Auf Kosten des Steuerzahlers - DIE WELT 1 von 2 http://www.welt.de/print/die_welt/finanzen/article149638748/Auf-Kos... 7. Dez. 2015, 17:42 Diesen Artikel finden Sie online unter http://www.welt.de/149638748 Die Welt 05.12.15 Ein Untersuchungsausschuss soll die Hintergründe dubioser Aktiendeals aufklären Von Martin Greive, Anne Kunz Es ist vielleicht der größte Steuerskandal in der Geschichte der Bundesrepublik. Banken und Investmentfonds haben den Staat im vergangenen Jahrzehnt um mehrere Milliarden geprellt. Mithilfe von Finanztricks kam es wohl zur Mehrfacherstattung von Kapitalertragsteuer, obwohl diese nur einmal angefallen war. Staatsanwaltschaften und Steuerbehörden gehen derzeit bundesweit Hunderten Verdachtsfällen nach. Experten schätzen den Schaden für den Steuerzahler auf bis zu zwölf Milliarden Euro. Das Bundesfinanzministerium wurde zwar schon 2002 vor diesen dubiosen Aktiendeals – im Fachjargon "cum-ex" genannt – gewarnt. Doch es dauerte geschlagene zehn Jahre, bis 2012, bevor das Steuerschlupfloch geschlossen war. Warum der Staat so lange brauchte, wollen Grüne und Linkspartei nun von einem Bundestags-Untersuchungsausschuss aufklären lassen. Am Freitag fand im Parlament die erste Lesung zur Einsetzung eines Expertengremiums statt. Doch ob ein solches Gremium zu mehr Aufklärung beitragen kann, ist heftig umstritten. Vorangetrieben hat den Untersuchungsausschuss der grüne Finanzexperte Gerhard Schick. Er hofft, dass ein Untersuchungsausschuss endlich mehr Licht ins Dunkel bringt. Schick nennt die cum-ex-Geschäfte "einen Riesen-Skandal, bei dem Millionäre den kleinen Mann abgezockt haben. Mir geht es bei dem Untersuchungsausschuss nicht um parteipolitische Ränkespiele, sondern um strukturelle Fragen der Steuerpolitik", sagt Schick: "Denn Betrügereien wie bei den cum-ex-Geschäften sind leider kein Einzelfall." Beim Auftreten von Steuerschlupflöchern wiederhole sich ein immer wiederkehrendes Muster, so Schick. "Es dauert immer viel zu lange, bis der Staat solche Geschäfte stoppt." Jüngstes Beispiel seien Betrügereien bei Registrierkassen. Bereits 2003 habe der Bundesrechnungshof davor gewarnt. Doch es dauere bis zum Jahr 2016, bis eine Regelung gefunden sei. Auch andere Steuerschlupflöcher wie die Cash-GmbH, durch die Familienunternehmen reichlich Steuern sparen konnten, wurden erst nach vielen Jahren geschlossen. Bei den cum-ex-Geschäften dauerte es sogar ein ganzes Jahrzehnt. Bereits 2002 warnte der Bankverband den damaligen Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) vor dem Schlupfloch. Doch Eichel tat nichts. Sein Nachfolger Peer Steinbrück (SPD) handelte zwar, verschlimmerte die Sache aber noch. Bei einer Gesetzesänderung 2006 wies er in der Begründung daraufhin, dass die Geschäfte über das Ausland weiterhin möglich seien. Daraufhin nahm das Volumen der Deals sogar noch mal zu. Das handwerklich schlecht gemachte Gesetz ist auch der Grund, warum Staat und Investoren bis heute darüber streiten, ob die Deals rechtlich sauber gewesen sind oder nicht. Die Verteidiger der Investoren argumentieren, der Gesetzgeber habe die Deals mit dem Hinweis im Gesetz legitimiert. Erst Wolfgang Schäuble (CDU) schloss – nachdem auch er bereits drei Jahre im Amt war – 2012 das Schlupfloch. Der Untersuchungsausschuss dürfte sich daher mit drei zentralen Fragen beschäftigen: Warum brauchte der Staat so lange, um das Schlupfloch zu schließen? Warum hat die Finanzaufsicht Bafin nicht eingegriffen? Und wie konnte es dazu kommen, dass selbst staatseigene Landesbanken wie die HSH Nordbank bei den Geschäften mitmachten? Daneben dürfte es viel um das Kräfteverhältnis zwischen Finanzbehörden und den Wirtschaftskanzleien gehen. Während ganze Bataillone hoch bezahlte Anwälte das Steuersystem nach Schlupflöchern abzusuchen, sitzen demgegenüber in den Finanzministerien nur ein Handvoll zuständige Beamte. Ob ein Untersuchungsausschuss am Ende aber für mehr Aufklärung sorgt, bezweifelt Heribert Anzinger, Steuerexperte von der Uni Ulm: "Der Auftrag des Ausschusses geht am Kern des Problems vorbei". Dieser Kern des Problems liege jenseits der Einzelfälle in der Qualität der Steuergesetze. "Cum-ex-Geschäfte und Dividendenstripping sind 07.12.2015 17:42 Auf Kosten des Steuerzahlers - DIE WELT 2 von 2 http://www.welt.de/print/die_welt/finanzen/article149638748/Auf-Kos... Auslegungsprobleme eines überkomplexen Kompromisses der Kapitaleinkommenbesteuerung in Deutschland (Link: http://www.welt.de/themen/deutschland-reisen/) , den der Gesetzgeber nicht mehr beherrscht. Dem Fragenkatalog fehlen die Fragen nach Wesen und Bedeutung guter Steuergesetzgebungstechnik und möglichen Defiziten in der Arbeitsweise des Finanzausschusses", sagt Anzinger. Steuerexperte Marc Desens von der Universität Leipzig (Link: http://www.welt.de/themen/leipzig-staedtereise/) begrüßt das Vorhaben hingegen: "Der Fokus sollte auf dem Punkt liegen, wie das Bundesfinanzministerium mit Lobbyverbänden wie dem Bankenverband zusammenarbeitet." Auch der Mannheimer Steuerprofessor Christoph Spengel meint: "Angesichts der im Raum stehenden Summen ist es unbegreiflich, wieso nicht bereits früher rigoros gegen diese fragwürdigen Aktiendeals vorgegangen wurde." Der Untersuchungsausschuss werde hoffentlich das unglückliche Agieren des Bundesfinanzministeriums bei der Gesetzesformulierung aufklären. Außerdem sei zu klären, warum der Gesetzgeber nichts gegen das Dividendenstripping unternehme. "Hier geht es jährlich um einen hohen einstelligen Milliardenbetrag, der dem Fiskus entgeht", moniert Spengel. Schick hofft, dass durch den Untersuchungsausschuss der Kampf gegen noch offene Steuerschlupflöcher beschleunigt werde. "Wenn dadurch auch nur eine Milliarde Euro mehr in der Staatskasse bleibt, hat sich die Arbeit schon gelohnt." © WeltN24 GmbH 2015. Alle Rechte vorbehalten 07.12.2015 17:42
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