positionen pdf - GDV Positionen

#4_2015
BIG DATA
Die Digitalisierung rückt
die Kunden ins Zentrum
SOLVENCY II
DAS MAGAZIN DER DEUTSCHEN VERSICHERER
Das neue Aufsichtswerk
rüttelt die Branche durch
Wir werden sieben Jahre älter,
als wir glauben. Wie das uns
und die Gesellschaft verändert
DAS ALTER?
KOMMT SPÄTER.
DANKE FÜR
SIEBEN
GESCHENKTE
JAHRE
Nachrichten
............................................................................ 04
TITEL
Das Alter – kommt später: Wir werden
durchschnittlich sieben Jahre älter, als wir
denken. Wer so viele, meist gesunde
Zusatzjahre vor sich hat, darf anders für die
Zukunft planen: Zeit für Neues .......................... 08
Neustart: Auftakt zur neuen Serie: Wir
stellen fünf Menschen vor, die noch mal
durchgestartet sind – um endlich das zu
tun, was ihnen wirklich am Herzen liegt ... 10
Mit 66 Jahren: Beine hoch und Fernsehen
gucken? Von wegen! Unsere Infografik
zeigt, was die Rentner von heute um- und
antreibt......................................................................................... 20
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
Positionen # 4 _ 2 0 1 5
EDITORIAL
ERFINDEN
in einem Experiment haben US-Forscher ihren Mitbürgern zwei Fragen
gestellt: Was schätzen Sie, wie alt
Sie werden? Und: Wie alt ist der
älteste Mensch, den Sie persönlich
kennen? Die zwei genannten Zahlen
unterschieden sich enorm, denn der
Zugewinn an Lebensdauer in den
westlichen Demokratien ist gewaltig. Wir alle werden immer älter.
Und das immer schneller – was wir
ebenfalls gewaltig unterschätzen.
Dies ist einerseits eine frohe
Botschaft. Und andererseits ein
Thema, das alle Verantwortlichen
in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft nicht ruhen lassen darf. Wir
Versicherer machen das Thema
Demografie in den kommenden
Monaten zu einem Schwerpunkt
unserer Kommunikation mit der Gesellschaft. „Du lebst 7 Jahre länger,
als Du denkst“, lautet das Motto
unserer Initiative – und des Schwerpunkts dieser Positionen-Ausgabe.
Wir sind zuversichtlich, mit vielfältigen Informationsangeboten und
Formaten darüber ins Gespräch mit
den Menschen im ganzen Land zu
kommen. Und wir wollen das nicht
mit erhobenem Zeigefinger tun,
sondern mit erhellenden Geschichten und Informationen.
Sieben Jahre! Das ist ein Geschenk, ist mehr Zeit für Familie,
Partner, Reisen und Hobbys, vielleicht auch für Abenteuer oder die
Erfüllung bislang unerfüllt gebliebener Lebensträume. Aber wissen
Sie, was 7 Jahre Schuhe kosten, 7
Jahre drei Mal die Woche Espresso
bei Ihrem Lieblingsitaliener? Oder
auch 7 Jahre regelmäßiger Theaterbesuch? Auch dazu sollen Sie auf
der Webseite 7-Jahre-länger.de eine
Antwort bekommen.
So schön die sieben Jahre auch
sein mögen, das Ganze muss bezahlt werden. Hier kommt unser
Angebot der lebenslangen Privatrente ins Spiel, das wir in diesem
Zusammenhang nicht vergessen
werden. Aber das ist, wenn Sie so
wollen, eine etwas andere Geschichte. Und die erzählen wir ein
anderes Mal.
ALEXANDER ERDLAND
Präsident des GDV
Big Data: Die Chancen der digitalen Welt
werden auf dem Versicherungstag 2015
am 25. November in Berlin ausgelotet.
Wir zeigen, wie die Assekuranz diese
Chancen nutzen kann .................................................... 22
Der Kunde rückt ins Zentrum: Big Data wird
die Versicherungsbranche revolutionieren,
sagt Martina Koederitz, Geschäftsführerin
von IBM Deutschland. Das Interview ........... 26
Pro & Contra: Wie sinnvoll ist es
überhaupt, Versicherungen per App
abzuschließen? ......................................................................
........................................... 31
»BIG DATA BEDEUTET
EDEUTET
CHERUNGSFÜR DIE VERSICHERUNGSBRANCHE MEHR ALS
N – DAS WIRD
EINE EVOLUTION
LUTION.«
EINE REVOLUTION.«
MARTINA KOEDERITZ
EDERITZ
Geschäftsführerin IBM
M Deutschland
36
Auf dem
m Abflug: Warum
sich Biathlon-Olympiathlon-Olympiasiegerin
n Angela Henkel
auf vergangenen
angenen Erfolgen
nicht ausruhen kann.
02 / 03
SCHÜTZEN
Flüchtlinge: Menschen aus aller Welt
kommen zu Hunderttausenden nach
Deutschland, sie suchen und brauchen
Schutz. Die Assekuranz hilft mit ........................ 32
Um den Globus: Kubaner versichern nichts
und niemanden. Außer sie müssen ................. 35
Auf nach Amerika: Die Biathlon-Olympiasiegerin Andrea Henkel zieht es in die USA.
Ihre Altersvorsorge muss sie deshalb
komplett neu ausrichten. Warum?
Das Interview ........................................................................ 36
REGELN
08
Vom Banker zum Brauer:
Bereits mit Mitte 30
gab Martin Schupeta
seine Bankkarriere
auf, um etwas Neues
zu starten: Jetzt
braut er Craft Beer.
Der Schaden und das Handy: Viele Schäden
werden per Smartphone ausgiebig
dokumentiert. Was bringt das? ..........................38
I N H A LT
Die neue Aufsicht ...: Ein neues Regelwerk
beaufsichtigt Europas Assekuranz. Dabei
wirbelt Solvency II viele altvertraute
Gewohnheiten durcheinander ........................... 40
... und der oberste Aufseher: Warum
Solvency II europaweit für mehr Fairness
und Markt sorgt, erläutert Eiopa-Chef
Gabriel Bernardino im Interview ...................... 44
Positionen #4_ 2 0 1 5
Kolumne: Forever young – was passiert,
wenn das Wirklichkeit wird? Peter Glaser
denkt schon mal vor ....................................................... 46
Zahlen bitte: Was Europas Versicherer so
stark macht ...............................................................................47
Die schönste Versicherungssache der Welt:
Das deutsche Gold kehrt heim ............................ 48
22
Big Data: Je mehr Daten vorliegen, desto besser können
Versicherer Risiken einschätzen. Daten gibt ess jetzt zuhauf, nun
kommt es darauf an, sie auch richtig zu in
interpretieren.
n
NACH DEM
RÜCKZUG
Mehrere Lebensversicherer haben
zuletzt ihre Policenbestände
veräußert. Die Käufer hoffen auf
Gewinn, die Kunden sind geschützt.
UND WER HAT
SCHULD?
Verkeilen sich bei einer Massenkarambolage gleich Dutzende Autos,
ist es fast unmöglich zu ermitteln,
welcher Fahrer wie viel Mitschuld am
Crash trägt. Daher reguliert die Assekuranz jetzt einfacher und gerechter:
Schäden werden grundsätzlich in
voller Höhe von den Haftpflichtversicherern der beteiligten
Fahrzeuge übernommen.
Die Verträge laufen natürlich weiter, sollte sich
ein Versicherer aus einem Geschäftsfeld zurückziehen. Zuletzt war ein solcher Abschied vor allem bei
Lebensversicherungen zu beobachten. Gleich mehrere Anbieter stellten das Neugeschäft ein, einige
sortierten auch die bestehenden Policen aus: Skandia
Deutschland verkaufte vergangenes Jahr 400.000 Verträge an die Heidelberger Leben. Danach trennte sich
die niederländische Delta Lloyd von ihrem kompletten
Deutschlandgeschäft; die 350.000 Kunden werden
heute vom US-Rentenversicherungskonsolidierer
Athene betreut. Und die Basler Leben verkaufte jüngst
mehr als 100.000 Lebensversicherungsverträge an
den neuen Anbieter Frankfurter Leben.
Solche Käufer sind spezialisiert auf die Übernahme von Altverträgen und führen die Verträge für
Kunden ohne Änderungen weiter. Dafür sorgt die
Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Sie verpflichtet die Käufer, Versprechen gegenüber den Kunden so einzuhalten, wie sie im Vertrag
stehen. Kunden von Lebensversicherungen zahlen
also weiter ihre Prämien, bekommen weiter Zinsen
gutgeschrieben und weiterhin später eine garantierte
Auszahlungssumme plus Überschussbeteiligung.
Garantien auf eine erfolgreiche Kapitalanlagestrategie mit möglichst hohen Überschüssen für
Versicherte bieten diese Spezialisten nicht. Dafür eine
billigere Verwaltung: Vertriebsprovisionen fallen weg,
häufig arbeitet die IT – da simpler – auch effizienter.
Ob sich der Kauf alter Lebensversicherungen
lohnt, wird sich erst in Jahren oder Jahrzehnten zeigen. Erfahrungen aus anderen Ländern helfen nur bedingt, da Garantiepolicen eine deutsche Besonderheit
sind. Mit fondsgebundenen Policen bei Schaden- und
Unfallversicherungen jedenfalls gab es bisher keine
substanziellen Probleme.
Für die BaFin sind diese Art Verkäufe noch Neuland, nicht alles im Aufsichtsrecht ist zweifelsfrei
geklärt. Kay-Uwe Schaumlöffel, Leiter der Grundsatzabteilung für die Versicherungsaufsicht, stellt aber
einen Punkt klar: Wenn sich ein Versicherer aus einem
Geschäftsfeld zurückziehe, sei das keinesfalls ein
„Versagen“. Vielmehr gehe es meist um bewusste
strategische Unternehmensentscheidungen.
04 / 05
Protest von Kleinbauern gegen den Klimawandel im südafrikanischen Durban.
Kleinbauern in Afrika und Asien
können ihre Ernten gegen Umweltkatastrophen versichern.
Umgerechnet 35 Euro pro Jahr
und Hektar reichen dafür beim
Kilimo-Salama-Projekt aus, das in
Kenia, Tansania und Ruanda bald eine
Million Kleinbauern vor Dürre- und
Regenschäden schützt. Die 20 Länder
mit dem weltweit größten Risiko, von
Naturkatastrophen und Wetterextremen heimgesucht zu werden,
setzen stattdessen auf transnationale
Anleihen. Diese »Vulnerable 20«, wie
sie sich nennen, wollen gemeinsam
einen Pool für klimabezogene Risiken
aufbauen. Der »V20 Climate Risk Pooling Mechanism« soll ähnlich wie eine
Staatsanleihe aufgezogen werden.
N AC H R I C H T E N
SCHUTZ VOR
KLIMARISIKEN
445
Mrd. $
17 Bohrlöcher, 200 Häuser und drei Versicherer:
In Böblingen werden Geothermie-Schäden reguliert.
kostet Cybercrime die globale
Wirtschaft jährlich. Mehr als die
Hälfte dieser Summe entfällt laut
einem AGCS-Report auf die zehn
größten Volkswirtschaften, zu
denen auch Deutschland zählt. Allianz-Tochter AGCS rechnet daher
mit einer wachsenden Nachfrage
für Cyberversicherungen. Weltweit könnte das Prämienaufkommen in den nächsten zehn Jahren
auf 20 Milliarden Dollar steigen.
79 %
der Versicherungskunden weltweit
werden digital aktiv sein, prognostiziert die Unternehmensberatung
Bain für das Jahr 2020. Deshalb
werde sich der Onlineanteil am
Neugeschäft mehr als verdoppeln.
Der Boden hob sich, Risse spalteten
Wände und Böden, Fenster und Türen
verkeilten sich. Kein Erdbeben sorgte
dafür, sondern schadhafte Bohrungen
für Geothermie. Wasser war gleich bei
17 Bohrlöchern in die Hohlräume gelaufen und mit Gipskeuper in Berührung
gekommen, wodurch dieser quoll und
die Erde um bis zu einen halben Meter
anhob. Und die 200 Häuser im schwäbischen Böblingen, die genau hier stehen.
Nun haben sich die Beteiligten zusammengerauft. Die Situation ist kompliziert:
Die Bohrfirma war damals bei gleich zwei
Unternehmen versichert, zuletzt hingegen bei einem dritten Anbieter. Diese
drei Unternehmen haben sich jetzt darauf
geeinigt, außergerichtlich per Schiedsverfahren zu klären, wer in welchem
Umfang für die Schäden aufkommt. Ein
Gutachter sitzt schon dran und leistet die
Vorarbeit für die Entscheidung.
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DA REISST WAS EIN
N AC H R I C H T E N
DER TREND GEHT ZUM ZWEITKIND
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China lockert seine Ein-Kind-Politik nicht zuletzt deshalb, um die Überalterung
der Gesellschaft abzupuffern. Und setzt auf Lebensversicherungen.
China verabschiedet sich von der
Ein-Kind-Politik – nicht ohne den
Hintergedanken, dass die Zweitkinder
demnächst die rasch wachsende Zahl
an Alten versorgen können. Die Behörden erwarten durch das Ende der EinKind-Vorgaben bis 2050 etwa 30 Millionen zusätzliche Arbeitskräfte. Dann
wird es allerdings nach UN-Schätzungen bereits rund 440 Millionen Chine-
sen jenseits des 60. Geburtstags geben,
für deren Renten immer weniger Arbeitskräfte aufkommen müssen. Deshalb wird das Konzept „Lebensversicherung“ verbreitet: Jeder schützt sich
selbst vor der Armut im Alter.
Allerdings mangelt es vielen chinesischen Versicherern in diesem
Bereich an Know-how. Sie holen sich
fehlende Expertise über Produkte, Prä-
VERSICHERER WERDEN
ZU MOBILFUNKANBIETERN
Mobilfunkanbieter, vor allem in Afrika und Asien, drängen immer mehr ins Versicherungsgeschäft und verkaufen
Kleinbauern Policen gegen Ernteausfälle oder Unfallpolicen. Inzwischen drehen die Versicherer allerdings immer
öfter den Spieß um. Jüngstes Beispiel: die Österreich-Tochter
der Allianz. Der Versicherer ist jetzt selbst zum Mobilfunkanbieter geworden und verkauft Sim-Karten - sowie damit
verbundene Handy-Versicherungen. Eingemietet hat sich das
Unternehmen dazu übrigens im Netz der österreichischen
Telekom-Tochter T-Mobile.
mien und Technologien aus dem Westen, indem sie strategische Partnerschaften eingehen oder Unternehmen
komplett übernehmen.
Nehmen die Chinesen das Produkt
Lebensversicherung an, kann Chinas
mit zweistelligen Zuwachsraten boomender Versicherungsmarkt weiter
wachsen. Bereits bei Jahresende könnte er der drittgrößte der Welt sein.
DER WEG ZUR
ERSTEN MILLION
51 Jah
re
1 Mil
lion
Wer als Mann auf ein durchschnittliches Einkommen kommt, hat
kurz vor seinem 51. Geburtstag seine
erste Million Pfund verdient. Frauen
müssen länger arbeiten, hat der Versicherer Prudential für Großbritannien
errechnet: Erst kurz vor dem
70. Geburtstag überschreiten
70 Jahre
n auch sie die Millionenschwelle.
1 Millio
06 / 07
370
MIO. €
870.000
Sturm- und
Hagelschäden
N AC H R I C H T E N
1 100 MIO. €
20 MIO. €
Sachversicherung
Wohngebäude,
Hausrat, Industrie,
Gewerbe und
Landwirtschaft
Positionen # 4 _ 2 0 1 5
1,6
MRD. €
500 MIO. €
Reden Makler und Versicherer anein„Fertig“ wird ein so großes Projekt
ander vorbei – oder warum muss die
nie sein, da sich die VersicherungsKommunikation zwischen ihnen stanwelt weiterentwickelt – und damit die
dardisiert werden?
Plattform, die Technik, die Prozesse
– und die Kundenanforderungen. Für
HOLGER MARDFELDT: Ja, zum Teil
alle Teilnehmer ist es im Moment vor
herrschen babylonische Verhältnisse.
allem wichtig zu zeigen, wie sehr dieBeide Seiten arbeiten unterschiedse Plattform die Arbeit von Maklern
lich. Wenn ein Makler etwa mit 100
und von Versicherern erleichtert.
Versicherern zusammenarbeitet,
Der Wechsel zur gemeinsamen Plattwird er sich auf fast genauso viele
form kostet Geld. Lohnt er sich?
Makler-Extranets einlassen müssen.
Dazu kommen Medienbrüche: Was
HM: Ja. Das Einsparpotenzial durch
der eine digital benötigt,
Vermeidung von Dophat der andere nur in Papelarbeiten ist für alle
pierform vorliegen – und
Beteiligten interessant.
umgekehrt. Das sorgt für
Jetzt herrscht so etwas wie
Doppelarbeit, Zeitverlust,
Investitionssicherheit mit
Frust und hohe Kosten
Sogwirkung.
nicht nur beim Makler,
Liegt das daran, dass alle –
auch bei den Versicherern.
also Versicherer, Makler und
Warum hat es dann so lange
GDV – beim Erarbeiten der
gedauert, bis das PilotproStandards beteiligt waren?
jekt Maklerkommunikation
HM: Offene KommunikaHolger Mardfeldt vom tion ist für den Erfolg imgestartet werden konnte,
Versicherungskontor
bei dem Sie mitmachen?
Martens & Prahl in Kiel mer wichtig – insofern: ja.
Was gibt es noch zu tun?
HM: Ob Makler, GDV, Versicherer oder Hersteller
HM: Es gibt noch einige
von Maklerverwaltungsprogram„Eisblöcke“, die wir aus dem Weg räumen – jeder hat nach dem Trial-&-Ermen müssen. Wir müssen verbindliror-System versucht, selbst
che, eindeutige Normen vereinbaren,
die Basis für eine neue, gemeinsame
die nicht von den Nutzern abgeändert
und moderne Plattform zu legen. Der
oder interpretiert werden können.
Durchbruch waren erst die Normen
Mitbestimmung ist ein weiteres
des Brancheninstituts für ProzessThema: Wer die Plattform nutzt, soll
optimierung, kurz BiPro. Da fanden
auch mitentscheiden dürfen – also
sich alle Marktteilnehmer wieder.
auch wir Makler. Dritter Punkt: Wir
Das war der große Hebel.
brauchen verbindliche Spielregeln.
Wie stark ist die Hebelwirkung jetzt?
Was heißt „verbindliche Spielregeln“?
HM: Sehr stark. Das hat zum einen
HM: Spielregeln für die neue, digitale
mit dem Megatrend „Digitalisierung“
Versicherungswelt. Um ein Beispiel
zu tun, zum anderen damit, dass alle
zu geben: Ab wann gilt ein Dokument
miteinander kommunizieren und
oder eine Kündigung als zugegangen?
kooperieren. Bis Frühjahr 2016 läuft
Wenn es im elektronischen Briefkasdas dazu gestartete Pilotprojekt
ten des Adressaten eingeht oder erst,
zur Maklerkommunikation. Nach
wenn der Briefkasten von diesem
Auswertung dieser Pilotphase sollen
geöffnet und der Inhalt angesehen
erste Normen „startklar“ sein.
wird? Wenn es um die Deckung eines
„Startklar“ heißt „fertig“?
Industrieunternehmens geht, kann es
dabei schon mal um zwei- oder dreiHM: Es wird bestimmt noch mehrestellige Millionensummen gehen.
re Jahre dauern, bis alles rundläuft.
Schadenaufwand 2014 in Deutschland:
knapp 2 Milliarden Euro
350 MIO. €
Jeder Versicherer hat sein eigenes IT-System – bislang.
Makler und Pilotprojektteilnehmer HOLGER MARDFELDT
über den langen Weg zu einer gemeinsamen Plattform.
SCHÄDEN DURCH
NATURKATASTROPHEN
Quelle: Naturgefahrenreport 2015, GDV
AUSZUG AUS BABYLON
GRAPH ZAHL
90.000
Elementarschäden
175.000
Sturm- und
Hagelschäden
5.000 Überschwemmungsschäden
Kfz-Versicherung
Voll- und Teilkasko
TITEL
DU LEBST SIEBEN
JAHRE LÄNGER,
ALS DU DENKST
08 / 09
Wir rechnen falsch. Denn wir leben
sieben Jahre länger, als wir glauben.
Zeit, die wir sinnvoll und bei guter
Gesundheit gestalten können. Damit
das klappt, müssen wir schon
heute die Weichen dafür stellen.
TEXT: ELKE SPANNER
U
te Sanders hatte sich das anders vorgestellt. Da
lebt ihre Mutter schon in derselben Stadt, wäre
also eigentlich die perfekte Babysitterin für ihren
Sohn Lennart, vier Jahre alt und schwer verliebt in
die Oma. Doch die ist einfach nie da. Gerade ist sie
mal wieder mit ihrem Wohnmobil unterwegs, in
Kroatien dieses Mal. Davor war sie schon in Südspanien, den Frühling hatte sie weitgehend in der
Türkei verbracht. Nur zu Hause in Hamburg ist
sie selten. Als Babysitterin für Lennart fällt die
Oma aus. „Kann die nicht einfach mal eine richtige
Großmutter sein?“, schimpft Ute Sanders.
Das Alter kommt später
Eine richtige Großmutter, was soll das sein? Sind
das die Frauen mit weißem Dutt und Käthe-KrusePuppe auf dem wuchtigen Sofa, wie früher in
den Kinderbüchern? Diese Bücher müssen umgeschrieben werden, denn solche Großmütter
lernen kleine Kinder kaum mehr kennen. Wer
heute ins Rentenalter wechselt, hat die grauen
Haare übertönt, reist ins Ausland und trifft sich
mit Freunden zum Walken im Park. Die heutigen
Senioren sind oft das, was mal die Mittvierziger
waren: agil, mobil – und viel gesünder, als man
sich das früher hätte vorstellen können. „Das gefühlte Alter ist deutlich nach unten gegangen“,
sagt der Trendforscher Peter Wippermann. „Die
Menschen fühlen sich zumeist zehn bis 15 Jahre
jünger, als es im Personalausweis steht.“
Das Alter kommt später. Irgendwann.
Noch vor 100 Jahren wurden Männer im
Durchschnitt nur 47,4 Jahre alt, Frauen auch nur
bescheidene 50,6 Jahre. Inzwischen leben die
Menschen durchschnittlich fast doppelt so lange. Heute 42-jährige Frauen haben laut Zahlen des
Statistischen Bundesamtes Destatis eine Lebenserwartung von im Schnitt 88 Jahren, Männer
›
Positionen # 4 _ 2 0 1 5
JETZT
GEHT’S
LOS
TITEL
des gleichen Jahrgangs von mehr als 83 Jahren.
Und die Lebenserwartung steigt sogar noch weiter, sowohl für Männer als für Frauen.
Angekommen ist diese Erkenntnis noch nicht.
Das haben Zukunftsforscher des Munich Center
for the Economics of Aging (MEA) herausgefunden, als sie 2012 bundesweit 3.676 Menschen im
Alter von 26 bis 60 Jahren dazu befragten, wie
sie ihre eigene Lebenserwartung einschätzen. Das
Ergebnis hat selbst die Wissenschaftler verblüfft:
Frauen glauben, dass sie rund 80 Jahre alt werden.
Und Männer rechnen mit etwas mehr als 75 Jahren. Dabei werden sie – über alle Altersgruppen
gemittelt – als Frauen 87,42 und als Männer 82,17
Jahre alt (siehe Grafik unten). Bereits heute werden wir also sieben Jahre älter, als wir denken.
Dahinter steckt ein ebenso simpler wie verständlicher Denkfehler: Wer in seiner Jugend erfährt, dass er – statistisch gesehen – etwa 75 oder
80 Jahre alt werden wird, nimmt diese Werte als
Richtschnur. Und übersieht dabei ein entschei-
»WARUM ICH
MICH MIT 57 JAHREN
SELBSTSTÄNDIG
GEMACHT HABE?
GANZ EINFACH: ICH
WOLLTE KEINE CHEFS
MEHR, DIE ALLES
BESSER WISSEN.«
dendes Detail: Diese Zahlen beziehen sich auf
die Generation der Großeltern, der aktuell Alten.
Wenn sie selbst alt geworden sein werden, können sich die Durchschnittswerte verschoben haben – und genau das passiert. Wer heute geboren
wird, kann – wiederum im statistischen Durchschnitt – als Junge mit 87 Lebensjahren und als
Mädchen sogar mit 91 Jahren rechnen.
›
WIR LEBEN SIEBEN JAHRE LÄNGER, ALS WIR DENKEN …
Tatsächliche und gefühlte Lebenserwartung der Deutschen klaffen auseinander
Quelle: Statistisches Bundesamt, Munich Center for the Economics of Aging (MEA),
„Subjective Life Expectancy and Private Pensions“ , 2012
Positionen # 4 _ 2 0 1 5
80,34
Jahre
87,42 Jahre
Durchschnittliche
Lebenserwartung
75,83
Jahre
82,17 Jahre
Selbstgeschätzte Lebenserwartung
… DENN DIE LEBENSERWARTUNG STEIGT STETIG
Alter
Entwicklung der durchschnittlichen Lebenserwartung einjähriger Kinder
95
90
85
80
75
70
65
Heute 42-Jährige
(Rente 2040)
werden im Schnitt …
60
55
87,9 Jahre
83,4 Jahre
50
1910
1920
1930
1940
Quelle: Generationssterbetafeln des Statistischen Bundesamts
1 Million
1950
1960
1970
1980
1990
2000
2010
10 / 11
MONIKA FUNSCH
Beraterin für späte Neustarter
Positionen # 4 _ 2 0 1 5
TITEL
M
onika Funsch ist die Meisterin des
Neustarts. Mehrmals stand sie vor
dem beruflichen Nichts: nach
16 Jahren Familienpause etwa oder als ihr
Chef seine Firma verkaufte. „Ich frage
mich, woher ich immer wieder die Kraft
genommen habe“, sagt Funsch, eine
neue Stelle zu finden, sich zu beweisen
und hochzuarbeiten. Eigentlich kennt die
69-Jährige die Antwort: „Ich hatte ein Ziel
vor Augen, deshalb habe ich alle Hürden
genommen.“ Die Versicherungskauffrau
war Chefsekretärin und auch Personalchefin, bis sie nach dem letzten Jobverlust
2003 beschloss, sich selbstständig zu
machen. „Ich wollte keine Chefs mehr, die
alles besser wissen.“
In ihrem „Top Forty“-Büro in Bad
Homburg im Taunus berät Funsch seitdem
Menschen jenseits des 40. Geburtstags,
die sich beruflich verändern wollen. Aber
sich nicht recht trauen. „Routine untergräbt Kompetenzen“, findet Funsch. Ihre
Kunden würden vergessen, welche Potenziale in ihnen steckten. Dann fragt Funsch:
„Wer bin ich? Was motiviert mich? Was
kann ich? Wo will ich hin?“ Und begleitet
ihre Klienten über den Neustart hinaus.
Funsch kennt die Ängste ihrer Klienten
aus eigener Erfahrung. Schließlich ist sie
selbst erst mit 57 Jahren Unternehmerin
geworden, irritiert beäugt von Freunden
und Bekannten. „Die heute Älteren sind
teils in vorbestimmten Lebensläufen gefangen“, sagt Funsch. Diese Erwartungen
abzuwerfen sei ein ebenso nötiger wie
schwieriger Befreiungsprozess, der einen
pfleglichen Umgang mit sich selbst erfordere: „Wir haben ja schon ein Leben
gelebt.“ Aber dieses Leben sei mit 50 oder
60 Jahren ja nicht beendet, auch nicht
die Lust auf neue Herausforderungen. Ein
Neustart sei immer möglich, sagt Monika
Funsch und rät: „Traut euch, öfter etwas
Verrücktes zu machen!“ Birgit Haas
TITEL
Positionen # 4 _ 2 0 1 5
Höchste Zeit umzudenken.
Dass wir immer älter werden, liegt auch
im medizinischen Fortschritt begründet. Wir sind
einfach gesünder. Noch zu Beginn des vorigen
Jahrhunderts sind viele Menschen an Infektionskrankheiten wie Tuberkulose gestorben. Heute
können die einst lebensgefährlichen Infektionen
gut mit Antibiotika behandelt werden. Hinzu
kommt: Viele Erkrankungen, die früher zumindest die Lebensqualität stark eingeschränkt haben, hat die Medizin heute gut im Griff. Wer Verschleißschmerzen im Hüftgelenk spürt, ist nicht
mehr dazu verdammt, den Rest seiner Tage auf
dem Sofa zu sitzen. Er bekommt ein neues Hüftgelenk implantiert. Und weiter geht’s.
Außerdem hat sich der Lebensstil rasant
verändert. Die meisten Berufe sind körperlich
weniger belastend, weil mühsame Tätigkeiten
von Maschinen übernommen werden. Die hygienischen Bedingungen sind gut, das Wasser
kommt, sauber, aus der Leitung. Wird es im Winter eisig, drehen wir einfach die Heizung hoch,
das Essen gibt es bequem im Supermarkt. Und
dann halten sich viele Menschen noch bewusst
durch Sport körperlich fit.
Warum sollten diese Menschen sich zur Ruhe
setzen, nur weil sie ins Rentenalter kommen? Mit
65 Jahren beginnt längst nicht mehr der Lebensabend, wie es früher melancholisch hieß, sondern
ein neuer Lebensabschnitt. Das ist ein echtes Ge-
12 / 13
100 KERZEN
JOACHIM OTTO
Auf nach Görlitz
D
ie Russen und mit ihnen der Krieg rückten
immer näher: Vier Jahre zählte Joachim
Otto, als seine Familie 1945 die schlesische
Heimat verließ und gen Westen floh. Dort blieb
er, studierte Marketing und arbeitete danach in
Ludwigsburg für die Bausparkasse Wüstenrot. Als
sich sein Arbeitsleben dem Ende zuneigte, kehrte
Otto zurück und suchte in Lauban – auf polnisch
heute: Luban – nach seinen Wurzeln. Was er fand,
sammelte er in einem Buch. So kam Joachim Otto
erstmals nach Görlitz: Keine deutsche Stadt liegt
näher dran, nur 23 Kilometer sind es bis Luban,
hier in Görlitz wollte er sein Buch vorstellen.
Womit er nie gerechnet hatte: Otto verliebte
sich in die Stadt, fühlte sich wie verzaubert. „Ich
bin anschließend mit meiner Frau Angela und
unserer damals 14-jährigen Tochter insgesamt sieben Mal nach Görlitz gefahren.“ Und zog ein Jahr
später endgültig 600 Kilometer gen Nordosten.
Tochter Aniela war einverstanden und, ebenso
wichtig, Ottos damals erst 42-jährige Gattin fand
bei der Görlitzer Wüstenrot-Vertretung einen Job.
Acht Jahre ist das nun her, die Tochter ist aus
dem Haus und studiert in Weimar – nicht bevor
sie für ihre Eltern dieses Häuschen fand, mit
grünem Garten und als Kulisse die Landeskrone,
der Görlitzer Hausberg. Joachim Otto beschränkt
sich nicht darauf, den Garten in Schuss zu halten.
Der 74-Jährige kümmert sich gemeinsam mit
seiner Gattin um seine drei Ferienwohnungen in
der Görlitzer Altstadt. Ist dort gerade nichts zu
tun, setzt er sich an den Schreibtisch und schreibt
am nächsten Buch. Sein „Görli und Gregorek “
wird an Görlitzer Gymnasien als Lehrstoff für den
Polnischunterricht eingesetzt. Jetzt arbeitet Otto
an seinem nächsten Projekt: das Buch als Theaterstück auf die Bühne zu bringen. Ingo Kramer
Den eigenen Weg finden
Zeit also, sich den eigenen Weg zu suchen, Nischen zu finden, langgehegte Wünsche endlich
umzusetzen. Nicht jeder wird 600 Kilometer in
Deutschlands östlichste Stadt ziehen wie Joachim
Otto (siehe Porträt links), seine gut gehende Konditorei verkaufen wie Rüdiger Nehberg (siehe
Seite 17) oder seine Bankkarriere dreingeben, um
Bier zu brauen wie Martin Schupeta (Seite 19)
›
6611
TITEL
schenk - wenn man die gewonnenen Jahre für
sich als Chance erkennt.
Denn im Alter ist noch vieles an persönlicher
Entwicklung möglich. Es gibt nicht die eine Rolle des Lebens, die man in jungen Jahren für sich
findet und immer weiterspielt. Im Gegenteil: Aktuelle Studien zeigen, dass sich die Persönlichkeit
auch und gerade im höheren Alter noch stark verändern kann. Da tut sich erstaunlich viel, sagt Jule
Specht, Professorin für Entwicklungspsychologie
an der FU Berlin: „Bis zu 25 Prozent aller Menschen verändern ihre Persönlichkeit im hohen
Alter noch einmal deutlich“, interessanterweise
als Gegenbewegung zur früheren Ich-Findung.
Der werden nämlich enge Grenzen gesetzt: Junge Menschen steigen in den Beruf ein, gründen
Familien – das alles setzt eine gewisse Angepasstheit voraus. Im Alter hingegen gibt es diese Sachzwänge nicht mehr. Da braucht man schlichtweg
nicht mehr so angepasst zu sein. Entsprechend
vielfältig verläuft die persönliche Entwicklung.
Viele alte Menschen, die früher zum Beispiel
überkontrollierend waren, verfallen nun in ein
entspanntes Laissez-Faire. Wem es wichtig war,
die Mahlzeiten zu festen Zeiten einzunehmen,
genießt es jetzt vielleicht, sich durch den Tag
treiben zu lassen. Oder auch umgekehrt: Manche Menschen, die das Leben immer genommen
haben, wie es kam, wünschen sich im Alter mehr
Struktur und Kontrolle. Andere Werte halten Einzug ins Leben. „Es gibt im hohen Alter nicht mehr
den einen vorgegebenen Weg, sondern viele individuelle“, sagt Entwicklungspsychologin Specht.
2014
4360
2005
2333
1995
899
1985
158
1965
Quelle:
Bundespräsidialamt
Positionen # 4 _ 2 0 1 5
»ZURÜCK NACH
LUDWIGSBURG,
WARUM? ICH
HABE IN GÖRLITZ
MEINE WURZELN
GEFUNDEN.«
So viele Glückwunschkarten verschickt der
Bundespräsident an
100-Jährige zu ihrem
runden Geburtstag
BEATRIX WIRBELAUER
Rock’n’Rollerin
Positionen # 4 _ 2 0 1 5
TITEL
S
tatt zu lamentieren, was im Alter
nicht mehr geht, lebt Beatrix Wirbelauer lieber vor, „was in der dritten
Lebenshälfte noch alles möglich ist“. Bassspielen lernen und Rockkonzerte geben,
zum Beispiel, oder mit 60 Jahren ein
berufsbegleitendes Studium der Kulturgeragogik zu starten, also der kulturellen
Arbeit mit älteren Menschen. Teil des
Studiums ist ein Praxisprojekt: „Wir sollten
Ältere dafür gewinnen, ihre Komfortzone
zu verlassen und kulturell aktiv zu werden“,
sagt Wirbelauer. So wurde sie vor drei
Jahren ihr „eigenes Versuchskaninchen“
im Kulturprojekt Rock.
Rockmusik hat Wirbelauers Jugend
geprägt, nicht nur beim heimlichen Hören
von Piratensendern, auch auf Konzerten
von The Who, den Rolling Stones oder den
Small Faces. Aber selbst musizieren? Dafür
war die Zeit erst jetzt reif: „Mein Projekt
soll Rockfans meiner Generation motivieren, selbst Rockmusik zu machen.“
Mit ihrem Konzept „Never too old for
Rock’n’Roll“ fahndete sie nach Kooperationspartnern – und erntete reihenweise
Absagen. Rock’n’Roll-Rentner – sowas
gibt‘s doch gar nicht! Als die Music Academy in Düsseldorf trotzdem einen Versuch wagte, standen schnell 50 Senioren
auf der Anmeldeliste.
Mittlerweile proben allein in Düsseldorf
vier „60 plus“-Bands. Eine davon heißt
„Faltenrock“, hier zupft Beatrix Wirbelauer
den Bass und singt – kürzlich übrigens im
Kölner Hardrock Café. „Auftritte waren
ursprünglich nicht geplant“, sagt sie, „aber
jetzt machen sie einfach unglaublich viel
Spaß.“ André Schmidt-Carré
– solche Neustarts werden wahrscheinlich eine
Ausnahme bleiben. Doch auch im Kleinen bieten
sich viele neue Möglichkeiten. Vielleicht ist jetzt
endlich Zeit für den Spanischkurs, für den man
nach Dienstschluss immer zu müde war. Für eine
längere Reise. Oder für den eigenen Garten – in
der Natur zu werkeln statt im Büro zu sitzen,
bringt ein ganz anderes Lebensgefühl.
Vielleicht entdeckt man auch den Sport ganz
neu für sich. Auch da ist jenseits der 65 Jahre noch
einiges drin: Die Amerikanerin Harriette Thompson ist im Alter von 92 Jahren noch Marathon gelaufen, und der Japaner Yuichiro Miura hat mit
80 Jahren den Mount Everest bestiegen.
Extreme, gewiss. Doch auch Beispiele dafür,
was im Alter noch alles geht. Selbst untrainierte
Rentner können mit Freunden durch den Park
walken. Und für geübte Wanderer ist eine Alpenüberquerung auch im hohen Alter noch drin.
»ICH LEBE
GERN SELBST VOR,
WAS IN DER DRITTEN
LEBENSHÄLFTE
NOCH ALLES
MÖGLICH IST.«
Aber mit wem? Nun
kommt auch die Zeit,
Freundschaften zu überdenken. Denn auch die
Beziehungen verändern
sich, wenn man älter wird:
In jungen Jahren wünschen
sich die meisten Menschen
einen großen, vielfältigen Bekanntenkreis. Sie wollen mit anderen zusammen Lebenserfahrung
sammeln und Wissen erlangen. Im Alter hingegen lebt man mehr im Hier und Jetzt. Da will
man nicht in etwas investieren, was sich erst in
zehn Jahren womöglich auszahlen kann. Emotionale Bindungen werden wichtiger. Lieber schöne
Momente als ein großes Wissensnetzwerk. Besser ein kleiner, enger Freundeskreis statt unzähliger Bekannter.
›
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VERORTET
Wer wird im Jahr 2040 wo wie viel Rente bekommen? Und was kann man
sich davon leisten? Eine neue deutschlandweite GDV-Studie klärt auf.
3.443 €
ROSTOCK
1.417 €
3.723 €
S
1.494 €
41,1%
40,1%
HAMBURG
3.775 €
1.502 €
SALZGITTER
39,8%
FRANKFURT
(ODER)
7.907 €
3.849 €
2.839 €
35,9%
SOLINGEN
1.554 €
40,4%
7.242 €
2.589 €
35,8%
WEIMAR
3.618 €
1.464 €
HOF
40,5%
8.335 €
2.923 €
LK MILTENBERG
4.678 €
35,1%
1.846 €
OSTALBKREIS
39,5%
LK SÄCHSISCHE
SCHWEIZ-OSTERZGEBIRGE
8.711 €
2.767 €
31,8%
8.109 €
2.773 €
34,2%
MÜNCHEN
6.009 €
2.023 €
33,7%
MÜNCHEN
6.009 €
2.023 €
33,7%
STADT/LANDKREIS
Durchschnittliche Kaufkraft des
Einkommens der letzten fünf
Berufsjahre (Preise von 2014)
Rentenkaufkraft im Zugangsjahr 2040 (Preise von 2014)
Wie viel Rente bleibt vom
Einkommen (gewichtet
nach Kaufkraft)
Ingenieur
Sozialpädagogin
ohne Kinder
geb. 1973
zwei Kinder
geb. 1973
Quelle:
Prognos-Institut im Auftrag des GDV
TITEL
LK NORDFRIESLAND
ag mir, wo du wohnst – und
ich sage dir, wie es aussieht
mit deiner Rente. Ob sie
hoch ausfällt oder niedrig,
und ob sie über den Monat
reicht. Das hat das PrognosInstitut im Auftrag des GDV
herausgefunden, als es die
Rentenperspektiven 2040
ermittelte – für konkrete
Berufsgruppen und heruntergebrochen bis auf die
Ebene der 402 Landkreise
und kreisfreien Städte.
Das Ergebnis zeigt, wie
stark unsere Rente davon
abhängt, wo wir leben.
Und es zeigt, wie unterschiedlich viel man sich
mit demselben Betrag
leisten kann, abhängig
davon, wo man wohnt.
Eine Sozialpädagogin mit
zwei Kindern bekommt
beispielsweise in Weimar 1.449 Euro Rente
im Monat – das sind
269 Euro weniger als
ihre Zwillingsschwester
in Hamburg (1.718 Euro).
Doch entscheidend ist,
was sich die beiden dafür
leisten können. Die Unterschiede in der Rentenkaufkraft zeigt unsere
Karte: Der Abstand zwischen den Schwestern
schrumpft hier auf 40 Euro,
weil das Leben in der Hansestadt deutlich teurer ist.
Die Kaufkraft kann Unterschiede aber auch verstärken: Bei fast gleicher Rente
kann sich in München ein
Ingenieur ein Drittel weniger leisten als im ebenfalls
bayerischen Hof.
Man sieht, die Region
macht den Unterschied.
Positionen # 4 _ 2 0 1 5
DIE DEUTSCHLANDKARTE
setzt vierteljährlich
wichtige Zahlen aus der
Versicherungslandschaft
prägnant ins Bild.
Hier liegen Chancen wie Herausforderungen,
für den Einzelnen ebenso wie für die gesamte Gesellschaft. Die verändert sich, wenn es mehr ältere als jüngere Menschen gibt. Die Arbeitswelt,
das Gesundheits- und Rentensystem haben sich in
einer Zeit entwickelt, in der das Zahlenverhältnis
umgekehrt war und die Jüngeren die Versorgung
der Älteren erwirtschaften sollten. Das funktioniert heute nicht mehr ohne weiteres.
Positionen # 4 _ 2 0 1 5
TITEL
Auskommen mit dem Einkommen
Nehmen wir die Rente: In den 1970er-Jahren
lag die durchschnittliche Rente eines Arbeitnehmers noch bei rund 60 Prozent seines vorherigen Erwerbseinkommens. Diese Zeit ist
lange vorbei. Die Prognos AG ist in Modellrechnungen auf Zahlen gekommen, die nachdenklich stimmen (siehe Seite 17): Ein Ingenieur, der
2040 in der Sächsischen Schweiz in Rente geht,
muss dann – was die Kaufkraft angeht – mit weniger als einem Drittel seines letzten Arbeitseinkommens auskommen. Eine Verkäuferin,
die zwei Kinder großgezogen hat und 2040 auf
Sylt in Rente geht, erhält zwar die Hälfte ihres
bisherigen Lohns, das summiert sich allerdings
auf bescheidene 930 Euro – umgerechnet auf die
heutige Kaufkraft dieser Rente.
Diese Zahlen fordern jeden einzelnen, sich
fürs Alter über die Rente hinaus abzusichern. Es
fordert uns als Gesellschaft, die Rente weiterzuentwickeln, um Versorgungslücken zu schließen.
Und es fordert uns, eine Arbeitswelt zu ermöglichen, die Menschen mit Mitte 60 nicht einfach
aus dem Berufsleben kickt. Denn viele Senioren
»JEDEN TAG
KLEINE BRÖTCHEN
– IRGENDWANN
HAT MICH
MEIN JOB ALS
KONDITOR
NICHT MEHR
GEFORDERT.«
16 / 17
FÜR EINEN NEUSTART IST ES NIE ZU SPÄT
Jahr für Jahr machen sich Hunderttausende Deutsche selbstständig. Viele Gründer
bringen tiefe Einblicke ins Arbeitsleben und jahrzehntelange Erfahrungen mit, denn fast
jeder zehnte Existenzgründer in Deutschland ist zwischen 55 und 65 Jahre alt.
915.000 9,2 %
der Gründer sind älter als 54 Jahre
TITEL
Existenzgründungen gibt’s in Deutschland (2014)
RÜDIGER NEHBERG
Dschungelkönig
O
hne Nahrung, ohne
Kompass und ohne Waffe
seilt er sich von einem
Hubschrauber ab in den Dschungel. Mit 68 Jahren. Die nächste
Stadt erreicht Rüdiger Nehberg
Wochen später, zerschunden,
ansonsten aber quicklebendig.
So viel Abenteuer umweht
Nehberg, dass gern vergessen
wird, dass er 25 Jahre lang in
Hamburg eine Konditorei mit
50 Mitarbeitern aufgebaut und
geführt hat. Für das Abenteuer
blieben damals nur die Urlaubswochen. Die „Torten gegen
Torturen“ einzutauschen, wie
Nehberg scherzt, sei ihm trotzdem leichtgefallen. Der Beruf
habe ihn nicht mehr gefordert.
„Jeden Tag kleine Brötchen, alles
war zur Routine geworden.“
Doch wenn der gebürtige
Bielefelder zurückblickt auf seine
erste Lebenshälfte, ärgert ihn
nur eines: dass er seine Abenteuer nicht früher mit Sinn aufgeladen hat. Das änderte sich erst,
als er seine Konditorei verkaufte
und sich für die Rechte der Yanomami-Indianer im Amazonas-
becken einsetzte. 18 Jahre lang
kämpfte er mit spektakulären
Aktionen für ihre Rechte – bis
ein akzeptabler Frieden ihr Überleben sicherte. „Solche Erfolge
geben mir Kraft und Energie.“
Heute engagiert sich Nehberg
mit Ehefrau Annette in seinem
Verein Target für das Ende der
weiblichen Genitalverstümmelung in der islamischen Welt,
auch hier gibt es erste Erfolge.
Am Ziel sieht sich Nehberg erst,
wenn er mit dem saudischen
König ein Banner in Mekka
aufhängt: „Weibliche Genitalverstümmelung ist Sünde. Sie
beleidigt Allah und den Islam“.
Als Nehberg im Oktober in
Saudi-Arabien war, kam er diesem Ziel nicht entscheidend näher. „Aber Rückschläge drängen
mich nicht aus der Spur, sondern
spornen meine Kreativität an.“
Er hat ja nicht mehr endlos Zeit,
wird demnächst 81. Im Januar
fliegt Rüdiger Nehberg daher
wieder nach Saudi-Arabien.
Muss sein, sagt er: „Das geordnete Leben daheim würde mich
einschläfern.“ Michael Prellberg
werden sich wegen ihrer mageren Rente gar nicht
leisten können, mit Mitte 60 in den Ruhestand
zu gehen. Andere werden, weil sie sich fit fühlen,
nicht wechseln wollen. Sie arbeiten einfach weiter, suchen sich Minijobs oder bleiben länger bei
ihrem Arbeitgeber.
Gut so, denn viele Unternehmen sind auf die
älteren Mitarbeiter angewiesen. In den meisten
Branchen wachsen zu wenige junge Fachkräfte
nach. Im Hamburger Hafen zum Beispiel fährt immer noch ein Lotse Schiffe über die Elbe, der inzwischen 78 Jahre alt ist – es gibt einfach zu wenige Nachwuchskräfte, die alle Schichten abdecken
können. Dadurch ändert sich auch die Struktur in
den Unternehmen: Die Belegschaften altern. Der
Chef des 78-Jährigen ist übrigens 84 Jahre alt.
Wohnen in den eigenen Räumen
Oder nehmen wir das Beispiel Wohnen: Im höheren Alter haben die Menschen andere Bedürfnisse als in jungen Jahren. Selbst wenn die vielzitierten Alten-WGs wohl ein Großstadtphänomen
bleiben werden, wie Zukunftsforscher Peter Wippermann prophezeit: Keine Ausnahme, sondern
die Regel wird es sein, dass die meisten Menschen
so lange wie möglich in den eigenen Räumen leben wollen – und trotzdem den Wunsch haben,
sich sicher und aufgehoben zu fühlen. Die Großfamilie aber, in der das früher selbstverständlich
war, ist Vergangenheit. Also muss dem Bedürfnis nach Sicherheit anders Rechnung getragen
werden.
›
Positionen # 4 _ 2 0 1 5
Quelle: KfW-Gründungsmonitor
In diese Lücke dringt die Technik vor: Die Industrie entwickelt Apps, die Gesundheitsdaten
wie den Blutdruck messen und bei bedenklichen
Werten selbstständig den Arzt informieren. Sie
forscht an Sensoren, die in Kleidungsstücke eingenäht werden und bei Stürzen Alarm schlagen,
und an Notfallsystemen für Menschen, die zu
Hause leben. „Die Menschen werden durchtechnisiert“, sagt Zukunftsforscher Wippermann.
„Die Fürsorge, die man früher über das soziale
Umfeld und die Familie erfuhr, wird immer mehr
technologisch ausgeglichen.“
Für ein lebenswertes Leben
TITEL
Wo liegen die natürlichen Grenzen dieser Entwicklung? Wird das mit der Alterung immer
so weitergehen, ist nach oben hin alles offen?
Nein, sagt K. Lenhard Rudolph, Wissenschaftlicher Direktor des Leibniz-Instituts für Alternsforschung in Jena. Nicht das maximale Alter
der Menschen steigt kontinuierlich, so dass
die Lebenserwartung irgendwann weit jenseits
der 100 Jahre liegen wird. Sondern es steigt die
Anzahl der Menschen, die ein sehr hohes Alter
erreichen können.
Die medizinische Forschung geht deshalb
nicht dahin, dem Alter ein Schnippchen zu schlagen, sondern es lebenswert zu erhalten. Es gilt,
die sogenannten Alterskrankheiten in den Griff
zu bekommen, die eine natürliche Folge der hohen Lebenserwartung sind – altersdement zum
Beispiel kann nur werden, wer überhaupt ein
entsprechendes Alter erreicht. Auch das ist eine
große Herausforderung, vor der die heutige Gesellschaft steht, sagt Leibniz-Forscher Rudolph:
„Unser Ziel muss es sein, die Gesundheitsspanne
zu verlängern. Damit das lange Leben auch wirklich lebenswert bleibt.“
Die Mutter von Ute Sanders jedenfalls
genießt ihr Leben als Seniorin in vollen Zügen.
Neulich hat sie aus Kroatien angerufen. Schön sei
es da, hat sie ihrer Tochter gesagt.
Unsere Titelgeschichte bildet den Auftakt zu
einer neuen Serie, die „Positionen“-Leser über
das kommende Jahr begleiten wird. Im Rahmen
der GDV-Initiative „Du lebst 7 Jahre länger, als Du
denkst“ stellen wir Menschen vor, die ihre Zeit
nutzen, um sich auf das für sie Wesentliche zu
konzentrieren – egal wie alt sie sind.
Positionen # 4 _ 2 0 1 5
DA KOMMST DU NICHT RAN
Jährliche
Entgeltpunkte
Als Bezugspunkt beim Berechnen von Renten dient der „Eckrentner“,
der 45 Jahre bis zur Rente voll durchgearbeitet hat. Er legt die Latte auf
100 Prozent. Unser Beispiel zeigt, wie weit – und warum – eine Verkäuferin mit Kind von diesen 100 Prozent entfernt ist.
120%
immer vollzeitbeschäftigt:
der rechnerische „Eckrentner“
100%
80%
60%
40%
Beispiel: Berufslaufbahn
Verkäuferin mit Kind
20%
0%
Alter
20
Schule
Sch
le und
nd
Ausbildung
30
KinderKinder
erziehung
40
geringfügige
Beschäftigung
50
ArbeitsArbeits
losengeld
60
70
sozialversicherungsso ial ersicher ngs
pflichtige Beschäftigung
Quelle: Prognos-Institut im Auftrag des GDV
18 / 19
MARTIN SCHUPETA
Brauer
TITEL
U
nd wenn es schiefgeht?
Martin Schupeta wirkt nicht
besorgt. „Scheitern ist
erlaubt.“ Schließlich tritt fast jede
Woche ein neuer Brauer an, der auf
„Craft Beer“ setzt, handgemachtes
Bier mit besonderem Geschmack.
Was in Hipster-Kneipen angesagt
ist, soll demnächst einziehen in die
Regale gut sortierter Supermärkte.
Geht es nach Schupeta, steht dort
seine Marke „Von Freude“.
Für sie hat der Hamburger eine
veritable Karriere bei den Bankhäusern Trinkaus & Burkhardt und Berenberg hinter sich gelassen. Große
Mittelständler hat er betreut, „das
hat Spaß gemacht“. Gut bezahlt war
es zudem, warum hat er das aufgegeben für ungewisse Einkünfte und
Aussichten sowie lange Arbeitstage? „Ich bin ein Typ, der gern seine
eigenen Entscheidungen trifft.“ Und
nicht, wie als Banker, anderen zu
Entscheidungen rät.
An Craft Beer ist Schupeta eher
zufällig gekommen. Gebraut hat er
schon früher, in einem Kochtopf in
seiner Küche. Dann hörte er von einer verstaubten Hobbybrauanlage,
billig abzugeben. 100 Liter Bier hat
er damit gebraut, aus dem Supermarkt Leergut geholt und per Hand
gereinigt. Die Flaschen hat er an
Freunde und Gastronomen verteilt.
Die Resonanz war so gut, dass er
sich gedacht hat: Da geht was.
In „Von Freude“ investiert Schupeta seine Ersparnisse aus Bankertagen. Die größte Herausforderung
sei derzeit, seine Biere regelmäßig
verfügbar zu haben. „Wir gehen das
Ganze unternehmerisch an – und
lassen die Händler nicht hängen“,
sagt Schupeta. Die Angst, dass der
Hype um Craft Beer schnell schal
werden könnte, hegt der Brauer
nicht. Selbst wenn: „Es gibt nichts
Gutes – außer man tut es“, zitiert er
Erich Kästner. Für ihn gibt es noch
einiges zu tun, Martin Schupeta ist
ja erst 37. Michael Prellberg
Positionen # 4 _ 2 0 1 5
»ICH TREFFE
GERN MEINE
EIGENEN
ENTSCHEIDUNGEN.«
VON WEGEN RUHESTAND
Immer etwas zu tun: Heute sind Rentner aktiver als jemals zuvor.
INFOGRAFIK: KLAUS MEINHARDT
Genügend Ruhesitze
Zahl der Rentner (1. Juli 2014)
Positionen # 4 _ 2 0 1 5
TITEL
Erwerbstätige 60- bis 64-Jährige
Erwerbstätige 65- bis 69-Jährige
davon Frauen:
11.005.707
Bundesgebiet gesamt:
19.021.114
davon Männer:
8.015.407
Wofür sich
Rentner
engagieren
Frauen:
„Ich kümmere mich
um meine Enkel“
„Ich
helfe im
Haushalt
oder im
Garten“
Männer:
„Ich betreue pflegebedürftige
Angehörige oder Freunde“
„Ich engagiere
mich für die
Gesellschaft“
Frauen:
Männer:
Welche Eigenschaften schreiben Jugendliche den Rentnern zu
Familienorientierung
93%
Pflichtbewusstsein
91,4%
Fleiß und
Ehrgeiz
76,4%
Soziales
Engagement
56,1%
Kreativität
36,2%
Toleranz
36,1%
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
80%
90%
100%
20 / 21
52%
28%
6%
2005
Lebenslanges Lernen
Studierende insgesamt:
1.979.043
1.941.405
2.025.307
2.121.178
2.217.294
2.380.974
2.499.409 2.616.881
2.698.910
2006/07
2007/08
2008/09
2009/10
2010/11
2011/12
2012/13
2014/15
16.750
14%
2014
2013/14
16.580
16.189
15.988
Gasthörer und
Studierende
ab 65 Jahren an
deutschen
Hochschulen:
14.696
15.670
15.395
14.575
14.673
Für den Ruhestand
nehmen sich die
Deutschen viel vor
Wünsche für die Zeit ab 65 Jahren
58 % Hobbys
43 % Reisen
treiben
38 % Sport
en
ultur erleb
34 % K
ieren
mtlich engag
ehrena
%
8
2
erlernen
Neues
19 %
Quellen: Destatis, Shell, KoerberStiftung, FAZ/Johanniter-Unfallhilfe, BMAS,
Deutsche Rentenversicherung
Die Rente
kann warten
DAS
GEZÄHMTE
RISIKO
Warum zahlen Versicherte den Tarif, den sie zahlen?
Weil die Assekuranz sehr früh gelernt hat, Daten zu
erfassen und auszuwerten. Der wahre Ursprung von
Big Data steckt im Bemühen um angemessene Policen.
TEXT: DENNIS SCHMIDT-BORDEMANN
22 / 23
Gefahr erkannt, Schaden gebannt
Damit wird sich auch das Angebot der Assekuranz
ändern. Weltweit sind 15 Milliarden Gegenstände an das Internet angeschlossen – Maschinen,
Autos, Feuermelder und Kühlschränke. In den
nächsten fünf Jahren soll sich diese Zahl mehr
als verdreifachen. Alle diese Dinge sondern einen Strom von Daten ab. Auf Wunsch des Kunden
könnte sich der Versicherer mit dem Datenstrom
aus dessen Haus verbinden, um etwa den baldigen
Ausfall eines Geräts frühzeitig zu erkennen oder
den Kunden mit erweiterten Dienstleistungen
zu unterstützen. „Versicherer werden dann nicht
mehr erst Leistung erbringen, wenn ein Schaden
passiert ist, sondern sie helfen, Schäden zu vermeiden“, sagt Werner Schmidt, Vorstand der LVM
Versicherung. Das Verhindern von Schäden – seit
jeher im Interesse der Versicherer – wird immer
einfacher und wichtiger.
Auch bei Lebensversicherungen bekommt die
Prävention mehr Gewicht. „Wer durch Gesundheitsdaten – zum Beispiel von einem Handy oder
Armband – rechtzeitig Blutdruckspitzen erkennen und dadurch einem Herzinfarkt vorbeugen
kann, wird dem Kunden einen deutlichen Zusatznutzen geben“, sagt Thomas Weilbacher, zuständig für das Risikomanagement bei der Allianz
Lebensversicherung in Stuttgart.
›
›
WISSEN STATT RATEN: DEM RISIKO AUF DER SPUR
1671 Die Anfänge der Versicherungsmathematik Um die Aufrüstung zu
finanzieren, wollen die Niederlande
Leibrenten verkaufen. Regierungschef
Johan de Witt nutzt Sterbetafeln und die
Wahrscheinlichkeitsrechnung, um dafür
optimale Zinssätze zu ermitteln.
1654 Die Geburtsstunde der Wahrscheinlichkeitsrechnung Der französische Universalgelehrte Blaise Pascal untersucht, warum bei
einem Spiel mit drei sechsseitigen Würfeln im
Ergebnis die Summe 11 häufiger auftritt als die
Summe 12 – obwohl beide Ergebnisse
intuitiv gleich wahrscheinlich sind.
1654
ERFINDEN
Funktioniert die Analyse, lassen sich Kunden
besser ansprechen. Wer online einen Flug nach
Thailand gebucht hat, kann auf passende Versicherungen für seine Reise aufmerksam gemacht
werden. Einer Kundin, die stolz bei Facebook ein
Foto ihres neuen Fahrrads zeigt, lässt sich eine
Diebstahlversicherung offerieren. Und werdende Eltern, die sich bei einem Schwangerschaftsportal angemeldet haben, können mit passenden
Informationen versorgt werden. Ein Analyseprogramm könne die Kunden oft besser verstehen
als die Vermittler, sagt Dietmar Kottmann, Digital- und Versicherungsexperte der Beratungsgesellschaft Oliver Wyman. „Das wird den Kundenkontakt massiv verändern und helfen, neue
Märkte zu erschließen.“
Positionen # 4 _ 2 0 1 5
S
ie wollte neue Kunden anwerben –
und besiegelte so fast den eigenen
Konkurs. Als die Nürnberger Brandassecurations-Anstalt 1783 außer
den Bürgern der Reichsstadt auch die
Bewohner der umliegenden Dörfer
gegen Feuer versicherte, bezahlten alle die gleiche Prämie. Doch während es in Nürnberg alle
zwei Jahre brannte, gab es drumherum monatlich Brände. Das wurde teuer – und auf alle Versicherten umgelegt. Die Nürnberger verließen die
Brandassecuration daraufhin scharenweise.
Damals wie heute gilt: Wer Menschen gegen
ein Risiko versichert, muss wissen, wie groß dieses Risiko ist. Deshalb zählt die Assekuranz zu den
frühesten Sammlern von Daten (siehe Zeitleiste
unten). Bis heute sind Versicherer vorne dabei,
wenn es darum geht, Daten zu sammeln und auszuwerten, um etwa die Risiken des Klimawandels,
der Globalisierung von Handel und Produktion,
des technologischem Fortschritts und von Cyberangriffen einschätzen. Nur so können sie sinnvollen und bezahlbaren Schutz anbieten.
Doch „Daten ergeben nicht gleich ein klares
Bild, sondern eine Vielzahl an Mustern – die man
erkennen und richtig interpretieren muss“, sagt
Volker Gruhn, Professor für Software-Engineering an der Universität Duisburg-Essen. Zumal
immer neue Datenquellen dazukommen: Menschen bewegen sich im Internet, sie posten bei
Facebook oder Twitter und übertragen Gesundheitsdaten über Handys. Einiges davon lässt sich
nutzen, um Risiken besser zu berechnen.
Aus dem immensen Haufen an Datengeröll
filtern die Versicherer bisweilen winzige Partikel
wertvoller Informationen heraus. Dafür kommen
neue Methoden in der Datenverarbeitung zum
Einsatz, sogenannte Advanced Analytics. Genauso wichtig sind Experten, die Ergebnisse zu
interpretieren verstehen. Sonst werden Bezüge
gesehen, wo keine sind. Nach dem Motto: wo
weniger Störche, da weniger Kinder. „Um solche
Fehlschlüsse zu vermeiden, braucht es eine engmaschige Kontrolle“, sagt Guido Bader, Vorstand
der Stuttgarter Versicherungsgruppe.
1671
Neue Datenquellen verbessern nicht nur den
Service, sondern – das zeigt die Geschichte – sorgen auch für mehr Kunden. Denn je mehr Daten
vorliegen, desto besser ist das Risiko abschätzbar.
Auch deshalb werden heute bei jeder betriebsärztlichen Untersuchung Dutzende unterschiedlicher Laborwerte erhoben. „In den 1930er-Jahren
wurden noch 40 Prozent der Antragsteller bei der
Risikolebensversicherung wegen eines Krankheitsbildes abgelehnt“, sagt Achim Regenauer,
Chief Medical Officer der Munich Re. „Heute sind
es nur noch ein bis zwei Prozent.“
Die Prämie, die zu mir passt
Positionen # 4 _ 2 0 1 5
ERFINDEN
Dank der Daten lässt sich das Risiko überdies genauer zuordnen: Je mehr Informationen es über
den einzelnen Kunden gibt, desto passender kann
die Prämie auf ihn zugeschnitten werden. Das
allerdings bedroht die Idee der Versichertengemeinschaft: „Wenn wirklich das Risiko jedes Einzelnen bewertet wird, dann teilen wir die Risiken
nicht mehr“, sagt zum Beispiel die Vorsitzende
des Deutschen Ethikrates, Christiane Woopen.
Dies wäre, so fürchtet sie, das Ende der Solidarität
in der Versichertengemeinschaft.
Der Trend geht tatsächlich zu individualisierteren Policen, wie eine Oliver-Wyman-Umfrage unter 200 internationalen Versicherern
zeigt – umstritten ist allerdings, ob er tatsächlich die Grundidee der Versicherung zerstören
kann. Der Munich-Re-Experte Regenauer hält
diese Sorge für übertrieben. Dass man Krankheits- oder Todesrisiken mittels Big Data exakt
bestimmen kann, sei ein weit verbreiteter Irrglaube: „Wenn das stimmen würde, müssten auch
die Lottozahlen vorhersagbar sein.“ Auch Stuttgarter-Vorstand Bader hält die Sorgen für überzogen. „Unterschiedliche Risiken unterschiedlich
zu bewerten war schon immer Teil des Versicherungsgeschäfts“, sagt Bader. Und das müsse auch
so sein. „Denn wer spürt, dass er zu viel zahlt,
versichert sich sonst woanders – oder gar nicht.“
Bereits im 18. Jahrhundert wurden Beiträge
bei der Risikolebensversicherung nach Altersgruppen gestaffelt. Heute zahlt der Porsche-Besitzer aus Berlin eine höhere Kfz-Prämie als der
Dacia-Fahrer aus Münster, aber der Risikoausgleich in der Gemeinschaft funktioniert trotzdem.
Durch Big Data bekommt die Individualisierung
allerdings eine neue Dimension: Welche Risiken
sind verhaltens- und welche genetisch bedingt?
Inwieweit führen Risiken, für die ich als Individuum nichts kann, zu höheren Prämien? Das bewegt viele, ebenso die Frage, ob und inwieweit
Big Data genutzt werden kann, um Menschen zu
kontrollieren und zu manipulieren. Die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff sieht
den Datenschutz „existenziell gefährdet“.
Allerdings nicht durch die deutschen Versicherer. Sie wollen und müssen die Daten ihrer
Kunden schützen, denn Daten dürfen in Deutschland grundsätzlich nur zweckgebunden erhoben
werden – und in der Regel auch nur direkt beim
Kunden. Eine wilde Datensammelei im Internet
ist rechtlich nicht zulässig.
Ausländische Anbieter sind kaum an diese
Standards gebunden. Zum Ärger der deutschen
WISSEN STATT RATEN: DEM RISIKO AUF DER SPUR
1693 Die erste wissenschaftliche Sterbetafel Der
englische Forscher Edmond Halley erstellt die erste
wissenschaftliche Sterbetafel und nutzt Vorarbeiten
seines Landsmannes John Graunt und des Breslauer
Pfarrers Caspar Neumann. Halley nutzt seine Sterbetafeln unter anderem, um ein optimales Prämienniveau für eine Lebensversicherung zu bestimmen.
1693
1700
1713
1713 Die Große Zahl Jakob Bernoulli entdeckt
das „Gesetz der Großen Zahl“: Die Wahrscheinlichkeit eines zufälligen Ereignisses kann
umso genauer vorhergesagt werden, je größer
die beobachtete Masse ist. Versicherer brauchen daher große Datenmengen, um Risiken
möglichst präzise bestimmen zu können.
24 / 25
Assekuranz, denn viele Kundenwünsche gehen
weit über das hinaus, was hierzulande gesetzlich
erlaubt ist. „Wir geraten im globalen Wettbewerb
ins Hintertreffen“, ärgert sich LVM-Vorstand
Schmidt, „weil bei uns Entwicklungen und Dienstleistungen ausgebremst werden, die in anderen
Märkten ganz selbstverständlich entstehen.“
Der Souverän der Daten
Schmidt plädiert für mehr Datensouveränität
– beim Kunden: „Er muss selbst entscheiden, wer
Daten zum Beispiel aus seinem Haus oder seinem
Auto erhalten darf.“ Diese Daten müssten durch
sichere Systeme gut geschützt sein und dürften
nur für die vereinbarten Zwecke zwischen dem
Kunden und dem Unternehmen verwendet werden. Es dürfe nicht darum gehen, mit den Daten
zu handeln und Geld zu verdienen.
Wohl aber darum, Versicherungen neu zu
denken – aus Sicht der Kunden. „Das Internet erfordert einen einfachen und leichten Zugang zu
Produkten“, sagt Schmidt. „Die Kunden wollen
sich mit wenigen Klicks ein Produkt zusammenbauen, das gleichzeitig möglichst bedarfsgerecht
und individuell sein soll.“ Eine Vielzahl an Studien
zeige, dass Kunden sich immer mehr online informieren, Angebote vergleichen und bei einfachen
Produkten diese auch im Internet kaufen wollen
– während sie komplexere Probleme gerne mit
einem Kundenberater besprechen möchten.
Um diesen Vorteil zu nutzen, müssen sich die
Versicherer auf Big Data einlassen. Wyman-Berater Kottmann beobachtet eine gewisse Skepsis
– begründet im Wissen um das eigene Know-how,
denn bei Datenerfassung und Risikobewertung
liegt die deutsche Assekuranz weltweit vorn.
In Big Data zu investieren sorgt erst einmal für
mehr Kosten, während der Nutzen auf sich warten lässt. Kottmann fordert den Versicherern
trotzdem den Mut ab, „mit guten und bewährten
Techniken zu brechen“. Denn wer die Entwicklung falsch deutet, kann – wie einst die Nürnberger Brandassecurations-Anstalt – schnell in
Richtung Konkurs trudeln.
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Drei Zettabyte
an Informationen
flossen allein 2014
durch die weltweiten
Datenkanäle – etwa
drei Mal so viel
wie es Sandkörner
an den Stränden
der Welt gibt.
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1756 Altersdifferenzierte Versicherungsprämien
Der britische Mathematiker James Dodson entwickelt
auf Basis von Sterbetafeln erstmals altersabhängige
Lebensversicherungsprämien. Seine Erkenntnisse
krempeln den Lebensversicherungsmarkt völlig um:
1762 setzt die neu gegründete Equitable Life Assurance
Society Dodsons Ideen um. Andere Gesellschaften folgen.
1756
1782 Weil‘s nicht nur unter den Nägeln brennt
Da Londons Feuerversicherer bei Kunden strikt
nach dem Brandrisiko differenzieren, bekommen die
Betreiber von Zuckerraffinerien keine Police mehr.
Ihr Risiko gilt als nicht versicherbar. Also versichern
sie sich selbst: Ihre Phoenix Fire Assurance wächst
zu einem der weltgrößten Feuerversicherer heran.
1782 - 1783
Neue Risiken, neue Chancen: IBMDeutschlandchefin Martina Koederitz
sieht eine „Revolution“ für Versicherer.
WISSEN STATT RATEN: DEM RISIKO AUF DER SPUR
1783 Nürnberg muss neu rechnen Wo London zu stark
differenziert, unterscheiden die Nürnberger zu wenig:
Kunden in der Stadt zahlen für ihre Feuerversicherung
die gleiche Prämie wie Kunden auf dem Land – obwohl
die Brandgefahr auf den Dörfern viel höher ist. Scharenweise verlassen die Städter daraufhin die Versicherung, die prompt ihre Prämien anpasst.
1800
1839 Entwicklung der Versicherungsmedizin Die Gothaer
stellt als erste Lebensversicherung in Deutschland
Vertrauensärzte ein, um festzustellen, welche Personen
zu normalen Bedingungen versichert werden können –
und in welchen Fällen ein Risikozuschlag notwendig ist. In
den 1870er-Jahren beginnen die ersten Versicherer, ihre
medizinischen Erkenntnisse statistisch auszuwerten.
26 / 27
»DER KUNDE BRAUCHT DAS
GEFÜHL: DIE VERSICHERUNG
KÜMMERT SICH UM MICH«
Deutschlands IBM-Chefin MARTINA KOEDERITZ legt der
deutschen Assekuranz einen Perspektivwechsel nahe:
weg vom Policen-Verkäufer und hin zum Service-Anbieter.
Big Data rückt die Kunden in den Mittelpunkt.
Frau Koederitz, Versicherer gehören zu
den Erfindern von Big Data. Seit Jahrhunderten sammeln sie große Datenmengen und werten sie aus, um Risiken
und Beiträge zu kalkulieren. Ist die
Digitalisierung für sie ein Heimspiel?
MARTINA KOEDERITZ: Versicherer wie
auch Banken haben tatsächlich sehr
früh angefangen, Unterlagen zu digitalisieren und ihre Prozesse elektronisch voranzutreiben. Jetzt aber geht
es darum, aus den digital vorliegenden
Daten auch Mehrwerte zu generieren:
neues Wissen und neue Ansätze, die
Versicherer nutzen können, um Risiken
besser zu erkennen und abzuschätzen.
Oder um die Beziehung zum Kunden auf
eine andere Plattform zu stellen: Bisher
schließt der Kunde eine Versicherung
ab und braucht sie dann hoffentlich nie.
Jetzt jedoch sehen die Versicherer, dass
neue Anbieter in den Markt drängen,
die sich sehr wohl überlegen, wie sie
Informationen, Daten, Wissen besser
nutzen für einen ständigen Austausch
und Kontakt mit dem Kunden.
Fehlen den Versicherern die passenden
Angebote für diese neue Welt?
MK: Die Frage wird sein, wie schnell
Versicherer mit den vorliegenden
Daten Dienstleistungen entwickeln,
damit der Kunde das Gefühl hat: Die
Versicherung kümmert sich um mich,
selbst wenn gerade nichts akut anliegt.
Die zweite Herausforderung liegt darin, neue Versicherungsmodelle und
-möglichkeiten zu offerieren. Dazu
gehören kurzfristig abschließbare
Versicherungen per App für bestimmte Großveranstaltungen, Konzerte
oder falls ich beispielsweise zwei Tage
wandern gehen möchte. „Pay as you
go“-Dienstleistungen also, und nicht
Verträge, die für ein halbes Leben gelten. Das ermöglicht mehr Interaktion
mit vorhandenen sowie potenziell
neuen Kunden.
Sind Versicherungen als Produkte nicht
zu komplex, um in der plakativen Welt
des Internets angeboten zu werden?
MK: Es wird mehr Versicherungen geben, die sich schnell online oder per
App abschließen lassen. Und andere,
für die Beratung nötig ist. Bei Lebensoder Gesundheitsversicherungen geht
es eher um die Transparenz der Varianten, um Informationsgenauigkeit,
Risikobewertung, um das Abwägen:
Was gefällt mir besser und was weniger gut? Gleichwohl wird man durch
Datenanalyse künftig selbst schwierige Sachverhalte in Algorithmen packen können – und damit das Produkt
vereinfachen. Je intuitiver die Services
werden, desto höher ist die Chance,
Kunden zu gewinnen.
Wenn ich eine Krankenversicherungspolice danach aussuchen müsste, wie
gesund ich mich ernähre, wie viel Sport
ich treibe und welche Vorerkran›
Positionen # 4 _ 2 0 1 5
Z
ahlen und Daten gibt es
heute mehr als genügend. Entscheidend ist,
was man damit anfängt.
Denn mit Big Data ändert sich die Rolle der
Kunden und das Selbstverständnis der Versicherungsbranche als
Dienstleister. Wohin führt die Digitalisierung? „Positionen“ hat eine
Expertin in Sachen Big Data befragt:
Martina Koederitz, die Deutschlandchefin von IBM.
ERFINDEN
INTERVIEW: MICHAEL PRELLBERG UND THOMAS WENDEL • FOTO: PHILIPP KÜLKER
›
1852 Es brennt überall – aber anders Das Sun
Fire Office beginnt, Bauart und Brandursachen
von Gebäuden in verschiedenen Regionen zu
erfassen. Dabei stellt man fest, dass die Brandgefahr etwa in indischen und chinesischen
Metropolen geringer ist als in europäischen
oder amerikanischen Großstädten.
1839
1852
1890 Beginn der maschinellen Datenverarbeitung
Die US-amerikanische Zensusbehörde lobt einen
Wettbewerb aus, wie ihre Datenmengen schnell und
sinnvoll ausgewertet werden können. Hermann
Hollerith gewinnt, seine Lochkartenmaschine
kommt erstmalig bei der Auswertung des
US-Zensus 1890 zum Einsatz.
ERFINDEN
Positionen # 4 _ 2 0 1 5
kungen es in meiner Familie gibt – da
würde ich ebenso wenig durchblicken
wie bei den Mobilfunkpaketen: weil die
Angebote kaum vergleichbar sind. Was
habe ich als Kunde dann von Big Data?
MK: Hinter Big Data als Geschäftsmodell stecken ja personalisierte Dienste
und Angebote. Das heißt immer: Ich
habe die Qual der Wahl. Das suchen die
Menschen ja im Internet: Wer den für
mich besten personalisierten Service
offeriert, bekommt meinen Zuschlag.
Für die Anbieter wird es darum gehen,
ihre Tarife einfach und transparent
zu erläutern. Dadurch erhalten sie die
höchste Akzeptanz beim potenziellen
Kunden. Die Unternehmen müssen
sich überlegen, wie viel Informationen
sie bereitstellen, wie aktiv sie in Userforen und in ihren Callcentern sind.
Unternehmen müssen also lernen, ihre
Produkte verstärkt aus Kundensicht zu
entwickeln?
MK: Früher hat man eine Versicherung
entwickelt und sie dann auf den Markt
gebracht. Das reicht heute nicht mehr.
Es stellen sich neue Fragen: Wer wird
das Produkt kaufen? Was macht unseren Service besonders wichtig für denjenigen, der ihn nutzen soll? Der Kunde
rückt ins Zentrum der Geschäftsmodelle. Da haben wir in Deutschland
grundsätzlich ein bisschen Nachholbedarf, weil wir eine Wirtschaft haben,
die sich traditionell stark an Unternehmenskunden orientiert …
... und weniger an den Endverbrauchern.
MK: Das ändert sich gerade. Wenn sich
erst einmal autonome Autos auf unseren Straßen bewegen, dann werden
auch andere Versicherungen nachgefragt. Dann will der Fahrer vielleicht
neuartige Dienstleistungen haben. Wie
bewerten wir in einer digitalen Welt
den Verlust von Daten? Wie Cyberrisiken? Es sind völlig neue Betätigungsfelder, für die Versicherer ihre
Angebote nicht nur weiter-, sondern
»DIE ANBIETER MÜSSEN IHRE TARIFE
EINFACH UND TRANSPARENT ERLÄUTERN.
DADURCH ERHALTEN SIE DIE HÖCHSTE
AKZEPTANZ BEIM POTENZIELLEN KUNDEN.«
teils auch neu entwickeln müssen. Das
ist mehr als eine Evolution, das ist eine
Revolution. Nehmen wir die Medizin.
Wenn Big Data uns mit Informationen
versorgt, muss ich viele Abläufe neu
gestalten: wie ich Arzneimittel entwickele, wie personalisierte Medikation
und Behandlungen ablaufen sollen. Das
alles wird sich in den Krankenversicherungstarifen widerspiegeln.
Sind die Versicherer bei diesem Wandel
besonders exponiert?
MK: Ja, absolut. Da das Produkt de facto
schon digital ist, sind Versicherer und
Banken besonders gefährdet durch
neue Marktteilnehmer, die schnell die
Schnittstelle zu ihren Kunden besetzen
können. Wenn morgen ein branchenfremdes Unternehmen kommt und
eine Versicherung anbietet, die digital
extrem schnell abgeschlossen werden
kann – gerade, wenn keine intensiven
Prüfungen nötig sind –, dann ist diese
Schnittstelle einfach zu kapern. Dagegen sollten Versicherer ihre Marke
stellen, weil daran ja das Vertrauen
der Kunden gekoppelt ist. Die Kunden
sollen in kontinuierlicher Interaktion
spüren: „Du kannst uns vertrauen, wir
gehen zwar neue Wege, bleiben dabei
aber ein verlässlicher Partner.“
Nehmen die Versicherer diese Herausforderung an?
MK: Das hängt davon ab, wie schnell
ein Unternehmen ein Geschäftsmodell drehen und zugleich die Unternehmenskultur grundlegend verändern kann. Es ist leicht, zu sagen, „Ja,
wir wollen diese neue Schnittstelle
besetzen“. Die entscheidende Frage
lautet: wie?
Kommt dieser Wandel eher von innen
oder von außen, über den Zukauf von
Unternehmen?
MK: Entscheidend ist, Freiräume für
Innovationen zu schaffen. Ob man das
jetzt als Spin-off im eigenen Unternehmen organisiert oder ob man strategische Partnerschaften eingeht – entscheidend ist, die Geschwindigkeit zu
erhöhen. Alle wollen eine agile, offene
Unternehmenskultur. Allerdings, das
muss ich jedoch einräumen, spielt in
unserem Wirtschaftsumfeld IT noch
eine eher untergeordnete Rolle.
Das ist jetzt sehr bescheiden. IBM
hat es schließlich geschafft, sich vom
Hardware-Anbieter zum Dienstleister
komplett umzustülpen.
MK: In meiner Branche bringt jede Dekade eine neue technologische Revolution. Das war in den 1980er-Jahren der
PC, in den 1990er-Jahren das Internet,
und im vergangenen Jahrzehnt haben
sich Software und Service stark entwickelt. 2002 haben wir die Beratungssparte von PricewaterhouseCoopers
akquiriert und im selben Jahrzehnt
Hunderte von Software-Firmen. Damit haben wir von außen Innovationspotenzial ins Unternehmen geholt. Wir
akquirieren weiter, setzen aber stark
auf Partnerschaften.
Unternehmen müssen sich also in
jedem Fall nach außen öffnen?
MK: Davon bin ich überzeugt. Wenn ich
an die Geschwindigkeit der Entwicklung von neuem Know-how denke,
kann das alles eigentlich nicht mehr
nur aus einem Unternehmen kommen.
Ist das in den Chefetagen angekommen? Oder halten manche Manager
WISSEN STATT RATEN: DEM RISIKO AUF DER SPUR
1894 Sicherheitsforschung In den Vereinigten
Staaten gründen die Feuerversicherer mit den
Underwriters Laboratories eine erste Forschungseinrichtung. Sie untersucht in nur fünf Jahren mehr
als 1.000 Produkte auf ihre Brandsicherheit und
beginnt damit, Sicherheitsstandards zu entwickeln.
1890
1894
1900
1941 Der Beginn des Computerzeitalters In
Deutschland und den USA werden die ersten
programmgesteuerten Rechenautomaten
entwickelt. Die Technologie macht während
des Kriegs rasante Fortschritte. Bereits 1954
wird das erste Rechenzentrum eines deutschen Versicherers gegründet.
28 / 29
Digitalisierung noch immer für ein
reines IT-Thema?
MK: Da ist sehr viel passiert in den letzten Monaten. Wer heute Digitalisierung als IT-Thema auffasst, dem kann
ich nur sagen: Aufgabe nicht verstanden. Wer als Vorstandsvorsitzender
nicht sieht, dass die Digitalisierung
das komplette Unternehmen verändern wird, sieht die Digitalisierung als
Bedrohung und nicht als Chance, sich
zu verändern und sich zu entwickeln.
Herrscht Angst in den Chefbüros?
MK: Unternehmenslenker sind per se
keine ängstlichen Menschen. Aber einigen fehlt das technologische Wissen.
Sie unterschätzen die Geschwindigkeit
der Veränderungen. Hinzu kommt: Die
Deutschen haben nicht diese Affinität
zur IT. Wir reden lieber von Autos, von
unseren Maschinen- und Anlagenbauern, von unseren Industriekonzernen.
Denen geht es ja gut. Vernachlässigen
wir daher die digitale Herausforderung?
MK: Die Herausforderung ist gigantisch. Die digitale Gesellschaft braucht
zum Beispiel dringend Rahmenbedingungen dafür, wie das Geschäft organisiert sein muss. Und wir brauchen eine
digitale Agenda nicht nur für Deutschland, sondern für Europa – ansonsten
verpassen wir die Anforderungen in
anderen für uns wichtigen Märkten.
Deutschland ist zu klein, um Stan-
ERFINDEN
Positionen # 4 _ 2 0 1 5
Eine digitale Agenda für ganz Europa hält IBM-Deutschlandchefin Martina Koederitz für
unverzichtbar, um verbindliche Standards für Datenschutz und -sicherheit zu schaffen.
dards zu setzen. An diesen Standards
fehlt es – sei es beim Datenschutz, bei
der Datensicherheit oder in Sachen
Cybersecurity. Viele deutsche Mittelständler denken bei Industrie 4.0
nur an automatisierte Fabriken und
vernetzte Produktion. Radikal neue
Geschäftsmodelle, wie die der US-Internetunternehmen Airbnb, Uber,
Netflix oder Dropbox, sind hingegen
kundenorientiert. Erst jetzt fangen
solche Geschäftsmodelle an, auch in die
produktorientierte deutsche Industrie
einzuziehen.
Müssen Unternehmen fürchten, Kunden zu verlieren, wenn sie die Digitalisierung nicht offensiv angehen?
MK: Ich bin überzeugt, dass Digitalisierung und die Nutzung von neuen kognitiven Systemen nicht als IT-Thema
verstanden werden, sondern als ganzheitliche Veränderung des Unternehmens in neuen Ökosystemen und in einer veränderten Kultur: Dieser Wandel
wird für die Versicherungswirtschaft
eine Chance darstellen – dafür gibt es
beeindruckende nationale und internationale Beispiele in der Zusammenarbeit zwischen der Assekuranz und
IBM. Wenn ich es aber plakativ ausdrücken soll: Ihr und unser aller größter
Wettbewerber ist: nichts zu tun. Wir
sollten gemeinsam und aktiv die Zukunft gestalten.
Cyberspionage ist eine Kehrseite der
Digitalisierung. IBM ist als US-Konzern
betroffen von der Rechtsprechung des
Europäischen Gerichtshofs, der die Vereinigten Staaten zum unsicheren Terrain für europäische Daten erklärt hat.
Zehrt das am Vertrauen der Kunden?
MK: Wir sind seit 104 Jahren im Geschäft – niemand in der Branche hat
so viel Vertrauen erzeugt wie wir. In
Europa sind die größten Versicherer
und Banken unsere Kunden, gerade
weil wir verantwortungsvoll mit ihren Daten umgehen – und wir sie
›
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1969 Raketenstart für Computerchips Bei der ersten
bemannten Mondmission reist ein moderner Computerchip
mit. Der Bordcomputer der Mondfähre Apollo 11 verfügt
über einen Speicher von gerade einmal 74 Kilobyte. Aber
die Entwicklung schreitet rasant voran: Bereits neun Jahre
später sind auf den Schreibtischen deutscher Versicherungsvermittler die ersten Personal Computer (PC) zu sehen.
1941
1990 Die große Vernetzung
Das Internet wird für kommerzielle Zwecke geöffnet. Es
verändert nicht nur die gesamte
Kommunikation der Menschheit,
sondern wird auch zu einem
gigantischen Datenschatz.
1969
Positionen # 4 _ 2 0 1 5
ERFINDEN
»EINIGE DER UNTERNEHMENSLENKER
UNTERSCHÄTZEN,
MIT WELCHER
GESCHWINDIGKEIT
SICH TECHNOLOGIEN
VERÄNDERN.«
in europäischen Rechenzentren speichern. Die Fragen lauten doch eher:
Wie kann Datenschutz in so einer stark
vernetzten, sich schnell verändernden
Welt überhaupt noch annähernd hergestellt werden? Wie befähige ich den
Einzelnen in dieser digitalen Welt, verantwortungsvoller zu partizipieren,
anstatt darauf zu warten, dass er von
Anderen, vom Staat, geschützt wird?
Wie können die Digitalanbieter ihre
Angebote und Produkte von Grund
auf – Stichwort „Embedded Security“ –
sicherer machen? Wer macht Security
zu einem Markenkennzeichen?
Welcher Versicherer läuft da vorneweg?
MK: Alle großen Versicherungen haben einen vertrauensvollen Namen,
das ist ein ganz großes Plus. Aber
wird die Millennium-Generation das
noch genauso schätzen? Welche Werte sind für sie entscheidend? Das wird
spannend. Die Versicherer sind kaum
darauf vorbereitet, dass Loyalität nicht
mehr der entscheidende Faktor bei der
Wahl einer Versicherung ist. Sondern
dass schnell gewechselt wird, wenn
der Service nicht mehr attraktiv ist.
Hat das Vermögen, attraktive Dienstleistungen anbieten zu können, auch
etwas mit Diversity – einer Vielfalt
beim Personal – zu tun?
MK: Kreativität und Innovationspotenzial haben immer mit Diversity
MARTINA KOEDERITZ
Die Betriebswirtin stieg 1987
nach ihrem Studium als
Systemberaterin bei IBM ein.
Nach mehreren Managementstationen im Konzern wurde
die heute 51-Jährige 2011 Vorsitzende der Geschäftsführung
von IBM Deutschland.
zu tun. Anderes Denken und andere
Ansichten zuzulassen – dafür brauche
ich mehr als nur IT-Techniker. Der Erfolg von IBM beruht auch darauf, dass
wir Diversity seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts in unseren Werten,
in unserer Strategie verankert haben.
Wenn wir über alles Digitale nachdenken, ist es ja gerade die Vielfältigkeit,
die den Anwender so begeistert. Wenn
Vielfältigkeit in den Märkten das differenzierende Element ist, muss ich mir
überlegen, wie ich in einem Unterneh-
men Vielfältigkeit im Denken erzeuge.
Nur so erhalte ich die größtmögliche
Plattform für neue Ideen, Kreativität
und Innovationspotenziale.
Wie erzeuge ich diese Vielfältigkeit?
MK: Zu Diversity gehört das zielorientierte gemeinsame Arbeiten an
Aufgaben, ein soziales Netzwerken,
damit die Mitarbeiter sich über ihre
Bereichsgrenzen hinweg austauschen
und so voneinander lernen können.
Bei IBM haben wir seit Jahren unsere
eigene Social-Media-Plattform. Alle
380.000 Mitarbeiter weltweit können
mit jedem rund um den Globus jederzeit chatten, reden, Erfahrungen austauschen. Die Mitarbeiter bauen damit
ihr eigenes berufliches Netzwerk auf.
Inzwischen ist das ein riesengroßer
Wissenspool.
Das alleine wird kaum ausreichen.
MK: Richtig. Ich muss den Mitarbeitern
auch den Freiraum geben, über Aufgaben und Bereichsgrenzen hinweg voneinander und miteinander zu lernen.
Einige Menschen streben nach Führungs-, andere nach Fachaufgaben. Für
beides muss ich offen sein – ebenso für
Einflüsse von außen, denn sie machen
Unternehmen innovativer und erfolgreicher. Erfahrung wird zudem weniger wichtig. Wissen ist inzwischen so
schnell überholt, dass ich eher darauf
schaue, wer hat Ambitionen, wer hat
Neugierde, wer zeigt eine gewisse Risikobereitschaft. Das hält ein Unternehmen agil und jung im Denken. Es
sorgt dafür, dass eben nicht nur die
eingefahrenen Wege verfolgt werden.
Wenn wir diese eingefahrenen Wege
verlassen, wohin wird uns der Prozess
der Digitalisierung führen?
MK: Der Weg ist das Ziel. Früher ging
es darum, wie wir besser und schneller werden. Jetzt geht es darum, die
Zukunft neu zu gestalten. Und das Tag
für Tag.
WISSEN STATT RATEN: DEM RISIKO AUF DER SPUR
1997 Das Big-Data-Problem Die Forscher
Michael Cox und David Ellsworth berechnen,
dass herkömmliche Computertechnik bei der
Verarbeitung der Datenmassen an Grenzen
stößt. Neue Lösungen läuten eine neue Ära
in der Datenanalyse und -verarbeitung ein.
2007 Digitalisierung der Informationen
94 Prozent aller weltweit erfassten Daten
sind digital abgespeichert. Zwei Jahrzehnte
zuvor waren noch 99,2 Prozent analog
gespeichert. Die Digitalisierung führt durch
immer weiter verbesserte Datenanalyse zu
neuen Erkenntnissen.
1990
1997
2000
2007
30 / 31
PRO&
CONTRA
Schnell übers Handy eine Versicherung abzuschließen, reizt viele Menschen.
Diese Kunden wollen keinen Vertrag auf Dauer, sondern Schutz für diesen einen Anlass.
Öffnet sich hier ein neuer Markt für die Assekuranz – oder eher eine Sackgasse?
JÖRG GÜNTHER
Versicherungsexperte und Partner bei der
Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG
Versicherungsschutz für ein paar wenige Tage
direkt per App beantragen, den Versicherungsschein per Mail erhalten und sofort abgesichert sein: klingt
einfach. Gut und vernünftig ist es deshalb noch lange nicht.
Falsche Sicherheit: Die Versicherungssummen sind in
vielen Fällen ungenügend. Bei einer Unfallversicherung ist
mit 50.000 Euro der Schutz viel zu gering, falls wirklich was
passieren sollte. So werden Verbraucher in Sicherheit gewogen, obwohl keine Sicherheit besteht.
Überflüssige Policen: Beliebt sind auch Versicherungen,
auf die Verbraucher gut verzichten können, wie zum Beispiel
der Kita-Ausflug-Schutz. Der Versicherer spielt bei diesen
Angeboten mit den Ängsten der Eltern, denn die Kinder sind
bereits über den Veranstalter versichert.
Überhöhte Preise: Die Preise für den Schutz für wenige Tage betragen meist nur ein paar Euro, wie beim
„Wiesnschutz“ für das Münchner Oktoberfest. Verbraucher werden so zum Kurzzeit-Abschluss verführt. Rechnet
man die Kosten allerdings auf ein Jahr hoch, kostet diese
Wiesn-Unfallversicherung 2.200 Euro. Viel zu teuer. Günstiger wäre es, eine Unfallversicherung gleich für 365 Tage
abzuschließen. Ein weiteres Manko: Oft gilt der Schutz nur
genau für das Event, für das er abgeschlossen wurde. Etwa
der Unfallschutz extra für ein Fußballspiel: Die Versicherung
gilt inklusive An- und Abreise zu diesem Spiel. Verletzen
sich Kunden aber am selben Tag abends in der Wohnung,
besteht kein Versicherungsschutz mehr. Das kann mit einer
vollwertigen Versicherung nicht passieren.
Fazit: Solange die Preise so hoch und die Versicherungssummen so niedrig sind, machen Kurzzeit-Versicherungen
für Verbraucher keinen Sinn.
CONTRA
HERMANN-JOSEF TENHAGEN
Chefredakteur des gemeinnützigen
Online-Verbrauchermagazins „Finanztip“
Positionen # 4 _ 2 0 1 5
Kunden wollen Entscheidungen schnell in die Tat
umsetzen. Versicherer sind nun in der Pflicht, Angebote zu schaffen, die diesen Ansprüchen gerecht werden.
Kurzfristige Versicherungsabschlüsse über Apps lohnen
sich. Tatsächlich sind die Abschlusszahlen bei den Versicherern bislang jedoch überschaubar. Das könnte sich bald ändern: Die Kunden wollen in der Situation entscheiden – etwa
beim Skifahren, im Fußballstadion oder wenn sie das neue
Smartphone in Händen halten und es versichern möchten.
App-Abschlüsse bieten vor allem eins: kurzfristige Sicherheit, falls die Versicherung zur jeweiligen Situation vergessen wurde.
Auch für die Anbieter wird dieses Metier immer interessanter, weil sie hierdurch als serviceorientiert wahrgenommen werden. Ist die Produktpalette groß und die Möglichkeit des Abschließens quasi immer vorhanden, steigt
damit die Kundenzufriedenheit. Darüber hinaus zeigen sich
die Unternehmen als moderne Partner, die die neuen digitalen Interaktionskanäle bestmöglich nutzen.
Es sollte nicht verschwiegen werden, dass die Kunden
über die App im Gegensatz zu klassischen Tarifen bislang
noch höhere Beiträge zu entrichten haben, dafür jedoch einen geringeren Versicherungsschutz genießen. Doch genau
dieser Missstand könnte sich bald ändern. Der mittelbare
Erfolg von Versicherern wird künftig noch stärker von der
Kundenorientierung sowie den Möglichkeiten digitaler
Kommunikation abhängen.
Apps werden hier ein wichtige Baustein sein: Die traditionellen Werte, die beim Kunden nachgefragt werden,
verschieben sich. »Immer da, immer nah« wird abgelöst von
»Nah bei Bedarf«.
PRO
ERFINDEN
ÜBER APP VERSICHERT
– IST DAS SINNVOLL?
MEHR ALS
800.000
FLÜCHTLINGE
ERREICHEN 2015
DEUTSCHLAND
Es wird eng: 300 Flüchtlinge sind in der Alfred-Fischer-Halle im nordrhein-westfälischen Hamm untergebracht.
Nicht nur für die Erfordernisse des täglichen Bedarfs ist gesorgt – Versicherungen sorgen ebenfalls für Schutz.
32 / 33
SIE BRAUCHEN
SCHUTZ
Überall in Deutschland entstehen Flüchtlingsheime.
Tausende Gebäude gilt es zu versichern. Die Assekuranz
nimmt die Herausforderung an. Und kommt ihrer Verantwortung gegenüber den Menschen und der Gesellschaft nach.
geschäftsführung des Gesamtverbands der
Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV).
Im Mittelpunkt steht der Schutz der Menschen. „Versicherer sehen ihren Auftrag darin, Flüchtlingen eine sichere Unterbringung
zu ermöglichen. Das verlangt von uns eine
besondere Aufmerksamkeit“, sagt von Fürstenwerth.
Wenige Objekte, viel Arbeit
„Wir haben viel Arbeit mit den relativ wenigen
Objekten“, erklärt Klaus Zehner, Vorstand der
Sparkassenversicherung in Stuttgart. „Das ist
der Sache aber auch angemessen“, sagt Zehner.
Die Versicherung arbeitet eng mit den Kommunen zusammen und hat derzeit 400 Objekte
im Bestand, die von Asylsuchenden genutzt
werden – die meisten in Baden-Württemberg,
Hessen und Thüringen. Es werden laufend
neue Objekte in den Bestand aufgenommen.
„Die Unterbringung von Flüchtlingen betrachten wir als gesamtgesellschaftliches Thema“,
sagt auch Hermann Kasten, Vorstand der
VGH-Versicherungen aus Hannover.
Wie bei jedem anderen Objekt auch werden mögliche Gefährdungen jeder einzelnen
Flüchtlingsunterkunft gesondert beurteilt.
Ausschlaggebend dafür ist, wie sicher die
Unterkunft ist, in welchem Zustand sich das
Gebäude befindet und wie viele Menschen
wie lange dort leben. „Unsere Statistiken
zeigen, dass der Schadenaufwand deutlich
höher liegt, wenn Häuser nur kurzzeitig von
wechselnden Personen genutzt werden“, sagt
Jörg von Fürstenwerth vom GDV. Das gilt für
Touristen, Montagearbeiter, Studenten oder
Flüchtlinge gleichermaßen.
›
Positionen # 4 _ 2 0 1 5
J
etzt kehrt wieder Leben ein ins
vierstöckige Gebäude im Bonner
Zentrum. Im Spätsommer fuhren
Lastwagen auf den Schulhof, auf
dem zwei Jahre lang kein Kind
mehr spielte, weil die PestalozziSchule wegen zu niedriger Schülerzahlen
schließen musste. Helfer verwandelten die
Klassenzimmer in Wohn- und Schlafstätten
und stellten Container mit Dusch- und Sanitäranlagen ab. Jetzt leben etwa 120 der mehr als
2.200 Flüchtlinge in Bonn hier – bis sie ein
neues Zuhause finden.
Ähnlich wie in Bonn geht es in vielen
deutschen Kommunen zu. Behörden und
freiwillige Helfer arbeiten mit Hochdruck
daran, den Neuankömmlingen ein Dach über
dem Kopf zu geben. Dabei geht es nicht allein darum, ausreichend Wohnraum, Betten,
Schränke und Lebensmittel zur Verfügung zu
stellen. Eine herausragende Rolle spielt das
Thema Sicherheit. Gibt es Fluchtwege in der
Unterkunft und Evakuierungspläne in fremden Sprachen? Sind ausreichend Rauchmelder
und Feuerlöscher vorhanden? Weder Schulen,
noch Baumärkte, Turn- oder Lagerhallen sind
dafür gebaut, dass Menschen dauerhaft in
ihnen leben. Versicherer achten deshalb darauf, dass wichtige Sicherheitsvorkehrungen
getroffen und eingehalten werden.
Der Zuzug hunderttausender Menschen
bedeutet auch für die Assekuranz Überstunden. „Wir schätzen, dass die Zahl der versicherten Flüchtlingsunterkünfte inzwischen
im fünfstelligen Bereich liegt, hinzukommen
zigtausend private Wohnungen“, sagt Jörg
von Fürstenwerth, Vorsitzender der Haupt-
SCHÜTZEN
TEXT: HEIMO FISCHER
»WIR HABEN VIEL
ARBEIT MIT DEN RELATIV
WENIGEN OBJEKTEN,
DAS IST DER SACHE ABER
AUCH ANGEMESSEN.«
KLAUS ZEHNER,
Positionen # 4 _ 2 0 1 5
SCHÜTZEN
Vorstand Sparkassenversicherung Stuttgart,
zu Flüchtlingsheimen
Kommen weitere Gefahren hinzu – etwa im
Falle einer Überbelegung –, erhebt der Versicherer unter Umständen einen Risikozuschlag.
Die Sparkassenversicherung orientiert sich zum
Beispiel am Flüchtlingsaufnahmegesetz Baden-Württembergs. Das sieht eine durchschnittliche Wohn- und Schlaffläche von mindestens
sieben Quadratmetern pro Person vor.
Diese Mindestfläche ist auch aus einem anderen Grund notwendig: Sind die Menschen zu dicht
gedrängt untergebracht, fehlt es an Rückzugsmöglichkeiten für diejenigen, die nach Wochen
der Flucht angespannt sind und in eine ungewisse
Zukunft schauen. „Das kann belastend sein und
aggressiv machen“, erklärt Michael Deuschle,
Leiter der Arbeitsgruppe für stressbezogene
Krankheiten am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim.
Alle gleich behandeln
Außer in Sammelunterkünften werden Flüchtlinge auch in privaten Wohnräumen untergebracht.
Bei diesen mache es keinen Unterschied, ob eine
Flüchtlingsfamilie einzieht oder ein einheimisches Paar mit Kindern, so die Sparkassenversicherung. Woher die Menschen kommen, ist für
die Versicherer dabei unerheblich.
Die Grundlagen der Police können sich jedoch
ändern, wenn ein Gebäude zuvor nicht als Wohnhaus gedient hat – wie zum Beispiel bei Sporthallen, Lagerräumen oder Flugzeughangars. Ziehen
dort Menschen ein, müssen die Versicherer die
Risiken neu bewerten. Schließlich wird nun in
Räumen, in denen das gar nicht vorgesehen war,
plötzlich geraucht und täglich gekocht, es werden
elektrische Hausgeräte betrieben. Die Tätigkeiten der Versicherer enden nicht bei der Absicherung von Gebäuden und Einrichtungen. Auch die
Gegen den Hunger
Im bayerischen
Zirndorf werden
Essenspakete an
Flüchtlinge
ausgegeben.
ehrenamtlichen Helfer müssen versichert sein.
So decken die Berufshaftpflichtversicherer vieler niedergelassener oder in Kliniken angestellter Ärzte in vielen Fällen auch ehrenamtliches
Engagement ab. Pensionierte Ärzte wiederum
haben die Möglichkeit, eine Berufshaftpflicht für
gelegentliche ärztliche Tätigkeit abzuschließen.
Auch Flüchtlinge können aus Versehen Schäden anrichten – zum Beispiel als Fußgänger oder
Radfahrer im Straßenverkehr. „Deshalb ist zumindest der Privathaftpflichtschutz wichtig“,
sagt Peter Meier, Vorstand der Nürnberger Allgemeine Versicherungs-AG. Flüchtlinge und ihre
Familien können wie jeder andere Bürger diese
Verträge abschließen, selbst wenn das Anerkennungsverfahren noch nicht abgeschlossen ist.
Natürlich steht die Versicherung nicht an
oberster Stelle bei ihnen, aber über Gruppenverträge für Kommunen können auch Flüchtlinge
unkompliziert versichert werden. Bei der Allianz erhalten Flüchtlinge für drei bis fünf Euro im
Monat eine Privathaftpflichtversicherung. Verdienen soll an dem Abschluss niemand. Die Vertreter erhalten keine Provision, wenn sie einen
dieser Gruppenverträge vermittelt haben.
Bevor Neuankömmlinge an Versicherungen
denken können, muss zunächst die Existenzgrundlage gesichert sein. Viele der GDV-Mitgliedsunternehmen haben Hilfsprojekte gestartet oder stellen Mitarbeiter ab, die sich um
Flüchtlinge und ehrenamtliche Helfer kümmern. Die Allianz beispielsweise vermittelt Bewerbungstrainings und Integrationskurse für
Flüchtlinge. „Wir unterstützen damit ihren Integrationsprozess ins tägliche Leben unseres
Landes“, sagt Alexander Vollert, Vorstandschef
der Allianz Versicherungs-AG.
Bücher zum Deutschlernen
Die Eingliederung ist auch der VGH-Stiftung wichtig. Mit dem niedersächsischen Bibliotheksverband stattet sie Büchereien flächendeckend mit
Unterrichtsmaterial aus, um Flüchtlingskindern
das Deutschlernen zu erleichtern. Denn diese
sollen möglichst bald in eine Schule gehen, um zu
lernen – und nicht, um dort zu wohnen.
34 / 35
UM DEN GLOBUS: KUBA
Das Schöne am Sozialismus: Der Staat sorgt für seine Bürger.
Daher schließen Kubaner selten private Versicherungen ab – es sei
denn, sie treten in Kontakt mit dem Rest der Welt.
REISEVERSICHERUNG
Seit Mai 2010 müssen Kubaner vor
einer Reise ins Ausland eine Reiseversicherung abschließen. Dasselbe
gilt für alle Touristen, die die Insel
besuchen. Diese Versicherung kann
sowohl über die kubanische Asistur
als auch über ausländische Versicherer abgeschlossen werden. Das hat
dazu geführt, dass Assekuranzen aus
Ländern, in denen viele Exil-Kubaner
leben, spezielle Abkommen mit dem
kubanischen Staat vereinbaren, um
auf der Insel Versicherungsschutz anbieten zu können. Dabei richten sich
die Strukturen und Normen der Joint
Ventures nach kubanischen Regeln.
Besonders erfolgreich ist der spanische Dienstleistungskonzern Mapfre.
Seine Reiseversicherung deckt
Unfälle, Gepäckverlust und Krankheiten ab und enthält auch eine Haftpflichtversicherung.
INTERNATIONALE
KURIERDIENSTE
Die auf der Insel zurückgebliebene
Familie mit Geld, Dokumenten und diversen anderen Dingen zu versorgen,
ist für die meisten ausgewanderten
Kubaner eine Selbstverständlichkeit.
Diese Marktchance haben verschiedene international operierende
Kurierdienste erkannt. Den Absendern ist dabei vor allem wichtig, wie
verlässlich die Lieferung ankommt
– das wiederum ist abhängig davon,
wie gut das Unternehmen mit dem
kubanischen Staat harmoniert. Gegen
den Verlust der Sendung können sich
die Absender versichern. Einer der
Kuriere, der eine Vertrauensbasis
aufgebaut hat, ist übrigens die Deutsche-Post-Tochter DHL.
SCHÜTZEN
STAATSVERSICHERUNG
Kubaner kennen eigentlich nur ein
Versicherungsunternehmen – den
Staat. Er übernimmt beispielsweise
die Kranken- oder Ausbildungsversicherung, und das fast kostenlos.
Auch das Rentensystem läuft komplett über den kubanischen Staat.
Die beiden staatlichen Versicherer
sind dem Finanzministerium untergeordnet. Esicuba, gegründet
1963, richtet sich insbesondere
an Geschäftskunden, am häufigsten werden laut Geschäftsbericht
Lastentransportversicherungen
nachgefragt, recht häufig auch die
obligatorischen Reiseversicherungen (siehe unten). Esicuba „operiert
in allen Versicherungsbereichen,
mit Ausnahme von Leben, Kfz und
Landwirtschaft“. Darum kümmert
sich Esen, gegründet 1978. Bei Esen
können Kubaner sich auch gegen
dauerhafte oder temporäre Invalidität versichern.
Positionen # 4 _ 2 0 1 5
SEGUROS? NO, GRACIAS.
Der kubanische Sozialismus hat es
sich zur Aufgabe gemacht, für alle
Eventualitäten vorzusorgen. Daher
würde jedes Versicherungsangebot,
das über das staatliche Sicherungsnetz hinausweist, im Prinzip auf
eine Lücke des Systems hinweisen
und wäre gewissermaßen eine Art
Systemkritik. Die Logik dahinter: Je
weniger Versicherungen nötig sind,
desto besser läuft scheinbar das
System. Daher versichern Kubaner
nichts und niemanden, wenn sie nicht
müssen, nicht einmal das eigene Auto.
Dafür müssen sie zwar jährlich die
Zulassung erneuern – und dafür auch
bezahlen –, aber eine Haftpflichtversicherung ist keineswegs obligatorisch. Solch ein Schutz ist nicht
einmal für Mietwagen verpflichtend.
Zugucken statt Mitfahren:
Biathletin Andrea Henkel
auf Heimatbesuch in der
Skihalle Oberhof.
SCHNEE
VON
GESTERN
Ihre Altersvorsorge lässt
die Biathlon-Olympiasiegerin ANDREA HENKEL
in Deutschland zurück
– um sie in Amerika
wieder aufzubauen.
Ein Gespräch über
Neuanfänge.
TEXT: JUDKA STRITTMATTER
FOTO: HAGEN WOLF
E
in sonniger Tag in Oberhof, Andrea Henkel kommt
pünktlich ins „Café Iglu“,
das zur hiesigen Skihalle
gehört. „Ich bin Andrea“,
sagt sie freundlich und
unaufgeregt – Sportlerin halt. Dass
diese zarte Person jahrelang so erfolgreich mit einem Gewehr rumhantiert hat, kann nur glauben, wer sie
selbst im Fernsehen oder an der Loipe
gesehen hat. Zwei Olympiasiege
hat die Biathletin eingefahren, acht
Mal Gold bei Weltmeisterschaften,
46 Weltcup-Triumphe. Letztes Jahr hat
sie Schluss gemacht mit der aktiven
Karriere, den US-Biathleten Tim Burke
geheiratet und seinen Namen angenommen. Sie zieht mit ihm in seine Heimat, nach Lake Placid. Wenn
jetzt die Biathlonsaison anläuft, wird
Andrea Henkel nicht mehr dabei sein.
Frau Henkel, Sie sind eine äußerst
beliebte Sportlerin, eine Mischung aus
nationalem Eigentum und Local Hero
für Thüringen. Und trotzdem kehren
Sie dem Sport und Deutschland den
Rücken. Verstehen das die Leute?
ANDREA HENKEL: Das hört sich so hart
an! Leider kann ich meinen Sport nicht
bis ins Rentenalter betreiben, außer-
»ICH WÄRE VIELLEICHT
AUCH EINE
GUTE SEKRETÄRIN
GEWORDEN. ABER
ICH MÖCHTE MICH
WEITER VIEL BEWEGEN
– UND WERDE JETZT
PERSONAL TRAINER.«
ANDREA HENKEL
Biathlon-Olympiasiegerin
dem bin ich ja nicht aus der Welt. Die
Leute um mich herum wissen, dass
ich meinen eigenen Kopf habe und
verstehen, warum ich nach Amerika
ziehe. Ich mache das ja nicht, um sie zu
ärgern. Außerdem: Es ist sehr schön in
meiner neuen Wahlheimat!
Aber auch sehr fremd, oder?
AH: Ich bin ja schon seit sieben Jahren
immer mal wieder in Lake Placid und
habe schon ein kleines Netzwerk dort,
mit dem ich mich wohl fühle.
Aber muss es denn wirklich so weit weg
sein?
AH: Meine Oma fragte auch: Muss es
denn unbedingt ein Amerikaner sein?
ständig bleiben. Ich wäre vielleicht
auch eine gute Sekretärin geworden,
aber ich möchte mich auch weiter viel
bewegen und mit Menschen arbeiten,
die mein Interesse für gesunde Ernährung und Bewegung teilen. Auf Englisch ist das natürlich noch mal eine
Extra-Herausforderung, und da habe
ich durchaus noch Potenzial nach oben!
Aber neulich habe ich meine Schwester
schon auf Englisch angeredet – vielleicht ein gutes Zeichen.
Kann man als Olympiasiegerin eigentlich mehr Geld von seiner Kundschaft
verlangen?
AH: Ich denke, ich kann nur so viel von
meinen Klienten verlangen, wie meine Arbeit wert ist. Meine Olympiasiege
machen mich aber sehr glaubwürdig,
wenn es um sportliches Training geht.
Außerdem brauche ich nicht so viel,
um glücklich zu sein, keine 15 Autos
vor der Tür. Schlecht soll es mir und
meinem Mann natürlich auch nicht ge-
hen. Wir wollen ein Haus bauen in Lake
Placid, und dort möchte ich auch mein
Personal-Training-Studio einrichten
sowie nutzbare Außenanlagen, um mit
meinen zukünftigen Klienten vor Ort
zu trainieren.
Müssen Sie überhaupt arbeiten oder
könnten Sie auch den ganzen Tag
Fliegenfischen gehen?
AH: Ich habe es nicht durchgerechnet,
ob ich bis ans Ende meines Lebens
durchkommen würde. Aber ich habe
natürlich gut gespart in all den Jahren
und könnte auch sicher die Füße eine
Weile ruhiger halten. Aber arbeiten –
das will ich für mich. Von 100 auf Null,
damit würde ich nicht zufrieden sein,
das weiß ich. Für den täglichen Bedarf
würde mein angelegtes Geld eventuell
reichen, aber ich will ja auch weiterhin
schöne Reisen machen, ein paar Mal
im Jahr nach Deutschland fliegen. Und
Kinder will ich auch haben.
Ist die Altersvorsorge dann überhaupt
noch ein Thema für Sie?
AH: Daran habe ich schon recht früh
gedacht. In Form von Lebensversicherungen, privater Rentenvorsorge oder
anderen Anlagen. Leider werde ich in
Deutschland einiges auflösen müssen,
weil ich sonst in den USA zusätzliche
Steuern darauf zahlen muss. Das hat
US-Präsident Obama eingeführt, um
das Geld der Einwohner im Land zu
halten. Ich werde also auch der deutschen Versicherungswirtschaft teilweise den Rücken kehren und mich
in Amerika für die Zukunft absichern
müssen. Bestimmte Entscheidungen
bedürfen gewisser Maßnahmen.
Nach all den Jahren des Trubels – wird
sich Lake Placid nicht seltsam still für
Sie anfühlen?
AH: Nun, ich freue mich drauf. Ich war
immer viel unterwegs durch den Sport,
jetzt möchte ich sesshaft werden. Natürlich werde ich es vermissen, dass
ich nicht mal eben zum Geburtstag
meiner Freunde und Familie um die
Ecke gehen kann. Aber was den Trubel
betrifft: Darauf kann ich verzichten. Ich
bin meinen Fans und allen, die an mich
geglaubt haben, unglaublich dankbar. So viele Jahre hatten sie mich im
Winter in ihrem Wohnzimmer. Aber
manchmal wurde es mir schon etwas
eng, wenn man mich immerzu in den
Arm nehmen wollte. Da kam ich mir
schon mal vor wie im Streichelzoo.
Positionen # 4 _ 2 0 1 5
Darauf konnte ich nur antworten: Die
deutschen Jungs haben ihre Chance
gehabt!
Ihr Mann hat in einem Interview gesagt,
er findet toll, wie Sie sich für Neues
begeistern können.
AH: Ja, das stimmt. Er hat mich auch
für sein großes Hobby begeistert, das
Fliegenfischen. Oder anders gesagt:
für Camping mit frisch gefangenem
Abendessen.
Sie wollen in den Staaten als Personal
Trainer arbeiten und machen derzeit
eine Fitnesstrainer-Ausbildung. Wie
kam diese Entscheidung zustande?
AH: Ich wollte nicht etwas komplett
Neues erlernen, dabei aber auch selbst-
SCHÜTZEN
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SCHÜTZEN
Positionen # 4 _ 2 0 1 5
Das Handy als Kamera: Versicherte schicken gern „Beweisfotos“ ein – oft noch
eines und noch eines, damit bloß kein Detail übersehen wird.
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SIEHE FOTOS
IM ANHANG
Versicherte dokumentieren echte und angebliche
Schadensfälle gern ausgiebig mit Fotos von ihren Handys.
Und die Schadenregulierer? Müssen sich das alles angucken.
E
ine der wichtigsten Reliquien der deutschen
Versicherungsbranche wird im Museum von
Borussia Dortmund ausgestellt. In einer Vitrine
des Borusseums liegt die legendäre Brille des
BVB-Meistertrainers Jürgen Klopp. Das Titanflex-Modell ging im Februar 2011 im wilden Jubel
über den 3:1-Sieg gegen den FC Bayern zu Bruch und wurde
nach dem Spiel zum Härtetest für die Schadenregulierer.
Gleich mehrere Betrüger reichten ein Foto der Brille bei
ihrer Versicherung ein, gaben Klopps Lesehilfe als ihre eigene aus und forderten Schadenersatz. Die Fotos hatten sie
aus dem Internet geladen.
Einige ziehen fremde Fotos aus dem Netz, andere zücken ihre Smartphones, um angebliche Schadensfälle zu
dokumentieren: Ein Betrüger kaufte in einem Internetauktionshaus für wenig Geld defekte Fahrradkomponenten. Ein
gebrochener Carbon-Rahmen, ein Satz beschädigter Laufräder, dazu Kleinteile wie Bremsen und Sattel mit einigen
Macken wurden zu einem vollständigen Fahrrad zusammengesetzt. Der Mann fotografierte sein Flickwerk, meldete
den Diebstahl seines angeblich hochpreisigen Zweirads und
machte einen Schaden von 5.000 Euro geltend. Die „Beweise“ von seiner Handykamera sendete er per E-Mail – siehe
Fotos im Anhang.
Das Handy, immer griffbereit
Laut Digitalverband Bitkom nutzen mehr als sechs von zehn
Bundesbürgern ab 14 Jahren ein Smartphone samt Kamera
und haben ihre Handys im Alltag fast immer griffbereit. Diese Verbreitung hat, im Guten wie im Schlechten, „große Auswirkungen auf die Schadenabwicklung“, heißt es etwa bei
der Debeka. Kaum ein Blechschaden, der nicht unverzüglich
und umfassend per Handykamera festgehalten wird. Sie ist
auch schnell bei der Hand, um bei einem
Einbruch beschädigte Fensterscheiben
und Möbel zu fotografieren, oder auch
die Notreparatur einer geborstenen
Wasserleitung.
Wer seine Versicherer so fix mit
Informationen versorgt, erwartet eine
schnelle Reaktion. Deshalb sichtet die
Debeka die Fotos umgehend und gibt mitunter bereits nach
einem Telefonat den Auftrag zum Beseitigen der Schäden,
sofern der Kostenvoranschlag – etwa von einer Kfz-Werkstatt – zum eingereichten Foto passt. Auch die Axa wertet
die Smartphone-Schnappschüsse positiv: „Sie ersparen
Besichtigungen und helfen bei der Aufklärung.“ Vorausgesetzt, die Fotos sind „aussagekräftig, das heißt, der Schaden
ist erkennbar und einer lokalen Örtlichkeit zuzuordnen“.
Geradezu dankbar sind Versicherer, wenn die Folgen
von schweren Unwettern, Hagelschlag oder Flutkatastrophen fotografisch dokumentiert werden. Da ein Gutachter
womöglich erst nach Tagen vorbeikommt, wird bei solchen
Kumulschäden die lückenlose Dokumentation fast wichtiger
als die sofortige Schadenmeldung.
Angst, in Terabytes an Bildern zu ertrinken, haben die
Regulierer nicht. Dann müsse eben die Speicherkapazität
angepasst werden, heißt es lakonisch bei der R+V Versicherung. Und: Bei jedem einzelnen Foto könnten die Regulierer
leicht nachvollziehen, ob es manipuliert worden ist.
So wenig überzeugend die Aussage eines Versicherten
ist, er hätte einen unerwarteten Schadenfall mangels Kamera nicht dokumentieren können – vertraglich ist er nicht
dazu verpflichtet. Manche Menschen benutzen ihr Handy ja
tatsächlich nur zum Telefonieren. Ratsam ist es aber, einen
entstandenen Schaden direkt vor Ort zu dokumentieren.
Positionen # 4 _ 2 0 1 5
SCHÜTZEN
TEXT: HELMUT MONKENBUSCH
REGELN
Zum Jahreswechsel greift das neue europäische
Aufsichtsregime Solvency II. Das sorgt für
viel Bürokratie, neue Strukturen und zwingt die
Versicherer, verstärkt darüber nachzudenken,
was sie tun – und was sie künftig besser lassen.
W
ie das Wetter in 35 Jahren
wird, weiß niemand. Trotzdem versuchen sich Klimaforscher daran, entscheidende Trends schon heute
zu erkennen. „Was ich hier
mache, ähnelt einer langfristigen Wettervorhersage“, sagt Nils Dennstedt, wobei er häufig sogar
80 Jahre in die Zukunft rechnet. Für besonders
verlässlich hält der Leiter der versicherungsmathematischen Abteilung der Provinzial NordWest
Lebensversicherung seine Prognosen nicht, wohl
aber für unverzichtbar: Solvency II will es so.
Positionen # 4 _ 2 0 1 5
Nonstop rechnen die Computer
Solvency II heißt die europaweit größte Reform
des Versicherungsaufsichtsrechts. Künftig muss
jedes Unternehmen einschätzen, ob es finanziell
ausreichend ausgestattet ist, um die Ansprüche
seiner Kunden zu bedienen. Dabei hat jeder Versicherer allgemeine, branchen- und unternehmensspezifische Risiken zu betrachten.
Für Lebensversicherer wie die Provinzial
NordWest heißt das: Sie müssen auf Basis demografischer Annahmen regelmäßig vorrechnen,
dass ihr Haus selbst extreme Ereignisse verkraften könnte, die statistisch nur alle 200 Jahre
auftreten. „Die Zahlen zu liefern, die die Aufsicht künftig interessieren, ist zunächst einmal
eine immense Rechenarbeit“, sagt Dennstedt.
24 Stunden liefen seine Computer nonstop, um
einmal vollständig durchzurechnen, ob das Haus
die neuen Solvenzkapitalanforderungen nach
Maßgabe aller möglichen Modellannahmen erfüllt. Dank neuer Computer geht das jetzt zwar
schneller, doch fertig ist Mathematiker Dennstedt mit den Berechnungen trotzdem so gut wie
nie: „Sobald unvorhergesehene Ereignisse dazu
kommen, wie derzeit die Diskussion um manipulierte Abgaswerte und deren Effekt auf die Kapitalmärkte, setzt man wieder neu an.“
Dabei ist Solvency II mehr als Technik und
Formeln und Bürokratie. Wenn ab 1. Januar 2016
nach mehr als acht Jahren eines zwischendurch
quälend langsamen Gesetzgebungsprozesses
endlich ein einheitliches europäisches Aufsichtsregime für die Branche gilt, beginnt tatsächlich eine neue Ära: für Produktentwickler, für
Kapitalanlagestrategen sowie für alle, die sich
zu kümmern haben um die Regeln und Praxis
guter Unternehmensführung, oder neudeutsch:
Governance und Compliance.
Solvency II wird die Praxis, Organisation und
Kultur vieler Unternehmen substanziell verändern, vermutet Götz Treber, Leiter der Abteilung
Risikomanagement beim Gesamtverband der
Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). „Solvency II schafft vor allem Transparenz über viele
Zusammenhänge, die bisher nicht so offensichtlich waren“, sagt Treber. „Doch was die einzelnen
Versicherer daraus machen, bleibt letztlich weiter ihre unternehmerische Entscheidung.“ Wobei
sich zeigt: Sobald es weniger um das Was geht
als um das Wie, sprießen aus einem juristischtechnischen Regelwerk auf einmal höchst
menschliche Fragestellungen.
Die Testphase läuft ab
Auf die etwa Monika Köstlin passende Antworten sucht. Die Vorstandsvorsitzende des Kieler
Rückversicherungsvereins muss nun eine Fülle
von Meldungen an die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) übermitteln, die
dem eigenen Geschäft nicht unmittelbar dienen.
Die menschliche hinter dieser technischen Herausforderung: Köstlins Leiterin des Rechnungswesens muss nun alle drei Monate zusätzlich
eine neu angeschaffte Software mit den Ergebnissen von Schadenabwicklungsdreiecken und
anderen Modellberechnungen füttern. „So eine
BaFin-Meldung ist nicht an einem Vormittag
ausgefüllt“, sagt Köstlin: „Wir können aber auch
niemanden nur für die Bedienung der Technik
beschäftigen.“ Also versucht sie, sich irgendwie mit Bordmitteln durch das Meldewesen zu
kämpfen. Einerseits fühlt Köstlin sich vor›
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ALLES BLEIBT
ANDERS
Positionen # 4 _ 2 0 1 5
MONIKA KÖSTLIN
blickt zuversichtlich in
die Zukunft, obwohl die
Regeln von Solvency II
der Vorstandsvorsitzenden des Kieler Rückversicherungsvereins
durchaus zusetzen.
Köstlin vertritt zudem
als geschäftsführender
Vorstand des Verbands
der Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit
160 Klein- und Kleinstversicherer.
REGELN
TEXT: OLAF WITTROCK
REGELN
Positionen # 4 _ 2 0 1 5
DIE DREI SÄULEN
VON SOLVENCY II
Säule I:
Versicherer müssen
über so viel Kapital
verfügen, dass sie
selbst extrem seltene
Negativereignisse, wie
Naturkatastrophen
oder Börsencrashs,
verkraften können. Wie
hoch die Kapitalausstattung sein muss, hängt
ab von den Risiken des
Geschäftsmodells und
der jeweiligen Kapitalanlagestrategie.
Säule II:
Versicherer müssen
gegenüber der Aufsicht
nachweisen, dass sie
über kompetentes Führungspersonal verfügen.
Säule III:
Solvency II ist zugleich Aufsichts- und
Frühwarnsystem. Damit
es funktioniert, müssen
Unternehmen über ihre
Finanzlage, Risiken und
wesentliche Geschäftsbereiche berichten –
und zwar nicht nur der
Aufsichtsbehörde,
sondern auch der
Öffentlichkeit.
bereitet auf den Stichtag 1. Januar, hat die Kieler
Rück doch an verschiedenen Testläufen der BaFin
teilgenommen. Andererseits hat sie bisher kaum
Rückmeldungen bekommen. Köstlin hat den Eindruck, als würden alle Beteiligten derzeit abwarten: Niemand will einen Fehler begehen, niemand
sich zu weit aus dem Fenster lehnen. „Wer weiß,
vielleicht wäre es besser, von Januar bis Mai eine
Urlaubssperre zu verhängen“, scherzt Köstlin.
Es liegt eine gewisse Bitterkeit in diesem Humor. Köstlin kennt in ihrer zweiten Tätigkeit als geschäftsführender Vorstand des Verbands der Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit die Nöte
von bundesweit rund 160 Klein- und Kleinstversicherern. Die sollen eigentlich vom Solvency-IIRegelwerk schonender behandelt werden, „doch
wurde bisher versäumt, diesen Grundsatz durch
konkretere Ausgestaltungen ausreichend mit Leben zu füllen“.
Kleinere Unternehmen wie die Kieler Rück
fühlen sich nicht nur bei manchen Berechnungsfragen – der „Säule I“ des neuen Regimes – allein
gelassen. Noch größere Unsicherheit herrscht bei
ihnen über das, was die Aufsicht unter „Säule II“
vorschreibt: nämlich einen Nachweis darüber,
dass das Führungspersonal in der Lage ist, mögliche Risiken zu kontrollieren.
Dabei gerät die Kieler Rück schnell an Grenzen. Köstlin muss vier Schlüsselfunktionen besetzen, die unabhängig voneinander operieren sollen. Sie braucht also getrenntes verantwortliches
Personal für Risikomanagement, für Compliance,
für Versicherungsmathematik und für die interne Revision. Ihr Problem: Bei der Kieler Rück arbeiten bloß acht Leute. Zwei hauptberuflich und
aufgrund der schlanken Struktur entsprechend
umfangreich operativ tätige Vorstände, ein ehrenamtlicher Vorstand und fünf weitere Angestellte,
von denen zwei überdies nur in Teilzeit beschäftigt sind. „Doppelte Kontrollinstanzen sind für
uns nur schwer darstellbar“, sagt Köstlin.
Woher die Kontrolleure nehmen?
Ihr Plan sieht nun so aus: Die Versicherungsmathematik leitet sie selbst, Risikomanagement
und Compliance werden bei einem Mitarbeiter
gekoppelt und die interne Revision wird ausgelagert – wobei der Ehrenamtler als Ausgliederungsbeauftragter fungiert. „Wir gehen davon aus,
dass diese Ausgestaltung auch bei der Aufsicht
auf Akzeptanz stoßen wird“, sagt Monika Köstlin zuversichtlich. Immerhin hat sie inzwischen
derart viele Protokolldokumentationen und Unternehmensleitlinien bei der Kieler Rück schriftlich fixiert, dass sie hofft, so den Solvency-IIAnsprüchen zu genügen.
»DIE GEWÜNSCHTEN
ZAHLEN ZU LIEFERN,
IST EINE IMMENSE
RECHENAUFGABE.«
NILS DENNSTEDT, PROVINZIAL NORDWEST
Dann gibt es noch die „Säule III“, das umfassende Meldewesen. „Für die Jahres- und Quartalsberichte sind jeweils Hunderte von Feldern auszufüllen“, sagt Sabine Pelzer, Leiterin des Risikomanagements bei der Deutschen Versicherungsund Rückversicherungs-AG (Darag). Die Darag hat
sich auf den Run-off von Schaden- und Unfallversicherern spezialisiert, übernimmt also deren inaktives Geschäft in die eigene Bilanz.
Auch für die Darag mit ihren immerhin
34 Mitarbeitern ist es schwierig, all die Ämter als
separate Einheiten zu schaffen, die sich die Aufsicht zur internen Kontrolle wünscht. Versicherungsmathematik und Risikomanagement etwa
sind im Alltag eng miteinander verzahnt. Die
Aufsicht interessiert sich auch dafür, wer diese
Aufgaben künftig wahrnimmt. Die Darag muss
daher die Qualifikation ihres Führungspersonals
nachweisen und melden, Lebenslauf und Führungszeugnis inklusive.
Als Spezialversicherer findet sich die Darag
zudem nicht in allen vormodellierten Standardansätzen wieder. Solvency II sieht in solchen Fällen eine entsprechende Würdigung des jeweiligen
Risikoprofils im ORSA (Own Risk and Solvency
Assessment) vor, was Pelzer durchaus begrüßt.
Zugleich merkt sie an, dass es teilweise aufwen-
Jetzt ist Pragmatismus gefragt
Daher passiere inhaltlich weit weniger als formal, sagt Immo Querner, Finanzvorstand des
drittgrößten deutschen Versicherungskonzerns Talanx. „In meinen Augen werden die
faktischen Auswirkungen von Solvency II auf
die Kapitalanlage von Versicherern vielfach
überschätzt“, sagt Querner. Was die Aufsicht
fordere, müsste die Branche sowieso aus eigenem unternehmerischen Interesse auch ohne
Regulierung umsetzen.
Solvency II zwingt die Branche, erstmals
Risiken mit der entsprechenden Kapitalausstattung zu verknüpfen. Sinkt also beispielsweise das Anlagevermögen durch sinkende
Aktienkurse oder Kreditausfälle, ohne dass
sich die Verbindlichkeiten entsprechend reduzieren, hat der Versicherer ein Problem, weil
sein Eigenkapital zunehmend angeknabbert
wird. „Das sind asymmetrische Risiken, die
Solvency II dem Grunde nach völlig richtig
artikuliert“, sagt Querner, „gerade da Versi-
NILS DENNSTEDT
(oben links) ist bei der Provinzial NordWest Lebensversicherung AG als Leiter
des Aktuariats auch für die
Umsetzung von Solvency II
zuständig.
IMMO QUERNER
(oben Mitte) ist Finanzvorstand des Versicherungskonzerns Talanx und
engagierter Unterstützer
der neuen Solvency-IIRegeln.
SABINE PELZER
(oben rechts) leitet als
Chief Risk Officer seit 2011
das Risikomanagement der
Deutschen Versicherungsund RückversicherungsAG (Darag).
cherungen aufgrund der Deckungszusagen
an ihre Kunden per se über einen hohen Verschuldungsgrad operieren.“
Das ist keine neue Erkenntnis. Versicherer hätten vielmehr auch schon früher gut daran getan, sagt Querner, derartige Risiken zu
beachten. Jeder Versicherer könne im Rahmen
der Solvency-II-Vorgaben auch weiterhin so
handeln wie er wolle. Die Unternehmen müssten nur die Risikokosten tragen und entsprechend viel Kapital dafür vorhalten.
„Allerdings haben Versicherer mit ihren
langfristigen Verbindlichkeiten auch klare
Vorteile“, erklärt Querner. Wer wie Talanx
das Kapital in Immobilien anlegt, in PrivateEquity-Fonds oder in Infrastrukturprojekte
wie Stromnetze oder Windparks, der muss
sich darauf einstellen, viele Jahre in den Investitionen festzuhängen, also nur schwerlich
ohne Verluste an sein Geld zu kommen. Kein
Problem, sagt Querner, „wir wissen ziemlich
genau, wann wir das Geld wieder brauchen.“
Begrenzte Risiken
Diversifikation ist ein weiteres Instrument,
um Risiken zu begrenzen, ganz im Einklang
mit Solvency II. Talanx hat in den vergangenen Jahren die Zahl seiner Vertragspartner
für Kreditgeschäfte auf mehr als 800 vervierfacht. Das reduziere die Ausfallwahrscheinlichkeit deutlich, sagt Finanzvorstand
Querner. Ergebnis: „Vieles von dem, was wir
heute in der Anlagestrategie aus Eigeninteresse bereits umsetzen, entspricht auch dem,
was Solvency II fordert.“
Wenn es bloß überall so einfach wäre.
Positionen # 4 _ 2 0 1 5
dig sei zu erklären, wo die Standardformel
passt und wo nicht. So sinnvoll der Einsatz
mathematischer Modelle auch ist, die Darag
setzt bewusst auf den Einsatz von Experten
und deren Einschätzungen.
Dabei erweist sich Solvency II, wenngleich von Juristen verfasst, grundsätzlich
als geschmeidig. Die Versicherer sollen sich
an die Prinzipien halten und sich nicht sklavisch an Paragrafen entlanghangeln. Das ist
eine in ihrem Pragmatismus völlig neue Herangehensweise – gerade für das deutsche
Aufsichtsrecht.
REGELN
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REGELN
Positionen # 4 _ 2 0 1 5
»WIR SIND
HART,
ABER FAIR«
Die europäische Versicherungsaufsicht
Eiopa sorgt dafür, dass Solvency II ab
1. Januar 2016 umgesetzt wird. Behördenchef
GABRIEL BERNARDINO schaut Kontrolleuren
der einzelnen Länder genau auf die Finger.
INTERVIEW: MICHAEL PRELLBERG
4 4 / 45
Positionen # 4 _ 2 0 1 5
REGELN
H
err Bernardino, von Neujahr an
gang ins Regelwerk gefunden. Letztlich funktiogreift Solvency II. Auftrag erleniert die Balance, deshalb: Ja, Solvency II ist fair.
digt! Lehnen Sie sich entspannt
Obwohl das Regelwerk Staatsanleihen als superzurück?
sicher einschätzt und Unternehmensanleihen als
riskant? Der Markt sieht das anders. Und Solvency
GABRIEL BERNARDINO: Im Gegenteil. Dieser Tag
II will doch den Markt abbilden …
markiert das Ende einer langen Reise – und den
Auftakt zu einer neuen. In den vergangenen 15
GB: Das stimmt, da werden wir nachbessern. Allerdings werden Staatsanleihen bereits jetzt imJahren haben wir ein schlüssiges abgestimmtes Aufsichtsregime entwickelt; wahrscheinlich
mer mit ihrem aktuellen Wert berücksichtigt – da
brauchen wir weitere zehn Jahre, bis es umfassind wir nahe am Markt.
Einige Versicherer gelten als „too big to fail“, was
send implementiert ist und ein echter europaweiihnen hohe Kapitalreserven abfordert. Wie legititer Markt entsteht.
mieren Sie diesen Aufschlag?
Warum wird diese Reise so lange dauern?
GB: Die nationalen Aufsichtsbehörden müssen
GB: Auf Versicherungsseite steigen wir erst jetzt
durch ihre Aufsicht dafür sorgen, dass jedes Unin die Debatte um „systemische Risiken“ ein. In
ternehmen das Regelwerk wirklich beherzigt.
der Finanzkrise 2008/09 haben wir gelernt, dass
ein Versicherer wie AIG entscheidende EntwickUnd Eiopa hat dafür zu sorgen, dass die Behörden
ihrer Aufgabe nachkommen. Noch ist Solvency II
lungen innerhalb des Finanzsystems vorantreiein Regelwerk – es wird Jahre brauchen, bis es
ben kann. Das können wir nicht ignorieren. Seitdem versuchen wir herauszuarbeiten, wann und
selbstverständliche und gelebte Praxis ist. Dieser
Prozess startet 2016.
warum ein Unternehmen das System ins Wanken
Ist das nicht zu spät?
bringen kann. Ein erstes Ergebnis: Es kommt auf
GB: Den strategischen Schwenk vom Regelwerk
die Art der Aktivitäten an. Wenn ein Versicherer beispielsweise stark in Derivate investiert
zur Aufsicht haben wir bereits 2014 gestartet,
weil uns bewusst war, dass
hat, kann das massive Auswirkungen auf das gesamte
es jede Menge Fragen geben
würde. Es gibt zwar Kritik
System haben. Wer solche
an Zahl und Umfang unseRisiken heraufbeschwört,
sollte auch das Geld dafür
rer Richtlinien, aber: Genau
dort finden sich die Antworzurücklegen.
Was passiert, wenn der erste
ten auf die meisten Fragen.
Versicherer aufgibt und er
Sollte irgendetwas noch
das Übermaß an Bürokratie
nicht stimmig sein, klären
und Kontrolle dafür verantwir das auf dem Weg. Wir
wortlich macht?
wollen einen europäischen
Markt, in dem alle UnterGB: Wenn ein Versicherer
Mann mit Übersicht:
scheitert, liegt das niemals
nehmen gleich behandelt
Der Portugiese Gabriel Bernardino führt
an Solvency II – oder irwerden und nach denselben
die Eiopa seit 2011.
Regeln spielen. Haben wir
gendeinem anderen Regelwerk. Momentan gibt es zwei Gründe, warum
dieses Ziel erreicht? Offen gesagt: Nein.
Werden wir dieses Ziel denn je erreichen?
ein Unternehmen untergehen kann: das eigene
GB: Ich bin zuversichtlich. Solvency II legt die
Geschäftsmodell und das niedrige Zinsniveau.
Basis, jetzt sind die einzelnen Länder gefordert.
Solvency II hilft, kann aber Firmenpleiten nicht
In denen sich nicht nur das Verständnis von Aufvermeiden. Es setzt die richtigen Anreize, denn
sicht unterscheidet, sondern auch Geschäftsmoes sorgt dafür, die Versprechen von Versicherern
delle. Wie kann Solvency II allen gerecht werden?
besser einschätzen zu können.
Zehn Jahre soll die neue Reise dauern. Wo wird die
GB: Mit Solvency II hat es so lange gedauert, weil
Assekuranz stehen, wenn sie endet?
wir allen gerecht werden wollen – nicht zuletzt
den deutschen Lebensversicherern und ihren
GB: Man kann nicht dieselben Produkte auf dieLangfristgarantien. Unsere Aufsicht muss stark
selbe Art und Weise verkaufen, wenn sich die
und mitunter hart sein – aber fair.
Welt rasant ändert. Menschen nutzen heute ihr
Ist es fair, wenn kleineren Versicherern derselbe
Smartphone, um Versicherungen abzuschließen
bürokratische Aufwand wie den großen abgeforoder ihre Altersvorsorge zu planen – daher braudert wird und deutsche Lebensversicherer, die
chen die Versicherer neue Köpfe, die verstehen
mit dem niedrigen Zinsniveau kämpfen, alle drei
und umsetzen, was Kunden heute wollen. Dann
Monate ihre Kapitalreserven anpassen müssen?
wird sich die Assekuranz neu erfinden – und ich
GB: Wir wissen um diese Probleme, sie haben Einbin zuversichtlich, dass ihr das gelingen wird.
DIE JUGENDPILLE
Positionen # 4 _ 2 0 1 5
KOLUMNE
Was passiert, wenn ein Wirkstoff auf den Markt kommt,
der das Altern verlangsamt und die durchschnittliche Lebenserwartung um etwa 50 Jahre anhebt? Dramatisches.
S
tellen wir uns vor: Im Jahr 2020
bringt ein kalifornisches BiotechUnternehmen einen Wirkstoff auf
den Markt, der das Altern verlangsamt. Dank der Jugendpille können
Menschen nun ohne weiteres 130 Jahre alt
werden. Der Hersteller, Spitzname „Pill Gates“,
wird rasch zum reichsten Mann der Erde. Die
Verjüngung ist allerdings nicht rückwirkend
zu haben. Als die Jugendpille aufkommt, kann
ein 70-Jähriger seine verbleibende Lebenserwartung um gerade einmal drei Jahre verlängern. Ein 30-Jähriger kann bereits 30 Jahre
älter werden. Und ein Neugeborenes kann die
neue Lebenslänge voll ausschöpfen.
Biologische Phasen wie Geschlechtsreife im zweiten oder weibliche Menopause
im sechsten Lebensjahrzehnt lässt der Wirkstoff unverändert. Die Menschen werden immer älter und sehen dabei immer jünger aus.
Wer ab 2020 die Jugendpille nimmt, kann 2090
– mit 80 Jahren – aussehen, wie man zuvor mit
40 ausgesehen hat. Es gibt auch keinen Grund
mehr, mit 30 Jahren besonnener zu werden.
Das Gefühl, jung zu sein, hält nun Jahrzehnte
länger an, einschließlich der damit verbundenen Risikofreude. In Europa findet die Sekte der „Authentisch Alternden“ Zulauf, eine
Gruppe von Pillenverweigerern.
Durch radikale Gesetzesänderungen
müssen die Rechtssysteme der sprunghaft
angestiegenen Lebenserwartung angepasst
werden – für jemanden, der 130 Jahre alt
werden kann, ist die herkömmliche Dauer
einer Haftstrafe wesentlich leichter zu verschmerzen. Das Aufschieben entwickelt sich
zu einer neuen Lebensphilosophie. Zunächst
überlagern die geburtenstarken Jahrgänge
der 1960er-Jahre, die ins Rentenalter drängen, die langsam spürbaren Auswirkungen der Jugendpille – die Gesellschaft wird
vehement älter. Um 2060 stoppt der seit
Peter Glaser
ist nicht nur bekennender
Technikfreund,
sondern auch Journalist
und Schriftsteller. Der
Gewinner des IngeborgBachmann-Preises
schreibt regelmäßig
Kolumnen, etwa für
„Technology Review“ –
und jetzt für „Positionen“.
einem Jahrhundert anhaltende Bevölkerungsschwund in den Industrienationen erstmals. Die Bevölkerungszahl erreicht wieder
den Stand von 2010.
Die Folgen der Jugendpille machen aus
Reformen Revolutionen. Wirtschaftszweige
wie Versicherungen und Banken, die ihre Geschäfte an einer nunmehr obsoleten Lebenserwartung ausgerichtet hatten, sehen sich
mit drastischen Umwälzungen konfrontiert.
Das Rentenalter wird jährlich um ein Jahr erhöht und 2059 drei Jahre lang bei 99 Jahren
angehalten; schließlich wird es auf 110 Jahre
festgelegt. Das Rentensystem wird vom Umlageverfahren wieder auf das vor der Rentenreform von 1957 betriebene Ansparsystem
umgestellt. Die Kosten der Systemumstellung führen zu Renteneinbußen von weit über
50 Prozent und einer Protestbewegung, die in
Aufständen einer transeuropäischen Rentnerguerilla gipfelt.
Da mit einem zwölfjährigen Schulbesuch
nicht mehr genug Wissen für die kommenden 110 Jahre zu vermitteln ist, wird das kaskadierte Bildungssystem eingeführt: 10 Jahre Unterricht, gefolgt von 20 Arbeitsjahren,
dann eine neuerliche Schulzeit etc. Statt eines
befürchteten Zerfalls der Generationensolidarität erweisen sich familiäre Bindungen als
erstaunlich stark. Da zunehmend vitale ältere
Familienmitglieder zur unentgeltlichen Kinderbetreuung zur Verfügung stehen, wird
auch das Kinderkriegen wieder attraktiv.
Im ersten Drittel des 22. Jahrhunderts erreichen die „Age Boomer“ die Grenzen ihrer
Lebenserwartung. Nach einem Jahrhundert,
in dem der Alterstod mancherorts zu einem
fast exotischen Ereignis geworden ist, setzt
ein massenhaftes Sterben ein.
Es sei denn, irgendwer erfindet bis dahin
die nächste Wunderpille. Aber das wäre dann
eine ganz andere Geschichte.
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EUROPA
OBENAUF
Europa ist der wichtigste Versicherungsmarkt der Welt – mit
den meisten Beitragseinnahmen und ausgezahlten Leistungen.
IM ZENTRUM DES GESCHEHENS
Anteile der Kontinente am weltweiten Beitragsaufkommen
VOM NEHMEN – UND VOM GEBEN
Beitragseinnahmen und ausgezahlte Leistungen in Europa (2014)
gesamte Beiträge
ausgezahlte Leistungen
1.169 Mrd. €
943 Mrd. €
Lebensversicherungsbeiträge
ausgezahlte
Lebensversicherungen
714 Mrd. €
630 Mrd. €
Beiträge für alle anderen
Versicherungen
ausgezahlte
Leistungen
455 Mrd. €
313 Mrd. €
Nordamerika 29%
35%
Europa
4%
Z A H L E N, B I T T E
Ozeanien
und Afrika
4%
JOBMOTOR ASSEKURANZ
Zahl der Versicherungsunternehmen
und ihrer Angestellten
WO FINDE ICH MEINEN
ANSPRECHPARTNER?
Vertrieb von Lebensversicherungen
im Ländervergleich
Deutschland
548
Europa
Unternehmen
(unter Bundesaufsicht)
4860
Türkei
WIE INVESTIEREN VERSICHERER
DAS GELD IHRER KUNDEN?
Das Portfolio der Assekuranz in Europa (2014)
Unternehmen
Frankreich
293.500
Angestellte bei
Versicherern und
Mittlerunternehmen
Deutschland
13,0 %
7,8 %
Investmentfonds
Beteiligungen
6,5 %
13,6 %
Aktien
Darlehen und
Hypotheken
Schweden
3,4 %
Immobilien
Bankassekuranz
1.000.000
Direktversicherer
Angestellte bei Versicherern
Vertreter
Makler
52,4 %
3,3 %
Andere
Anleihen
andere Vertriebswege
Quelle: „Insurance Europe – Key Facts“ (Insurance Europe, 2015); „Statistisches Jahrbuch“ (GDV, 2015)
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Herausgeber:
Gesamtverband der
Deutschen Versicherungswirtschaft e. V.
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28% Asien
DIE SCHÖNSTE
V E R S IC H E R U N G SSACHE
DER WELT
32
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MILLIONEN EURO
674 FLÜGE FÜR 674 TONNEN GOLD
NICHT IN FORT KNOX, SONDERN IN NEW YORK stapeln sich die Goldreserven der Deutschen Bundesbank. Nicht alle,
aber immerhin 674 Tonnen – und die kommen jetzt nach Hause, in 674 Flügen. Denn mehr als eine Tonne Gold pro
Flug sind nicht erlaubt. Nicht wegen des Gewichts, sondern wegen der Transportversicherer. 32 Millionen Euro
müssen sie der Bundesbank zahlen, falls die wertvolle Fracht auf dem Weg abhandenkommt. Die ersten Flüge aus
New York und Paris – wo ebenfalls Barren lagern – sind bereits in Frankfurt am Main eingetroffen, in fünf Jahren
soll der letzte Goldflieger landen. Mehr Details verrät die Bundesbank ungern – höchstens, wie das deutsche Gold
überhaupt nach New York gekommen ist. Mit Russenangst und Kaltem Krieg hat das nichts zu tun, die Wahrheit ist
prosaischer: Die Exporte der Wirtschaftswunderjahre brachten Deutschland jede Menge Dollars ein, die bei der
US-Zentralbank gegen Goldforderungen eingetauscht werden konnten. Seitdem liegen die Barren dort.