Interview - Was versteht man unter Resilienz

Dr. med. Mirriam Prieß zum Thema Resilienz
Was versteht man unter Resilienz?
Resilienz kommt von lat. resiliare, was so viel wie „abprallen, abstoßen, zurückspringen“
bedeutet. Im Bereich der Psychologie versteht man unter dem Begriff Resilienz die psychische
Widerstandskraft eines Menschen. Grundsätzlich beschreibt dieser Begriff die Fähigkeit eines
Systems mit Veränderungen umzugehen, anstatt an diesen unterzugehen. Dies setzt Stärke und
Selbstregulationsfähigkeit voraus, die im Zusammenhang mit Resilienz beschrieben werden.
Was zeichnet einen resilienten Menschen aus?
Wie unterscheiden sich solche Menschen von anderen?
Auf den ersten Blick könnte man sagen, dass äußere Störeinflüsse an einen resilienten
Menschen einfach „abprallen“ – während diese in einen nicht resilienten Menschen „eindringen“.
Doch es ist nicht nur ein einfaches „abprallen“. Resiliente Menschen sind dazu in der Lage, mit
schwierigen oder existenziellen Lebenssituationen und Konflikten leichter umzugehen, als nicht
resiliente Menschen. Sie besitzen eine innere Stärke, die ihnen hilft, dem Leben auch in seinen
Tiefen zu begegnen, ohne sich darin zu verlieren oder daran zu Grunde zu gehen. Ein resilienter
Mensch besitzt die Fähigkeit, bedrohliche „Angriffe“ von außen zu verarbeiten, zu verdauen – und
weiterzugehen. Traumata und Konflikte können leichter verarbeitet werden, weil sich resiliente
Menschen nicht in Ihrem Kern angegriffen fühlen. Sie verfügen über eine innere Stärke, die sie
immer wieder in das eigene Gleichgewicht zurückführt – egal wie stark die Störung von außen ist.
Ebenso haben sie eines gemeinsam: Sie verfügen über einen gesunden Selbstwert und haben
einen starken Glauben.
Mit dem Begriff Resilienz wird häufig das Bild eines „Stehaufmännchens“ verbunden. Ich finde
das Bild aus der Natur einer biegsamen Birke oder das Bild eines Kampfkünstlers auch sehr
schön, wo den „Stürmen“ und Einwirkungen von Außen aufnehmend begegnet wird, ohne
darüber jedoch seinen Stand zu verlieren. Als Bild für nicht resiliente Menschen könnte man das
eines auf dem Boden liegenden Blattes im Wind wählen, das je nach Windrichtung aufgewirbelt
wird und wild umherfliegt.
Ist Resilienz angeboren oder kann man sie sich aktiv erwerben?
Natürlich spielen unsere Gene auch eine Rolle bzgl. unserer seelischen Gesundheit. Genauso
wichtig ist aber unsere Sozialisation und darin vor allem die Beziehungserfahrung in den ersten
Lebensjahren. Was letztendlich entscheidend ist, darüber streiten sich nach wie vor die Köpfe.
Die gute Nachricht ist, dass auch in späteren Jahren die Möglichkeit besteht, Resilienz zu
entwickeln. Jeder kann ein resilienter Mensch werden! In meinem Buch zeige ich auf, was dazu
nötig ist.
Sie haben bisher zwei Bücher zum Thema Burnout geschrieben. Was hat Sie dazu
bewogen, sich nun dem Thema Resilienz zu widmen?
Mein Ansatz ist seit jeher der der Salutogenese. Das heißt, ich gehe davon aus, dass jeder von
uns die Gesundheit in sich trägt, wenn er in seinem ihm entsprechenden Gleichgewicht ist. Ich
habe dies als den Zustand des inneren und äußeren Dialogs beschrieben. Dieser Dialog ist
meines Erachtens auch die entscheidende Grundlage für Resilienz. Wer mit sich und der Umwelt
im Dialog steht, wer der ist, der er ist, der ist resilient und kann dem Leben auf Augenhöhe
begegnen. Je mehr Sie der sind, der Sie sind, umso resilienter sind Sie, denn Sie haben den
„Halt“ in sich selbst.
Resilienz und Burnout stehen im engen Zusammenhang. Burnout entsteht immer, wenn der
innere und äußere Dialog verloren gegangen sind. Viele, die sich erschöpfen, standen mit sich
noch nie im Dialog und waren dementsprechend auch nicht in der Lage, ihrem Umfeld im Dialog
zu begegnen. Während ich im ersten Buch den Fokus auf die Krankheitsentstehung gelegt habe,
im zweiten Buch damit begonnen habe, den Weg aus der Krankheit heraus und zu sich selbst zu
beschreiben, lege ich nun in diesem Buch den Schwerpunkt darauf, was es heißt „gesund“ zu
sein.
Burnout ist mittlerweile zu einer Volkskrankheit geworden. Immer mehr Menschen leiden
an dieser Erschöpfungsdepression. Ist unsere Gesellschaft insgesamt weniger resilient
geworden?
Ja, das könnte man so sagen. Die psychischen Erkrankungen nehmen immer mehr zu.
Der Grund dafür ist meiner Ansicht nach, dass die entscheidenden Grundlagen für gesundes
Leben immer mehr verloren gehen: Beziehung und Begegnung. Unsere Gesellschaft wird immer
begegnungsunfähiger. Sowohl die Begegnung untereinander als aber auch die Begegnung mit
sich selbst finden immer weniger statt. Immer mehr Menschen leben ein Leben fern von sich
selbst. Sie funktionieren, anstatt zu leben. Sie leben ein Leben, das ihrer Identität nicht entspricht,
beziehungsweise sie kennen ihre Identität nicht einmal. Es scheint heutzutage immer schwerer
zu sein, ein authentisches Leben zu führen – also mit sich im Dialog zu stehen.
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