Geringe Wachstumseffekte durch Flüchtlingsmigration

IKB-Kapitalmarkt-News – Geringe Wachstumseffekte durch
Flüchtlingsmigration – eine Prognose für 2016
13. Oktober 2015
Dr. Klaus Bauknecht
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Einige Volkswirte verweisen zunehmend auf die positiven Wachstumseffekte, die der Zuzug von Flüchtlingen mit sich bringen
könnte. So wird bereits für 2016 mit einem höheren Wachstum gerechnet. Bei der Einschätzung möglicher
Wachstumspotenziale muss jedoch grundsätzlich zwischen kurz-, mittel- und langfristigen Effekten unterschieden werden.
Kurzfristig ist der Einfluss primär auf der Nachfrageseite zu erkennen: eine steigende Bevölkerung hat einen höheren Konsum.
Mittelfristig könnte der höhere Bedarf an Wohnungen stimulierende Wirkung auf das BIP-Wachstum haben. Finanziert wird der
Bedarf entweder durch Eigenverdienst als Folge einer erfolgreichen Integration in den Arbeitsmarkt oder durch
Transferzahlungen des Staates. Auf Sicht gilt dies allerdings nur für die Flüchtlinge, die einen Anspruch auf Schutz haben.
Gemäß dem DIW wurden in den ersten sieben Monaten dieses Jahres etwa einem Drittel der Asylbewerber Schutz gewährt.
Allerdings zeigt sich bereits, dass diese Quote deutlich steigen wird. Nach dem Herbstgutachten lag sie im Durchschnitt bereits
bei 46 % für die Monate Juni bis August 2015. Für 2016 prognostizieren die Autoren einen Anstieg der Schutzquote auf bis zu
64 %. Dies liegt vor allem daran, dass sich die Struktur der Flüchtlinge verändert, und zunehmend Asylsuchende aus Syrien
und dem Irak nach Deutschland kommen werden. Laut dem DIW lagen von Januar bis Mai 2015 die Erfolgsaussichten, für
Flüchtlinge aus Syrien oder dem Irak Schutz zu bekommen, bei über 80 %, während sie für osteuropäische Länder wie
Serbien oder Kosovo gegen 0 % tendieren. Allerdings haben Menschen aus diesen Regionen zwischen Januar und Juli 2015
immer noch fast 50 % der Asylbewerber ausgemacht. Zwar betont die Mehrzahl der Flüchtlinge, dass sie wieder in ihr
Heimatland zurückkehren wollen; dies ist jedoch anhand der noch auf Jahre zu erwartenden Anreizstrukturen (Lebensstandard
in Syrien im Verhältnis zu Deutschland) doch eher unwahrscheinlich. Das Herbstgutachten geht von einem weiteren Zustrom
von 600.000 Menschen für 2016 aus.
Langfristig hängt der Einfluss der Flüchtlinge auf die Wirtschaft sehr stark von ihrer Integration in den deutschen Arbeitsmarkt
ab. Findet eine erfolgreiche Integration statt, heben die Zuwanderer das potenzielle Wachstum der deutschen Wirtschaft an.
Hier mag allerdings zuerst ein erhöhter Investitionsbedarf in Bildung und Integration bestehen, bevor sich dieser Effekt
materialisiert. Auch ist dies nicht das Ziel der Asylpolitik, wie es bei der Einwanderungspolitik der Fall ist; denn die Motivation
liegt nicht in der Sicherstellung bzw. Anhebung des Humankapitals, sondern in der Humanhilfe. So sind die langfristigen
Einflüsse auf das potenzielle Wachstum aus der aktuellen Politik bestenfalls als ein Nebenprodukt zu sehen.
Anhand der Erfahrungen aus der Vergangenheit über die Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen sollten die positiven
langfristigen Effekte nicht überbetont werden. Nach einer IAB-SOEP-Migrationsstichprobe liegt die Beschäftigungsquote in den
ersten 15 Jahren nach der Ankunft von Flüchtlingen deutlich unter der von anderen Zuwanderern. Nach 5 Jahren lag die
Erwerbsquote bei circa 50 %, nach 10 Jahren bei erst rund 60 %. Erst 15 Jahre nach dem Zuzug entspricht die
Beschäftigungsquote in etwa dem Niveau anderer Zuwanderer. So ist es nicht verwunderlich, dass gemäß dem DIW ein
großer Teil der Asylbewerber, die in den letzten Jahren in Deutschland Zuflucht gesucht haben, auch weiterhin auf
Sozialleistungen angewiesen sind. Doch findet eine langsame Integration nicht nur in den Arbeitsmarkt statt, sie scheint sich
vor allem im Billiglohnsektor zu vollziehen, was gegen eine erfolgreiche Entwicklung des Humankapitals spricht. Aktuell wird
deshalb der Mindestlohn eine erfolgreiche Integration weiter erschweren.
Die Diskussion über die Bedeutung des privaten Konsums als wichtigte Wachstumssäule hat sich vor allem in den letzten
Jahren verstärkt. Ein guter Arbeitsmarkt sowie solide reale Lohnsteigerungen haben die Konsumlaune angekurbelt und das
Wachstum gestützt. Der Beitrag des privaten Konsums zum BIP konnte allerdings nach dem deutlichen Rückgang zwischen
2005 und 2008 – als Folge von negativen realen Löhnen – noch nicht wieder das vorherige Niveau erreichen. So macht der
private Konsum schon seit Jahren rund 55 % des BIP aus. Durch den Einbruch des BIP in der Finanzkrise ist dieser Wert zwar
auf fast 59 % angestiegen, er konnte sich allerdings mit der erholenden Wirtschaft nicht auf diesem Niveau halten. So mag
zwar der private Konsum wachsen, er ist allerdings kein Wachstumstreiber. Denn hierfür müsste das Gewicht im BIP als Folge
eines höheren Wachstums ansteigen. Vielmehr ist der private Konsum aktuell eine stabile Wachstumssäule, ein
Wachstumstreiber aber eher nicht. Ein Grund hierfür mag darin liegen, dass trotz realer Lohnanstiege in den letzten Jahren der
Anteil der Arbeitnehmer am Volkseinkommen immer noch deutlich unter dem Niveau vor 2005 und damit vor der Phase der
negativen realen Löhne liegt. Zwischen 1991 und 2003 lag der Arbeitnehmeranteil bei rund 70 %. Dies hat sich als Folge der
Reformen auf unter 65 % reduziert. Seitdem steigt die Quote zwar wieder tendenziell an, allerdings mag dies auch auf den
wachsenden Billiglohnsektor zurückzuführen sein, sodass sich die effektive Kaufkraft der Arbeitnehmer nicht viel verbessert
hat – vor allem, weil viele Arbeitnehmer durch Transferzahlungen des Staates bereits eine gewisse Kaufkraft hatten.
Kapitalmarkt News
Abb. 1: Arbeitnehmeranteil am Volkseinkommen und Konsum der privaten Haushalte zum BIP, in %
74
62
72
60
70
58
68
56
66
54
64
52
62
60
1991
50
1994
1997
2000
2003
Arbeitnehmeranteil am Volkseinkommen
2006
2009
2012
2015
Konsum der priv. Haushalte zum BIP
Quellen: Statistisches Bundesamt; IKB
Die langfristigen Einflüsse des Flüchtlingsstroms sind anhand der großen Anzahl von notwendigen Annahmen sowie möglicher
politischer und struktureller Veränderungen nur schwer zu quantifizieren. Eine Einschätzung über den kurzfristigen und damit
primär auf der Nachfrageseite ersichtlichen Einfluss ist eher möglich. Welchen Beitrag könnte die Flüchtlingsmigration für den
Konsum (staatlicher oder oder privater Konsum) und damit das BIP-Wachstum für 2015 und 2016 bedeuten?
Gemäß dem Asylbewerberleistungsgesetz steht ab März 2015 jedem Asylsuchenden eine Leistung zwischen 217 und 359
Euro pro Monat zu Verfügung. Diese beinhaltet einen Bargeldbedarf sowie einen notwendigen monatlichen Bedarf, der nicht
unbedingt bar ausgezahlt werden muss. Ausgeschlossen sind in diesen Leistungen die Kosten für die Unterkunft. Unter der
Annahme dieser Mindestausgaben sowie einer Flüchtlingsmigration von rund 1 Millionen im Jahr 2015 und 600.000 im Jahr
2016, einer Schutzquote von 64 % und einer Dauer des Asylantrags von rund 3 Monaten kann eine grobe Abschätzung über
den Mindestanstieg des Konsums erstellt werden. Das ist aber nur ein Mindestbetrag, da Aspekte wie die Heizkosten und
andere Ausgaben des Staates nicht berücksichtigt sind. Auf der anderen Seite sind mögliche Gegenmaßnahmen des Staates
wie etwa Ausgabenkürzungen in anderen Bereichen oder Steuererhöhungen ebenfalls nicht berücksichtigt. Es wird außerdem
angenommen, dass alle Bargeldbeträge in Form von Konsum ausgegeben werden.
Unter diesen groben Annahmen würde sich das Wachstum des privaten Konsums 2015 um rund 0,1 Prozentpunkte und für
2016 zwischen 0,2 und 0,3 Prozentpunkten anheben. Dies würde bei einer Quote des privaten Konsums im Verhältnis zum
BIP von 55 % das BIP-Wachstum zwischen 0,1 und 0,2 Prozentpunkten für 2016 anheben. Allerdings sind hierbei die höheren
Importe noch nicht berücksichtigt. Unter der Annahme einer Importquote von rund 40 % ergibt sich ein Nettoeffekt von rund
0,1 Prozentpunkten auf das BIP-Wachstum für 2016 und damit ein doch eher überschaubarer kurzfristiger Einfluss.
Fazit: Der volkswirtschaftliche Einfluss der Flüchtlingsmigration auf die deutsche Wirtschaft ist vielseitig. Kurzfristig ist vor
allem ein Anstieg der Nachfrage zu erwarten. Solange der Staat diesen Effekt nicht durch Gegenmaßnahmen zu
kompensieren versucht, könnte sich 2016 ein Einfluss auf das Konsumvolumen durchaus bemerkbar machen. Grobe
Schätzungen deuten darauf hin, dass der private Konsum mit zwischen 0,1 und 0,3 Prozentpunkten schneller wachsen könnte.
Der positive Einfluss auf das BIP-Wachstum sollte sich jedoch auch wegen höherer Importe auf 0,1 Prozentpunkte begrenzen.
Mittelfristig könnten sich allerdings wegen höherer Investitionsausgaben weitere Wachstumsimpulse bilden. Zudem ist die
Möglichkeit eines höheren potenziellen Wachstums durch den Zustrom grundsätzlich gegeben. Allerdings werden hierfür
bedeutende Investitionen in das Humankapital und eine zielstrebige Integration der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt notwendig
sein. Bisherige Erfolge sind eher überschaubar. Die IKB erwartet weiterhin ein BIP-Wachstum von 1,5 % für 2015 und 1,8 %
für 2016. Der private Konsum sollte mit 1,5 % im Jahr 2016 zulegen.
Kapitalmarkt News
Quellen:
Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB), 14/2015: Flüchtlinge und andere Migranten am deutschen Arbeitsmarkt:
Der Stand im September 2015.
Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose, Gemeinschaftsdiagnose: Deutsche Konjunktur stabil – Wachstumspotenziale heben,
Herbstgutachten 2015.
DIW Wochenbericht, 39/2015: Flucht nach Europa.
Kapitalmarkt News
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