Es ist nie zu spät

ZEIT WISSEN vom 29.09.2015
Autor:
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Rubrik:
Friederike Lübke
88 bis 91
Spezial
Jahrgang:
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Gattung:
Beilage
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2015
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Es ist nie zu spät
Wie lange ist das Gehirn fit? Und wann ist die beste Zeit, um im Job durchzustarten? Die
Phasen des lebenslangen Lernens und wie man diese nutzt
Text: Friederike Lübke
25 bis 35 Jahre
Schon der Einstieg in den Beruf kann
einen Anstoß zur Weiterbildung geben:
Auf der ersten Stelle zeigt sich nämlich,
was einem zum Wissen aus dem Studium noch fehlt. Biologisch gesehen, ist
diese Phase für das Lernen sehr günstig.
Wenn es um schnelles, analytisches
Denken geht, erreicht man zwischen 28
und 32 Jahren den Höhepunkt seiner
Leistungsfähigkeit. Praktischerweise
kann man ab 25 Jahren auch die Bildungsprämie beantragen und sich
dadurch finanziell unterstützen lassen.
Allerdings kann sich jetzt nicht jeder
aufs Lernen konzentrieren. Manch einer
will erst mal im Beruf richtig durchstarten, andere wollen eine Familie gründen. Frauen in Deutschland bekommen
ihr erstes Kind durchschnittlich mit 29
Jahren.
Trotzdem würden die meisten Menschen im Alter von 30 bis 35 Jahren eine
Weiterbildung absolvieren, sagt Regina
Egetenmeyer, Professorin für Erwachsenenbildung und Weiterbildung an der
Uni Würzburg. Dabei handelt es sich oft
um betriebliche Fortbildungen und
Kurse zu bestimmten Kompetenzen, die
die Hochschule noch nicht vermittelt
hat. Es kann aber auch eine gute Idee
sein, nach den ersten Jahren Berufserfahrung für einen Vollzeit-Master an die
Uni zurückzukehren, bevor der Altersunterschied zu den Kommilitonen zu
groß wird. Wer ein Vollzeitstudium zeitlich nicht schafft, kann einen berufsbegleitenden Master machen: An der FernUni Hagen sind die Studenten im
Schnitt 30 Jahre alt.
35 bis 45 Jahre
Im Beruf ist man jetzt angekommen, die
ersten Hürden sind genommen. Man
kennt inzwischen seine Aufgaben im
Unternehmen und hat Routinen ent-
wickelt. Fachlich erreicht man in dieser
Phase in den meisten Berufen das, was
man erreichen kann. Gleichzeitig wird
die Familie wichtiger. Die Kinder kommen in die Schule und fordern viel Aufmerksamkeit, während die eigenen
Eltern älter werden und möglicherweise
mehr Hilfe benötigen. Das Zeitbudget
ist also begrenzt - und das finanzielle
ebenso. Zwar verdienen die meisten nun
ganz gut, das Geld scheint jedoch
ebenso knapp wie vorher. Das liegt
daran, dass viele durch den Kauf einer
Eigentumswohnung oder die Investition
in ein Auto größere Verpflichtungen als
vorher übernommen haben.
Anders als die häusliche Umgebung ist
die Biologie dem Lernen in dieser Phase
förderlich. Das Gehirn ist weitgehend
stabil, der Erfahrungsschatz wächst und
wird durch Kinder noch einmal neu
gefordert. Die Reaktionsgeschwindigkeit nimmt allerdings ab. Zudem kann
die Doppelbelastung durch Familie und
Beruf dazu führen, dass man weniger
leistungsfähig ist als noch mit 25 Jahren.
Die große Frage lautet jetzt: Wie lässt
sich in möglichst wenig Zeit möglichst
viel erreichen? Weiterbildung, die nicht
während der Arbeitszeit stattfindet,
muss sich flexibel organisieren lassen man muss sie abends oder am Wochenende einplanen können. Auch wie die
Kurse gehalten werden, spielt eine
Rolle. "Mit 40 will man keinen Vortrag
mehr hören wie an der Uni", sagt Erwin
Wagner, Professor und Geschäftsführer
des Center for Lifelong Learning der
Universität Hildesheim. Infrage kommen Formen wie E-Learning oder Blended Learning (mehr dazu auf Seite 108).
Inhaltlich sind auch Seminare zu Zeitmanagement, Stressbewältigung oder
Burn-out-Prävention (mehr dazu auf
Seite 56) empfehlenswert.
45 bis 55 Jahre
Die Kinder sind selbstständig geworden.
Jetzt ist es möglich, beruflich noch einmal durchzustarten - etwa durch den
Schritt ins Management oder in die
Unternehmensleitung. "Wenige entscheiden sich, in diesem Alter noch einmal komplett umzusatteln", sagt Erwin
Wagner von der Uni Hildesheim. Es
könnten in Zukunft aber mehr werden,
weil immer weniger Menschen ihr
Leben lang auf einer Stelle bleiben.
Entscheidend dafür, wie viel Neues man
in diesem Alter noch lernen kann, ist die
Motivation. Zwar baut das Namensgedächtnis ab, aber alles, was man durch
Training erwerben kann, wie etwa die
Fertigkeit, ein Instrument zu spielen,
lässt sich durch häufiges Üben verbessern. Der Wortschatz wächst in dieser
Phase weiter, ebenso die Fähigkeit, sich
auszudrücken. Wenn Menschen jetzt
schon geistig stagnieren, liegt es daran,
dass sie sich selbst zu niedrige Ziele setzen. "Mit 45 Jahren sind überraschend
viele mit ihrer Leistungsmotivation
bereits am Ende", sagt Gerhard Roth
vom Institut für Hirnforschung der Uni
Bremen. Sie hätten erreicht, was sie
erreichen wollten: die Verbeamtung, die
feste Stelle, den Lehrstuhl. Dieses Aufgeben sei problematisch, denn: "Man
lernt nur, wenn das Gehirn eine Belohnung erwartet."
Wer das beherzigt, für den lohnen sich
jetzt Seminare zu Führungskompetenzen und Personalführung, die auf eine
neue Position vorbereiten. Auch ein teures MBA-Studium können sich jetzt
einige eher leisten als früher. Für sogenanntes informelles Lernen durch
Bücher bleibt nun ebenfalls mehr Zeit.
55 bis 65 Jahre
Die letzten zehn Jahre vor dem Ruhestand sind für die meisten bereits weniger fordernd. Die Stelle ist sicher, die
Kinder haben inzwischen das Haus ver-
lassen. Viele Menschen sind auch nicht
mehr an den Achtstundentag gebunden,
weil sie ihre Arbeitszeit reduzieren.
Andere haben Positionen erreicht, auf
denen sie freier über ihre Zeit entscheiden können.
Um den Erhalt seiner geistigen Leistungsfähigkeit muss man sich jetzt
besonders kümmern. Das Gehirn schüttet weniger Botenstoffe aus. In der
Folge nimmt die Neugier ab, ebenso die
Bereitschaft, etwas Neues zu lernen.
Multitasking wird schwieriger, Augen
und Ohren werden schlechter. Wenn
man nicht gegensteuert, fällt einem bald
auch das Lernen schwerer, weil man
schlechter lesen, zuhören und sich konzentrieren kann. Mit Sport und einem
gesunden Lebenswandel kann man dem
entgegenwirken. Und mit der richtigen
Einstellung, die jetzt noch wichtiger
Fotonachweis:
Wörter:
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wird. "Das Gehirn kann, was es will",
betont der Neurobiologe Martin Korte
von der TU Braunschweig. "Wenn man
viel von sich erwartet, wird man auch
viel leisten können."
Natürlich, der Ruhestand ist schon am
Horizont sichtbar. Trotzdem unterstützen Arbeitgeber in diesem Alter ihre
lernfreudigen Mitarbeiter noch: Bei den
Erwerbstätigen zwischen 35 und 50 Jahren nehmen, dem aktuellen Bildungsbericht zufolge, 46 Prozent an betrieblicher Weiterbildung teil, bei den 50- bis
65-Jährigen sind es nur drei Prozent
weniger.
Wenn die Weiterbildung keine Pflicht
mehr ist, geht es weniger um die Frage:
Was bringt das für meine Karriere?
Stattdessen heißt es nun: Was bringt es
mir? Was man jetzt lernt, kann einem
für Beschäftigungen im Rentenalter
Illustration: Eiko Ojala
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nützlich sein, ob man ein Buch schreiben oder Vorträge halten will. Außerdem kann man spätestens jetzt das
eigene Wissen weitergeben und selbst
Mentor werden. ***
Der Erfahrungsschatz wächst mit der
Zeit und wird durch Kinder neu gefordert
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Entscheidend dafür, wie viel Neues
man noch lernen kann, ist die Motivation
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