Predigtreihe 2

Predigt: Versuchung und Sünde, Gen 3
Der russische Schriftsteller Dostojewski erzählt in der „Traum eines lächerlichen Menschen“ folgende
Begebenheit:
Ein vom Leben und der Welt verbitterter Mann, der sich selbst als lächerlich bezeichnet und dem
allmählich alles gleichgültig geworden war, beschließt, sich zu erschießen.
Auf dem Weg nach Hause begegnet er einem Mädchen, das zittert und nach Hilfe ruft. Doch er stößt
es zurück.
Er setzt sich an seinen Tisch in seinem kleinen Zimmer, legt den Revolver vor sich hin und wartet auf
den Moment, indem er sich erschießen will.
Doch plötzlich schläft er ein und erlebt einen phantastischen Traum:
er träumt, er habe sich erschossen, er erlebt sein Begräbnis, er fühlt sich im Sarg liegen.
Doch dann tritt er eine Reise an, durch das All zu einem Doppelgänger der Welt, aber im
Harmoniezustand, eine "vor dem Sündenfall" verschonte Welt.
Er sieht vollkommen glückliche Menschen, schöne Menschen,
wunschlos und ruhig, mit einem tiefen Wissen,
die allein über das Herz kommunizieren, ohne Worte,
die völlig im gegenwärtigen Augenblick aufgehen.
Doch dann, sagt er, erkannte er die Wahrheit…
Kurze Rückschau:
Adam und Eva leben im Garten Eden. Sie sind nackt und schämen sich nicht. In dem Garten lässt Gott
viele verschiedene Bäume wachsen, die schön aussehen und deren Früchte lecker und nahrhaft sind.
Dazu steht mitten im Garten der Baum des Lebens und der Baum der Erkenntnis des Guten und
Bösen. Warum und wozu Gott diese Bäume gepflanzt hat, erfahren wir nicht. Und Gott sagte dem
Menschen: „Von allen Bäumen im Garten darfst du essen, nur von dem Baum der Erkenntnis des
Guten und Bösen, von dem darfst du nicht essen, denn sobald du davon isst, musst du sterben.“
(Text)
Mit der sprechenden und klugen Schlange beginnt die Geschichte gleich mit einem märchenhaften
Element.
Die Schlange wurde häufig gedeutet als innere Stimme in Eva oder als der Teufel selbst,
aber in der Geschichte ist es zunächst einfach eine Schlange, die im Garten Eden lebte.
Die Beziehung zwischen Mensch und Tier scheint noch heil und unbegrenzt: Sie können sich mühelos
miteinander verständigen.
Die Schlange beginnt mit einer Lüge. „Gott hat gesagt, ihr dürft von keinem Baum essen.“
Eva erkennt die Unwahrheit ihrer Aussage und korrigiert sie:
„Nur von einem Baum dürfen wir nicht essen.“
Die Schlange sät Misstrauen: „Gott hat euch angelogen. Gott hat euch betrogen. Ihr werdet nicht
sterben, sondern ihr werdet wie Gott sein und wissen, was gut und böse ist.“
Die Schlange malt Eva einen eigensüchtigen Gott vor Augen, der sie mit seinem Gebot klein halten
möchte, ihr etwas nicht gönnt.
Eva isst von der Frucht, sie gibt auch Adam davon.
Der Mensch weiß nun um Gut und Böse. Oder vielmehr: Er hat ein eigenes Bewusstsein. Er erfährt
sich als eigenständiges „Ich“, der ein Gebot Gottes übertreten kann.
Er will eigene Erfahrungen machen, nicht eine gemeinsame.
Er handelt, wie wenn Gott weit weg wäre und nichts sehen könnte.
Es ist eine Art Emanzipation.
Eine Art pubertärer Aufstand gegen Gott und sein Gebot.
Er muss selbst ausprobieren, was ihm nutzt und schadet – es ist nicht genug, dass es ihm jemand
sagt.
Er will nicht sein Leben lang wie über eine Nabelschnur mit Gott verbunden sein.
Er will selbst Entscheidungen treffen, bestimmen, selbst Herr über sein Leben sein.
Und er stirbt nicht – zumindest nicht sofort.
Dafür schämt er sich das erste Mal. Die Scham - ein völlig neues Gefühl überkommt ihn.
Der Mensch macht sich Kleidung – und grenzt sich damit von den Tieren ab.
Er versteckt sich vor Gottes Gesicht und grenzt sich von Gott ab.
Er ist in seinem Handeln und Reden nicht mehr eins mit Gott und der Natur.
Auf das Misstrauen folgt die Entfremdung.
Von Gott zur Rede gestellt leugnet er die Verantwortung für seine Tat. Er schiebt die Schuld in erster
Linie Gott selbst zu, dann erst seiner Gefährtin: „Die Frau, die DU mir beigesellt hast, hat mir von dem
Baume gegeben.“
Seine Gefährtin macht die Schlange verantwortlich: „Die Schlange hat mich verführt, [die Schlange,
die DU geschaffen hast.]“
Er ist er unreife Teil in uns, das für nichts Verantwortung nehmen will.
An allem ist irgendwer anderer schuld: In erster Linie natürlich Gott, der ja eigentlich für alles
verantwortlich ist, schließlich hat er es geschaffen.
Direkt folgend der Teufel oder die böse Welt.
Und dann natürlich all die Menschen, deren Opfer wir im Laufe unseres Lebens geworden sind:
Die Eltern, die uns beim Erziehen böse Wunden zugefügt haben und auf die sich fast alle Neurosen
zurückführen lassen, die wir haben.
Die Lehrer, der Chef, der Lebenspartner, die Werbung, die uns verführt, der Markt, der halt so
funktioniert, die Wirtschaft, die Politiker, der böse Westen oder Osten, wer auch immer.
Der Mensch nach dem „Fall“ kann zwar Gut und Böse unterscheiden,
und ist fähig, frei zu wählen.
Er ist aber nicht bereit, das Böse in sich selbst zu erkennen.
Er sieht es nur im Außen.
Das ist aber brandgefährlich:
Ein Mensch, der nicht mehr erkennt, wie sehr er eingebunden und abhängig ist von der Welt, die ihn
umgibt,
der sich abgrenzt,
und der gleichzeitig alles Böse nach Außen projiziert,
der darf nicht ewig leben.
Der kann keine Verantwortung für die ganze Welt übernehmen,
er kann sie nur zerstören.
Gott schickt ihn aus dem Garten Eden:
„Dass er nicht seine Hand ausstreckt und auch noch von dem Baum des Lebens breche und ewig
lebe.“
Die Hauptperson in Dostojewskis Erzählung erfährt durch ihren Traum einen tiefgreifenden Wandel:
Er erkennt, dass er – ja, er, Ursache ist, für alles, was in der Welt passiert, durch seinen Stolz, seine
Lieblosigkeit, durch seine Gleichgültigkeit kommt Stolz, Lieblosigkeit und Gleichgültigkeit in die
unschuldige Welt. Denn er hätte einem kleinen Mädchen helfen können und hat es nicht getan. Und
das erste Mal in seinem Leben hört er auf, in den anderen das Böse zu sehen.
Verantwortung zu übernehmen, bedeutet zu erkennen,
dass es an uns liegt, in welcher Welt wir leben.
Wir sind Eva und Adam. Wir fragen misstrauisch, ob Gott es wirklich gut mit uns meint.
Wir trennen zwischen Gut und Böse.
Wir haben unseren unmittelbaren Zugang zu Gott verloren.
Unsere Gene, unsere Gedanken, unsere Taten – all das wird bis heute von Eva und Adam
mitbestimmt.
Wir Theologen nennen das „Erbsünde“, weil sie von Generation zu Generation weitergegeben wird
und in jedem von uns liegt.
Jesus nahm nun diese Erbsünde auf sich.
Er überwand die Trennung und kam zu einer völligen Einheit mit Gott.
Und er schenkt uns Hoffnung:
Denn wir hängen nun auch alle mit Jesus zusammen.
Mit Jesus kann auch in unserem Leben der Wendepunkt geschehen:
Er sagt: Die Wahrheit wird euch frei machen.
Wir können unsere Verstrickungen erkennen und bekennen,
Wir können unsere Blickrichtung ändern und jetzt frei entscheiden, dass wir wieder eins mit Gott sein
wollen.
Amen.