Geistliches Wort - Erzbistum Berlin

Geistliches Wort bei Informationsveranstaltung Flüchtlingshilfe
21.11.2015
von Generalvikar Tobias Przytarski
"Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten und du sollst
ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid selbst Fremde in Ägypten gewesen. Ich bin der Herr,
euer Gott."
Lev 19, 34
In diesem Bibelwort wird nicht unterschieden zwischen Fremden, die willkommen und die
unerwünscht sind, die aufgenommen werden sollen oder nicht. Alle sollen gut behandelt
werden wie Einheimische. Die Begründung dafür ist interessant: Die Fremden sollen nicht
aufgenommen werden aus Mitleid und Erbarmen, oder weil man vielleicht selbst von den
Fremden profitieren könnte, - alles Argumente, die uns vertraut sind. Nein, Fremde sollen
aufgenommen werden, weil "...wir selbst Fremde gewesen sind."
Das bezieht sich ursprünglich natürlich auf die Geschichte der Israeliten, die als
Zwangsarbeiter in Ägypten leben mussten. Und doch richtet sich dieses Wort auch an uns
heute. Es fordert uns auf, im Fremden sich selbst zu entdecken und ihn dann wie sich selbst zu
lieben. Es geht darum, den einzelnen Menschen zu erkennen und nicht über einen namenlosen
Flüchtling aus einem fremden Land zu urteilen.
Hinter dieser Begründung steht die Erfahrung, dass es schwer ist, fremd zu sein. Fremdsein an
sich macht verletzlich. Nicht nur wer verfolgt oder vom Hunger bedroht ist, schon die Fremde
selbst ist bedrohlich. Es ist schwer, in einem Land zu sein, dessen Sprache man nicht spricht,
dessen Kultur man nicht kennt. Es ist schwer, nichts Vertrautes um sich zu haben, die eigene
Familie, die Freunde zu vermissen. Es ist schwer, mit so vielen Verlusten auf einmal zu leben.
Noch schwerer wird es, wenn Einheimische die Fremden die eigene Fremdheit immer wieder
spüren lassen und sogar die Fremdheit ausnützen. Genau das will dieses Wort aus dem Buch
Leviticus verhindern. Gebt den Fremden das Gefühl dazuzugehören, einheimisch zu sein.
Liebt sie wie euch selbst.
Fremde sollen aufgenommen werden, weil "wir selbst Fremde gewesen sind". Hinter dieser
Begründung steht auch die Erfahrung, dass Verhältnisse sich ändern können. Jeder Mensch ist
fremd in der Fremde und woher wissen wir, dass die Heimat immer Heimat bleibt?
(vgl. M. Waechter, Predigt Franz. Friedrichstadtkirche, 26.06.2011)
Gebet
Gott, beschütze alle Menschen, die auf der Flucht vor Gewalt, Verfolgung und Hunger sind.
Sei du ihnen Zuflucht und Heimat, wenn sie nicht mehr wissen, wie es weitergehen soll.
Deinen Gläubigen aber gib Kraft und Mut, heimatlosen Heimat und Stummen eine Stimme zu
geben. Öffne unsere Herzen für all jene, die bei uns Zuflucht suchen.
Denn in deiner Familie gibt es keine Fremden, nur Brüder und Schwestern - durch Christus
unsern Herrn. Amen.
(aus: Missio - Mein Gebet für Flüchtlinge)