Henriette Dushe IN EINEM DICHTEN BIRKENWALD, NEBEL Eine Bühnenelegie für drei Spielerinnen und einen Männerchor von drei Stimmen IN EINEM DICHTEN BIRKENWALD, NEBEL entstand von 2011 bis 2012 im Rahmen des Lehrgangs FORUM TEXT vom Verein uniT an der Karl- Franzens -Universität in Graz. Die Autorin dankt den dortigen Kolleginnen und Kollegen herzlichst für alles Lob und jeden Tadel, allen voran ganz besonders gedankt sei Oliver Bukowski: Ohne dich wahrscheinlich keine Konkretion. (c) henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH 2013. Als unverkäufliches Manuskript vervielfältigt. Alle Rechte am Text, auch einzelner Abschnitte, vorbehalten, insbesondere die der Aufführung durch Berufs- und Laienbühnen, des öffentlichen Vortrags, der Buchpublikation und Übersetzung, der Übertragung, Verfilmung oder Aufzeichnung durch Rundfunk, Fernsehen oder andere audiovisuelle Medien. Werknutzungsrechte können vertraglich erworben werden von: henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin GmbH Alte Jakobstraße 85/86 10179 Berlin [email protected] Tel.: 030 - 4431 8888 „Als nun aber auch jener den Himmlischen allen verhasst ward/ Irrte er einsam umher, das Herz in Kummer verzehrend/ Durch die Aleische Flur und er mied die Pfade der Menschen.“ Homer FIGUREN Drei Frauen. Die eine jung (Junge), die andere ist es schon lange nicht mehr (Wedernoch), die dritte alt und noch viel älter (Alte). Ein Männerchor von drei Stimmen: Mann 1, Mann 2, Mann 3. Der Birkenwald. Der Nebel. Dazwischen wild verwahrloste Wiesen, fast bis zu den Knien steht das Gras. Der Männerchor im Brautkleid, ein wenig später dann die drei Frauen im Ronald Mac Donald Kostüm. Mann 1 Es passierte an einem Dienstag, an einem Dienstag Anfang Februar, oder vielleicht Vielleicht war es auch ein Mittwoch? Mann 2 Ja/ Mann 3 Ja/ Alle Männer Ja, ganz bestimmt/ Mann 1 Entschuldigung, es Es ist ein Mittwoch gewesen, ein Mittwoch Anfang Februar, aber ob Dienstag oder Mittwoch, das tut eigentlich überhaupt nichts zur Sache, ich Mann 2 (…) Mann 3 (…) Mann 1 In der Mittagspause bin ich los gefahren, ich Hatte den Wagen genommen, wollte zu einem Supermarkt fahren, um Glühbirnen kaufen, viele Glühbirnen, bei mir zu Hause waren alle Lichter ausgegangen, eines nach dem anderen, wie das nun mal Immer so ist, „wenn die Leiden kommen, so kommen sie wie einzle Späher nicht“i, wenn heute die Waschmaschine leckt, dann wird morgen auch der Kühlschrank brummen und der Fön in absehbarer Zeit den Geist aufgeben, die Gastherme wird dumpfe Geräusche von sich geben und das Küchenfenster wird sich bald nicht mehr richtig schließen lassen Mann 2 (…) Mann 1 Wer weiß, für was man da abgestraft wird, und von wem eigentlich, ist`s der Herrgott, der einen da so an der Kandare oder ist es nur eine Reihung unglückseliger Zufälle oder Mann 3 (…) 5 Mann 1 Ich bin also mit dem Wagen los, wegen der Glühbirnen, ich hatte ja nur diese halbe Stunde, maximal, wenn nichts dazwischen kommt, dann habe ich am Mittag immer etwa eine halbe Stunde, aber dann Stand ich da, im Stau, da war ein Wahnsinnsstau, mittags kurz nach 12, Scheiße, dachte ich noch, Scheiße, das wird knapp, vor mir, da Da tanzten die Bremslichter unendlich vieler Autos, dieses rote Licht, das war Das erinnerte mich irgendwie an die Augen eines Teufels, das klingt ein wenig Mann 2 (…) Mann 1 Bescheuert, ich weiß, ich Ich Mann 3 (…) Mann 2 Das war an einem verregneten Samstag in einem eigentlich ganz schönen Oktober, ich wollte die Kinder zu anderen Kindern, zu einem Geburtstag wollte ich sie bringen, zu einem Kindergeburtstag/ Mann 1 Es muss die Müdigkeit gewesen sein/ Mann 2 Wir waren etwas spät dran, hatten den Vormittag mit was weiß ich was vertrödelt, ich rief also nach den Kindern, trieb sie zur Eile an, ich stand schon unten im Flur, Jacke und Kindergeburtstagsgeschenk in der einen, das Altglas in der anderen, Kinder, rief ich, Kinder, kommt ihr?/ Mann 1 Und dann war ich weg, einfach Weg/ Mann 3 Es war ein Montag. Ein Montag Mitte August, ich weiß das ganz genau. Mann 2 Die Kinder kamen aber nicht. Ließen sich Zeit/ 6 Mann 3 Ich weiß das deshalb so genau, weil das der erste Arbeitstag nach meinem Urlaub gewesen ist. Gewesen wäre, muss man korrekterweise sagen/ Mann 1 Ausgerechnet ein Mercedes. Mann 3 Der war gar nicht so schön gewesen, der Urlaub, also schon schön, schöner als kein Urlaub, ist ja klar, aber eben nicht so schön wie sonst, ich war ein bisschen/ Mann 1 Ein ziemlich neuer dicker silberfarbener Scheiß Mercedes Benz/ Mann 3 Ein bisschen Anders, ein bisschen, ich Weiß nicht genau/ Mann 2 Na kommt schon, Kinder, los jetzt, wir sind spät dran!/ Mann 1 Fuck/ Mann 2 Sehr spät sogar/ Mann 3 Lethargisch vielleicht? Oder/ Mann 1 Fuck, Fuck, Fuck/ Mann 3 Oder ein bisschen/ Mann 2 Wir sind sozusagen viel zu spät dran/ Mann 1 Was für ein Aufprall/ Mann 3 Ein bisschen traurig vielleicht/ Mann 2 Also los jetzt, verdammt/ Mann 1 Ich dachte wirklich: Jetzt ist es vorbei/ Mann 3 Nein, traurig nicht. Eher müde, so unendlich, so/ Mann 1 Ein paar Prellungen im Schulterbereich/ Mann 3 Bodenlos müde/ 7 Mann 1 Und ein riesiger blauer Fleck mitten auf meiner Stirn, da bin ich mit dem Kopf direkt auf das Lenkrad/ Mann 2 Kinder, verdammt noch mal, warum kommt ihr denn nicht? Mann 1 Nichts Ernstes. Auf den ersten Blick/ Mann 3 Ich stand vor der Tür zu meinem Büro, hatte die Hand schon auf der Klinke und den Schlüssel Schon im Schloss, ich/ Mann 2 Hallo?/ Mann 3 Konnte die Telefone hinter der Tür und Das Klappern der Absätze einer Kollegin/ Mann 2 Hallo?/ Mann 3 Es ging einfach nicht/ Mann 2 Hallo!/ Mann 3 Ich konnte da nicht reingehen, ich Konnte den Fuß nicht über die Schwelle bringen, das ist kein Witz, ich habe es probiert, mehrmals, mit den Händen habe ich meinen rechten Oberschenkel umfasst, ich habe Versucht Mich selbst zu stoßen, mich darüber zu zerren, über die Schwelle/ Mann 1 Ich dachte mir, dass es wohl besser sei, ich bliebe einen Tag zu Hause, nach so einem Unfall, ich dachte, ich müsste mich vielleicht mal wieder richtig ausschlafen, mich ein bisschen hinlegen und ausruhen/ Mann 2 Ich zähle jetzt bis drei, wenn ihr dann nicht da seid, dann fahren wir eben nicht, okay? / Mann 3 Mir war plötzlich ganz schwindelig, die Hände klitschnass, mein Herz raste, der Schmerz kam von hier oben oder von hier/ Mann 2 Okay?/ 8 Mann 3 Ich konnte es nicht exakt lokalisieren, auf einmal der Wunsch, mich zu erbrechen, ein Pfeifen im linken Ohr/ Mann 2 Okay?/ Mann 3 Ich brauche eine Toilette, sofort/ Mann 2 Ich meine das wirklich ernst/ Mann 1 Das habe ich dann auch gemacht. Ich bin zu Hause geblieben und habe mich ausgeruht, habe versucht, richtig tief und erholsam zu schlafen/ Mann 2 Also, ich zähle jetzt!/ Mann 1 Nur wurde das am nächsten Tag nicht besser/ Mann 2 Eins/ Mann 3 Du musst atmen, dachte ich, ganz ruhig atmen, zählen vielleicht, zählen hilft/ Mann 1 Das wurde überhaupt gar kein bisschen besser/ Mann 3 Du musst ganz ruhig zählen/ Mann 1 Es wurde schlimmer/ Mann 2 Zwei/ Mann 1 Sehr viel schlimmer, da, da ist/ Mann 3 Zählen half aber nicht/ Mann 1 Da ist dieser eiserne Helm über meinem Kopf, ein/ Mann 3 Ein tickendes Uhrwerk unter meiner Stirn/ Mann 1 & 3 Lässt sich nicht verrücken der Helm, und das Uhrwerk, oder einfach/ Mann 2 Zweieinviertel/ Mann 1 & 3 Einfach so abnehmen/ Mann 3 Mein Atem stinkt/ 9 Mann 2 Zweieinhalb/ Mann 3 Und auch der Urin riecht übel/ Mann 1 & 3 Irgendwas ist da mit meinem Gesicht, das Gesicht/ Mann 2 Zweidreiviertel/ Mann 1 & 3 Das Gesicht löst sich/ Mann 1 Ganz langsam/ Mann 3 Im Spiegel auf/ Mann 1 & 3 Atemnot/ Mann 2 Drei! Ganz langsam schälen sich die drei Frauen aus dem dünner werdenden Nebel des Birkenwaldes. Alle Männer Die Kinder kamen die Treppe herab. Mann 2 Drei Stück waren es insgesamt. Alle Männer Drei Kinder kamen die Treppe herab. Mann 2 Und ich, ich Mann 1 (…) Mann 3 (…) Mann 2 (…) Alle Männer Da standen sie. Die Kinder. Mann 2 Da stehen sie, ja, und ich, ich/ Mann 3 Ich/ Mann 1 Ich/ Alle Männer (…) Mann 2 Was ist nur los mit mir? 10 Alle Männer Er erkannte sie nicht. Die Kinder. Mann 2 Ich erkannte die Kinder nicht, nein. Alle Männer Die eigenen Kinder. Mann 2 Meine eigenen Kinder, ich Alle Männer (…) Mann 2 Ich kannte diese Kinder nicht. Alle Frauen singen sacht und zart und leise Du hast ja ein Ziel vor den Augen, damit du in der Welt dich nicht irrst, damit du weißt, was du machen sollst, damit du einmal besser leben wirst.ii Alle Männer Uns wird ganz schwindelig, alles dreht sich, wir Fallen, ja, wir Fallen, Hilfe, bitte, Hilfe, wir‚ Wir gingen zu Boden. Alle Frauen singen zunehmend weniger sacht und zart und leise Denn die Welt braucht dich, genau wie du sie, die Welt mag ohne dich nicht sein. Das Leben ist eine schöne Melodie, Kamerad, Kamerad, stimm ein!iii Alle Männer Von da an ging`s bergab. Ich vergaß meine Kontonummer, den Geburtstag meines Vaters und wie man Spaghetti kocht. Ich lief verzweifelt die Straßen auf und ab, schrie vor Schmerz, brach zu jeder Zeit und an jedem Ort in Tränen aus und stöhnte aus innerstem Herzen, ich Weinte wirklich viel in dieser Zeit, ich weinte und weinte, und manchmal Wütete ich auch, wie ein Unbeteiligter Zuschauer sah ich zu, wie sich meine Existenz Stück für Stück aufzulösen begann, ich hatte das Gefühl, dass meine 11 Angelegenheiten nicht mehr von mir durchlebt werden wollten, innerhalb von zwei Jahren verlor ich alles/ Mann 3 Das Ersparte/ Mann 1 Das Haus/ Mann 3 Den Wagen/ Mann 2 Das Sorgerecht für die Kinder/ Alle Männer Wir gingen zum Arzt. Alle Frauen (…) Alle Männer Herr Doktor, Herr Doktor, uns Uns geht es nicht gut. Alle Frauen Ach ja? Alle Männer Uns geht es wirklich gar nicht gut Alle Frauen Oh. Alle Männer Ja, uns Uns geht es schlecht. Alle Frauen Kasse oder privat? Alle Männer Wie bitte? Alle Frauen Ob Sie privat versichert sind. Alle Männer Bitte, Herr Doktor, uns Uns geht es wirklich sehr schlecht. Alle Frauen Da ist aber nichts. Alle Männer Gar nichts? 12 Alle Frauen Nein Nein, da ist Nichts. Alle Männer (…) Alle Frauen Da ist wirklich überhaupt gar nichts, was auf medizinischen Apparaten zu vermessen wäre. Alle Männer (…) Alle Frauen Sie sind vollkommen gesund. Alle Männer Oh. Alle Frauen Ja. Alle Männer Oh. Alle Frauen Ja. Okay? Alle Männer (…) Alle Frauen Okay? Alle Männer Okay. Alle Frauen singen jetzt kräftig und stark Und hast du dich einmal entschlossen, dann darfst du nicht mehr rückwärts geh` n Dann musst du deinen Genossen als Fahne vor dem Herzen steh` n. Denn sie brauchen dich genau wie du sie, du bist Quelle und sie schöpfen aus dir Kraft. Darum geh voran und erquicke sie, Kamerad, dann wird's geschafft. Alle Männer übernehmen das Lied der Frauen und singen es allein weiter Allen die Welt und jedem die Sonne, fröhliche Herzen, strahlender Blick. Fassen die Hände Hammer und Spaten, wir sind Soldaten, kämpfen für' s Glück….iv 13
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