Das Gehirn ist anders, als wir denken

Das Gehirn ist anders,
als wir denken
Christian Wolf
„Hirnjogging macht uns schlau“,
„Hirnforscher können unsere Gedanken lesen“, „Das Gehirn von
Männern und Frauen ist unterschiedlich verdrahtet“: Hirnmythen wie diese sind weit verbreitet.
Das Gehirn nutzt nur einen Bruchteil
seiner Ressourcen. Es verfügt über
eine „logische“ und eine „kreative“
Hälfte und unterscheidet sich zwischen Männern und Frauen erheblich. Das Gehirn von dem hier die
Rede ist, ist ein ganz besonderes
Gehirn. Besonders deshalb, weil
es in der Realität schlichtweg nicht
existiert. Und doch führt es in den
Köpfen vieler Menschen ein ganz eigenes Dasein.
Die Gründe, warum solche Mythen
rund um das Gehirn entstehen, sind
ganz unterschiedlich. Manche wissenschaftlichen Entdeckungen werden wie bei der Stillen Post auf dem
Weg vom Forschungslabor über die
Medien zu Otto Normalverbraucher
verfälscht. Andere Neuromärchen
waren einst tatsächlich Stand der
Forschung. Heute jedoch sind diese Erkenntnisse überholt und setzen
in den Archiven der Universitäten
Staub an. Trotzdem haben sie in der
Bevölkerung ein munteres Eigenleben entwickelt. Und nicht zuletzt haben ganze Industrien, Ratgeberautoren und selbsternannte Experten
ein Interesse daran, solche Legenden zu nähren und für ihre Zwecke
einzusetzen – etwa um vermeintlich
wirksame Hirntrainingstechniken an
den Mann und an die Frau zu bringen. Um sich nicht für dumm verkaufen zu lassen, hilft es, sich einige
der häufigsten Mythen vor Augen zu
führen.
1. Das Gehirn ist nur zu zehn Prozent aktiv
Einfach nicht totzukriegen ist der
jahrzehntealte Mythos, dass wir
nicht das ganze Potenzial unserer
grauen Zellen nutzen. In der Realität
hingegen ist das Gehirn alles andere als ein Ressourcenverschwender.
Bildgebende Verfahren haben in
den vergangenen Jahren gezeigt,
dass unsere Denkzentrale in ihrer
Gesamtheit aktiv ist. Je nach Aufgabe sind die einzelnen Hirnregionen lediglich unterschiedlich stark
beschäftigt. Auch wenn wir gerade
einmal nichts tun, bleibt das Gehirn
nicht untätig. Ein sogenanntes Ruhenetzwerk fährt seine Aktivität in solchen Situationen hoch. Und selbst
im Schlaf ruht unser Gehirn nicht.
Es verarbeitet Eindrücke, die wir am
Tag zuvor erlebt haben, und sortiert
sie in das Gedächtnis ein. Wird ein
Gehirnteil tatsächlich nicht benutzt,
übernehmen die betreffenden Hirnzellen Aufgaben von benachbarten
Hirnregionen. Zum Beispiel wird bei
von Geburt an Blinden die Sehregion beim Ertasten von Blindenschrift
aktiv, da sie ohne den Input der Augen ansonsten arbeitslos wäre. Das
Gehirn ist extrem formbar und kann
sich je nach Anforderung verändern.
Dass das Gehirn weite Bereiche ungenutzt lassen würde, ergibt auch
aus evolutionärer Sicht wenig Sinn.
Das Gehirn ist ein grosser Energiefresser. Sein Verbrauch schlägt mit
rund 20 Prozent unseres Energiebedarfs zu Buche. Die Evolution neigt
eigentlich dazu, wenig Effizientes
auszumustern. Es ist daher ziemlich
unwahrscheinlich, dass sich ein so
kostspieliges Organ mit so viel ungenutzter Kapazität überhaupt entwickelt hätte.
2. Die linke Hirnhälfte ist die logische Seite, die rechte die kreative
Diesem Mythos zufolge sind wir eher
analytisch oder kreativ veranlagt, je
nachdem welche Hirnhälfte wir stärker nutzen. Spiele – etwa Left Brain
Right Brain von Nintendo –, Apps
und auch selbsternannte Gurus
vermarkten diese Legende und versprechen wahlweise, die Kommunikation zwischen den Hirnhälften zu
verbessern oder die jeweils schwächere Hirnhälfte auf Trab zu bringen.
Ein Körnchen Wahrheit steckt in diesem Mythos. Es gibt eine gewisse
Aufgabenteilung, sie bezieht sich
aber auf ganz andere Fertigkeiten.
So ist die linke Hirnhemisphäre im
Allgemeinen auf sprachliche Leistungen spezialisiert. Räumliches
Denken, Zahlenverständnis oder
das Erkennen von Gesichtern sind
eher rechts angesiedelt. Jedoch ist
die Trennung ganz so strikt nicht.
So verfügt auch unsere rechte Seite
über gewisse sprachliche „Talente“
und kann die Sprachmelodie, die
Intonation und Betonung von gesprochener Sprache erfassen. Es
gibt zudem auch keine neurowissenschaftlichen Belege dafür, dass bei
Menschen tatsächlich die linke oder
die rechte Hirnhälfte dominiert.
3. Das Gehirn von Männern und
Frauen ist unterschiedlich verdrahtet
Um es gleich vorwegzusagen: Ja, es
gibt Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Gehirnen.
Beispielsweise sind die Gehirne
von Männern in der Regel grösser
als die von Frauen, auch wenn man
beim Vergleich ihre unterschiedliche
Körpergrösse berücksichtigt. Doch
zweierlei sollte man im Hinterkopf
behalten, egal ob in einem grösseren oder kleineren: Erstens handelt es sich um statistische Durchschnittswerte, und diese haben mit
einem individuellen Gehirn oft wenig
zu tun. Eine bestimmte Frau kann
also durchaus über ein grösseres
Gehirn verfügen als ein bestimmter
Mann. Und zweitens ist das grössere Hirnvolumen der Männer nicht
gleichbedeutend mit höherer Intelligenz. Besonders problematisch ist
es, wenn echte oder bloss vermeintliche biologische Unterschiede der
Geschlechter mit Verhaltensunterschieden verknüpft werden: Heraus
kommen dabei dann Neuromärchen
wie jenes, dass bei Frauen die beiden Hirnhälften besser miteinander
kommunizieren und sie deshalb –
anders als Männer – mehrere Aufgaben gleichzeitig bewältigen können.
Dem fehle aber jede wissenschaftliche Grundlage, schreibt der Hirnforscher Christian Jarrett in seinem
Buch Great Myths of the Brain. So
fällt etwa der Balken, ein Geflecht
aus Nervenfasern, das die beiden
Hirnhälften miteinander verbindet,
bei Frauen nicht grösser aus als bei
Männern. Zu diesem Ergebnis kam
der Neurowissenschaftler Mikkel
Wallentin von der Universität Aarhus
2009 in einer Übersichtsarbeit. Der
Kommunikationskanal zwischen linkem und rechtem Hirn ist bei Frauen
keineswegs besser ausgebaut.
4. Spiegelneurone machen uns
erst empathisch
Alles begann in den 1990er Jahren.
Damals stiessen italienische Forscher um den Neurowissenschaftler
Giacomo Rizzolatti von der Universität Parma auf ein seltsames Verhalten von Nervenzellen der Grosshirnrinde eines Makakenäffchens. Die
für Bewegungen wichtigen Neurone
feuerten nicht nur, als das Tier nach
Früchten griff, sondern auch, als es
einen der Forscher bei der gleichen
Bewegung beobachtete. Anscheinend spiegelten einige Hirnzellen
des Äffchens das Gesehene. Möglicherweise seien die nun Spiegeln-
eurone genannten Nervenzellen entscheidend dafür, die Absicht hinter
Bewegungen zu verstehen, vermuteten Rizzolatti und seine Kollegen.
Und sie spekulierten munter weiter:
Vielleicht könnten Spiegelneurone
auch dem Menschen helfen, fremde
Bewegungen innerlich nachzuspielen und als Handlungen mit einer
Absicht einzuordnen.
Spiegelneurone stiegen in den folgenden Jahren zu regelrechten Medienstars auf: Zahllose Zeitungsberichte und populäre Bücher stellten
diese Nervenzeilen als die entscheidende Grundlage dafür dar, dass
wir uns in andere Menschen hineinversetzen können. Doch die Sache
hat den einen oder anderen Haken:
Die Existenz von Spiegelneuronen
beim Menschen ist bis heute umstritten. Und auch die empathischen
Fähigkeiten der Spiegelneurone
scheinen ein Mythos zu sein, warnt
der Neurowissenschaftler Christian
Jarrett. Schliesslich verstehen wir
auch die Absicht von Bewegungen
und Handlungen, die wir selbst nicht
ausführen und innerlich simulieren
können, wie etwa den Flug eines
Vogels. Ausserdem sind die vermeintlichen Spiegelneurone beim
Menschen selbst dann aktiv, wenn
hinter Bewegungen überhaupt keine
Absichten stecken, weil sie etwa von
seelenlosen Robotern ausgeführt
werden. Das konnte der Neurowissenschaftler Christian Keysers vom
University Medical Center Groningen
feststellen. Spiegelneurone sind also
wohl eher dafür wichtig, äusserliche
Bewegungen als solche nachzuvollziehen. Vermutet man hinter den Bewegungen Absichten und versucht
man, sich in die handelnde Person
hineinzuversetzen, kommen dann
aber offensichtlich andere Hirnregionen ins Spiel.
5. Hirnjogging macht uns schlau
Kreuzworträtsel, Sudokus und zahlreiche kommerzielle Gehirnjoggingprogramme versprechen, unsere
geistige Fitness zu steigern. Doch
Forscher haben für uns eine ernüchternde Botschaft. Viele Untersuchungen zeigen, dass man durch
mentales Training nur bei den geübten oder bei ähnlichen Aufgaben
profitiert, aber nicht bei vollkommen
anderen. Wenn wir regelmässig über
Kreuzworträtseln brüten, werden wir
zwar darin besser. Unser Verständnis für Zahlen macht damit aber
keine Fortschritte. Auch eine kleine
Sensation innerhalb der Wissenschaft entpuppte sich im Nachhinein eher als heisse Luft. Es ging um
das gezielte Training des Arbeitsgedächtnisses, mit dessen Hilfe wir
Informationen wie eine Telefonnummer kurzfristig speichern können.
Einigen Studien zufolge sollte sich
dieses Training auch positiv auf den
IQ auswirken. Doch später folgte
die Ernüchterung: Untersuchungen
mit strengeren Methoden förderten
enttäuschende Resultate zutage.
Zwar brachten die Probanden ihr
Arbeitsgedächtnis auf Trab. Doch in
Sachen Intelligenz machte sich das
Training nicht positiv bemerkbar.
Alles andere wäre auch eine echte
Überraschung. Die meisten Psychologen gehen davon aus, dass wir unsere fluide Intelligenz, unsere geistige Flexibilität, im Erwachsenenalter
nicht mehr steigern können. Die gute
Nachricht aber ist: Die kristalline Intelligenz, unsere im Laufe des Lebens angesammelten Wissensvorräte und Kompetenzen, nehmen bis
ins hohe Alter zu. Wer sich mental
zusätzlich ertüchtigen möchte, sollte
bedenken: Vor allem Abwechslung
ist Trumpf. Jeden Tag nur Sudoku zu
spielen ist definitiv zu einseitig.
6. Hirnforscher können unsere Gedanken lesen
Es klang sensationell, was man in
den vergangenen Jahren erfahren
durfte: „Gedanken lesen im Kopf des
anderen“, hiess es im Focus und Die
Welt schrieb: „Das gläserne Gehirn
lässt Gedanken lesen.“ Hirnforscher
können Gedanken lesen! Anlass
waren Studien wie diese von 2013:
Forschern von der Carnegie Mellon University war es gelungen, die
Emotionen ihrer Probanden zu identifizieren, und zwar allein anhand
von Hirnmustern. Doch handelte
es sich dabei wirklich um Gedankenlesen? Allenfalls in einem ganz
indirekten Sinne. Zunächst einmal
können bildgebende Verfahren wie
die funktionelle Magnetresonanztomografie keinen unserer Gedanken
direkt sichtbar machen. Sie registrieren lediglich Hirnaktivierungen. Um
von Hirnmustern auf Seelisches wie
Gefühle zu „schliessen“, muss eine
Computersoftware zunächst einmal
viel üben.
Auch in der erwähnten Studie lernte
ein Computerprogramm in Trainingsdurchläufen, die Emotionen, die die
Probanden auf Wunsch der Forscher
innerlich durchlebten, mit bestimmten Hirnmustern zu verknüpfen. Erst
in einem zweiten Schritt konnte das
Computerprogramm von den Hirnaktivierungen auf die entsprechenden
Emotionen der Versuchspersonen
„zurückschliessen“. Eine Herausforderung für das „Gedankenlesen“
wird dabei wohl auch in Zukunft
sein, einem psychischen Phänomen
ein eindeutiges Hirnmuster zuzuordnen. Zwar geht beispielsweise Angst
oft mit einer stärkeren Tätigkeit des
Mandelkerns einher. Doch umgekehrt bedeutet eine Aktivierung des
Mandelkerns nicht immer Angst.
Denn als Teil des „Gefühlszentrums“
regt sich diese Hirnregion auch bei
anderen Emotionen.
7. Psychische Erkrankungen beruhen auf einem chemischen Ungleichgewicht des Gehirns
Es ist eine einfache Botschaft für
komplexe Erkrankungen: Für Depressionen und andere psychische
Leiden wie Angststörungen sei ein
Ungleichgewicht bestimmter Botenstoffe im Gehirn verantwortlich. Medikamente wie Antidepressiva könnten dieses Ungleichgewicht wieder
beheben. Dies ist eine Botschaft, die
Pharmafirmen Menschen vor allem
in den USA erfolgreich eintrichtern
konnten, wo Direktwerbung – etwa in
Zeitungen und Zeitschriften – erlaubt
ist. Die zum Teil erfolgreiche Wirkung von Antidepressiva scheint den
Pharmafirmen zunächst Recht zu
geben. Schliesslich setzen Antidepressiva genau an den Botenstoffen
an. Sogenannte Serotonin-Wiederaufnahmehemmer etwa erhöhen die
Verfügbarkeit von Serotonin an den
Kontaktstellen der Nervenzellen.
Doch von Anfang an gab es Ungereimtheiten. Die Antidepressiva erhöhen zwar schon innerhalb kurzer
Zeit den Serotoninspiegel. Doch
warum wirken sie dann meist erst
nach Wochen? Ausserdem waren
beispielsweise Versuche, den Serotoninspiegel künstlich abzusenken
und dadurch depressive Zustände
im Labor zu simulieren, nicht von Erfolg gekrönt. Es gebe keinen Zweifel
daran, dass die Neurochemie eine
wichtige Rolle bei Depression spielt,
schreibt der Neurowissenschaftler Christian Jarrett in seinem Buch
über Neuromythen. Aber das bedeute nicht, dass mentale Störungen in
solch einem einfachen Sinne durch
ein chemisches Ungleichgewicht
verursacht würden, wie es dieser
Vorstellung nach erscheint. In Wahrheit wisse niemand, was denn genau
die richtige Menge an Serotonin und
anderen Botenstoffen im Gehirn sei.
8. Die ersten drei Lebensjahre sind
für die Hirnentwicklung entscheidend
In den vergangenen Jahren hat sich
eine Vorstellung in den Köpfen von
Eltern, Erziehern und Lehrern festgesetzt: Die Hirnentwicklung findet
demnach im Wesentlichen in den
ersten drei Lebensjahren statt. In
dieser sensiblen Phase falle den
Kleinen das Lernen am leichtesten, was sich in einem rasanten
Zuwachs von Nervenverbindungen
niederschlage. Danach seien unsere
grauen Zellen im Grossen und Ganzen fest verdrahtet. Diese Idee hat
durchaus einen wahren Kern. Nach
der Geburt werden Nervenverbindungen im Überfluss angelegt. Doch
entgegen dem Mythos der alles entscheidenden ersten drei Lebensjahre entwickeln sich einzelne Hirnregionen in einem unterschiedlichen
Tempo. In Teilen des Stirnlappens
beispielsweise zieht sich die Reifung
bis ins junge Erwachsenenalter hin.
Mit ihm entwickeln sich die entsprechenden geistigen Fertigkeiten wie
das Planen von Handlungen und die
Kontrolle von Impulsen noch bis in
die Adoleszenz hinein. Ausserdem
existieren zwar tatsächlich kritische
Zeitfenster der Entwicklung. Doch
diese beziehen sich eigentlich auf
vernachlässigte Kinder, die etwa in
Heimen aufgewachsen sind und wenig Anregung in ihrem jungen Leben
erhalten haben. Sie können, wenn
sie noch in frühen Jahren zu Pflegeeltern kommen, in ihrer ursprünglich
zurückgebliebenen geistigen und
emotionalen Entwicklung aufholen.
Das bedeutet aber gerade nicht
zwangsläufig, dass zusätzliche geistige Anregungen normal entwickelten Kindern einen ähnlichen Schub
verpassen können. Das schreibt
der Psychologe Paul Howard-Jones
von der University of Bristol in einer
Übersichtsarbeit zu Hirnmythen in
der Pädagogik. Nach Howard-Jones
hat die Vorstellung der drei wichtigen ersten Jahre Eltern fälschlich
dazu gebracht, ein wahres Rennen
gegen die Zeit zu starten, um ihren
Kleinen noch rechtzeitig genügend
geistige Stimulation zu bieten.
9. Jugendliche handeln wegen ihres unreifen Gehirn impulsiv
Früher hiess es „Die Hormone sind
schuld“, wenn Pubertierende ungeschützt Sex hatten oder ohne Führerschein zu einer Spritztour mit dem
Auto der Eltern aufbrachen. Heute
greifen Hirnforscher und Entwicklungspsychologen gerne auf eine
ergänzende Erklärung zurück. Demnach dominieren bei Heranwachsenden die „impulsiven“ gegenüber
„besonnenen“ Hirnregionen. Das
schreibt etwa die niederländische
Entwicklungspsychologin
Eveline
Crone in ihrem populären Buch Das
pubertierende Gehirn. Tatsache ist:
In der Zeit der Adoleszenz zwischen
10 und 22 Jahren wird das Gehirn
völlig umgebaut. Dabei ist vor allem
das für die Kontrolle von Impulsen
wichtige Stirnhirn ein Nachzügler.
Zudem scheint das Belohnungssystem im Gehirn von Jugendlichen besonders aktiv zu sein, was sie unter
Umständen anfällig für den Kick des
Moments macht. Diese Erkenntnisse sind zweifellos interessant. Doch
der vermeintlich ursächliche Zusammenhang zwischen der Hirnentwicklung und dem impulsiven, risikoreichen Verhalten von Jugendlichen
ist bislang keineswegs eindeutig
belegt. Und zudem hat sich in den
Medien und in Ratgeberbüchern
eine verführerisch eingängige, aber
auch folgenschwere Metapher eingebürgert. Das Teenagergehirn wird
dabei gerne mit einem Auto verglichen. Dieses Auto verfügt über ein
ordentliches Gaspedal (ein überaktives Belohnungssystem), aber nur
über eine schwache Bremse (ein
noch nicht ausgereiftes Kontrollsystem). So intuitiv einleuchtend diese
Metapher auch sein mag: Sie habe
auch einen heiklen Aspekt, so Paul
Howard-Jones. Die Metapher lege
nämlich nahe, dass es wenig sinnvoll sei, die Kompetenz des Fahrers
zu steigern, wenn die schwachen
Bremsen nicht repariert werden können. Impulsives und risikoreiches
Verhalten sei nach dieser Logik der
Normalzustand des Teenagerdaseins. Das erzeuge ein Dilemma, wie
etwa Lehrer reagieren sollen, wenn
Jugendliche im Unterricht stören.
10. Lernstörungen sind fest im Gehirn verankert
Ein Mythos ist besonders unter Lehrern durchaus weit verbreitet: Demnach lassen sich Lernstörungen, die
sich auch im Gehirn widerspiegeln,
durch Erziehung nicht beeinflussen.
Eine Studie des Psychologen Simon
Gibbs von der Newcastle University
vermittelte 2015 eine Ahnung davon, welche falschen Vorstellungen
das Label „Legasthenie“ bei Lehrern
auslösen kann. Lasen Grundschullehrer auf einem Fragebogen „von
Kindern mit Legasthenie“, glaubten sie viel eher, es handle sich um
eine biologisch fest verankerte, dauerhafte Lese- und Rechtschreibeschwäche, bei der sie den Kleinen
nicht helfen könnten. War dagegen
die Rede von „Schwierigkeiten beim
Lesen“ waren Lehrer viel zuversichtlicher und hielten die Schwäche
eher für vorläufig. Dabei zeichnen
neuere neurowissenschaftliche Untersuchungen durchaus ein anderes
Bild von Lernstörungen. Unterschiede zwischen Kindern mit und ohne
solche Schwierigkeiten äussern sich
zwar im Gehirn. Doch die neuronalen Auffälligkeiten von betroffenen
Kindern lassen sich durch Training
beeinflussen. Das zeigte eine Studie
der Neurobiologin Karin Kucian vom
Universitäts-Kinderspital in Zürich. In
ihrer Untersuchung profitierten Kinder mit Dyskalkulie stärker von einem
fünfwöchigen Computertraining zum
Zahlenverständnis als Kinder ohne
die spezifische Rechenschwäche.
Zudem verringerte sich nach dem
Training vor allem bei den betroffenen Kindern die Aktivität in Arealen,
die Zahlen verarbeiten. Offensichtlich, so Kucian, habe das Training
manche für die Aufgabe nötigen
Prozesse automatisiert. Lernstörungen sind also beileibe kein unabänderliches Schicksal. Hirnmythen wie
dieser sollten aus unseren Köpfen
verschwinden.
Literaturangabe
Wolf, C. (2015). Das Gehirn ist anders, als wir denken. Psychologie
Heute, 7, 36-41.
Literaturverzeichnis des Artikels:
Jarrett, C. (2014). Great myths of the
brain. Chicester: Wiley – Blackwell
Howard-Jones, P. (2014). Neuroscience and education: Myths and
messages. Nature Reviews of Neu-
roscience, 15, 817-824.
Kassam, K. S., Markey, A. R., Cherkassky, V. L., Loewenstein, G., &
Just, M. A. (2013). Identifying emotions on the basis of neural activation. PLOS ONE. doi 10.1371/journal.
pone.0066032
Kucian, K., et al. (2011). Mental
number line training in children with
developmental dyscalculia. Neuroimage, 57(3), 782-795.
Nelson, C. A., et al. (2007). Cognitive
recovery in socially deprived young
children: The Bucharest early intervention project. Science, 318, 19371940.
Wallentin, M. (2009). Putative sex differences in verbal abilities and language cortex: A critical review. Brain
and Language, 108, 175-183.
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Als Arbeits- und
Organisationspsychologin
sowie
als Klinische Psychologin M. Sc.
verfüge ich über
wissenschaftlich
fundiertes Knowhow im Bereich
der Psychologie.
Sowohl als Leiterin Produkte/Entwicklung wie auch als Mitglied der
Geschäftsleitung beim Coachingzentrum Olten setze ich mich ständig mit dem Themenschwerpunkt
Resilienz auseinander – Forschungen zu diesem Thema interessieren mich sehr: Welche Ressourcen
Menschen in schwierigen Situationen aktivieren können, überrascht
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Daher sehe ich meine Aufgabe darin, Menschen in herausfordernden
Lebenssituationen als Coach (dipl.
Coach SCA / CAS Coaching) und
Psychotherapeutin (Fachpsychologin für Psychotherapie FSP) zu
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