Eine Wundertüte namens Wirtschaft 4.0

digitalisierung best-practice
3
leitartikel
Eine Wundertüte
namens Wirtschaft 4.0
Für die einen ist es der Aufbruch in eine spannende Zukunft, andere versinken
in Furcht vor den Veränderungen – Wirtschaft 4.0 lässt Chancen und Risiken
in einem für uns unbekannten Ausmaß nebeneinander stehen. Dabei hat
der Wandel das Leben schon immer begleitet – nur nicht in diesem Tempo.
Firmenchefs und Arbeitnehmer sollten dennoch vor allem die positiven
Seiten und Perspektiven im Blick haben.
Von Michael Gneuss
D
as iPhone wurde ein Riesenerfolg, iPad und iPod
auch. Wenn Apple sein
„i“ vor ein Produkt gesetzt hat, wurde für viele Verbraucher aus bekannter Ware ein
völlig neues Erlebnis. Im Jahr 2019 soll
es wieder soweit sein, dann will Unternehmenschef Tim Cook das Apple iCar
präsentieren.
Der automobile Wettbewerb ab 2020
könnte von ganz neuen Marken geprägt
sein. Auch Google entwickelt einen
PKW und Tesla hat sich bei Elektroautos schon einen Namen gemacht. Alle
drei Hersteller könnten es schaffen,
das Mobilitätsbedürfnis um ganz neue
Kundenerfahrungen zu bereichern. Autonom ohne Fahrer und mit neuen Antriebstechnologien surren die Flitzer
der Zukunft durch die Straßen. Und wo
bleiben Toyota, Volkswagen, General
Motors & Co?
Aufwachen!
Für das, was passieren kann, hat die
Unternehmensberatung Roland Berger
einen Begriff geprägt. Wer die Digitalisierung verschläft – so Berger – wird
„ge-ubert“. Die neudeutsche Vokabel ist
eine Anspielung auf das Start-up Uber,
das es als Online-Vermittlungsdienst
für Fahrdienstleistungen mit einer App
geschafft hat, das Taxigewerbe in Aufruhr zu versetzen.
In allen Branchen können einfache
Start-ups mit digitalen Technologien,
kreativen Ideen und umsetzungsstarken Gründern oder Managern etablierten Unternehmen Umsätze streitig
machen – und zwar in einem Ausmaß
und einem Tempo, das wir noch nicht
erlebt haben. Nach einer Erhebung des
us-Ökonomen John Hagel betrug die
durchschnittliche Lebenserwartung eines Unternehmens 1940 noch 75 Jahre,
mittlerweile sind es gerade noch 15.
Damit etablierte Unternehmen die
Zukunft nicht verschlafen, ertönt von
vielen Seiten aus der digitale Weckruf,
der auch kaum noch zu überhören ist.
Dafür spricht unter anderem die Studie
„Wirtschaft 4.0: Große Chancen, viel
zu tun“ des Deutschen Industrie- und
Handelskammertages (dihk), für die
fast 2000 Unternehmen befragt wurden.
Ein Ergebnis war, dass immerhin 94
Prozent der befragten Unternehmer erklärten, die Digitalisierung beeinflusse
bereits ihre Geschäfts-
gastbeitrag
Digitalisierung als Unternehmensaufgabe
Dr. Christoph Geier, Geschäftsführer, und Marcel Menke,
Manager, arbeiten für Platinion, eine auf IT-Consulting
spezialisierte Tochter der Boston Consulting Group
Digitale IT-Architektur
Vielfach wurden erste Potentiale der Digitalisierung
schnell mit technischen Insellösungen erschlossen. Diese Insellösungen bringen kurzfristig den gewünschten
Erfolg. Die digitale Innovationsgeschwindigkeit erfordert aber durchgängig flexible Plattformen, die schnelle
Reaktionen auf neue Bedürfnisse erlauben. So erzwingt
der Trend zur Digitalisierung eine Modernisierung der
gesamten IT-Architektur. Serviceorientierte, offene
und modulare Mehrschichtenarchitekturen müssen
geschaffen werden. Diese komplexe Aufgabe ist konsequent anzugehen.
Digitale Agilität
Eine hohe Reaktionsfähigkeit erfordert parallel zur Modernisierung der IT-Architektur die Automatisierung von
IT-Prozessen (z. B. durch Testautomatisierung oder Continous Integration) als Kernelement einer unternehmensweiten Digitalisierung. Um den Anforderungen der Digitalisierung an Flexibilität und Geschwindigkeit gerecht zu
werden, muss insbesondere das Zusammenarbeitsmodell von Geschäftsbereichen und IT neu definiert werden.
Agiles Arbeiten in der digitalen Welt erfordert die Etablierung interdisziplinärer Teams, die gesamtverantwortlich
und in einem iterativen Vorgehen digitale Angebote in
kürzester Zeit verfügbar machen. Die zeitgleiche Anpassung der technischen Plattform, der IT-Prozesse sowie
der notwendigen Arbeitsstrukturen erfordert somit eine
gesamthafte Unternehmenstransformation.
und Arbeitsprozesse. Vielversprechend
ist, dass die Unternehmen die Entwicklung tendenziell positiv sehen. Immerhin 34 Prozent gaben an, dass sich die
Digitalisierung vorteilhaft auf ihre Umsatzentwicklung auswirkt, nur acht Prozent erkannten einen Rückgang des Geschäftsvolumens. Hemmnisse auf dem
Weg in die Wirtschaft 4.0 wurden indes
in der IT-Sicherheit, in unzureichenden Breitbandanschlüssen und offenen
Rechtsfragen gesehen.
Die Wirtschaft wird digital
Doch was heißt eigentlich „Wirtschaft
4.0“? Weitaus geläufiger unter den
„4.0“-Begriffen ist Industrie 4.0 – eine
Anspielung auf die vierte industrielle
Revolution, die insbesondere durch eine
zunehmende Vernetzung durch Maschine-zu-Maschine-Kommunikation sowie Big Data ermöglicht wird. Als einer
der Erfinder des Begriffs Industrie 4.0
gilt der ehemalige sap-Chef Henning
Kagermann, der seit Juni 2009 als Präsident der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech) amtiert.
Kagermann ist auch einer der beiden
Vorsitzenden des Arbeitskreises Industrie 4.0, der in seinem 2013 veröffentlichten Abschlussbericht die Umsetzungsempfehlungen für das Zukunftsprojekt
Industrie 4.0 entwickelt hat. Doch die
Modernisierung der industriellen Produktion in diesem Sinne ist nur ein Teil
der digitalen Transformation in den Unternehmen.
III