Zwischen Antike und Mittelalter (etwa 500-900) 1 STICHWORTE: Ø F E H D E Ø S Ü H N E V E R T R Ä G E Ø K O M P O S I T I O N E N S Y S T E M Ø S Ü H N E G E L D , W E R G E L D Ø U N M I T T E L B A R E U N D M I T T E L B A R E RECHTSQUELLEN – VOLKSRECHTE UND CHRONIKEN Die Fehde des Sichar (585-588) – Gregor von Tours 2 v Gregor von Tours als Person v Chronik als mittelbare Rechtsquelle v Konkurrenz von Fehde als außergerichtlicher Rechtsfindung und gerichtlichem Prozess v keine ausschließliche Gerichtshoheit Fehde 3 Materielles Recht Prozessrecht Rechtsinstitut, -verfahren zur Rechtsdurchsetzung Zeitraum: Mittelalter bis Frühe Neuzeit zur Austragung von Konflikten ¡ direkt zwischen Geschädigtem und Schädiger ¡ d.h. zwischen ihren Sippen (Familienverbände) ¡ mittels Sühnevertrag (Ausgleich für Unrecht à Versöhnung, Wiedergutmachung) ¡ ohne Mitwirkung einer obrigkeitlichen Instanz Motive für die Eindämmung des Fehdewesens 4 Weltliche Obrigkeit ¡ verfassungspolitisch: Durchsetzung/Anerkennung des Gewaltmonopols ¡ wirtschaftlich, gesellschaftspolitisch, militärisch: Versuch, die Schwächung des Reichs durch gewaltsame Auseinandersetzungen zu verhindern Kirche ¡ Durchsetzung des christlichen Gebots der Nächstenliebe Merkmale des Rechtswesens in der fränkischen Zeit 5 v keine Unterscheidung zwischen materiellem Strafund Zivilrecht v keine klare Unterscheidung zwischen Straf- und Zivilprozess v k e i n e a u s s c h l i e ß l i c h e G e r i c h t s h o h e i t = k e i n obrigkeitliches Gewaltmonopol v Konkurrenz von Fehde als außergerichtlicher Rechtsfindung und gerichtlichem Prozess Gerichtlicher Austrag – 1 6 v vor Gaugerichten = Verhandlungsleitung üblicherweise in den Händen des dem Gau vorstehenden Grafen v v öffentlich und mündlich zweistufiges Verfahren: bedingtes Urteil + Beweisverfahren magische + rationale Beweismittel v „Nachteile“ v v für Rechtsbrecher: Bußen teuer, überstiegen häufig finanzielle Mittel für Geschädigten: anrüchig (Vorwurf: „Den Verwandten im Beutel tragen“) v Königsgericht v v v für alle Fälle, die erstmals bei ihm vorgebracht wurden bei Urteilsschelten später: bei Verhängung schwerer Sanktionen Gerichtlicher Austrag – 2 7 ERGEBNIS v Buße: Schadensersatz gegen Verzicht auf Rache v keine Strafe oder Herausgabe! v v Urfehde: v Versprechen der Wahrung des Friedens durch den Rechtsbrecher ABER: keine Vollstreckungsmöglichkeit à kein obrigkeitliches Gewaltmonopol v 8 Gogericht, Ferdinand Brütt, um 1920 – eine mittelalterliche Gerichtssitzung in der Lüneburger Heide Das Merowingerreich 481-561 9 10 Leges Barbarorum – Volksrechte Rechtsquellen der fränkischen Zeit 500-888 = Ende der Völkerwanderung bis zur Absetzung des letzten Kaisers des fränkischen Reichs (Karl der Dicke) zusammengesetzt aus germanischen Völkerstämmen, die schrittweise der fränkischen Rheinlande) Regentschaft unterstellt wurden: -um 500 salische Franken (Nord-, Mittelfrankreich) -um 500 ribuarische Franken (Belgien, Lothringen, -im 6. Jh. u.a. Thüringer -im 8. Jh. Alemannen, Bayern, Langobarden (Italien) - u m 8 0 0 S a c h s e n ( v. a . W e s t f a l e n ) Behielten auch nach Einverleibung in das Frankenreich eigene Rechtsordnungen (nicht abschließend): • L e x S a l i c a ( u m 5 0 0 ) , w i c h t i g s t e s V o l k s r e c h t , n a c h d e m a u c h d i e f r ä n k i s c h e n • • • • Könige lebten Edictus Rothari (643) Lex Alemannorum (um 720) Lex Baiuwariorum (um 740) Lex Ribuaria (um 750) Volksrechte 11 I. Inhalt (Einordnung folgt nicht zeitgemäßer Terminologie!) Privatrecht ¡ ¡ ¡ Erbfolge Eheliches Güterrecht symbolische Rechtsgeschäfte Strafrecht ¡ „Kompositionensystem“ à für beschriebene Missetat wird exakte Rechtsfolge angeordnet ¡ Rechtsfolgen: Sühnegeld (= composito) ÷ ÷ ÷ ¡ ¡ ¡ 2/3 an Verletzten bzw. Hinterbliebene 1/3 Friedensgeld an Richter Abstufung nach ¢ Art des verletzten Rechtsguts/Wert der Verlustsache ¢ Umständen der Verletzungshandlung ¢ sozialem Stand des Verletzten innerhalb des Volkes ¢ Volkszugehörigkeit des Verletzten Erfolgshaftung (heute: Verschuldenshaftung) Art des Verschuldens à Ungefährwerk Beteiligungsformen blieben ungesühnt 12 Lex Alamannorum im sog. WandalgarCodex St. Gallen, Stiftsbibl. 731 I. Wundbußenkatalog aus dem Pactus Legis Alamannorum X. 1) Wenn jemand einem anderen den Daumen abhaut, zahle er 12 Schillinge. 2) Wenn er gelähmt oder im ersten Gelenk abgehauen wird, zahle man 6 Schillinge. 3) Wenn der zweite Finger abgehauen wird, zahle man 10 Schillinge. 4) Wenn er gelähmt wird, zahle man 5 Schillinge. 5) Wenn das erste Glied abgehauen wird, zahle man 3 Schillinge. 6) Wenn der dritte Finger abgehauen wird, zahle man 6 Schillinge. 7) Wenn er gelähmt wird, zahle man 3 Schillinge. 8) Wenn der vierte Finger abgehauen wird, zahle man 5 Schillinge. 9) Wenn er im ersten Gelenk abgehauen wird, zahle man 3 Schillinge. 10) Wenn der kleine Finger abgehauen wird, zahle man 10 Schillinge. 11) Wenn er gelähmt wird, zahle man 5 Schillinge. 12) Und wenn die Hand durchstochen wird, zahle man 6 Schillinge. 13) Und wenn die ganze Hand abgehauen wird, zahle man 40 Schillinge oder schwöre mit 12 zur Hälfte Ausgewählten. XI. 1) Wenn jemand einem anderen den Fuß abhaut, zahle er 40 Schillinge. 2) Und wenn er gelähmt wird, zahle man 20 Schillinge. 3) Und wenn er außerhalb des Hofes gehen oder auf seinem Felde mit einer Stelze gehen kann, zahle man 25 Schillinge oder schwöre mit 12 zur Hälfte Ausgewählten. 4) Wenn jemand einem anderen die große Zehe abhaut, zahle er 6 Schillinge. 5) Wenn das erste Glied abgehauen wird, zahle man 3 Schillinge. 6) Wenn es einem Liten geschieht, zahle man 4 Schillinge. 7) Wenn einem Sklaven, zahle man 3 Schillinge. 8) Wenn eine andere Zehe abgehauen wird, zahle man 3 Schillinge. 13 II. Wergeld und Wergeldzahlung in der Lex Ribvaria (um 613/623) 36. Von verschiedenen Totschlägen. 1. Wenn ein Ribuarier einen zugewanderten Franken tötet, werde er wegen 200 Schillingen als schuldig erachtet. 2. Wenn ein Ribuarier einen zugewanderten Burgunden tötet, werde er mit zweimal 80 Schillingen bestraft. 3. Wenn ein Ribuarier einen zugewanderten Römer tötet, werde er mit zweimal 50 Schillingen bestraft. 4. Wenn ein Ribuarier einen zugewanderten Alemannen oder Friesen oder Bayern oder Sachsen tötet, werde er mit zweimal 80 Schillingen als schuldig erachtet 5. Wenn jemand einen freigeborenen Kleriker tötet, werde er wegen zweimal 50 Schillingen als schuldig erachtet. 6. Wenn jemand einen Subdiakon tötet, werde er wegen zweimal 100 Schillingen als schuldig erachtet. 7. Wenn jemand einen Diakon tötet, werde er mit dreimal 100 Schillingen bestraft. 8. Wenn jemand einen freigeborenen Priester tötet, werde er mit dreimal 200 Schillingen bestraft. 9. Wenn jemand einen Bischof tötet, werde er mit dreimal 300 Schillingen bestraft. 10. Wenn jemand die Leibesfrucht in der Mutter tötet oder ein Neugeborenes, bevor es einen Namen hat, werde er wegen zweimal 50 Schillingen als schuldig erachtet. Wenn er die Mutter samt der Leibesfrucht tötet, werde er mit 70 Schillingen bestraft. 11. Wenn jemand Wergeld zu zahlen sich anschickt, so gebe er einen gehörnten, sehenden und gesunden Ochsen statt 2 Schillingen. Eine gehörnte, sehende und gesunde Kuh gebe er statt 1 Schilling. Eine sehende und gesunde Stute gebe er statt 3 Schillingen. Ein Schwert mit Scheide gebe er statt 7 Schillingen. Ein Schwert ohne Scheide gebe er statt 3 Schillingen. Eine gute Brünne gebe er statt 12 Schillingen. Einen Helm in gutem Zustand gebe er statt 6 Schillingen. Gute Beinschienen gebe er statt 6 Schillingen. Einen Schild mit Lanze gebe er statt 2 Schillingen. Einen ungezähmten Falken gebe er statt 3 Schillingen. Einen gebeizten Kranich gebe er statt 6 Schillingen. Einen [schon] gemauserten Falken gebe er statt 12 Schillingen. 12. Wenn er aber mit Silber zu zahlen vermag, statt einem Schilling 12 Pfennige, wie es von alters 14 her angeordnet ist. Volksrechte 15 II. Bedeutung für die europäische Rechtskultur v Zusammensetzung v v v germanischer (Sippen als Ausprägung eines Ordnungssystems, Kompositionensystem, magische Beweismittel) römischer (persönliche Unfreiheit, Schriftlichkeit der Verträge) christlicher (Klerikerstand, Monogamie, Rechtsfähigkeit der Unfreien, Erbrecht über Seelteil) Elemente v Grundherrschaft, Lehenswesen, Abgabenwesen, kirchliche Organisation, Aspekte des Privatrechts haben sich bis zum Ende des Alten Reichs, teilweise darüber hinaus erhalten. è Prägung einer gemeinsamen Vergangenheit Westeuropas.
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