14.10.Fehdewesen, Volkrechte

Zwischen Antike und
Mittelalter (etwa 500-900)
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STICHWORTE:
Ø  F E H D E
Ø S Ü H N E V E R T R Ä G E
Ø K O M P O S I T I O N E N S Y S T E M
Ø  S Ü H N E G E L D , W E R G E L D
Ø U N M I T T E L B A R E U N D M I T T E L B A R E
RECHTSQUELLEN – VOLKSRECHTE UND
CHRONIKEN
Die Fehde des Sichar
(585-588) – Gregor von
Tours
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v  Gregor von Tours als Person
v  Chronik als mittelbare Rechtsquelle
v  Konkurrenz von Fehde als
außergerichtlicher Rechtsfindung
und gerichtlichem Prozess
v  keine ausschließliche
Gerichtshoheit
Fehde
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—  Materielles Recht
Prozessrecht
—  Rechtsinstitut, -verfahren zur
Rechtsdurchsetzung
—  Zeitraum: Mittelalter bis Frühe Neuzeit
—  zur Austragung von Konflikten
¡  direkt
zwischen Geschädigtem und Schädiger
¡  d.h. zwischen ihren Sippen (Familienverbände)
¡  mittels Sühnevertrag (Ausgleich für Unrecht à
Versöhnung, Wiedergutmachung)
¡  ohne Mitwirkung einer obrigkeitlichen Instanz
Motive für die Eindämmung des Fehdewesens
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—  Weltliche Obrigkeit
¡  verfassungspolitisch:
Durchsetzung/Anerkennung des Gewaltmonopols
¡  wirtschaftlich, gesellschaftspolitisch, militärisch:
Versuch, die Schwächung des Reichs durch
gewaltsame Auseinandersetzungen zu verhindern
—  Kirche
¡  Durchsetzung des christlichen Gebots der
Nächstenliebe
Merkmale des Rechtswesens
in der fränkischen Zeit
5
v 
keine Unterscheidung zwischen materiellem Strafund Zivilrecht
v 
keine klare Unterscheidung zwischen Straf- und
Zivilprozess
v  k e i n e
a u s s c h l i e ß l i c h e
G e r i c h t s h o h e i t = k e i n
obrigkeitliches Gewaltmonopol
v 
Konkurrenz von Fehde als
außergerichtlicher Rechtsfindung und
gerichtlichem Prozess
Gerichtlicher Austrag – 1
6
v  vor Gaugerichten = Verhandlungsleitung üblicherweise in
den Händen des dem Gau vorstehenden Grafen
v 
v 
öffentlich und mündlich
zweistufiges Verfahren: bedingtes Urteil + Beweisverfahren
magische + rationale Beweismittel
v 
„Nachteile“
v 
v 
für Rechtsbrecher: Bußen teuer, überstiegen häufig finanzielle Mittel
für Geschädigten: anrüchig (Vorwurf: „Den Verwandten im Beutel
tragen“)
v  Königsgericht
v 
v 
v 
für alle Fälle, die erstmals bei ihm vorgebracht wurden
bei Urteilsschelten
später: bei Verhängung schwerer Sanktionen
Gerichtlicher Austrag – 2
7
ERGEBNIS
v  Buße:
Schadensersatz gegen Verzicht auf Rache
v  keine Strafe oder Herausgabe!
v 
v  Urfehde:
v 
Versprechen der Wahrung des Friedens durch den
Rechtsbrecher
ABER: keine Vollstreckungsmöglichkeit à kein
obrigkeitliches Gewaltmonopol
v 
8
Gogericht,
Ferdinand Brütt,
um 1920 –
eine mittelalterliche
Gerichtssitzung in
der Lüneburger
Heide
Das Merowingerreich 481-561
9
10
Leges Barbarorum – Volksrechte
Rechtsquellen der fränkischen Zeit
500-888 =
Ende der Völkerwanderung bis zur Absetzung des
letzten
Kaisers des fränkischen Reichs (Karl
der Dicke)
zusammengesetzt aus germanischen
Völkerstämmen, die schrittweise der fränkischen
Rheinlande)
Regentschaft unterstellt wurden:
-um 500 salische Franken (Nord-, Mittelfrankreich)
-um 500 ribuarische Franken (Belgien, Lothringen,
-im 6. Jh. u.a. Thüringer
-im 8. Jh. Alemannen, Bayern, Langobarden (Italien)
- u m 8 0 0 S a c h s e n ( v. a . W e s t f a l e n )
Behielten auch nach Einverleibung in das Frankenreich eigene
Rechtsordnungen (nicht abschließend):
•  L e x S a l i c a ( u m 5 0 0 ) , w i c h t i g s t e s V o l k s r e c h t , n a c h d e m a u c h d i e f r ä n k i s c h e n
• 
• 
• 
• 
Könige lebten
Edictus Rothari (643)
Lex Alemannorum (um 720)
Lex Baiuwariorum (um 740)
Lex Ribuaria (um 750)
Volksrechte
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I. Inhalt (Einordnung folgt nicht zeitgemäßer Terminologie!)
—  Privatrecht
¡ 
¡ 
¡ 
Erbfolge
Eheliches Güterrecht
symbolische Rechtsgeschäfte
—  Strafrecht
¡  „Kompositionensystem“ à für beschriebene Missetat wird exakte Rechtsfolge
angeordnet
¡  Rechtsfolgen: Sühnegeld (= composito)
÷ 
÷ 
÷ 
¡ 
¡ 
¡ 
2/3 an Verletzten bzw. Hinterbliebene
1/3 Friedensgeld an Richter
Abstufung nach
¢  Art des verletzten Rechtsguts/Wert der Verlustsache
¢  Umständen der Verletzungshandlung
¢  sozialem Stand des Verletzten innerhalb des Volkes
¢  Volkszugehörigkeit des Verletzten
Erfolgshaftung (heute: Verschuldenshaftung)
Art des Verschuldens à Ungefährwerk
Beteiligungsformen blieben ungesühnt
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Lex
Alamannorum
im sog.
WandalgarCodex
St. Gallen, Stiftsbibl.
731
I. 
Wundbußenkatalog aus dem Pactus Legis Alamannorum
X.
1) Wenn jemand einem anderen den Daumen abhaut, zahle er 12 Schillinge.
2) Wenn er gelähmt oder im ersten Gelenk abgehauen wird, zahle man 6 Schillinge.
3) Wenn der zweite Finger abgehauen wird, zahle man 10 Schillinge.
4) Wenn er gelähmt wird, zahle man 5 Schillinge.
5) Wenn das erste Glied abgehauen wird, zahle man 3 Schillinge.
6) Wenn der dritte Finger abgehauen wird, zahle man 6 Schillinge.
7) Wenn er gelähmt wird, zahle man 3 Schillinge.
8) Wenn der vierte Finger abgehauen wird, zahle man 5 Schillinge.
9) Wenn er im ersten Gelenk abgehauen wird, zahle man 3 Schillinge.
10) Wenn der kleine Finger abgehauen wird, zahle man 10 Schillinge.
11) Wenn er gelähmt wird, zahle man 5 Schillinge.
12) Und wenn die Hand durchstochen wird, zahle man 6 Schillinge.
13) Und wenn die ganze Hand abgehauen wird, zahle man 40 Schillinge oder schwöre mit 12
zur Hälfte Ausgewählten.
XI.
1) Wenn jemand einem anderen den Fuß abhaut, zahle er 40 Schillinge.
2) Und wenn er gelähmt wird, zahle man 20 Schillinge.
3) Und wenn er außerhalb des Hofes gehen oder auf seinem Felde mit einer Stelze gehen
kann, zahle man 25 Schillinge oder schwöre mit 12 zur Hälfte Ausgewählten.
4) Wenn jemand einem anderen die große Zehe abhaut, zahle er 6 Schillinge.
5) Wenn das erste Glied abgehauen wird, zahle man 3 Schillinge.
6) Wenn es einem Liten geschieht, zahle man 4 Schillinge.
7) Wenn einem Sklaven, zahle man 3 Schillinge.
8) Wenn eine andere Zehe abgehauen wird, zahle man 3 Schillinge.
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II.  Wergeld und Wergeldzahlung in der Lex Ribvaria (um 613/623)
36. Von verschiedenen Totschlägen.
1.  Wenn ein Ribuarier einen zugewanderten Franken tötet, werde er wegen 200 Schillingen als
schuldig erachtet.
2.  Wenn ein Ribuarier einen zugewanderten Burgunden tötet, werde er mit zweimal 80
Schillingen bestraft.
3.  Wenn ein Ribuarier einen zugewanderten Römer tötet, werde er mit zweimal 50 Schillingen
bestraft.
4.  Wenn ein Ribuarier einen zugewanderten Alemannen oder Friesen oder Bayern oder Sachsen
tötet, werde er mit zweimal 80 Schillingen als schuldig erachtet
5.  Wenn jemand einen freigeborenen Kleriker tötet, werde er wegen zweimal 50 Schillingen als
schuldig erachtet.
6.  Wenn jemand einen Subdiakon tötet, werde er wegen zweimal 100 Schillingen als schuldig
erachtet.
7.  Wenn jemand einen Diakon tötet, werde er mit dreimal 100 Schillingen bestraft.
8.  Wenn jemand einen freigeborenen Priester tötet, werde er mit dreimal 200 Schillingen
bestraft.
9.  Wenn jemand einen Bischof tötet, werde er mit dreimal 300 Schillingen bestraft.
10.  Wenn jemand die Leibesfrucht in der Mutter tötet oder ein Neugeborenes, bevor es einen
Namen hat, werde er wegen zweimal 50 Schillingen als schuldig erachtet. Wenn er die Mutter
samt der Leibesfrucht tötet, werde er mit 70 Schillingen bestraft.
11.  Wenn jemand Wergeld zu zahlen sich anschickt, so gebe er einen gehörnten, sehenden und
gesunden Ochsen statt 2 Schillingen. Eine gehörnte, sehende und gesunde Kuh gebe er statt 1
Schilling. Eine sehende und gesunde Stute gebe er statt 3 Schillingen. Ein Schwert mit Scheide
gebe er statt 7 Schillingen. Ein Schwert ohne Scheide gebe er statt 3 Schillingen. Eine gute
Brünne gebe er statt 12 Schillingen. Einen Helm in gutem Zustand gebe er statt 6 Schillingen.
Gute Beinschienen gebe er statt 6 Schillingen. Einen Schild mit Lanze gebe er statt 2
Schillingen. Einen ungezähmten Falken gebe er statt 3 Schillingen. Einen gebeizten Kranich
gebe er statt 6 Schillingen. Einen [schon] gemauserten Falken gebe er statt 12 Schillingen.
12.  Wenn er aber mit Silber zu zahlen vermag, statt einem Schilling 12 Pfennige, wie es von alters
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her angeordnet ist.
Volksrechte
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II. Bedeutung für die europäische Rechtskultur
v  Zusammensetzung
v 
v 
v 
germanischer (Sippen als Ausprägung eines Ordnungssystems,
Kompositionensystem, magische Beweismittel)
römischer (persönliche Unfreiheit, Schriftlichkeit der Verträge)
christlicher (Klerikerstand, Monogamie, Rechtsfähigkeit der Unfreien,
Erbrecht über Seelteil)
Elemente
v  Grundherrschaft, Lehenswesen, Abgabenwesen,
kirchliche Organisation, Aspekte des Privatrechts haben sich
bis zum Ende des Alten Reichs, teilweise darüber hinaus
erhalten.
è Prägung einer gemeinsamen Vergangenheit
Westeuropas.