Pränatales Zwillingsgespräch „Sag mal, glaubst du eigentlich an ein Leben nach der Geburt?“, fragt der eine Zwilling. „Ja, auf jeden Fall! Hier drinnen wachsen wir und werden groß und stark für das, was draußen an der frischen Luft kommen wird“, antwortet der andere Zwilling. „Ich glaube, das hast du eben erfunden!“ sagt der Erste. „Es kann kein Leben nach der Geburt geben – und wie soll denn ‚frische Luft‘ bitteschön aussehen?“ „So ganz genau weiß ich das auch nicht. Aber es wird sicher viel heller sein, wir werden das Licht sehen, und vielleicht werden wir auf unseren Füßen gehen und mit unserem Mund tolle Sachen essen?“ „Schon wieder dieser esoterische Licht-Schwachsinn! Und herumgehen, mit diesen schwachen Beinen, wie willst du damit herumgehen? Außerdem ist die Nabelschnur dafür viel zu kurz. Übrigens nährt uns die auch! Mit dem Mund essen, was für eine perverse Idee.“ „Doch, das geht ganz bestimmt. Es wird eben alles nur ein bisschen anders sein.“ „Du träumst wohl! Es ist doch noch nie einer zurückgekommen von ‚nach der Geburt‘. Mit der Geburt ist das Leben einfach zu Ende, punkt um! Man muss die Realitäten des Lebens einfach zur Kenntnis nehmen.“ „Ich gebe ja zu, dass keiner genau weiß, wie das Leben ‚nach der Geburt‘ aussehen wird. Aber ich weiß, dass wir dann Vater und Mutter begegnen werden und sie werden sicher für uns sorgen.“ „Vater und Mutter? Du glaubst doch wohl nicht an Eltern? Wo sollen denn DIE nun sein, bitteschön?“ „Ohne sie gäbe es uns gar nicht, und Mutter ist sowieso hier überall um uns herum, die ganze Zeit. Wir sind und leben in ihr und durch sie.“ „So ein Blödsinn! Von einer Mutter habe ICH noch nie etwas bemerkt, also gibt es sie auch nicht! Schluss damit!“ „Doch, manchmal, wenn wir ganz still sind, kannst du SIE leise singen hören. Oder spüren, wenn SIE unsere Welt von außen ganz sanft und liebevoll streichelt …“ (Aus: Roman Braun/Helmut Gawlas/Amanda Schmalz/Edgar Dauz: Die Coaching Fibel. Vom Ratgeber zum high Performance Coach. Wien: Linde 2004.) Noch einmal Guten Morgen, und herzlich willkommen in unserer Welt ‚nach der Geburt‘, die wir alle kennengelernt haben … … in einer Zeit, in der wir als Kinder aufgewachsen sind in der Obhut unserer Eltern, die wir hoffentlich haben erfahren können. Und viele von uns wissen auch um die Zeit, in der wir uns bemüht haben und weiter bemühen, unseren eigenen Kindern gute Eltern zu sein. Es ist uns nicht immer bewusst, dass wir als Lehrer und Schulleiterinnen für die Gestaltung unseres Verantwortungsbereichs in der Schule aus diesen unseren Erfahrungen sehr viel mitnehmen können. Unser Studientag heute mit dem Titel „Dialog der Stärke – die Neue Autorität in der schulischen Praxis“ knüpft an solche Erfahrungen an, die wir in verantwortlichen Positionen gemacht haben. Es ist noch nicht einmal drei Jahre her, dass der israelische Psychologe Haim Omer hier in Puchberg überzeugend dargestellt hat, wie es gerade in schwierigen Situationen wichtig und auch möglich ist, eine verantwortliche Elternschaft aufrecht zu erhalten, ohne Gewalt anzuwenden, sozusagen Stärke statt Macht zu demonstrieren. Seine Ideen sind auch in der Schule auf fruchtbaren Boden gefallen und haben viele Initiativen angestoßen. Auch wir vom neu gegründeten Beratungszentrum an der privaten Pädagogischen Hochschule Linz, das ich hier vertrete, waren begeistert und haben versucht, die Ideen der Neuen Autorität in die Schulen hineinzutragen. Vor etwas mehr als einem Jahr hat hier an dieser Stelle Martin Lemme vor vollem Haus über professionelle pädagogische Präsenz gesprochen. Seither haben wir eine Reihe von Schulen in der Umsetzung dieser Ideen begleitet. In der Arbeit unseres Beratungsteams haben wir viel Engagement erlebt. Unsere Interviewpartner, die wir eingeladen haben, werden noch darüber berichten. Wir haben nunmehr in unserer Arbeit einen Punkt erreicht, an dem auch die Frage wichtig wird: Wo lässt sich die Neue Autorität in der Schulentwicklung verorten? Ich möchte zwei Anregungen dazu geben. 1) Ein systemisches Verständnis von Schulentwicklung zieht in der Erziehungsentwicklung eine Basis ein, auf der alle anderen Dimensionen der Schulentwicklung aufbauen. Es gibt zahllose Belege dafür, dass ein erfolgreich ausgeübter Erziehungsauftrag die Voraussetzung für erfolgreiches Unterrichten darstellt. Erziehungs- und Bildungsauftrag müssen miteinander verknüpft werden, um z.B. Unterrichtsstörungen möglichst vorzubeugen. Dazu sollten unterschiedliche Lösungsansätze genützt werden: Didaktischer Ansatz: Man versucht Unterricht so zu gestalten, dass möglichst viele Schüler motiviert werden mitzumachen und gleichzeitig mit dem Wissenserwerb soziale Kompetenzen erwerben. Erzieherische Maßnahmen: Regeln des sozialen Miteinanders sollen vereinbart und durchgesetzt werden. Beziehungsansatz: Die Lehrperson versucht eine gute Beziehung zu ihren Schüler/innen zu entwickeln. Für eine gute Arbeit an Schulen, sollte aus allen drei Lösungsversuchen (und wahrscheinlich noch aus anderen) handwerkliches Können hervorgehen, mit welchem Lehrkräfte selbstwirksam in den Unterricht hineingehen können. Es gibt einen Bereich der Pädagogik, der sich Organisationspädagogik nennt und im Wesentlichen auf Heinz Rosenbusch zurückgeht. Sie beschäftigt sich damit, wie sich die Bedingungen des Systems Schule auf einzelne oder Gruppen des Systems auswirkt, und umgekehrt, welchen Einfluss Einzelne oder Gruppen auf das Gesamtsystem haben. Beispielsweise untersucht die Organisationspädagogik, welche Einflüsse durch die Schulkultur auf die Unterrichtsarbeit des Lehrerkollegiums zu erwarten sind. Im Mittelpunkt der Überlegungen stehen Unterricht und Erziehung, also schulisches Lernen. Wenn es so ist, dass die Erfahrung und der handelnde Umgang mit sozialen Regeln und Werten in der Schule besonders erziehungswirksam sind, dann muss Schule als Institution ein Modell dafür sein, wozu sie erzieht. Das heißt, dass Schulleitungen angehalten sind, sich an vier Grundprämissen schulischer Erziehung zu orientieren. Schulleiterinnen sollen helfen, die Schule zu einer Institution zu entwickeln, …in der Mündigkeit erworben und respektiert wird, … in der die Anerkennung des Anderen und der eigenen Person erfahrbar ist, … in der Entscheidungen getroffen und verantwortet werden und … in der Kooperation als Handlungsmaxime und Kooperationsfähigkeit als Zielvorstellung vorherrschen. Das Konzept der Neuen Autorität bietet dafür einen gemeinsamen Rahmen, in den Lehrerinnen und Lehrer eingebunden sind und der es ihnen ermöglicht, alle am gleichen Strang zu ziehen. Die sieben Säulen der Neuen Autorität können helfen, eine überzeugende Schulkultur aufzubauen, in der die schulischen Strukturen im Dienste der Erziehungsziele stehen: die Schule also zu einem Modell dafür wird, wozu sie erzieht. Zwei Beispiele: Anerkennung als Führungsgrundsatz (in der Organisationspädagogik und in der Neuen Autorität eine zentrale Haltung): Eines der bedeutsamsten und entscheidendsten Merkmale einer guten Schule besteht in der Qualität des Umgangs miteinander, der größere oder geringere Grad gegenseitiger Anerkennung. Wie wird über Schülerinnen und Schüler gesprochen? Sind sie „schlechtes Schülermaterial“ oder handelt es sich um ernst zu nehmende junge Persönlichkeiten, mit denen man sich zu deren Vorteil auseinander setzt? Ähnliches gilt für den Umgang der Lehrpersonen untereinander und den Kommunikationsstil zwischen Schulleitung und Lehrpersonen: „Handelt es sich um eine einsichtige und faire Arbeitsteilung, gegenseitige Anerkennung in der jeweiligen Verantwortung, Vertrauen und Offenheit oder um ein eher unpersönliches, eher negatives Verhältnis, in dem man sich gegenseitig misstraut? Kooperation und Vernetzung: Viele beziehen sich auf das schöne afrikanische Sprichwort: „Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen.“ In traditionellen Dorfgemeinschaften kennen sich fast alle Leute persönlich, sie unterstützen und kontrollieren einander gegenseitig. In Schulen lassen sich vergleichbare Strukturen fördern, indem man über die Klassen hinaus zusammenarbeitet und so die Entstehung einer größeren Gemeinschaft unterstützt. Zum einen kommen Kinder so zu weit mehr sozialen Lernmöglichkeiten, als wenn sie sich während ihrer Schulzeit ausschließlich in der eigenen Klasse und in ihrem (manchmal kleinen) Freundeskreis auf dem Pausenplatz bewegen. Zum anderen sinkt der Gewaltpegel in Schulhäusern, wenn zwischen Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern sowie innerhalb der Schülerschaft mehr Kontakte bestehen. Zu den Gesichtern im Schulhaus gehören Namen, man grüßt sich, und in Krisensituationen akzeptieren Kinder oder Jugendliche besser, wenn eine bekannte Person eingreift. Eine einzelne Lehrperson kann die Verantwortung für alle ihre Schülerinnen und Schüler nicht allein tragen. Gemeinsame Abmachungen, Strategien und Maßnahmen sind das A und O, um Gewalt in der Schule zu bekämpfen. Die Leitfragen können lauten: Wie können wir gewährleisten, dass unsere Beziehung zu den Schülerinnen und Schülern so gestaltet ist, dass wir auch und gerade mit den als schwierig empfundenen oder gar gefährdeten Kindern und Jugendlichen in Kontakt bleiben? Wie können wir gewährleisten, dass wir uns unseren Schülern nicht einfach nur zumuten, sondern in der Art unserer Reaktion auch die Einsichten der systemisch-konstruktivistischen Kommunikationskonzepte berücksichtigen, also z.B. die zentrale Einsicht, dass wir nur unser eigenes Verhalten kontrollieren können, nicht das Verhalten unserer Schüler/innen. Um sich eine Methode wirklich anzueignen, muss man die zugrunde liegende Haltung verstehen und sich – am besten gemeinsam mit anderen – davon berühren lassen, sonst bleiben die Werkzeuge ohne zusammenhängende Wirkung. Das lehren uns sowohl die Organisationspädagogik als auch die Neue Autorität. Die Neue Autorität unterstützt Verantwortungsträger, also etwa Eltern, Lehrer und Schulleiterinnen und Schulleiter in der Erfüllung ihrer Führungsaufgabe gegenüber Menschen, für die sie in gewisser Weise verantwortlich sind, sie ist kein Medikament, das etwa verhaltensauffälligen Schülern direkt eingeflößt werden kann, ohne die Beziehung zu ihren Lehrerinnen und Lehrern sowie anderen Personen, die sozial verantwortlich handeln wollen, zu reflektieren. Es gilt hier das Wort Vaclav Havels: Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal, wie es ausgeht. Der zweite Ansatz zur Schulentwicklung verbindet die Neue Autorität mit einer integrierten Gesundheitsförderung als gezielte Qualitätsentwicklung und zwar mit der Salutogenese von Aaron Antonovsky; man könnte die Organisationspädagogik als Teil davon betrachten; beide Ansätze lassen sich miteinander verbinden. Die sichere Schule, die die Neue Autorität verwirklichen möchte, ist Teil einer gesunden guten Schule. Hauptbelastungen in Unterricht und Erziehung: Zunahme von schwierigen Schülerinnen und Schülern mit Verhaltensauffälligkeiten Zunahme von erzieherischen Aufgaben Schulunlust und Demotivierung Fehlende elterliche Unterstützung Zunahme der Heterogenität Lernschwierigkeiten Geringe Effizienz in der Unterrichtsplanung Hoher Lärmpegel Unklare Regelungen Enttäuschte Erwartungen Gute Schulen brauchen Lehrerinnen und Lehrer, die gesund bleiben. Wie stark die skizzierten Faktoren von einzelnen Lehrpersonen als belastend erlebt werden, hängt stark von subjektiven Wahrnehmungen und Deutungen ab. Eine Lehrperson erlebt vielleicht die Tatsache, dass Schülerinnen und Schüler in der Stunde nicht aufpassen, schnell als persönliche Kränkung, während eine andere dies einfach hinnimmt und zu verstehen sucht, wie die Lernenden die Lernsituation erlebt haben und was das mit dem Lehr- und Lernverhalten der Beteiligten zu tun hat. Stress- und Belastungserleben sind subjektiv. Und dennoch lässt sich nicht von der Hand weisen, dass eine wachsende Zahl von Lehrerinnen und Lehrern ihren beruflichen Alltag als zunehmend schwieriger empfinden. In einer Untersuchung aus Deutschland wurden Lehrkräfte befragt, wie belastend sie bestimmte Arbeitsbedingungen an ihrer Schule einschätzen. Immerhin 24% der Lehrkräfte fühlten sich danach auch durch die Schulleitung belastet, aber deutlich mehr, nämlich 52% empfanden sie als entlastend (22% weder/noch). In diesem Zusammenhang ist das Konzept der Salutogenese hilfreich. Es erforscht und untersucht die Prozesse, die Menschen gesund erhalten und die die Gesundheit fördern. Ausschlaggebend dafür ist eine Grundüberzeugung, die als Kohärenzgefühl bezeichnet wird. Das Kohärenzgefühl ist ein tief sitzendes Gefühl, dass man mit dem Leben schon klar kommt, dass man es schon hinkriegen wird, auch wenn es schwierig wird. Je stärker ausgeprägt diese Überzeugung ist, umso mehr kann sich jemand auf den gesunden Pol hinbewegen. Das Kohärenzgefühl setzt sich aus drei Komponenten zusammen, die Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Bedeutsamkeit genannt werden: „Das SOC (Kohärenzgefühl) ist eine globale Orientierung, die ausdrückt, in welchem Ausmaß man ein durchdringendes, andauerndes und dennoch dynamisches Gefühl des Vertrauens hat, dass 1. die Stimuli, die sich im Verlauf des Lebens aus der inneren und äußeren Umgebung ergeben, strukturiert, vorhersehbar und erklärbar sind (Verstehbarkeit), 2. einem die Ressourcen zur Verfügung stehen, um den Anforderungen, die diese Stimuli stellen, zu begegnen (Handhabbarkeit); 3. die Anforderungen Herausforderungen sind, die Anstrengung und Engagement lohnen (Bedeutsamkeit).“ Die Steigerung des Kohärenzgefühls ist dadurch möglich, dass man lernt, Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Bedeutsamkeit im Alltag und in Belastungssituationen herzustellen. Unter salutogenem Leitungshandeln wird ein gesundheitsförderliches Leitungshandeln verstanden, das sich darauf konzentriert, Ressourcen zu stärken und Belastungen nachhaltig zu reduzieren. Schulleiter/innen können die Dimension der Verstehbarkeit fördern, indem sie Entwicklungsvorhaben verständlich darstellen und strukturiert vorgehen. Das Gefühl der Handhabbarkeit wird gesteigert, wenn Schulleiter/innen Unterstützungssysteme initiieren und selbst Unterstützung leisten. Die Bedeutsamkeit schließlich wird dadurch gestärkt, dass die Schule auf ein gemeinsames Ziel hinarbeitet und die Schulleitung eine glaubhafte und überzeugende Begründung dafür geben kann. Genau dazu kann die Neue Autorität beitragen. Die einzelnen Handlungsebenen der Neuen Autorität fördern die Stimmigkeit des Erlebens, stärken das Handlungsrepertoire und fokussieren die Energie auf das Wesentliche. So ergeben sich Ähnlichkeiten zwischen dem Kohärenzgefühl der Salutogenese und dem zentralen Erleben von Selbstverankerung und Präsenz in der Neuen Autorität. Haim Omer spricht davon, dass der Erfolg ein dreifaches Echo benötige: Wir brauchen es, weil wir die Notwendigkeit sehen und den Nutzen erkennen (Verstehbarkeit). Wir können es, weil es machbar und praxisnah ist (Handhabbarkeit). Wir wollen es, weil es moralisch in Ordnung ist (Bedeutsamkeit). Organisationspädagogik und Salutogenese – zwei Begriffe, die in die Schulentwicklung Eingang gefunden haben und sich als anschlussfähig für das Konzept der Neuen Autorität nach Haim Omer erweisen. Schließen möchte ich mit einer Geschichte Bert Hellingers, die eine Ahnung davon aufkommen lässt, dass wir möglicherweise auch unser eigenes Verhalten nicht immer selbst kontrollieren können und dass darin etwas Versöhnliches liegen kann (vielleicht auch deswegen, weil man sich nie sicher sein kann, ob man die Geschichte auch wirklich versteht.) Jemand fragte einen alten Lehrer: „Wie machst denn du das, wenn du andern hilfst? Oft kommen zu Dir Leute und fragen Dich um Rat in Dingen, von denen Du nur wenig weißt. Doch nachher geht es ihnen besser.“ Der Lehrer gab zur Antwort: „Nicht am Wissen liegt es, wenn einer auf dem Wege stehenbleibt und nicht mehr weiter will. Denn er sucht Sicherheit, wo Mut verlangt wird, und Freiheit, wo das Richtige ihm keine Wahl mehr lässt. Und so dreht er sich im Kreis. Der Lehrer aber widersteht dem Vorwand und dem Schein. Er sucht die Mitte, und dort gesammelt wartet er – wie einer, der die Segel ausspannt vor den Wind - , ob ihn vielleicht ein Wort erreicht, das wirkt. Wenn dann der andere zu ihm kommt, findet er ihn dort, wohin er selber muss, und die Antwort ist für beide. Beide sind Hörer.“ Und er fügt hinzu: „Die Mitte fühlt sich leicht an.“ ************************************* Abschlussgeschichte: Brief einer Tochter Liebe Mutti, lieber Papa! Ich bin etwas schreibfaul geworden, seit ich zum Studium von zu Hause weggegangen bin, und es tut mir Leid, dass ich nicht schon früher mal geschrieben habe. Ich werde euch jetzt auf den neuesten Stand bringen, aber ehe ihr weiterlest, setzt euch bitte erst einmal hin. Lest erst weiter, wenn ihr euch gesetzt habt, okay? Also dann: Mittlerweile geht es mir eigentlich schon wieder ganz gut. Der Schädelbruch und die Gehirnerschütterung, die ich mir zugezogen hatte, als ich aus dem Fenster gesprungen war, nachdem im Wohnheim kurz nach meiner Ankunft ein Feuer ausgebrochen war, sind schon ganz gut verheilt. Ich war nur zwei Wochen im Krankenhaus und jetzt kann ich schon fast wieder normal sehen und bekomme nur noch einmal am Tag diese elenden Kopfschmerzen. Zum Glück waren das Feuer im Wohnheim und mein Sprung von einem Tankwart von der Tankstelle nebenan beobachtet worden und er war es auch, der die Feuerwehr und den Krankenwagen rief. Er besuchte mich auch im Krankenhaus und weil ich ja wegen des Wohnheimbrands nicht wusste, wo ich hin sollte, war er so lieb, mir anzubieten, erst einmal in seiner Wohnung unterzukommen. Die ist eigentlich nur ein Kellerraum, aber irgendwo hat sie etwas. Er ist echt ein toller Typ und wir sind wahnsinnig verliebt und wollen heiraten. Das genaue Datum steht noch nicht fest, aber das Ganze soll noch über die Bühne gehen, ehe man mir meine Schwangerschaft ansieht. Ja, Mutti und Papa, ich bin schwanger, ich weiß, dass ihr euch darauf freut, Oma und Opa zu werden, und ich weiß, dass ihr das Baby von ganzem Herzen willkommen heißen werdet und dass es von euch genauso hingebungsvoll geliebt und gepflegt werden wird wie ich, als ich ein Kind war. Der Grund dafür, dass wir jetzt noch nicht heiraten, ist, dass mein Freund eine kleine Infektion hat, weswegen es Schwierigkeiten mit den Bluttests gibt, die für die Eheschließung verlangt werden, und ich mich dummerweise angesteckt habe. Ich weiß, dass ihr ihn mit offenen Armen in unsere Familie aufnehmen werdet. Er ist sehr nett und hat zwar keine abgeschlossene Ausbildung, aber große Pläne. Jetzt, wo ich euch auf den neuesten Stand gebracht habe, möchte ich euch mitteilen, dass es keinen Brand im Wohnheim gab, ich keine Gehirnerschütterung hatte, nicht im Krankenhaus war, nicht schwanger bin, nicht verlobt, nicht infiziert und dass es keinen Freund gibt. Allerdings habe ich eine Vier in Geschichte und eine Sechs in Chemie und ich will, dass ihr diese Zensuren im richtigen Verhältnis seht. Liebe Grüße von eurer Tochter Sharon (Aus: Robert B. Cialdini: Die Psychologie des Überzeugens. Ein Lehrbuch für alle, die ihren Mitmenschen und sich selbst auf die Schliche kommen sollen. Bern: Hans Huber 2002. S.37.)
© Copyright 2024 ExpyDoc