2006: 94 und 2011: 102ff., Dobstadt/Riedner 2013: 238ff.). MEHRSPRACHIGKEIT IM LITERATURUNTERRICHT Curriculare Verortung/Unterrichtspraktische Überlegungen Die Einarbeitung der Nachrichtenzettel auf Türkisch regt vielfältige Unterrichtsmöglichkeiten zur Entwicklung von Sprachbewusstsein an. Die auf kleinen Zetteln abgedruckten Nachrichten im Buch können isoliert im Unterricht eingesetzt werden. Schülerinnen und Schüler diskutieren, was die Nachrichten bedeuten könnten. Türkisch sprechende Schülerinnen und Schüler, die den eigentlichen Sinn der Nachricht verstehen, halten sich zunächst zurück. Ihnen kann vermittelt werden, dass sie das Geheimnis hüten müssen und es ggf. später auflösen dürfen. Mehrsprachigkeit wird als Bonus empfunden. Die Schülerinnen und Schüler kontrastieren Eriks deutsche lautmalerische Interpretation mit der schriftlichen türkischen Version an der Tafel. Dabei sollten die Nachrichten in beiden Sprachen so visualisiert werden, dass sie die Unterschiede sehen und analysieren können: Bsp.: Bellek aynı karpuz inan Belle kaynı karpuzin an Belle keine Kapuzen an Übungen/Wiederholungen zu grammatikalischen und orthographischen Phänomenen: Auf morphologischer Ebene: Wiederholung der Imperativform Wiederholung Pluralbildung: Erik überträgt die Lautstruktur „karpuzin“ als „Kapuzen“, Eine Pluralbildung mit „in“ am Ende gibt es im Deutschen jedoch nicht, weshalb hier keine regelkonforme Bildung vorliegen kann. Orthografie/Phonologie: die gleiche Aussprache mit unterschiedlicher Semantisierung im Türkischen und Deutschen wird verglichen: ei – ay. Die Schülerinnen und Schüler erkennen, dass es ein ay in der deutschen Schriftsprache so nicht gibt. Wiederholung der Großschreibung von Nomen. Mit Hilfe der einmal entwickelten Systematik können die Schülerinnen und Schüler die Nachrichten analysieren bzw. entschlüsseln. Jede Nachricht hat dabei neues orthografisches bzw. grammatikalisches Potential (Vgl. ausführlicher Zierau/Kofer 2012). Das Kinderbuch Geheimnisvolle Nachrichten von Aygen-Sibel Çelik verarbeitet Elemente der türkischen Sprache so funktional, dass die Lesenden in die Auseinandersetzung mit dieser Sprache hineingezogen werden: Der Protagonist Erik findet auf dem Heimweg kleine Zettel mit kurzen Notizen auf Türkisch, die er aber wegen seiner Leseschwäche nicht als „fremde“ Wörter erkennt, sondern versucht, sie in der deutschen Sprache zu semantisieren. Ein Beispiel: Eriks Defizit – die Leseschwäche – in Verbindung mit einer „deutschen“ Aussprache der Notiz bewirken eine fantasievolle Decodierung der türkischen Wörter: Aus „bellek aynı karpuz inan“ (dt. „das Gedächtnis eine Melone“, Çelik 2008: 102), wird so „Belle keine Kapuzen an!“ (Çelik 2008: 17) ein kurzer Befehl, den Erik als direkte Aufforderung an sich versteht. Didaktisch-methodische Überlegungen Leseangebote, die mit Mehrsprachigkeit operieren, laden auf der linguistischen Ebene zur Sprachreflexion ein. Durch Sprachvergleiche nehmen Schülerinnen und Schüler die Besonderheiten des Deutschen wie der anderen Sprachen klarer wahr. „Sie stolpern über Missverständnisse oder falsch verwendete Begriffe, werden aufmerksam auf Unterschiede und Ähnlichkeiten zwischen den Sprachen […] und entwickeln Hypothesen über Sprachen und Sprachenlernen […]“ (Budde/Riegler/Wiprächtiger-Geppert 2012: 33). Auf der Persönlichkeitsebene werden Anstöße zur Identitätsbildung und –stärkung gegeben. Insbesondere Schüler und Schülerinnen mit Zuwanderungsgeschichte können dabei in ihrem Selbstbewusstsein so gestärkt werden, dass sie ihre Mehrsprachigkeit und Mehrkulturalität als Gewinn für ihre Persönlichkeitsentwicklung sehen und nicht als Hindernis im Zweitspracherwerb. LITERATURANGABEN Belke, Gerlind (2011): „Generatives Schreiben“ als Grundlage interkultureller sprachlicher Bildung. In: https://www.uni-due.de/imperia/md/content/prodaz/generatives_schreiben.pdf (04.09.2015) + Budde, Monika/Riegler, Susanne/Wiprächtiger-Geppert, Maja (2012): Sprachdidaktik. Berlin. + Çelik, Aygen-Sibel (2008): Geheimnisvolle Nachrichten. Wien. + Cummins, Jim (1979): Cognitive/Academic Language Proficiency, Linguistic Interdependence, the Optimum Age Question and Some Other Matters. In: Working Papers on Bilingualism Nr. 19, 197-205. + Dirim, Inci/Eder, Ulrike/Springsits, Birgit (2013): Subjektivierungskritischer Umgang mit Literatur in migrationsbedingt multilingual-multikulturellen Klassen der Sekundarstufe. In: I. Gawlitzek/B. Kümmerling-Meibauer (Hg.): Mehrsprachigkeit und Kinderliteratur. Stuttgart: 121-141. + Dobstadt, Michael/Riedner, Renate (2013): Grundzüge einer Didaktik der Literarizität für Deutsch als Fremdsprache. In: I. OomenWelke/B. Ahrenholz (Hg.): Deutsch als Fremdsprache. Baltmannsweiler: 231-241. + Dohrn, Antje (2007): Leseförderung mit literarischen Texten im DaZ-Unterricht. Bausteine für einen integrativen Deutschunterricht. Frankfurt am Main + Edele, Aileen/Stanat, Petra/Radmann, Susanne/Segeritz, Michael (2013): Kulturelle Identität und Lesekompetenz bei Jugendlichen aus zugewanderten Familien. In: Zeitschrift für Pädagogik 59, 84-110 + Fürstenau, Sara/Gomolla, Mechthild (2009): Einführung: Migration und schulischer Wandel – Unterricht. In: S.Fürstenau/M.Gomolla (Hg.): Migration und schulischer Wandel – Unterricht. Wiesbaden: 13-19. + Gibbons, Pauline (2010): Learning Academic Registers in Context. Challenges and Opportunities in Supporting Migrant Learners. In: C. Benholz et.al. (Hg.): Fachliche und sprachliche Förderung von Schülern mit Migrationsgeschichte. Münster: 25-37. + Herrndorf, Wolfgang (2012): Tschick. Berlin. + Knapp, Alfred (2010). Sprachaufmerksamkeit. In: H. Barkowski/H.-J. Krumm (Hg.): Fachlexikon Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Tübingen/Basel: 296. + Rösch, Heidi (2011): Deutsch als Zweit- und Fremdsprache. Berlin. + Rösch, Heidi (2006): Was ist interkulturell wertvolle Kinder- und Jugendliteratur? In: Beiträge Jugendliteratur und Medien 58/2, 94-103. + Rösch, Heidi (2013): Migrationsliteratur von deutsch-türkischen Autoren. Entwicklung und Behandlung im Deutschunterricht. In: M. Hofmann/I. Pohlmeier (Hg.): Deutsch-türkische und türkische Literatur. Literaturwissenschaftliche und fachdidaktische Perspektiven. Würzburg: 63-91. + Schmölzer-Eibinger, Sabine (2011): Lernen in der Zweitsprache. Grundlagen und Verfahren der Förderung von Textkompetenz in mehrsprachigen Klassen. Tübingen. + Schmölzer-Eibinger, Sabine/Dorner, Magdalena/Langer, Elisabeth/Helten-Pacher, Maria-Rita (2013): Sprachförderung im Fachunterricht in sprachlich heterogenen Klassen. Stuttgart. + Schründer-Lenzen, Agi (2009): Sprachlichkulturelle Heterogenität als Unterrichtsbedingung. In: S.Fürstenau/M.Gomolla (Hg.): Schulischer Wandel – Unterricht. Wiesbaden: 121-138. + Schweiger, Hannes (2014): Begegnungen mit Vielfalt. Sprachliches und kulturelles Lernen mit Literatur im Fremd- und Zweitsprachenunterricht. In: DaF 51/2, 76-85. + Zierau, Cornelia/Kofer, Martina (2012): „‘Da heiße ich doch lieber Pflaume!‘“ Mehrsprachige Literatur im Sprachförderunterricht. In: Chancen der Vielfalt nutzen lernen. Hg. von der landesweiten Koordinierungsstelle Kommunale Integrationszentren. Arnsberg: 100-112. Das Mercator-Institut ist ein von der Stiftung Mercator initiiertes und gefördertes Institut der Universität zu Köln. Grafische Gestaltung: SILVIA SPORKMANN Universität Paderborn
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