Auf Kosten des Steuerzahlers

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7. Dez. 2015, 17:42
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Die Welt
05.12.15
Ein Untersuchungsausschuss soll die Hintergründe dubioser Aktiendeals
aufklären Von Martin Greive, Anne Kunz
Es ist vielleicht der größte Steuerskandal in der Geschichte der Bundesrepublik. Banken und
Investmentfonds haben den Staat im vergangenen Jahrzehnt um mehrere Milliarden geprellt.
Mithilfe von Finanztricks kam es wohl zur Mehrfacherstattung von Kapitalertragsteuer,
obwohl diese nur einmal angefallen war. Staatsanwaltschaften und Steuerbehörden gehen
derzeit bundesweit Hunderten Verdachtsfällen nach. Experten schätzen den Schaden für den
Steuerzahler auf bis zu zwölf Milliarden Euro.
Das Bundesfinanzministerium wurde zwar schon 2002 vor diesen dubiosen Aktiendeals – im
Fachjargon "cum-ex" genannt – gewarnt. Doch es dauerte geschlagene zehn Jahre, bis
2012, bevor das Steuerschlupfloch geschlossen war. Warum der Staat so lange brauchte,
wollen Grüne und Linkspartei nun von einem Bundestags-Untersuchungsausschuss
aufklären lassen. Am Freitag fand im Parlament die erste Lesung zur Einsetzung eines
Expertengremiums statt. Doch ob ein solches Gremium zu mehr Aufklärung beitragen kann,
ist heftig umstritten.
Vorangetrieben hat den Untersuchungsausschuss der grüne Finanzexperte Gerhard Schick.
Er hofft, dass ein Untersuchungsausschuss endlich mehr Licht ins Dunkel bringt. Schick
nennt die cum-ex-Geschäfte "einen Riesen-Skandal, bei dem Millionäre den kleinen Mann
abgezockt haben. Mir geht es bei dem Untersuchungsausschuss nicht um parteipolitische
Ränkespiele, sondern um strukturelle Fragen der Steuerpolitik", sagt Schick: "Denn
Betrügereien wie bei den cum-ex-Geschäften sind leider kein Einzelfall."
Beim Auftreten von Steuerschlupflöchern wiederhole sich ein immer wiederkehrendes
Muster, so Schick. "Es dauert immer viel zu lange, bis der Staat solche Geschäfte stoppt."
Jüngstes Beispiel seien Betrügereien bei Registrierkassen. Bereits 2003 habe der
Bundesrechnungshof davor gewarnt. Doch es dauere bis zum Jahr 2016, bis eine Regelung
gefunden sei. Auch andere Steuerschlupflöcher wie die Cash-GmbH, durch die
Familienunternehmen reichlich Steuern sparen konnten, wurden erst nach vielen Jahren
geschlossen.
Bei den cum-ex-Geschäften dauerte es sogar ein ganzes Jahrzehnt. Bereits 2002 warnte der
Bankverband den damaligen Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) vor dem Schlupfloch.
Doch Eichel tat nichts. Sein Nachfolger Peer Steinbrück (SPD) handelte zwar,
verschlimmerte die Sache aber noch. Bei einer Gesetzesänderung 2006 wies er in der
Begründung daraufhin, dass die Geschäfte über das Ausland weiterhin möglich seien.
Daraufhin nahm das Volumen der Deals sogar noch mal zu. Das handwerklich schlecht
gemachte Gesetz ist auch der Grund, warum Staat und Investoren bis heute darüber streiten,
ob die Deals rechtlich sauber gewesen sind oder nicht. Die Verteidiger der Investoren
argumentieren, der Gesetzgeber habe die Deals mit dem Hinweis im Gesetz legitimiert.
Erst Wolfgang Schäuble (CDU) schloss – nachdem auch er bereits drei Jahre im Amt war –
2012 das Schlupfloch. Der Untersuchungsausschuss dürfte sich daher mit drei zentralen
Fragen beschäftigen: Warum brauchte der Staat so lange, um das Schlupfloch zu schließen?
Warum hat die Finanzaufsicht Bafin nicht eingegriffen? Und wie konnte es dazu kommen,
dass selbst staatseigene Landesbanken wie die HSH Nordbank bei den Geschäften
mitmachten? Daneben dürfte es viel um das Kräfteverhältnis zwischen Finanzbehörden und
den Wirtschaftskanzleien gehen. Während ganze Bataillone hoch bezahlte Anwälte das
Steuersystem nach Schlupflöchern abzusuchen, sitzen demgegenüber in den
Finanzministerien nur ein Handvoll zuständige Beamte.
Ob ein Untersuchungsausschuss am Ende aber für mehr Aufklärung sorgt, bezweifelt
Heribert Anzinger, Steuerexperte von der Uni Ulm: "Der Auftrag des Ausschusses geht am
Kern des Problems vorbei". Dieser Kern des Problems liege jenseits der Einzelfälle in der
Qualität der Steuergesetze. "Cum-ex-Geschäfte und Dividendenstripping sind
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Auslegungsprobleme eines überkomplexen Kompromisses der
Kapitaleinkommenbesteuerung in Deutschland (Link: http://www.welt.de/themen/deutschland-reisen/) , den
der Gesetzgeber nicht mehr beherrscht. Dem Fragenkatalog fehlen die Fragen nach Wesen
und Bedeutung guter Steuergesetzgebungstechnik und möglichen Defiziten in der
Arbeitsweise des Finanzausschusses", sagt Anzinger.
Steuerexperte Marc Desens von der Universität Leipzig
(Link: http://www.welt.de/themen/leipzig-staedtereise/)
begrüßt das Vorhaben hingegen: "Der Fokus sollte
auf dem Punkt liegen, wie das Bundesfinanzministerium mit Lobbyverbänden wie dem
Bankenverband zusammenarbeitet."
Auch der Mannheimer Steuerprofessor Christoph Spengel meint: "Angesichts der im Raum
stehenden Summen ist es unbegreiflich, wieso nicht bereits früher rigoros gegen diese
fragwürdigen Aktiendeals vorgegangen wurde." Der Untersuchungsausschuss werde
hoffentlich das unglückliche Agieren des Bundesfinanzministeriums bei der
Gesetzesformulierung aufklären. Außerdem sei zu klären, warum der Gesetzgeber nichts
gegen das Dividendenstripping unternehme. "Hier geht es jährlich um einen hohen
einstelligen Milliardenbetrag, der dem Fiskus entgeht", moniert Spengel. Schick hofft, dass
durch den Untersuchungsausschuss der Kampf gegen noch offene Steuerschlupflöcher
beschleunigt werde. "Wenn dadurch auch nur eine Milliarde Euro mehr in der Staatskasse
bleibt, hat sich die Arbeit schon gelohnt."
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