SEITE 056 MD #64 Ein Semester im Ausland ist schon was feines. Weit weg von Zuhause, am besten noch am Meer studieren mit Sonne satt und nebenbei meine Sprachkenntnisse etwas auffrischen. Soweit der Plan… Die Umsetzung sah dann doch etwas anders aus. Letztendlich bin ich mit Toulouse zwar im Süden Frankreichs gelandet, jedoch hat das Wetter im Frühjahr teilweise Hamburger Verhältnisse angenommen. Auch liegt die Stadt nicht direkt am Meer, eher so am Fluss und doch möchte ich nirgendwo anders lieber mein Auslandssemester verbracht haben. Aber alles auf Anfang: Erstmal angekommen, ist man überwältigt von den vielen Eindrücken. Neue Uni, neue Butze, neue Leute, neue Umgebung…einfach alles neu! Aber man merkt relativ schnell, dass diese Stadt mehr kann, als nur leckere Baguettes backen und beste Weine keltern. Mit fast so vielen Studenten wie Pforzheims Ein- „Allerdings kann es schon einmal wohnern ist es eine der größten Studentenstädte Frankreichs und egal an welchem Wochentag, hier wird immer gefeiert! vorkommen statt einem „tea“ einen „Mar-tea-ni“ am frühen Sonntagnachmittag zu bekommen – true story.“ Besonders beliebt ist der Platz „St. Pierre“ direkt am Fluss der Garonne. Hier tummeln sich um jede Tages- und Nachtzeit viele Studenten in den umliegenden Bars oder, wenn sich die Sonne dann doch einmal zeigt, genießt man gerne ein Sunset-Bierchen am Wasser mit allzeit musikalischer Untermalung von DJ-Unikat „Lonely but Happy“. Neben dem partyreichen Studentenleben gibt es aber auch genügend alternative Beschäftigungsmöglichkeiten. Ob shoppen in den zahlreichen Vintage Stores der HipsterViertel, Museen- und Kinobesuche, mit dem City-Bike die Stadt erkunden oder einfach nur bei einem Kaffee die Sonne genießen, Langeweile sollte in Toulouse nicht möglich sein. Zu spät kommen is nich - auch wenn die Busse und Bahnen mal wieder streiken, welches ein beliebtes Hobby in Frankreich zu sein scheint. Nothing Toulouse SEITE 057 B.N.W. Natürlich muss man auch gestehen, dass nicht alle Aktivitäten davon studentenfreundliche Preise anbieten. Frankreich ist allgemein etwas teurer als Deutschland und da man hier eher Wert auf Exklusivität als auf XXL-Portionen legt, ist das McDonalds Logo-grüngelb. Einen großen Kaffeebecher to go sucht man vergeblich. Der generell hohe Lebensstandard lässt mich dann doch – wer hätte das gedacht - die gut bewährten „Ja-Produkte“ und 5.0 Original Bierdosen vermissen. Es scheint, der entspannte Flair der Stadt überträgt sich auf das Gemüt der Einwohner. So hatte ich mich anfangs, als eher wortkarger und auf Abstand bedachter Schwabe, manch einer Herausforderung stellen müssen. Zum Beispiel begrüßt man sich, egal ob fremd oder nicht, mit zwei Küsschen auf die Wangen. Dies gilt ebenso für Männer untereinander. Allerdings bezweifle ich, dass man so auch seinen Chef oder gar die Gendarmerie begrüßt. Nach den ersten Anfangsschwierigkeiten habe ich mich an diese Form der Begrüßung schnell gewohnt. Jetzt muss ich eher aufpassen meine Freunde zuhause das nächste Mal nicht mit Küsschen zu überfallen. Neben der Begrüßungsform gehören auch Höflichkeitsfloskeln wie das „Bonjour“, „Merci“, „Pardon“ und „Au revoir“ zum alltäglichen Sprachgebrauch. Dies lernt man zu aller erst, wenn sich nach der Busfahrt die Fahrgäste artig beim Busfahrer mit einem „Merci, au revoir“ bedanken und verabschieden. Und ich rede von den ganz normalen Stadtbussen. Während man den Job des Chauffeurs in Deutschland wohl eher als Selbstverständlichkeit ansieht und oftmals Ärger mit den grummeligen Busfahrern hat, sind diese in Toulouse regelrecht entspannt und mit Freude bei der Arbeit. Dies lässt mich zu dem Entschluss kommen, so manch einfache und nette Geste eventuell auch mal im Alltag mit einfließen zu lassen. Last but not least, das endlose Thema: Franzosen und die englische Sprache. Zugegeben, sie sind etwas schüchtern, wenn es darum geht Englisch zu sprechen. Meine Erfahrungen waren allerdings meist positiv. Beherrscht man die Basics auf Französisch, sind sie durchaus gewillt auf „Frenglish“ zu antworten. Allerdings kann es schon einmal vorkommen statt einem „tea“ einen „Mar-tea-ni“ am frühen Sonntagnachmittag zu bekommen – true story. Nachdem wir also den Wikipedia-Eintrag über Toulouse und die kulturellen Vorurteile erfolgreich abgearbeitet haben, kommen wir nun zum wirklich wichtigen Teil des Auslandssemesters. Genau, der Uni! Neben der ganzen Feier- und Chillerei, darf man natürlich nicht vergessen, warum man hier ist. TBS (Toulouse Business School) ist das Stichwort. Ein relativ überschaubarer Campus etwas außerhalb der Stadt sorgt dafür, dass den Studenten mit vielen Präsentationen und Gruppenarbeiten garantiert nicht langweilig wird. Man hat dabei die Möglichkeit neben dem guten Drittel an internationalen, auch mit den französischen Studenten zusammen zu arbeiten. Das Angebot an englischen Kursen ist auf wirtschaftliche Themen beschränkt. Dafür bietet sich zweimal im Semester die Gelegenheit an den ausgefallenen Electives teilzunehmen. Hier können Themen wie „Die französische Weinkultur“ oder „Stressmanagement“ dann auch schon einmal vom eigentlichen Studiengangschwerpunkt abweichen. Etwas anders als in Deutschland gestalten sich auch die Vorlesungen, welche eher an einen Schulunterricht erinnern. Außerdem herrscht Anwesenheitspflicht! Zu spät kommen is nich - auch wenn die Busse und Bahnen mal wieder streiken, welches ein beliebtes Hobby in Frankreich zu sein scheint. Das preiswerte Baguette allerdings, das liebt der Franzose wirklich. So kauft er sich schon gerne fünf davon auf einmal. Nicht alle tragen dann auch einen Mustache und ein quer gestreiftes Shirt dabei, aber was Ersteres angeht, so konnte ich den einen oder anderen meisterlichen Bart entdecken. Auch das Rauchen ist eine große Leidenschaft und verhältnismäßig überdurchschnittlich vertreten. Dem Vorurteil, Franzosen seien ein unfreundliches Volk, kann ich allerdings - zumindest für den Süden Frankreichs sprechend – überhaupt nicht zustimmen. Die Menschen in Toulouse, auch Toulousains genannt, sind sehr hilfsbereit und niemals in Eile. Svenja Kollenda BW/ Media Management & Werbepsychologie „Es ist besser, voll guten Weines zu sterben als voll Durst.“ Alles in Allem muss man fairer Weise aber sagen, dass sich das Lernpensum im Gegensatz zu akkreditierten Pforzheimer Verhältnissen wirklich in Grenzen hält. Dies hat mir einige Trips rundum Europa und ans Meer ermöglicht. Letzteres ist nur ca. 2 Stunden Autofahrt entfernt. Wie ihr also sehen könnt, gar nicht mal so ein großer Kulturschock. Im Gegenteil, ich konnte viele wertvolle Erfahrungen und Eindrücke in dieser Zeit sammeln. Definitiv habe ich mich verliebt in die Stadt und werde garantiert wieder kommen. Bis dahin verbleibt mir nur ein „Merci, au revoir“.
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