„Dürfen wir alles, was wir können?“ Aktuelle Anfragen und der Versuch einer Antwort aus der christlichen Schöpfungstheologie heraus Prof. Dr. Johanna Rahner Die Herausforderung: • „Das die ganze Menschheitsgeschichte prägende 'Ringen zwischen bestialisierenden und zähmenden Tendenzen' ist heute verloren, weil der Mensch angesichts seiner durch die verschiedensten 'Medien' noch verstärkten 'Verwilderungstendenzen' nicht mehr erzogen werden kann, und alle erzieherisch-humanistischen Ideale durch ihre Ideologieanfälligkeit versagt haben.“ • Während nämlich der Humanist sich noch den Menschen vorgeben lässt, um an ihm seine "zähmenden, dressierenden und bildenden Mittel" anzuwenden, gilt es heute an den 'tausendjährigen Prozessen' Maß zu nehmen, "in denen bisher dank intimer Verschränkung von Züchtung, Zähmung und Erziehung Menschenproduktion" betrieben wurde. • „Ob aber die langfristige Entwicklung auch zu einer genetischen Reform der Gattungseigenschaften führen wird - ob eine künftige Anthropotechnologie bis zu einer expliziten Merkmalsplanung vordringt; ob die Menschheit gattungspolitisch eine Umstellung vom Geburtenfatalismus zur optionalen Geburt und zur pränatalen Selektion wird vollziehen können – dies sind Fragen, in denen sich [… ] der evolutionäre Horizont vor uns zu lichten beginnt.“ Peter Sloterdijk: Regeln für den Menschenpark Aufgabenstellung der Theologie: • Dem stets vorhandenen menschlichen „Trieb zur Wahrheit“ seinen eigenen ethischen Grundimpuls bewusst machen. Dieser liegt darin, dass jede Erkenntnis auch auf Anerkennung und damit Würdigung des Erkannten ausgelegt ist. • Die innere „Dialektik der Aufklärung“als ureigenstes jüdisch-christliches Erbe immer wieder zur Sprache bringen. D.h. jene Schattenseite des menschlichen Strebens nach Wissen aufzudecken, die gerade darin liegt, dass im Autonomiestreben des Menschen stets ein destruktiver „Wille zur Macht“, zur Bemächtigung vorhanden ist. Schöpfungstheologische Begründung: • Im Mittelpunkt einer biblisch orientierten Anthropologie stehen die Begriffe: Herkünftigkeit und Geschöpflichkeit des Menschen. Dafür entwickeln die biblischen Schöpfungserzählungen zwei Bilder: der Mensch ist Geschöpf des Wortes Gottes und er ist als Bild/Ebenbild Gottes geschaffen (Gen 1,27f) bzw. er ist derjenige, dem die Erde anvertraut ist (dominium terrae) und der allem seinen Namen gibt. (Gen 2,20). Diese Auszeichnung enthält aber auch den Hinweis auf seine Aufgabe und Verpflichtung, auf eine innere Bindung. • Vom Aufbau der biblischen Urgeschichten her wird dies dadurch deutlich, dass es die zweite Schöpfungserzählung nicht bei der Frage der Erschaffung des Menschen, seiner Würde und Beauftragung belässt, sondern die Frage weiter bearbeitet, wie denn der Mensch sein Wesen, seine Gottesebenbildlichkeit dynamisch entwickelt; dazu dient die sogenannte ‚Sündenfallerzählung’. • Die Erkenntnis von Gut und Böse ist zunächst einmal eine neutrale Erkenntnis, keine Sünde. Aber es ist eine Erkenntnis, die nicht ohne Folgen ist! • Der Verfasser der folgenden Kapitel blickt dabei ebenso realistisch, wie pessimistisch auf den Menschen. Denn er lässt keinen Zweifel daran: Sobald der Mensch weiß, was gut und was böse ist, tut er das Böse. Warum? Konsequenzen: • Theologie hat hinzuweisen auf die potentielle Angeschlagenheit die alles menschliche Streben nach Erkenntnis begleitet, jene stets vorhandene Tendenz, nie die ganzen Folgen im Blick haben zu können. Das freilich ist ein Defekt, den menschliche Vernunft sehr selten selbst an sich entdeckt. Theologie hat dabei die Würde all jener zu verteidigen, die dort verloren zu gehen droht, wo sich das Streben nach Wissen als getarnter ‚Wille zur Macht’und so als Recht des Stärkeren durchzusetzen droht. • Es ist eine Theologie gefragt, die das Potential des eigenen jüdischchristlichen Erbes – sei es im Blick auf die Welt als anvertraute Schöpfung, d.h. als geschenkte Gabe, sei es im Blick auf den Menschen als gewolltes, freies, aber auch verantwortliches Geschöpf – kreativ und vor allem kritisch ins Spiel bringt.
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