Angriff statt Verteidigung - Familienunternehmer-News

IM BLICKPUNKT
Frank Deburba (l.) ist
Managing Partner
von Infront Consulting,
gegründet 2004
in Hamburg.
Die fünf Partner
und 25 Mitarbeiter
beraten Konzerne und
Familienunternehmen.
Einer ihrer Beratungsschwerpunkte ist
Digitale Transformation und Digital
Leadership. Das
Beratungsunternehmen wurde von der
Wissenschaftlichen
Gesellschaft für
Management und
Beratung (WGMB)
als Hidden Champion
2015 in der Kategorie
„Digitalisierung“
ausgezeichnet.
Angriff statt Verteidigung
Wettbewerbsbeobachtung allein ist zu wenig
Kein Zweifel: Die Bedrohung durch neue Wettbewerber ist im Zeitalter der Digitalisierung hoch. Frank Deburba von Infront empfiehlt, nicht nur auf den Wettbewerb zu starren, sondern die eigenen Chancen zu suchen und wahrzunehmen.
D
ie Schockwellen innovativer Geschäftsmodelle stürzen immer mehr
Branchenführer und eröffnen den Herausforderern Chancen zu starkem
Wachstum. „Die Ausbreitung innovativer Geschäftsmodelle wird durch
aktuelle Technologietrends wie Digitalisierung, Vernetzung, Mobilität,
Big Data und künstliche Intelligenz enorm beschleunigt“, sagt Deburba. „Dabei kommen die neuen Wettbewerber selten mit völlig neu erfundenen Geschäftsmodellen an
den Markt. Vielfach verleiht die Technologie eher bestehenden Geschäftsmodellen
neuen Schwung. Die Markteintrittsbarrieren sind deutlich gesunken. Früher war es
zum Beispiel eine große Sache, eine Bank zu gründen. Heute wird die Wertschöpfung
einer Bank in kleine Teile zersägt, wodurch Spezialisten entstehen, die sich zum Beispiel nur um Kreditvergabe kümmern. Mit jedem erfolgreichen Anbieter verliert die
Bank ein Stück Kundenkontakt. Wir können heute an der Kasse im Supermarkt oder in
der Tankstelle Geld abheben – der Angriff kommt also nicht zwingend von Start-Ups.
Die Leistung wird dort angeboten, wo sich der Kunde befindet.“
Zwei Perspektiven betrachten
Es sei eine wichtige Perspektive, zu betrachten, wer das eigene Unternehmen angreife, sagt Deburba. Das könnten bereits bekannte Wettbewerber sein, die schneller reagiert hätten, aber auch Partner, die die eigene Wertschöpfung erweiterten oder neue
Wettbewerber. „Die Bedrohungsszenarien durch die Digitalisierung
sind sehr plakativ, doch ich empfehle, eine zweite Perspektive zu 41,1 Prozent der
betrachten: Welche Chancen bringt die Digitalisierung für mein Un- Studienteilnehmer
ternehmen? Wie kann ich sie nutzen?“ so der Experte weiter. „Es betrachten die
reicht nicht, an die Digitalisierung defensiv heranzugehen. Märkte Digitalisierung
und Branchen verändern sich schnell und sind nicht mehr so ge- als Risiko für die
schlossen. Der Heizungsbau zum Beispiel hat sich 70 Jahre lang Aufrechterhaltung
nicht verändert. Dann kam Thermondo und wurde innerhalb von von Marktbarrieren.
neun Monaten zum größten Anbieter für Heizungen in Ein- und
Zweifamilienhäusern. Der Newcomer hat die Kundenschnittstelle neu besetzt und den
Kauf einer Heizung für den Kunden transparenter, einfacher und bequemer gemacht.
Die Hersteller und Handwerker verlieren die Kundenbeziehung.“
Den Blick in die Zukunft wagen
Wenn die Schockwelle der Digitalisierung eine Branche erreicht, gibt es nach Erfahrung von Deburba und seinen Kollegen in der Regel zwei Reaktionen: Passivität – „die Digitalisierung hat auf uns keine Auswirkungen“ – oder Aktionismus –
„Digitalisierung ist zu komplex als dass man sich darauf vorbereiten könnte“. „Das
sieht man zum Beispiel im Maschinenbau. Die einen sagen: ‚Alles Quatsch mit der
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Digitalisierung. Die Maschine bleibt.‘ Die anderen erkennen,
dass sich der Wertanteil der Maschine verringern und zum
Beispiel die Software immer wichtiger wird. Die Unternehmen müssen sich also von einem Mechatroniker, der etwas zusammenschraubt, zu einem Unternehmen mit hoher digitaler
Kompetenz entwickeln. Es ist wichtig, dass Unternehmer früh
erkennen, dass sich etwas tut“, sagt Deburba und erzählt von
einem Unternehmer aus dem Bereich Logistik. „Ich habe den
Unternehmer gefragt, wann bei ihm die Digitalisierung Einzug
gehalten habe. Seine Antwort war: Vor 22 Jahren. Damals saß
er zum ersten Mal vor einem PC mit Internetanschluss. Dabei
stieß er auf einen amerikanischen Unternehmer, der Wein aus
Europa importieren wollte, aber nicht die Möglichkeit hatte, in
Europa auf Reisen zu gehen. Also erstellte er ein Portal für Angebote. Die Vorstellung, dass ‚da jemand in den USA sitzt und
ohne sich zu bewegen auf Einkaufstour geht‘, brachte diesen
Unternehmer dazu, seinen ersten Informatiker einzustellen. Er
hatte erkannt, dass sein Geschäft zwar auch künftig das gleiche sein würde, aber die Art und Weise wie er sein Geschäft
machte, sich verändern würde.“
Eine gemeinsame Studie von Infront und der Zeitschrift Capital zeigt, dass sich die Hälfte der befragten Unternehmen
jedoch schwer damit tut, zu erkennen, welche Digitalisierungstrends für das eigene Unternehmen wichtig sind. Im Maschinenbau sahen darin sogar drei Viertel ein Problem. „Bei Infront
haben wir ein Workshopkonzept entwickelt, um das Dickicht
zu lichten“, sagt Deburba. „Wir nennen es ‚GeschäftsmodellInnovation entlang der fünf apokalyptischen Reiter der Digitalisierung‘. Es basiert auf unserer Analyse von 96 digitalen
Geschäftsmodellen, die wir klassifiziert und daraus wiederum
fünf Stoßrichtungen für mögliche neue Geschäftsmodelle entwickelt haben: Solution Providing, Multi-Sided Platforms,
Produktdifferenzierung, Customer Inclusion und Unbundling.
Mit diesem Verfahren können die Unternehmen, ausgehend
von ihrem eigenen Geschäft, schnell Angriffsszenarien und
Geschäftsmodell-Strategien entwickeln.
Konsequent und strategisch handeln
Die Studienergebnisse belegen, dass sich die digitalen Champions durch konsequenteres Handeln auf der strategischen Ebene
und ein tiefgehendes Verständnis für die fundamentalen Konsequenzen der digitalen Ent- 77 Prozent der
wicklung für das Kundenverhalten auszeich- Unternehmen
nen, aber auch für die Mitarbeitererwartungen sehen die
und die gesamte Arbeitsweise in ihrem Unter- Digitalisierung
nehmen. Der Strategieprozess müsse heute als Chance zur
zweistufig ablaufen. Zum einen gehe es um Weiterentwicklung
das aktuelle Geschäft, mit dem die Unterneh- der Kundenmen immer noch einen Großteil ihres Geldes beziehungen.
verdienten, aber parallel dazu müsse man sich
mit dem befassen, was außerhalb davon passiere, sagt Deburba.
„Als Unternehmer muss ich verstehen, dass man die Digitalisierung nicht aussitzen kann. Unternehmer müssen sich für neue
Entwicklungen interessieren und sich damit beschäftigen. Sie
sollten die Entwicklung ihrer Branche im Auge behalten und
neugierig sein“, empfiehlt der Berater. „Die Führung muss sich
informieren, sortieren und einen Plan entwickeln. Tut sie das
nicht, stiftet sie Chaos. Viele Leute werden an vielen verschiedenen Stellen mit kleineren Projekten beginnen, die nicht zusammenpassen. Oft bleibt es dann bei digitalen Prozessverbesserungen. Damit lassen sich keine echten Chancen wahrnehmen.
Das ist Schnee von gestern. Und auch die Mitarbeiter erwarten
einen Plan, ein Gesamtbild, damit sie Vertrauen fassen und die
-ap
Veränderung unterstützen können.“ DIE NEWS 01_02/2016_009