Alexander Matschak, Wiesbaden hr2-kultur „Zuspruch“ am Montag, 15. Juni 2015 Auch mal: abschalten Manchmal komme ich mir vor, als wäre ich ein bisschen aus der Zeit gefallen. Zum Beispiel wenn ich morgens in der S-Bahn sitze – auf dem Weg zur Arbeit. Dann gehöre ich zu den wenigen, die ihre Tasche öffnen, um ein Buch herauszuholen und zu lesen. Oder ich blättere in der Tageszeitung. Manchmal schaue ich auch einfach nur so durchs Fenster in die Landschaft raus. Die meisten meiner Mitfahrer im Zug, die machen allerdings etwas ganz anderes: Sie schauen auf ihre Smartphones. Lesen die neuesten Facebook- und Whatsapp-Nachrichten, schreiben SMS, surfen im Internet. Mit dem Buch auf dem Schoß oder mit der Zeitung in der Hand fühle ich mich da ein tatsächlich ein kleines bisschen old-fashioned. Nun ist es wirklich nicht so, dass ich mich dem kommunikativen Fortschritt verschließe. Auch ich habe ein Smartphone. Mein E-Mail-Account im Büro ist mit dem auf meinem Handy synchronisiert. Ich habe einen elektronischen Terminkalender. Auch ich habe mir diverse Apps auf mein Smartphone geladen und finde es gut, fast in jeder Ecke Deutschlands online sein zu können. Aber manchmal irritiert es mich schon, wie abhängig manche Menschen von ihrem Smartphone sind. Im vergangenen Jahr war ich bei der internationalen Ministrantenwallfahrt in Rom dabei. Mit dem Zug sind wir in die Ewige Stadt gefahren – fast 17 Stunden waren wir unterwegs. Und so lange halten auch die besten Akkus nicht. Da war für manchen Jugendlichen eine große Krise angesagt. Nur, weil er oder sie mal eine Zeit lang nicht online war. Mal nicht ständig „auf Empfang“. Mal nicht „auf Empfang“ sein: Das ist heutzutage wahrscheinlich gar nicht so einfach. Soll und will man doch gerne überall erreichbar sein. Stets auf dem neusten Stand der Nachrichten, die dann oft gleich schon wieder von gestern sind. Ich finde: Das ist auch irgendwie ganz schön anstrengend. Mir tut es deswegen ab und zu ganz gut, ein bisschen die Stille zu trainieren. Einfach mal nichts zu tun. Das Smartphone in der Tasche zu lassen. Aus dem Fenster des S-Bahn zu blicken und zu bemerken: Was ist da für ein wunderschönes Klatschmohnfeld im Laufe des Sommers neben der Eisenbahnstrecke gewachsen! Der Mainzer Bischof, Kardinal Karl Lehmann, hat dazu kürzlich einen – wie ich finde klugen Gedanken geäußert. In einem Artikel schrieb er: „Man muss auch einmal abschalten können. Nicht um sich nur in seine eigene Innerlichkeit oder gar seine Traumwelt zurückzuziehen und sich in seiner eigenen Welt zu vergraben, sondern um sich in der Stille vom Lärm der Welt und der Nachrichten zu erholen und frisch zu bleiben für jenen Anruf, der gerade mich erreichen soll und den ich nicht überhören darf.“ Zum Nachhören als Podcast http://www.hr-online.de/website/radio/hr2/index.jsp?rubrik=22644
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