Süddeutsche Zeitung WIRTSCHAFT Montag, 9. Mai 2016 Bayern, Deutschland, München Seite 20 Der Duft der weiten Welt Ob etwas sauber ist, entscheidet auch die Nase. Deswegen wissen Konzerne wie Henkel, dass ihre Produkte vor allem eines müssen: gut riechen von varinia bernau Krefeld – Zwei weiße Pappstreifen hält Ralf Bunn einem vor die Nase. Auf den einen hat er Rosenöl aus Bulgarien geträufelt, 2000 Euro das Kilogramm. Auf den anderen einen im Labor erzeugten Rosenduft. Ausgerechnet das natürliche Rosenöl riecht unangenehm. Etwas fischig. Bunn, 56, lächelt. Er weiß, was ungeübte Nasen verwundert. „Die meisten Menschen sind mit Rosenseife eben vertrauter als mit echten Rosen.“ Düfte nämlich wecken Erinnerungen. Über etwa 350 Riechrezeptoren verfügt der Mensch. Der Geruchssinn ist viel feiner als der Geschmackssinn. Und er ist mit einem der ältesten Bereiche im Gehirn verknüpft. Dem, der auch Erinnerungen und Emotionen verarbeitet. Deshalb schafft Bunn, ein hochgewachsener und höflicher Mann, nicht nur Düfte. Er schafft, wie er selbst sagt, Emotionen. Es gibt nicht viele solcher Supernasen. Etwa 50 sind es in ganz Deutschland. Cool Water, als Parfum für Herren 1988 erfunden, steckt inzwischen auch in Klo-Steinen Bunn sorgt gemeinsam mit vier anderen Parfumeuren in den Laboren des Konsumgüterherstellers Henkel dafür, dass die Kunden, wenn sie an einem Putzmittel riechen, das Gefühl haben, dass es sauber macht – oder bei einem Shampoo, dass sie daran denken, wie die Haare angenehm das Gesicht umspielen. 20 000 Mal atmet der Mensch an einem Tag ein und aus. 20 000 Mal hat er also die Möglichkeit, den Duft eines Produktes wahrzunehmen. Bunn sitzt in einem roten Klinkerbau im Hafen von Krefeld. Es ist eine ehemalige Seifenfabrik, an der sich das Familienunternehmen Henkel zunächst beteiligt und es Mitte der Fünfzigerjahre vollständig übernommen hat. Hugo Henkel, der Sohn des Firmengründers, hatte 1907 ein Waschmittel mit Bleichsoda auf den Markt gebracht: Persil. Wer es verwendete, musste die Wäsche nicht mehr mehrere Tage auf die Wiese legen. Sie wurde auch im Waschtrog sauber. Aber, erzählt Bunn, die Leute waren skeptisch. Dass dieses Waschmittel sauberer machte, obwohl man weniger Arbeit damit hatte – wer glaubt so etwas schon? Zumal die Lauge ziemlich unangenehm roch. Bei einer Reise in die USA ent- deckte Konrad Henkel, der Enkel des Firmengründers, in einem amerikanischen Laden duftendes Waschpulver. Ein Jahr später, 1959, brachte das Unternehmen das erste parfumierte Waschmittel Europas in die Läden. Eines, das auch der Nase signalisierte: Die Wäsche wird sauber. In Deutschland ist Persil eines der beliebtesten Waschmittel. Sieben Milliarden Waschmaschinen beladen die Deutschen jedes Jahr, mehr als jede fünfte davon befüllen sie mit Persil. Und das ist auch der Verdienst von Ralf Bunn. Um die Jahrtausendwende hat er einen neuen Duft für Persil kreiert. Einen Duft, der so erfolgreich war, dass er seither nur leicht verändert wurde. Eine Duftfamilie für alle 60 Länder, in denen Henkel das Waschmittel anbietet. Persil riecht in Deutschland fast genauso wie in Ägypten, Südkorea oder den USA. Das ist, sagt Bunn, allerdings die Ausnahme. Denn auch Düfte folgen gewissen Trends. Manche, die für Parfums geschaffen wurden, tauchen später in Haushaltsmitteln wieder auf. Cool Water, als Parfum für Herren 1988 erfunden, steckt inzwischen auch in Klo-Steinen. Und dann gibt es noch kulturelle Unterschiede: Sauberkeit, so Bunn, verbinden verschiedene Länder mit verschiedenen Düften. Oft sind es Gerüche aus der Natur, mit denen die Menschen seit Jahrhunderten vertraut sind. Im Norden Europas eine leichte Note von Fichten, bei den Franzosen Lavendel. „Für die Deutschen ist das eher ein Oma-Duft“, sagt Bunn. „Deutschland ist ein Zitrusland: Hier verbinden die Menschen Sauberkeit mit Zitrusdüften wie zum Beispiel Bergamotte oder Orange.“ In Spanien wiederum sei der Geruch von Sauberkeit ein erlernter: nämlich der nach Chlor. In Ägypten steckt in Putzmitteln viel Jasmin. Es ist ein schwerer blumiger Duft, mit einer fauligen Komponente. „Jasmin nimmt üble Gerüche, die dort teils durch die Straßen wabern, auf und führt sie über in etwas Angenehmes, überdeckt sie auch“, sagt Bunn. All das gilt es, ehe ein Putzmittel in die Läden kommt, auszutarieren. Doch auch dafür zu sorgen, dass Persil immer und überall ähnlich riecht, ist knifflig: Denn der Duft soll den Kunden schon beim Öffnen der Packung umschmeicheln. Damit Flüssigwaschmittel genauso riecht wie Pulver, muss es anders zusammengesetzt sein. „Die Öffnung der Flasche, aus der der Geruch steigt, ist recht klein“, sagt Bunn und formt aus Daumen und Zeigefinger einen Kreis. Beim Karton mit Pulver ist die Ralf Bunn hat schon viele „Duftnoten“ hinterlassen, so beim Waschmittel Persil. Auch Düfte folgen gewissen Trends, sagt der Experte. Manche, die für Parfums geschaffen wurden, tauchen später in Haushaltsmitteln wieder auf. FOTO: OH duftende Öffnung viel größer. In der Packung mit den Kapseln, deren Hülle auch den Geruch des Waschmittels abschirmt, liegt ein kleines parfümiertes Pappstück. Ähnlich den duftenden Tannenbäumen, die manche Menschen an den Rückspiegel ihrer Autos hängen. Nur ein paar Schritte von Bunns Büro den Flur entlang befindet sich ein Raum, an dessen Wänden Regale mit etwa 1300 Rohstoffen hängen. Alphabetisch sortiert, in braunen Fläschchen mit schwarzen Kappen. Das ist die Bibliothek der Parfumeure. Bunn sagt, dass er in seiner Ausbildung die Bestandteile von Düften wie Vokabeln gelernt hat. Wenn er einen Duft entwickelt, setzt er sie zusammen. Als würde er ein Gedicht schreiben, mit dem er eine gewisse Stimmung erzeugen will. Ob er einen Rohstoff verwendet, darüber entscheidet auch der Preis. Das ist der Grund, warum der Duft für Rosenseife oft eher aus DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de dem Labor als aus Bulgarien kommt. Wobei es weitaus teurere Rohstoffe gibt: Die Schwertlilie kostet bis zu 50 000 Euro das Kilogramm; Oud, ein von einem Pilz befallenes Holz aus Indonesien, sogar mehr als 100 000 Euro. Wie riecht die Wäsche, wenn man sie nass aus der Maschine holt? Jedes Jahr werden auf dem ehemaligen Gelände der Seifenfabrik in Krefeld 10 000 Tonnen Parfumöl produziert, das nicht nur Persil seinen Duft gibt, sondern auch dem Geschirrspülmittel Pril, dem Weichspüler Vernel oder der Fa-Seife. Ein Duft, den Bunn und seine Kollegen entworfen haben, wird in allen Lebenslagen erprobt. Deshalb stehen auf dem Gelände auch mehrere Waschmaschinen, rotieren Trock- ner und lagern weiße Handtücher in den Regalen. Immer wieder kommt jemand zum Schnuppern vorbei – und prüft so, ob wirklich jeder Moment beim Kunden das Gefühl wecken würde, das sie wecken wollen. Wie riecht die Wäsche, wenn man sie nass aus der Maschine holt? Und wie, wenn man die Handtücher nach einer knappen Woche aus dem Schrank holt? Es gibt auf dem Firmengelände sogar zehn Klo-Kabinen, in denen nicht nur Klo-Stein zu Testzwecken hängt, sondern auch Fliesen oder Glastüren zur Geruchsprobe geputzt, nasse Wäsche beim Trocknen duften soll. Und auch dort hält immer mal wieder einer von Bunns Kollegen seine Nase rein. Erst wenn sie überzeugt sind, wird der Duft in der Marketingabteilung vorgestellt, anschließend einer breiteren Bevölkerung präsentiert. Schließlich soll das Produkt bei den ungeübten Nasen die richtigen Gefühle wecken – und sie nicht irritieren. A67233460 svra039
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