„Du sollst wieder sehen“ Lk 18,35‐43 Heilung eines Blinden bei Jericho Bibel‐Gespräch zur Haltung „Wertschätzen“ „Du sollst wieder sehen“ Lk 18,35‐43 Heilung eines Blinden bei Jericho 35 Als Jesus in die Nähe von Jericho kam, saß ein Blinder an der Straße und bettelte. 36 Er hörte, dass viele Menschen vorbeigingen, und fragte: Was hat das zu bedeuten? 37Man sagte ihm: Jesus von Nazaret geht vorüber. 38 Da rief er: Jesus, Sohn Davids, hab Erbarmen mit mir! 39 Die Leute, die vorausgingen, wurden ärgerlich und befahlen ihm zu schweigen. Er aber schrie noch viel lauter: Sohn Davids, hab Erbarmen mit mir! 40 Jesus blieb stehen und ließ ihn zu sich herführen. Als der Mann vor ihm stand, fragte ihn Jesus: 41 Was soll ich dir tun? Er antwortete: Herr, ich möchte wieder sehen können. 42 Da sagte Jesus zu ihm: Du sollst wieder sehen. Dein Glaube hat dir geholfen. 43 Im gleichen Augenblick konnte er wieder sehen. Da pries er Gott und folgte Jesus. Und alle Leute, die das gesehen hatten, lobten Gott. Leseanleitung zu Lk 18,35-431 1 Alle lesen den Text zunächst in Stille für sich. Dann beginnt ein/e TN, den ersten Vers laut vorzulesen. Versweise wird durch alle anderen der Text reihum laut gelesen. Jede/r TN nimmt sich kurze Zeit für die Frage: „Was spricht mich an?“ Die TN sind dann eingeladen, einzelne Worte oder Textstellen laut auszusprechen. Nochmals betrachtet jede/r TN den Text unter der Fragestellung Welche Emotion lösen bestimmte Worte im Text bei mir aus? Wo /wann empfinde ich Unverständnis, wo Solidarität? Jede/r bedenkt diese Frage für sich in einer Zeit der Stille. Die TN suchen Verben im Text und teilen sie Wortgruppen zu. Welche handelnden Personen gibt es und welche Bewegung vollziehen diese? Welche Beziehungen entstehen durch diese Bewegungen? Der Text wird noch einmal gelesen. „Die TN achten darauf, welche Rolle in der Geschichte sie persönlich anzieht.“ „Der Raum wird eingeteilt und die Stationen des Textes konkret im Raum verortet. Die TN besuchen langsam alle Orte und spüren, wo sie stehen möchten.“ Wer mag, kann eine bestimmte Geste / Körperhaltung einnehmen, die einen Moment aus der gewählten Rolle wiedergibt. Der Leiter / SeelsorgerIn befragt jeden, „wer er ist und wo er – innerlich und räumlich - steht. Ziel ist, die gewählte Rolle mit dem eigenen Lebensstrom zu verbinden. Dabei hilft es, bewusst wahrzunehmen, wo und wie ich an meinem gewählten Ort stehe. Außerdem soll für alle Mitspielenden transparent werden, mit wem sie es im Spiel zu tun haben und aus welcher Perspektive die einzelnen auf den Text schauen.“ „Das Spiel kommt in Gang, entweder dadurch, dass ein TN in Bewegung gerät, oder dadurch, dass der Seelsorger / die Seelsorgerin eine einzelne Person anspricht. Die TN sprechen aus der gewählten Rolle miteinander, sie verändern ihre Körperhaltung, sie bewegen sich zu einem anderen Ort, sie kommen einander näher oder gehen auf Distanz.“ Danach folgt eine Pause, in der die TN Distanz zu ihrer Rolle und einen ersten Überblick über die gemachten Erfahrungen gewinnen können.“ Der Text wird noch einmal gelesen. Es folgt ein Gespräch zu den Fragen: Wo entdecke ich im Text die Haltung „Wertschätzen“? Wie wird sie beschrieben? Wohin bewegt uns dieser Text? Die TN überlegen, welche Impulse dieser Text für den Prozess „Kirche am Ort. Kirche an vielen Orten gestalten“ ihnen für ihr persönliches Handeln und in der Gemeinde gibt und welchen sie aufgreifen wollen. Vgl. zur Methode „Spielerische Elemente aus dem Bibliodrame“ eine ausführliche Anleitung und Beispiele in: Detlev Hecking / Claudia Mennen / Sabine Tscherner-Babl / Peter Zürn (Hg), Geh in das Land, das ich dir zeigen werde. Impulse aus dem Bibliodrama für Gruppen und Gemeinden, Ostfildern 2008. Aus diesem Buch ist ein Teil der Anleitung (markierte Zitate) wörtlich übernommen. Wissenswertes zu Lk 18, 35‐43 Im Vergleich zum griechischen Text ist vor allem in V41 folgende Übersetzung vorzuziehen: „Was willst du, dass ich dir tun soll?“. V42 lautet wörtlich: „Dein Glaube hat dich gerettet!“. V40 unterstreicht die Autorität Jesu mit dem Wort ‚befehlen’ in der Übersetzung: „Stehen geblieben aber befahl Jesus, ihn zu ihm zu führen.“2 Auffallend sind die vielen Verben zu Bewegung und Sprechweisen. In der Gattung entspricht diese Erzählung dem klassischen Aufbau einer Wundergeschichte, mit Einleitung, Schilderung der Not, Heilungswort und Reaktion. Nach Ulrike Metternich sind Wundergeschichten als dynamis-Geschichten zu verstehen, das heißt als Erzählungen, die Gottes Wirkmacht beschreiben. An diese Kraft Gottes glaubt der Blinde, wenn er Jesus bittet, ihn zu heilen. Das bedeutet (V42), dass sein Glaube die Grundlage für das wieder - Sehen- Können bildet. Er vertraut Jesus, beharrt auf seinem Rufen und weiß, was er will. Er hält sozusagen an seinem blinden Glauben fest. Lukas 18,35-43 bearbeitet die MarkusVorlage der Heilung des blinden Bartimäus bei Jericho (Mk 10, 46-52). Die „Menge“ verändert sich im Verlauf des Textes: „Aus einer ‚Schar’, in V.46 sind sie in V.40 zu solchen geworden, die den Blinden zu Jesus führen und in V.43 zu einem lobenden ‚Volk’ vereint sind. Dieses Volk hat sich eben konstituiert, weil es anerkannt hat, dass der Weg der Barmherzigkeit Gottes nicht vorbei an den von der Gesellschaft ausgeschlossenen Hilfsbedürftigen geht, sondern auf ihre Not hört.3 Von den Personengruppen aus gesehen bilden sich in der Wundererzählung drei „Räume“ (Schar, Blinder, Jesus), die miteinander auf verschiedene Weise in Beziehung kommen: Das Stichwort „Wertschätzen“ Der Text bietet Anknüpfungspunkte zu vielen Themen. In der Zusammenschau dieser Themen liegt die Verbindung zu „Wertschätzen“. Wie werden im Text die Beziehungen untereinander gestaltet, vollzogen? Wie schätzt der Blinde sich selber und hält an seinen Bedürfnissen, an seiner Überzeugung gegen den Widerstand, gegen Abwertung fest? Wie steht er in einer Beziehung auf Augenhöhe da? Und wie geht es dem Blinden, wenn er aus der Isolation heraus geführt wird und „wie alle anderen“ ist? V38 „Da rief er: Jesus, Sohn Davids, hab Erbarmen mit mir“ Der Blinde erkennt und ruft zu Jesus als Messias – von seinem Platz aus. V40f „Jesus blieb stehen und ließ ihn zu sich herführen. Als der Mann vor ihm stand, fragte ihn Jesus: Was soll ich dir tun?“ Es ist eine Begegnung auf Augenhöhe, die den Blinden aus seiner Erstarrung löst, ihn sehen und erkennen lässt. Insofern geht es nicht nur um die physische Heilung, sondern auch um sehen und gesehen werden und um die Zusage, dass Gott uns dort sieht und begegnet, wo und wie wir sind. V43 „Da pries er Gott und folgte Jesus“. Der Sehende bleibt in der Beziehung, die er aufgenommen und als heilsam erfahren hat. 2 Katholisches Bibelwerk, Die lebendigste Jesuserzählung: Das Lukasevangelium., 208 3 Ebd., 209
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