Name: Nicolas Kurtenbach Einsatzland: Bolivien Projekt: Centro Canarito Pampeno Berichtspanne: März bis Mai 2015 Datum: 30. Mai 2015 ... Hier sind wir also wieder. Drei Monate sind vergangen und ich setze mich wieder an einem Sonntag hin und will meinen Zwischenbericht schreiben und obwohl ich Lust habe ihn zu schreiben, zu erzählen was so passiert ist und mir das alles auch ein bisschen von der Seele zu schreiben will ich es trotzdem nicht so gerne tun, weil ich das Gefühl habe, dass ich meine Erfahrungen hier mit meinen Worten nicht gerecht werden kann. Ich weis auch bei vielen Dingen selbst nicht, was ich dazu denke… Deswegen möchte ich hier gleich anmerken, dass dies nur meine subjektiven Erfahrungen und Gedanken sind und dass dies nicht Bolivien repräsentiert. 1) Das Projekt Das Centro Canarito hat sich in den letzten Monaten eigentlich nicht wirklich verändert. Es ist deutlich voller geworden, sodass wir teils nachmittags zu dritt mit 25-30 Kindern dort sind was das Ganze ein bisschen stressig macht. Aber generell ist die Arbeit noch die gleiche. Die Kinder und wir kommen an, wir machen Hausaufgaben, die Kinder spielen, die Kinder gehen wieder zu ihren Ständen. Klingt aber natürlich deutlich leichter als es dann wirklich ist. Ich kann nicht kurz mit einem Kind rumwitzeln ohne mir von einem anderen anzuhören, dass ich ja nur am spielen bin. Ich darf mich auch manchmal nicht auf ein Kind konzentrieren weil dann ein anderes sauer wird. Aber man wächst natürlich auch ein bisschen in die Arbeit rein. Mein Multitasking ist zum Beispiel schon viel besser geworden. Ich kann von einem Kind die Matheaufgaben überprüfen, einem anderem sagen dass er/sie mir sein/ihr Heft zeigen soll, einem anderen bei seinen Multiplikationen helfen und ein weiteres Kind, das gerade vor sich hinträumt, dazu bringen weiter zu machen. Alles gleichzeitig. Das ist aber natürlich auch ein bisschen stressig vor allem wenn dann auch noch andere ankommen und Sachen sagen wie: „Der da will nicht teilen“, „Gabriel hat ein böses Wort gesagt“, „Verkaufst du mir was Süßes?“ sodass ich in letzter Zeit öfter, wenn das letzte Kind dann gegangen ist, erstmal erschöpft zusammen sacke. Aber auch der Umgang mit den Kinder, manchen zumindest, ist deutlich leichter geworden. Das liegt einmal an meinen besseren Spanischkenntnissen, aber auch daran dass man sie jetzt halt besser kennt und weiß, wie man bei welchem Kind voran kommt. Manche arbeiten schneller wenn du sagst „Es ist schon halb fünf und dir fehlen noch drei Seiten. Dale! Dale! Dale!“ aber andere lassen sich dann noch mehr Zeit. Was aber wirklich schwierig ist, ist immer ruhig zu bleiben. Weil ich halt auch nur ein Mensch bin und noch nicht mal ausgebildeter Pädagoge, sodass ich wenn ich ganz ruhig zu Christian sage dass seine Matheaufgaben falsch sind und er dann zu macht und anfängt rumzuschreien „Ist doch egal! Halt die Klappe!“ mich schon ein bisschen aufrege. Ich weis ja auch, dass diese Kinder es schwer haben aber es ist trotzdem schwierig ruhig zu bleiben, wenn sie es dann an mir auslassen. Das ist wirklich die größte Herausforderung an der Arbeit. Das und sich daran erinnern, was man in Chemie in der sechsten Klasse gelernt hat und das dann auch noch ins Spanische zu übersetzen. Eine neue Aufgabe, die für mich jetzt dazu gekommen ist, ist das ich jetzt die Finanzen für Canarito mache. Also mache ich die Listen mit den Namen der Kinder, kassiere die drei Bolivianos, die sie jeden Tag bezahlen müssen, fürs Canarito ein und zähle jede Woche, ob wir auch alles an Geld haben was wir haben sollten. Das ich das jetzt mache kommt daher, dass uns im Februar auf einmal 200 Bolivianos gefehlt haben und wir nicht wussten, wo die hin sind. 2) Gastfamilie Das Leben in der Gastfamilie hat sich wieder ein wenig beruhig seit dem letztem Bericht. Zu der Zeit, als ich den letzten schrieb, war ich gerade alleine, weil Elli reisen war und sie haben sich ziemlich gestritten. Das ist jetzt wieder deutlich zurück gegangen und das Elli jetzt wieder da ist, hilft auch. Auch wenn ich mit Nayra meine Schwierigkeiten habe, komme ich mit Wara, der jüngeren, immer besser klar. Das liegt einmal daran dass sie sich wirklich schon mit 14 sehr erwachsen benimmt, sie eine sehr offene und liebe Art hat und das wir dadurch dass wir beide Sport machen auch etwas gemeinsam haben. 3) Spanisch Mir wurde neulich von einem Bolivianer gesagt: „Mensch du sprichst ja echt perfekt Spanisch“ und ich meinte dazu nur „Ähm ... Nein“. Mein Spanisch ist zwar schon viel besser geworden und ich habe auch mittlerweile einen guten Redefluss, weswegen es dann eventuell so wirkt als würde ich sehr gut Spanisch sprechen, aber trotzdem ist mein Vokabular eher begrenzt. Ich kann mit den Wörtern, die ich kenne extrem viel ausdrücken und mir dann auch viel aus dem Zusammenhang erschließen aber trotzdem fehlen mir viele wichtige Wörter, die ich halt nicht jeden Tag, aber trotzdem regelmäßig, gebrauchen könnte. Aber ich merke auch, dass mein Deutsch ein bisschen einrostet. So saß ich neulich beim schreiben mit meiner besten Freundin fünf Minuten an dem Satz „Irgendwo werde ich schon angenommen werden“ weil sich das einfach merkwürdig angehört hat. 4) Te amo mi hermosa Tierra Bolivia Heißt so viel wie „Ich liebe dich, du schönes Land Bolivien“. Das steht hinten auf dem Bolivien Fußball Trikot drauf, welches ich zu meinem Geburtstag gekriegt habe. Dieser Satz ist definitiv wahr. Ich verliebe mich jeden Tag mehr in dieses kontrastreiche Land. Ich liebe die „Einfachheit“, mit der man dem Tag entgegengeht. Ich liebe es, dass dieses Land gerade im Aufschwung ist und sich viel verändert. Ich liebe es, dass die eigene Kultur noch besteht. Und natürlich, weil Liebe ja bekanntlich durch den Magen geht, liebe ich auch das Essen hier. Der Satz ist aber auch mittlerweile ein Symbol für dieses Ganze Jahr geworden. Ich liebe es, diese Möglichkeit gekriegt zu haben ein komplett anderes Land, eine komplett andere Sprache, eine komplett andere Kultur und komplett andere Menschen kennen lernen zu dürfen. Ich liebe es, dass ich ein Jahr gekriegt habe um über vieles nachzudenken, mir über vieles klar zu werden und einmal zu sehen, wie es denn so ist in der großen weiten Welt. 5) Fazit Auch wenn die letzten paar Wochen etwas stressig waren bin ich trotzdem froh hier zu sein und zu tun was ich tue. Allerdings wächst natürlich auch mit jedem Tag die Freude auf die Rückkehr. Nicht dass ich ihr entgegensehne. Ich würde es noch nicht mal als Heimweh beschreiben, aber ich freue mich trotzdem schon wieder auf Zuhause. Auf die vertraute Sprache, die vertraute Stadt, die vertrauten Systeme, die vertrauten Menschen und vor allem auf ein bisschen mehr Organisation und Planbarkeit.
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