Elementare Beweismethoden

Elementare Beweismethoden
Christian Hensel
24.04.2015
Vortrag zum Thema „Elementare Beweismethoden“
im Rahmen des Proseminars „Mathematisches Problemlösen“
Inhaltsverzeichnis
1 Einführung und wichtige Begriffe
1
2 Direkter Beweis
2
3 Widerspruchsbeweis - indirekter Beweis
4
4 Vollständige Induktion
6
1 Einführung und wichtige Begriffe
Bevor die verschiedenen Beweismethoden dargestellt und an Hand von Beispielen erklärt
werden, möchte ich zunächst einige Definitionen erläutern. Somit kann im Folgenden die
Beweisführung besser verstanden werden.
• Ein Axiom ist die Grundlage aller Beweise auf einem Gebiet. Es handelt sich
um einen unbeweisbaren Satz. Beispielsweise wird im Dezimalzahlensystem ohne
Beweis hingenommen, dass 1 + 1 = 2 gilt.[1]
• Seien A und B zwei mathematische Aussagen, dann schreiben wir A ⇒ B, wenn
wir „aus A folgt B“ ausdrücken wollen. Dies bezeichnen wir als Implikation. [2,
S. 4]
• Gilt die Implikation in beide Richtungen, also A ⇒ B und B ⇒ A, so schreiben
wir auch A ⇔ B. Hier sprechen wir dann von Äquivalenz. [2, S. 4]
1
• Die Negation einer Aussage A wird mit ¬A bezeichnet und als „nicht A“ gesprochen. Hat A also den Wahrheitsgehalt w, so hat ¬A den Wahrheitsgehalt f und
umgekehrt. [2, S. 3]
Wann ist eine Behauptung bewiesen?
Sei {A1 , . . . , An } eine Menge von Axiomen und X eine Behauptung. Dann ist in der Mathematik die Behauptung X bewiesen, „wenn eine endliche Kette von logisch korrekten
Implikationen
{A1 , . . . , An } ⇒ B1 ⇒ · · · ⇒ Bm ⇒ X
[. . .] zu der Behauptung X führt“ [3, S. 7]. Anstatt einer Kette mit logisch korrekten
Implikationen sehen wir auch oft eine Kette von logisch äquivalenten Behauptungen.
X ⇔ C1 ⇔ · · · ⇔ Cm ⇔ {A1 , . . . , An }
(1)
Diese Kette beginnt mit einer Behauptung X und endet mit einer Menge {A1 , . . . , An }
von Axiomen. Die Kette (1) ist für die Beweisführung hinreichend, jedoch nicht notwendig, da für die Beweisführung lediglich die Implikation in der Richtung Axiome ⇒
Behauptung gebraucht werden. Wichtig bei einer Äquivalenzkette ist, dass es sich bei
allen Kettenelementen um Äquivalenzen handelt [3, S. 7]. Dies zeigt das folgende Beispiel1 .
2| ={z−2}
Behauptung X
22 = (−2)2
⇒
|{z}
⇔
4| {z
= 4}
(2)
Axiom
fehlende Äquivalenz
2 Direkter Beweis
Ein direkter Beweis liegt vor, wenn die Implikationskette übersichtlich ist und gut nachvollzogen werden kann. Weiter werden hierbei keine besonderen Techniken verwendet [3,
S. 7].
Beispiel 12
Wir wollen folgenden Satz aus der Analysis I Vorlesungen stückweise beweisen:
Seien (an )n∈N und (bn )n∈N zwei konvergente Folgen mit den Grenzwerten lim (an ) = a
n→∞
und lim (bn ) = b. Dann konvergiert auch die Folge (an + bn )n∈N .
n→∞
1
2
Entnommen aus [3, S. 7].
Beispiel und Definition entnommen aus [2, S. 113-117].
2
Zunächst sollten wir uns dazu die Definition der Folgenkonvergenz ins Gedächtnis rufen.
Sie lautet:
Eine Folge an heißt konvergent gegen a, falls gilt: Für alle > 0 existiert ein n0 ∈ N
mit der Eigenschaft |an − a| < für alle n ≥ n0 . Hierbei bezeichnet a den Grenzwert der
Folge.
Um zunächst einmal die Definition richtig verstehen zu können betrachten wir die Folge
(an )n∈N = 1− n1 . Diese Folge besitzt offensichtlich den Grenzwert a mit a = lim 1− n1 = 1
n→∞
und ist somit konvergent. Zur Veranschaulichung wählen wir = 0, 1 als Abstand zum
Grenzwert a.
1.2
(an )n∈N
1
0.8
0.6
0.4
(an )n∈N = 1 − n1
-Umgebung von a
-Umgebung von a
Grenzwert a
0.2
0
0
5
10
15
20
n
Abbildung 1: Veranschaulichung der Folgendefinition
Wir erkennen, dass n0 = 11 gilt. Für n ≥ n0 erhalten wir |an − a| < . Nun wollen wir
obigen Satz aber auch korrekt beweisen. Nach Voraussetzung existieren n1 , n2 ∈ N mit
|an − a| < ∀n ≥ n1 und |bn − b| < ∀n ≥ n2
2
2
Nun gilt für alle n ≥ max {n1 , n2 }
= + > |an − a| + |bn − b| ≥ |an − a + bn − b| = |an + bn − (a + b) |
2 2
Hierbei ist die erste Ungleichung nach Voraussetzung erfüllt. Die zweite Ungleichung
wird durch die Dreicksungleichung erfüllt. Hierbei handelt es sich um einen Satz aus
der Geometrie, der besagt, dass eine Dreiecksseite höchstens so lang wie die Summe
der beiden anderen Seiten ist. Wegen > |an + bn − (a + b) | ist die Summe zweier
konvergenten Folgen somit auch konvergent.
3
Beispiel 23
In einer Aufgabe soll gezeigt werden, dass (a + b)2 = a2 + 2ab + b2 gilt. Zunächst betrachten wir hier zwei Axiome A1 und A2 , nämlich das Distributivgesetz A1 , für das gilt:
(a + b) x = ax + bx und (a + b) y = ay + by, sowie das Kommutativgesetz A2 , für das
gilt: xy = yx. Damit erhalten wir folgende transparente Implikationskette
(a + b)2 = (a + b) (a + b) = |{z}
a (a + b) + |{z}
b (a + b)
| {z }
y1
x
2
y2
= a + ab
+ ba +b = a + 2ab + b2
| {z }
2
2
Axiom A2
Beispiel 34
Hier soll bewiesen werden, dass für x, y > 0 die Ungleichung
x+y
2
≥
√
xy ≥
2
1
+ y1
x
gilt.
Betrachten wir zunächst das Axiom A3 mit (−u)2 = u2 . Dann gilt z 2 ≥ 0 für alle reelle
√
√
Zahlen z. Mit z = x − y erhält man:
√
x−
√ 2
y ≥0
⇒
|{z}
√
x − 2 xy + y ≥ 0
⇒
√
x + y ≥ 2 xy
A1 , A2
⇒
x+y √
≥ xy
2
Die erste Ungleichung ist also gezeigt. Wir erhalten die zweite Ungleichung wie folgt:
√
2xy
2xy
xy = √ ≥
=
2 xy
x+y
1
x
2
+
1
y
3 Widerspruchsbeweis - indirekter Beweis
Bei einem Widerspruchsbeweis handelt es sich um „eine endliche Kette von logisch korrekten Implikationen
X ⇒ B1 ⇒ · · · ⇒ Bm ⇒ W = A,
(3)
an deren Anfang die Negation eine Behauptung X steht und am Ende ein Widerspruch,
also die Negation A eines Axioms“ [3, S. 9].
Hierbei ist zu beachten, dass entweder die Aussage X oder die Aussage X richtig sein
muss. Außerdem muss X die vollständige Negation der Aussage X sein. Eine Teilnegation
ist nicht möglich.[3, S. 10]
3
Entnommen
Entnommen
5
Entnommen
6
Entnommen
4
aus
aus
aus
aus
[3,
[3,
[3,
[3,
S.
S.
S.
S.
7].
8].
10].
10].
4
Tabelle 1: Verschiedene Beispiele6 zu richtigen und falschen Negationen
Behauptung X
richtige Negation
falsche Negation
Alle Schafe sind schwarz
Jede Zahl ist gerade
A. hat einen Sohn
ii ist rational
Nicht alle Schafe sind schwarz
Nicht jede Zahl ist gerade
A. hat keinen Sohn
ii ist nicht rational
Alle Schafe sind nicht schwarz
Jede Zahl ist ungerade
A. hat eine Tochter
ii ist irrational
Beispiel 47
Die Behauptung X = „Es gibt unendliche viele Primzahlen“ kann mit einem Widerspruchsbeweis gezeigt werden. Die Negation dieser Behauptung lautet X = „Es gibt
endlich viele Primzahlen“. Angenommen X sei richtig und J sei die endliche Anzahl aller Primzahlen. Wir listen alle Primzahlen8 p1 = 2, p2 = 3, . . . , pJ , aufsteigend auf und
bilden deren Produkt:
N=
J
Y
pk = p1 · p2 · . . . · pJ
k=1
N ist durch alle Primzahlen teilbar. Somit ist N + 1 durch keine Primzahl teilbar
und somit selbst eine Primzahl. Diese Primzahl fehlt aber in der obigen Liste, da
N + 1 > N ≥ pJ gilt. Da wir aber angenommen haben, dass die obige Liste alle Primzahlen enthält, liegt ein Widerspruch vor. Also ist X falsch und daher X richtig.
Beispiel 59
Gegeben seinen drei irrationale Zahlen. Jetzt wollen wir die Behauptung X = „Unter
diesen drei Zahlen gibt es zwei, deren Summe ebenfalls irrational ist“ mit einem Widerspruchsbeweis beweisen. Dazu betrachten wir zunächst die Negation X = „Unter den
drei irrationalen Zahlen gibt es keine zwei, deren Summe irrational ist“. Anders ausgedrückt haben also je zwei von unseren drei Zahlen eine rationale Summe. Bezeichnen wir
nun unsere irrationalen Zahlen mit x, y und z, dann sind also die Summen a = y + z,
b = z + x und c = x + y alle rational. Jetzt gilt aber
x=
(z + x) + (x + y) − (y + z)
b+c−a
=
2
2
Nach unserer Annahme sind die Zahlen a, b und c rational. Somit muss auch x rational
sein. Das ist aber ein Widerspruch zu unserer Voraussetzung, dass alle drei Zahlen x, y
und z irrational sind. Dieser Widerspruch impliziert, dass die ursprüngliche Behauptung
X richtig ist.
7
Entnommen aus [3, S. 10].
1 ist keine Primzahl.
9
Entnommen aus [3, S. 11].
8
5
4 Vollständige Induktion
„Viele Behauptungen Xn , die einen abzählbaren Parameter n ≥ n0 enthalten, etwa
Xn = »die Zahl n3 − 1 ist durch n − 1 teilbar«, lassen sich mit der Methode der vollständigen Induktion beweisen“ [3, S. 12]. Dabei werden in [3, S. 12] die drei verschiedenen Schritte dargestellt:
• Zunächst wird bewiesen, dass eine Behauptung X für n0 richtig ist. Hierbei sprechen wir vom Induktionsanfang.
• In einem zweiten Schritt nehmen wir an, dass für k ≥ n0 die Behauptung Xk
richtig sei. Wir sprechen dabei von der Induktionsvoraussetzung oder von der Induktionsannahme.
• Abschließend muss gezeigt werden, dass die Implikation Xk ⇒ Xk+1 richtig ist.
Wir sprechen vom Induktionsschritt.
Nach dem Induktionsprinzip ist dann Xn für jedes n ≥ n0 richtig.
Beispiel 610
Für die natürlichen Zahlen n ≥ 1 sei An die reelle n × n-Matrix mit den Einträgen
ai,j =


−1




1

j2





0
falls i = j − 1
falls i = j
falls i = j + 1
sonst
Nun wollen wir zeigen, dass det (An ) = n! gilt.
Betrachten wir zunächst die Matrix An . Dann gilt
1 −1 0
0
0
12 1 −1 0
0

 0 22
1 −1 0

.
..
.. ..
.
.
.
.
.
0
An = 





 ..
.
0
10
..
...
...
...
..
..
.
.
.
0 (n − 1)2
...
0
0
0
..
.










0


−1
1
Klausuraufgabe I.6 der Vorlesung Lineare Algebra I und II vom Frühjahr 2013.
6
Insbesondere erhalten wir
det (A1 ) = 1 = 1 = 1! und det (A2 ) =
1 −1
1 1
!
= 1 − (−1) = 2 = 2!
Somit ist der Induktionsanfang bewiesen. Wir können also voraussetzen (Induktionsannahme),
dass für ein gewisses n ∈ N die Aussagen
det (An-2 ) = (n − 2)! und det (An-1 ) = (n − 1)!
gelten. Für den Induktionsschritt entwickeln wir nach der letzten Zeile und erhalten
1 −1 0
0
0
12 1 −1 0
0

 0 22
1 −1 0

.
..
.. ..
.
.
.
.
0
det (An ) = − (n − 1)2 · det  .

...
...
...




 ..
.
..
0
0

0

.. 

.

 + 1 · det (An-1 ) .

0


0
.
..
.
1
0 (n − 2)2 1
...
0
Entwickeln wir die erste Determinante nun nach der letzten Spalte, so ergibt sich
1 −1 0
0
0
12 1 −1 0
0

 0 22
1 −1 0

.
.. ..
..
.
.
.
.
0
det (An ) = − (n − 1)2 · (−1) · det  .

...
...
...




 ..
.
..
0
.
..
0
0

0

.. 

.

 + det (An-1 ) .

0


0
.
1
0 (n − 3)2 1
...
|
{z
}
=An-2
Einsetzen der Induktionsvoraussetzung liefert also
det (An ) = (n − 1)2 · (n − 2)! + (n − 1)! = (n − 1) · (n − 1) · (n − 2)! + (n − 1)!
|
{z
=(n−1)!
}
= (n − 1)! · (n − 1) + (n − 1)! = (n − 1)! · ((n − 1) + 1)
= (n − 1)! · n = n!
Beispiel 711
Hier sollen wir die Summe Sn der ersten n ungeraden Zahlen berechnen. Offensichtlich
gilt S1 = 1, S2 = 4 und S3 = 9. Folglich wollen wir beweisen, dass Sn = n2 für jedes
11
Entnommen aus [3, S. 14].
7
natürliche n gilt und wenden die drei oben genannten Schritte an.
Induktionsanfang: S1 = 1 ist richtig.
Induktionsannahme: Es sei Sk = k 2 .
Induktionsschritt: Dann ist Sk+1 = Sk + (2k + 1) = k 2 + 2k + 1 = (k + 1)2 .
Somit ist die Formel Sn = n2 für n = k + 1 bewiesen.
Beispiel 812
Der Satz von Moivre bezieht sich auf komplexe Zahlen und besagt, dass für jede natürliche Zahl n und√jede reelle Zahl x die Beziehung (cos x + i sin x)n = cos nx + i sin nx gilt.
Dabei ist i = −1 die imaginäre Einheit. Diesen Satz wollen wir mittels vollständiger
Induktion beweisen und wenden wieder die drei oben genannten Schritte an:
Induktionsanfang: Für n = 1 ist die Aussage offensichtlich richtig.
Induktionsannahme: Angenommen, der Satz von Moivre gelte für n = k. Es sei also
(cos x + i sin x)k = cos kx + i sin kx.
Induktionsschritt: Mit der Induktionsannahme und den trigonometrischen Additionstheoremen erhalten wir dann
(cos x + i sin x)k+1
= (cos x + i sin x)k (cos x + i sin x) = (cos kx + i sin kx) (cos x + i sin x)
= cos kx · cos x − sin kx · sin x + i sin kx · cos x + i cos kx · sin x
= cos (kx + x) + i sin (kx + x)
= cos ((k + 1) x) + i sin ((k + 1) x)
Somit ist die Formel für n = k + 1 bewiesen.
Beispiel 913
Das Prinzip der vollständigen Induktion ist aber nicht immer anwendbar. Betrachten wir
1
1
1
beispielsweise die Behauptung Sn < 12 − n1 für Sn = 1·2
. Dann funk+ 2·3
+ · · · + (n−1)·n
tioniert der Induktionsschritt von n = k auf n = k + 1. Jedoch ist der Induktionsanfang
1
S1 = 1·2
< 21 − 11 offensichtlich falsch.
Literatur
[1] Rudolf Eisler and Joachim Ritter. Historisches Wörterbuch der Philosophie. Wiss.
Buchges, Darmstadt, lizenzausg., völlig neubearb. ausg. des "wörterbuchs der philosophischen begriffe" von rudolf eisler edition, 2004.
[2] Florian Modler and Martin Kreh. Tutorium Analysis 1 und Lineare Algebra 1: Mathematik von Studenten für Studenten erklärt und kommentiert. Springer Spektrum,
Berlin [u.a.], 3. aufl edition, 2014.
[3] Natalia Grinberg. Lösungsstrategien: Mathematik für Nachdenker. Deutsch, Frankfurt, M., 2. aufl edition, 2011.
12
13
Entnommen aus [3, S. 19].
Entnommen aus [3, S. 13].
8