www.lehrerservice.at aktuell ONLINE das junge Magazin AUSGABE 25 l NOVEMBER 2015 Picturedesk, Shutterstock (2) Menschen fliehen vor den Terroranschlägen in Paris Die grauenvolle Nacht von Paris Terroristen des „Islamischen Staates“ haben einen Rachefeldzug begonnen. E s war ein Herbst des Terrors. Am 31. Oktober deponierten Terroristen des „Islamischen Staates“ (IS) eine Bombe im Gepäckraum eines russischen Charter-Flugzeuges. Bei seinem Absturz über dem Sinai fanden 224 Menschen den Tod. Nur wenige Tage später, am 13. November, töteten drei Terrorkommandos des Islamischen Staates in Paris 132 Menschen. In Bekennerschreiben spricht der „Islamische Staat“ von Rache an russischen, französischen und deutschen „Kreuzrittern“. Denn russische und französische Kampfflugzeuge fliegen derzeit neben US-Kampfflugzeugen täglich Einsätze gegen den Islamischen Staat. Und Deutschland liefert den Kurden Waffen, um am Boden gegen den IS zu kämpfen. Dass in Paris nur ein Deutscher unter den Opfern war, war pures Glück. Denn ursprünglich wollten die Terroristen ins Stadion von Paris eindringen, wo gerade das FußballFreundschaftsspiel Frankreich gegen Deutschland stattfand, sodass auch Tausende Deutsche unter den Besuchern waren. Aber sie fanden keinen Einlass. Nur einer der Terroristen zündete den Sprengstoffgürtel, den er um den Leib trug, und riss einen Passanten mit in den Tod. Um 21 Uhr 20 hörte man im Stadion den Knall. Aber niemand wusste, was er zu bedeuten hatte – das Spiel ging weiter. Ein zweites IS-Terrorkommando fuhr mit einem schwarzen Seat von < TOPICaktuell ONLINE – ab sofort auf www.lehrerservice.at AUSGABE 25 Lokal zu Lokal. Mit Sturmgewehren erschossen die jungen Männer, die aus dem Auto sprangen, jeden, der an diesem lauen Abend gerade im Vorgarten oder auf der Terrasse saß: 39 Menschen in 15 Minuten. SCHREIE IM KONZERTSAAL Um 21 Uhr 40 drang ein drittes Terrorkommando in den Konzertsaal „Bataclan“ in einem nahen Vergnügungsviertel ein. Rund 1.500 Besucher wollten dort das Konzert einer US-Rockband erleben. Stattdessen erlebten sie ein Inferno. Die Österreicherin Theresa Cede, die seit Jahren in Paris lebt, war eine der Besucherinnen und schilderte im ORF, was sich ereignete: Die eingedrungenen Terroristen begannen zu schreien und zu schießen. Besucher, die in der Nähe von Ausgängen waren, flohen durchs Stiegenhaus. Andere erklommen die Bühne und flohen über den Bühnenausgang. Wer nicht zu fliehen vermochte, warf sich auf den Boden – so auch Theresa. Sie versuchte nur, sich nicht zu rühren und keine Aufmerksamkeit zu erregen. Was sich weiter ereignete, erlebte sie benommen wie durch einen Nebel: immer wieder Schüsse, immer wieder Schreie, immer wieder Detonationen – drei Stunden lang. IN DIE FREIHEIT GETAUMELT Dann endlich schoben sich die Mündungen von Sturmgewehren der Polizei durch einen Spalt der Saaltüren. 20 NOVEMBER 2015 l SEITE 2 Von einem wusste man anhand seines Fingerabdruckes sehr bald, wer er war: ein 29-jähriger Franzose, der wegen kleiner Diebstähle mehrmals verurteilt worden war. Seine Familie erzählte, dass er immer öfter in die Moschee gegangen und immer radikaler geworden sei. Der französische Geheimdienst hatte ihn deshalb beobachtet, aber keine Verbindung zu einer Terrororganisation entdeckt. Von den anderen Terroristen wusste man Montag, dass sie Franzosen waren. Dass sie sehr jung gewesen sind und in Syrien zu Terroristen ausgebildet wurden. Einer dürfte einen syrischen, ein anderer einen ägyptischen Pass besessen haben – aber es muss nicht ihr eigener gewesen sein und es kann sich auch um Fälschungen handeln. Mit dem syrischen Pass hatte ein Flüchtling die Grenze nach Griechenland überschritten. Minuten nach Mitternacht hatte eine Spezialeinheit das Gebäude gestürmt. Drei Attentäter hatten ihre Sprengstoffgürtel gezündet, einen hatte die Polizei erschossen. Aber sein Gürtel explodierte ebenfalls. 89 Tote, unter ihnen ein Crewmitglied der Band, blieben zurück. Theresa Cede taumelte in die Freiheit. Das taten unterdessen auch die Besucher des PariAUSNAHMEser Stadions. NachZUSTAND dem die Polizei sie Frankreichs Präsianfangs zum Bleident François Holben aufgefordert lande hat den Aushatte, gab sie nun nahmezustand über Entwarnung. Nur Frankreich verhängt: die beiden FußballAlle Grenzen sind gemannschaften versperrt; die Polizei darf brachten die Nacht jedermann anhalim Stadion, denn die François Hollande hat den ten und jedes Haus Polizei hielt sie für Ausnahmezustand verhängt durchsuchen, ohne besonders gefährdet. vorher einen Richter (Am Vormittag hatte es schon eine Bombendrohung gegen um Erlaubnis zu bitten. Die Polizei entdas Hotel gegeben, in dem die deutsche deckte erste Spuren: Der schwarze SeMannschaft untergebracht war. Die Po- at und ein zweites von den Terroristen lizei hatte das Gebäude durchsucht, benutztes Auto mit belgischem Kennaber keine Bombe gefunden. Man hat- zeichen wurden gefunden. In Belgien wurden drei Personen verhaftet, die als te einen blöden Witz vermutet.) islamische Fanatiker bekannt waren. FANATISCH UND SEHR JUNG Zumindest ein Terrorist wird auf der Am Montagmorgen war die bis- Flucht vermutet, denn im Bekennerherige Opferzahl bekannt: 132 Men- schreiben des IS ist von acht Kämpfern schen hatten den Tod gefunden, 80 die Rede. Man glaubt, ihn mit Namen schwebten noch in Lebensgefahr. Ein zu kennen, und hat ihn zur Verhaftung im Konzertsaal angeschossener Tiro- ausgeschrieben. Wenn ihr diesen Text ler ist Gott sei Dank über den Berg. lest, herrscht diesbezüglich wahrscheinAuch sieben Terroristen waren tot. lich schon Klarheit. < Picturedesk (2) Paris im Ausnahmezustand: Überall ist Polizei l TOPICaktuell ONLINE – ab sofort auf www.lehrerservice.at AUSGABE 25 l NOVEMBER 2015 l SEITE 3 Der brutalste Staat der Welt Christen oder Jesiden einer nicht islamischen Religion angehören, werden sie umgebracht. Die Köpfe Umgebrachter werden auf Pfählen ausgestellt. RELIGIONSKÄMPFE STATT RUHE SYRIEN Wie der „Islamische Staat“ zustande kam. D er Islamische Staat macht seit rund zwei Jahren auf gespenstische Weise von sich reden: Seine Anführer stellen Videos ins Internet, auf denen gezeigt wird, wie Männer in schwarzen Masken amerikanische oder britische Journalisten, Touristen oder Entwicklungshelfer köpfen. Sie veröffentlichen Landkarten, auf denen schwarz eingezeichnet ist, was sie für ihr Herrschaftsgebiet halten: natürlich ganz Arabien – aber auch Spanien, weil dort schon einmal maurische Moslems lebten. Weil Allah auf ihrer Seite ist, so behaupten sie, würden ihre Kämpfer alle diese Gebiete früher oder später erobern und zu Teilen ihres Reiches machen, das sie „Kalifat“ nennen. Und immerhin regiert ihr „Kalif“ Abu Bakr al-Baghdadi derzeit schon über ein gutes Drittel Syriens und des Irak. Er regiert mit brutaler Härte: Selbst jedes Kind muss schwören, nur ihm zu gehorchen, notfalls sein Leben für ihn zu lassen. Schon Zehnjährige werden an Maschinengewehren ausgebildet. Natürlich müssen Frauen verschleiert sein und ihren Männern gehorchen. Natürlich gelten die harten Strafen der „Scharia“: Dieben wird die Hand abgehackt, untreue Frauen werden gesteinigt. Ungläubige – das sind auch Moslems, die den sunnitischen Glauben nicht nach den Regeln von al-Baghdadi auslegen – haben im günstigsten Fall die Chance, das Land zu verlassen. Wenn sie sich sträuben oder gar als Wie konnte es zu diesem MonsterStaat kommen? Hauptursache war der Irakkrieg im Jahr 2003. Unter dem falschen Vorwand, dass dort Atomwaffen lagern, hat US-Präsident George W. Bush eine internationale Streitmacht in den Irak entsandt und dessen brutalen Diktator Saddam Hussein gestürzt. Wegen zahlreicher Verbrechen gegen die Menschlichkeit – 1980 hatte er den Iran und 1990 Kuwait überfallen, 5.000 kurdische Aufständische hatte er mit Giftgas umgebracht – wurde Hussein der Prozess gemacht und 2006 wurde er hingerichtet. Die Iraker wählten demokratisch eine neue Regierung. Diese Regierung wurde von Mitgliedern der schiitischen Religionsgemeinschaft angeführt, weil die Mehrheit der Iraker Schiiten sind. Nur gibt es im Irak auch eine große Minderheit, die der Religionsgemeinschaft der Sunniten angehört. Diese Minderheit wurde von der rein schiitischen Regierung prompt ziemlich < Picturedesk (3) Luftschlag gegen den Islamischen Staat TOPICaktuell ONLINE – ab sofort auf www.lehrerservice.at AUSGABE 25 schlecht behandelt. Es ist daher ständig zu Attentaten von Sunniten gegen Schiiten gekommen, statt dass Ruhe im Irak eingekehrt wäre. HEILIGER KRIEG GEGEN DIE USA Gleichzeitig kämpften viele Sunniten gegen die US-Besatzungsmacht, die sie als Schirmherr der schiitischen Regierung ansahen. In diesem Kampf erhielten sie Unterstützung aus allen Himmelsrichtungen: Aus dem Iran, aus Afghanistan, aus Palästina, ja selbst aus Europa kamen islamische Fanatiker in den Irak, um in den „heiligen Krieg“– Dschihad – gegen die USA zu ziehen. Organisiert wurde dieser Dschihad von einer Terrororganisation, die ursprünglich in Afghanistan zu Hause war: der Al Kaida. Denn seit dem 11. September 2001 hatte die Al Kaida die Führung im Kampf gegen die USA übernommen: Zwei von ihren Terroristen entführte Passagierflugzeuge waren in die Wolkenkratzer des World Trade Center in New York gerast – und dessen Trümmer begruben 3.000 Menschen unter sich. Von da an organisierte die Al Kaida überall auf der Welt Terroranschläge, die sich gegen den „Westen“, voran die USA, richteten. Im Irak entstand unter ihrem Dach eine besonders fanatische Unterorganisation, die sich schließlich von ihr abspaltete: die Terrormiliz ISIS. Ihr Ziel: die Errichtung eines NOVEMBER 2015 l SEITE 4 Kampfflugzeuge greifen den Islamischen Staat an Islamischen GottesStaates im Irak regiert. Er verfügt über viel Geld, denn und in Syrien (abgekürzt IS). Wäh- in seinem Gebiet liegen Ölquellen. Mit rend sich die USA unter Barack Oba- diesem Geld wirbt er in eigenen Zeitma immer mehr aus dem Irak zurück- schriften und im Internet: Er lädt unzogen, wurde ISIS immer stärker: Die glückliche Moslems auf der ganzen Terrormiliz eroberte Welt ein, sich seigroße Teile des sunnem Dschihad anzunitischen Irak und schließen. erbeutete dabei imUnd gerade viele mer mehr Waffen, psychisch gestörte, die die USA für die innerlich schwaRegierung zurückche Jugendliche fühgelassen hatten. In len sich unglücklich. vielen Ortschaften Als Moslems fühliefen die Leute freilen sie sich in EuroGeorge W. Bush begann den willig zum IS über. pa an den Rand geIrakkrieg unter falschem Vorwand – Barack Obama blies Wenn nicht, wurden drängt. Die Brutalität voreilig zum Rückzug sie brutal dazu gedes IS imponiert ihzwungen. nen – sie verwechseln sie mit Stärke. Auch 200 Österreicher UMKÄMPFTES SYRIEN haben sich in den IS aufgemacht – 40 Ähnlich erfolgreich wuchs ISIS in von ihnen sind bisher umgekommen. Syrien. Denn durch den Bürgerkrieg herrschte Chaos. Eine Zeit lang kämpfte ANGRIFFE GEGEN DEN IS Erst in diesem Jahr haben fast aldie Terrormiliz aufseiten der Aufständischen gegen Staatschef Baschar le Staaten begriffen, dass sie das ISal-Assad. Aber schon bald begann Monster dringend bekämpfen müssie, Land für ihren Gottesstaat zu er- sen. Seither werden von den USA, von obern. Auch in Syrien fielen ihr sunni- Russland, Großbritannien, Frankreich tische Gebiete oft problemlos in die und selbst von der lange zögernden Hände. Denn Baschar Al-Assad hat- Türkei Angriffe gegen den Islamischen te die Sunniten in seinem Land stets Staat geflogen. Am Boden kämpfen syrische und irakische Kurden erfolgdenkbar schlecht behandelt. Wieder vertrieb die Terrormiliz alle reich gegen den IS und erobern neu„Ungläubigen“ und brachte Christen erdings Gebiete zurück. Der IS wehrt oder Jesiden um. In Rakka begründete sich auf seine Weise: indem er rusder IS eine eigene Hauptstadt, von der sische Urlauber und französische Konaus der „Kalif“ al-Baghdadi bis heute zertbesucher umbringt. Picturedesk (2), Shutterstock Kurden im Kampf gegen den IS l
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