Römer 12, 9-16 (1 Paulus schreibt: Ich ermahne euch nun, liebe

Römer 12, 9-16
(1 Paulus schreibt: Ich ermahne euch nun, liebe Brüder, durch die
Barmherzigkeit Gottes: … )
9-16 Die Liebe sei ohne Falsch. Hasst das Böse, hängt dem Guten an. Die
brüderliche Liebe untereinander sei herzlich. Einer komme dem andern
mit Ehrerbietung zuvor.
Seid nicht träge in dem, was ihr tun sollt. Seid brennend im Geist. Dient
dem Herrn. Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im
Gebet.
Nehmt euch der Nöte der Heiligen an. Übt Gastfreundschaft. Segnet, die
euch verfolgen; segnet, und flucht nicht. Freut euch mit den Fröhlichen
und weint mit den Weinenden.
Seid eines Sinnes untereinander. Trachtet nicht nach hohen Dingen,
sondern haltet euch herunter zu den geringen. Haltet euch nicht selbst für
klug.
Nun müssen wir für unseren Predigttext doch noch einmal zurückgreifen
auf den Anfang des Kapitels, aus dem unser Abschnitt genommen ist. Da
schreibt Paulus: „Ich ermahne euch nun, liebe Brüder – wir fügen hinzu:
liebe Schwestern, – durch die Barmherzigkeit Gottes.“ Und dann kommt
ein ganzes langes Kapitel mit Ermahnungen für die Gemeinde Jesu in
Rom.
Ja, braucht eine Gemeinde denn so viele Ermahnungen. Ich mag
Ermahnungen eigentlich nicht gern aussprechen, und vor allem mag ich
sie nicht bekommen. So was setzt uns unter Druck. Wir mögen keine
Ermahnungen. Aber wenn ich diesen Bibelabschnitt nun predigen soll,
dann muss ich zwangsläufig dasselbe tun, nämlich „ermahnen“.
Machen wir uns noch etwas bewusst: Für das Wort „ermahnen“ gebraucht
Paulus das griechische Wort „parakaleo“. Wörtlich heißt das
„herbeirufen“. Dieses Wort steht auch in den Evangelien, wenn z.B. Jesus
jemand herbeiruft.
Wenn Sie in einem griechischen Café die Bedienung herbeirufen, dann
rufen Sie: „Parakalo!“ Übersetzt heißt das „Bitte!“ – aber wörtlich heißt
das „herbeirufen“.
Wenn ich meinen Kindern sage: „Komm mal her“, dann kann das in 2
Richtungen gehen: Entweder es gibt ein Problem und meine Kinder sind
schuld - oder sie haben ein Problem und ich will sie trösten.
Deswegen heißt parakaleo auch trösten. Und wenn Jesus vom Heiligen
Geist spricht, den er senden wird und ihn Tröster nennt, dann heißt das
auf Griechisch „Parakletos“, Paraklet, Tröster, der, der uns zur Hilfe
herbeieilt und uns tröstet.
Wahrscheinlich sind Sie jetzt völlig verwirrt: Parakaleo, herbeirufen, oder
ermahnen, oder trösten, bitte.
Denken wir noch mal an die Kinder, die herbeigerufen werden, um sie zu
ermahnen oder zu trösten. Im Grunde genommen mache ich beide Male
das Gleiche: Ich rufe sie herbei und lenke ihren Blick und ihr Handeln
von etwas ab in eine andere Richtung. Trösten hat viel mit Ablenken zu
tun. Den Blick von dem, was Kummer macht weg auf etwas, das tröstet
hinlenken. Beim Ermahnen genauso.
Sehen sie, das, was Paulus in diesem Kapitel mit uns macht, nennen wir
Seelsorge. Er ruft uns herbei, parakalo, bitte, schau doch mal in diese
Richtung. Und was zeigt er uns? Die Barmherzigkeit Gottes, die einen
Namen hat: Jesus Christus. Paulus zeigt uns Jesus: Bitte, richte dich
wieder nach diesem Leitbild aus. Das ist eine Bitte, eine Ermahnung
und sehr tröstlich.
Ich sage das alles, weil man dies Kapitel auch missverstehen kann. Wir
könnten daraus eine Kette von Sprüchen machen, die man sich ins
Stammbuch schreibt, ins Poesiealbum, aus denen wir Sprüche für Taufe,
Konfirmation oder Trauung aussuchen. Diese Sprüche stehen auf
Urkunden und verkommen wirkungslos, – ohne dass wir den Blick
wenden, unser Leben korrigieren, ohne dass wir zu Jesus finden und
getröstet werden.
Jeder einzelne Satz ist Seelsorge, also Mahnung und Tröstung. Jeder
einzelne Satz ruft uns in die Gemeinschaft mit Jesus. Wenn Paulus uns an
Liebe erinnert, dann lenkt er unseren Blick auf Jesus und ruft uns in seine
Gemeinschaft. Wenn von Gastfreundschaft die Rede ist: Schau mal, so
tat es Jesus – folge ihm nach.
Der gesamte Abschnitt, über den ich hier predige ist eine Beschreibung
der Verhaltensweise Jesus. Paulus mutet uns, Satz um Satz zu: Lass dich
in das Bild deines Herrn hinein umgestalten.
Nun ist die ganze Kette der Mahnungen natürlich ein Problem. Alle ist oft
keines. Aber vielleicht genügt schon ein Satz für einen Tag: „Freut euch
mit den Fröhlichen, weint mit den Weinenden.“ Das müssten wir mal
bewusst ausprobieren, d.h., von mir weg sehen, wo sind Fröhliche, wo
Weinende?
Dabei stoßen wir gleich auf ein Problem: Wir sind viel zu beschäftigt mit
uns selbst, mit unseren Problemen, Vorhaben und Gedanken. Da
brauchen wir dann eine bewusste Entscheidung und darum müssen wir
wohl beten: Ich will jetzt frei sein für diesen Menschen.
„Haltet an am Gebet“: Für diesen Satz reicht natürlich ein Tag nicht
aus, dafür brauchen wir unser Leben. Aber wir müssen an einem Tag
anfangen und es ausprobieren: Wie ist das, wenn ich versuche, beharrlich
zu beten? Und unser 40-Tage-Stille Projekt gibt uns dafür natürlich eine
wunderbare Gelegenheit.
Wir ahnen wohl, dass es beim Christsein nicht nur um einen bestimmten
Vorrat an Überzeugungen geht, sondern um praktisches Leben. Wir
lassen uns mit unserem Leben von Jesus in eine Richtung bringen. Das
geht nicht von selbst sondern hat mit Übung zu tun, mit Scheitern und
wieder versuchen.
Die Reihe der Sätze sprudelt aus Paulus nur so heraus. Sie beginnen mit
der Liebe, die als brüderliche Liebe, also als familiäre Liebe der
Gemeinde Jesu bezeichnet wir. Und sie hat ihre Spitze darin, dass ich
meinen Feind mit dieser Liebe überwinden kann.
Wir haben nur die erste Hälfte der Mahnungen gehört. Dreimal kommt
in diesem ganzen Abschnitt das Böse vor. Zu Anfang schärft uns Paulus
ein: Haltet radikal Abstand vom Bösen, trennt euch vom Bösen und werft
euch auf das Gute. Später: Vergeltet niemandem Böses mit Bösen, und
am Ende: überwindet das Böse mit Gutem.
Dabei geht es um dreierlei Verhältnisse:
Zum einen um das Verhältnis der Christen untereinander, also das
Leben in der Gemeinde. Dann allgemeiner die Mitmenschen und am
Ende die Feinde. Immer heißt es: Überwindet das Böse mit Gutem.
Ach, das wissen wir: Das Böse wartet nicht vor der Kirchentür auf uns,
sondern sitzt hier mitten unter uns und lebt in uns. Da könnte man ja dran
verzweifeln, wenn wir unserer Bosheit begegnen, unserer! Paulus betreibt
Seelsorge, Mahnung und Tröstung. Er ruft uns zum Guten, zu Jesus, in
seine Nähe.
Ein Tugendkatalog tröstet nicht und verändert mich nicht. Die
Gemeinschaft mit Jesus verändert. Mit dieser Veränderung stehen wir
alle wohl erst am Anfang. Der Weg der Nachfolge bedeutet auch harte
Arbeit. Tröstlich ist, dass bei allem Versagen es kein Sitzenbleiben gibt
und keine Kündigung. Wenn ich versage heißt es: Parakalo, komm doch
mal her, schau auf Jesu und weiter geht’s.
Zu diesen Ermahnungen und Tröstungen gehören Entscheidungen: Hasst
das Böse. Entscheide dich eindeutig gegen das Böse. Die Gedanken des
Bösen, die wir zulassen, die sich in unserem Leben ausbreiten und Macht
gewinnen, Neid, Habsucht, Lieblosigkeit: Trenn dich von diesen
Gedanken und wirf dich auf Jesus. Dem Guten denket nach. Und damit
bekommt die Liebe Raum.
Entscheidungen sind gefragt und damit Trennung vom Bösen und
Hinwendung zu Jesus.
Probieren wir es aus, üben wir es ein, Satz für Satz, Tag für Tag. –
Parakalo, bitte! Amen.