Gemeinsam ausdämpfen „take control – Der-Weniger-Rauchen-Kurs“ will Ju- aufhören wollen. „Ein Viertel von meinem Lohn geht gendlichen die Kontrolle über ihr Rauchverhalten zu- für Zigaretten drauf – das ist viel Geld“, sagt Stefanie rückgeben. In der Gruppe werden Strategien erlernt, (17). Sparen für eine Wohnung, beim Kicken mehr wie man ohne Zigarette auskommt. Aufhören ist das Luft haben, sich nicht mehr vom „Tschick“ den Tages- Ziel, aber auch eine Reduktion ist ein Erfolg. ablauf diktieren lassen – die Motive der Jugendlichen sind vielfältig, die Motivation spürbar. Studien zu- „Die erste Zigarette war grausig, nach einem Mo- folge bereuen zwei Drittel der RaucherInnen bereits nat hat es angefangen zu schmecken“, erinnert sich mit 17 Jahren, dass sie angefangen haben. Etwa die Sandra (16). „Mir hat’s gleich von Anfang an ge- Hälfte hat schon einmal erfolglos versucht aufzuhö- schmeckt. Angefangen hab ich mit 14“, erzählt die ren, rund 40 Prozent wollen es schaffen.1 17-jährige Claudia. Im Halbkreis sitzen die Jugendlichen im Medienraum des Lehrlingshauses Bad Konditionierung durchbrechen Radkersburg. Die Nachmittagssonne blinzelt durch die Jalousien, Gesprächsfetzen wehen durch das ge- Leicht ist das nicht, das wissen auch die Lehrlinge. kippte Fenster. Draußen stehen Lehrlinge in Gruppen „Die Ausbildung ist sehr stressig. In der Pause brauch zusammen. Sie plaudern, scherzen, rauchen. ich eine Zigarette, damit der Druck nachlässt. Und beim Fortgehen, da gehört das Rauchen halt‘ dazu. Zwölf Lehrlinge haben sich freiwillig zum kos- tenlosen „take control – Der-Weniger-Rauchen-Kurs“ Ein Packerl ist da nix“, erzählt Patrick (18). Kopfnicken angemeldet. In den nächsten Wochen wollen sie in der Runde. Der regelmäßige Zug an der Zigarette die Kontrolle zurückerobern – die Kontrolle über ihr zeigt schnell Wirkung – er hilft Emotionen zu regu- Rauchverhalten. Gemeinsam mit einem Trainer von lieren, Stress abzubauen, Pausen und Wartezeiten zu VIVID arbeiten sie an ihren individuellen Zielen. „Die überbrücken. Die Verbindung zwischen Rauchverhal- Selbstkontrollfähigkeit soll soweit gesteigert werden, ten und positiver Wirkung wird im Gehirn abgespei- dass die Jugendlichen es schaffen, ohne Zigarette chert. Damit es gelingt, derartige Konditionierungen auszukommen. Der Kurs unterstützt die Teilnehmer zu durchbrechen, werden bei „take control“ verhal- dabei, ihr persönliches Ziel – egal ob reduzieren oder tenstherapeutische Methoden eingesetzt. aufhören – zu erreichen“, erklärt Projektkoordinator Mag. Lukas Schmuckermair von VIVID. Entwi- Liste, ist so ein Mittel. Die Liste kommt in die Zigaret- ckelt wurde das Programm 2007 vom Insti- tenpackung und die TeilnehmerInnen sollen tut für Suchtprävention in Oberösterreich. Der „Registrierblock“, in Form einer Stricherl- vor dem Rauchen jeder Zigarette ein Stricherl Lebhaft gestaltet sich die Vorstel- machen. „Boa, das ist aber ganz schön lungsrunde beim ersten von vier einein- viel Arbeit, so viel wie ich rauche“, halbstündigen Terminen. Die Lehrlinge erzählen, wie sie angefangen haben, wie viel sie rauchen und warum sie reduzieren oder 18 Adolescents: Treatment Implications. Baltimore 2000. 1 Moolchan, Eric: A Review of Tobacco Smoking in stöhnt eine Jugendliche. Stimmt. Aber durch das die erarbeiten Alternativen zeigten oft ihre Wirkung Stricherl gelingt es, den unbewussten Zusammen- – aber natürlich nicht immer. „Ich hab‘ mit Freunden hang zwischen Rauchen und erwarteter Wirkung und auch zu Hause Streit gehabt. Kaugummi kauen bewusst zu machen und so den automatischen Ab- hilft da wenig“, meint eine Teilnehmerin frustriert. lauf zu unterbrechen. Zusätzlich gilt es, in der ersten Sofort sprudeln die Ideen. Genau diese schwierigen Woche, die unter dem Motto „Beobachten“ steht, Situationen sind wichtig und bieten die Chance, in ein „Rauchprotokoll“ auszufüllen. Dabei sollen alle der Gruppe Lösungen zu entwickeln. Situationen, in denen geraucht wird und die dabei gerauchten Zigaretten notiert werden. linge vor, eine Woche lang nicht zu rauchen. Um die positiven Auswirkungen einer Reduk- Für die letzte Woche nehmen sich die Lehr- tion oder eines Rauchstopps zu verdeutlichen, wird Auch wenn die Teilneh- bei jedem Termin der Kohlenmonoxid-Gehalt in der merInnen „nur“ das Ziel Atemluft gemessen. Der am Messgerät angezeigte haben zu reduzieren, ist Wert ist ein Anhaltspunkt für die Belastung des Kör- der Verzicht wichtig um pers durch die Schadstoffe im Rauch. Die Messung die Kontrolle über das hat Unterhaltungswert. Beim Versuch vor der ganzen eigene Rauchverhalten Runde die Luft anzuhalten und dann ins Mundstück einzuüben und zu fes- zu blasen sind Lachkrämpfe vorprogrammiert. tigen. Ein Stöhnen geht durch die Runde. Um Küssen kann helfen die Entschlossenheit der Gruppe zu stärken, ver- Zu Beginn des zweiten Kurstermins, eine Woche spä- fassen die Jugendlichen ter, berichten die Jugendlichen von ihren Erfahrun- „Briefe an die letzte Zi- gen. „Ich hab‘ mehr als 100 Zigaretten geraucht – das garette“ (siehe rechts). hat mich erschreckt. Durch das Rauchprotokoll ist mir bewusst geworden, dass ich nach stressigen Situati- „Ich werde es schaffen“ onen in der Berufsschule oder zu Hause am meisten rauche“, erzählt Nicole (16). Ihren Kolleginnen und Beim letzten Termin gibt es nur Gewinner, auch Kollegen ist es ähnlich ergangen – ein erster kleiner wenn es nur wenige TeilnehmerInnen geschafft ha- Erfolg. Nun gilt es, für die erkannten Situationen ben, eine Woche ganz ohne Qualm auszukommen. sinnvolle Alternativen zu entwickeln. Dem Rest ist es abermals gelungen, den Zigaret- tenkonsum deutlich zu reduzieren. Niemand hat In der Gruppe werden Möglichkeiten gesam- melt, der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. mehr als eine Packung geraucht – trotz Schulstress, Küssen, Fingernägel kauen, malen, Kaugummi Langeweile und Fortgehen. „Wichtig ist, dass die Ju- kauen, schwimmen, Wasser trinken – die gesammelte gendlichen wissen, wie ein Rauchstopp funktioniert Liste ist lang. Um die erarbeiteten Alternativen auch und dass sie es schaffen können, wenn sie wollen. gleich in die Tat umzusetzen, steht die zweite Woche Das Wissen und das Selbstbewusstsein erhöhen die unter dem Motto „Reduzieren“. Bis zum dritten Ter- Erfolgschancen, wenn der Zeitpunkt gekommen ist, min sollen die TeilnehmerInnen nur mehr die Hälfte an dem sie aufhören wollen“, erklärt Schmuckermair. der in der ersten Woche konsumierten Zigaretten Nicole hat von mehr als 100 Zigaretten pro Woche rauchen. „Ich kann mir nicht recht vorstellen, dass ich auf fünf Stück reduziert und ist sich sicher: „Ich habe das schaffe, aber einen Versuch ist’s wert“, gibt sich gelernt, was ich tun kann, um mich erfolgreich abzu- ein Lehrling vorsichtig optimistisch. „Musst halt viel lenken. Ich will aufhören und ich werde es schaffen.“ küssen“, meint eine Kollegin verschmitzt. Ob das Küssen geholfen hat, geht zu Beginn des dritten Termins in den freudigen Berichten ganz unter. Mit wenigen Ausnahmen ist es den meisten überraschend gut gelungen, ihren Zigarettenkonsum zu reduzieren. „Mir ist der Verzicht sogar daheim leicht gefallen, weil ich meinem kleinen Bruder ein gutes Vorbild sein will“, berichtet Claudia stolz. Auch Mag. Bernd Thurner [email protected] 19
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