Der Hefeteig des Lebens

der Autor:
Jürgen Rath
Ich bin in Stuttgart geboren, lebe jedoch seit 40
Jahren in Hamburg, wo ich Betriebswirtschaft,
Soziologie und Sozial- und Wirtschaftsgeschichte
studiert habe.
Beruflich bin ich ein unruhiger Geist: ich bin zur
See gefahren, war IT-Manager und habe im Personalbereich von internationalen Unternehmen
gearbeitet.
Seit 10 Jahren arbeite ich als Schifffahrtshistoriker
und freier Schriftsteller. Für meine Kurzgeschichten habe ich im Jahre 2011 den Preis der Friedenslesung und den KaroKrimiPreis, Berlin erhalten.
Der Hefeteig des Lebens
Eine Kurzgeschichte von Jürgen Rath, aufgetischt vom Mörderklüngel*
in Zusammenarbeit mit der Morgengold Frühstücksdienste Franchise GmbH
* Der Mörderklüngel ist eine Hamburger Autorengruppe
Morgengold Frühstücksdienste Franchise GmbH
Ehrenhaldenstaffel 3, 70192 Stuttgart
Endlich hatten sie die letzen Brötchen in den Ofen geschoben.
Es war eine Knochenarbeit gewesen, bei dieser Hitze in der Backstube. Flori lehnte müde an der Arbeitsplatte, er wischte sich das
Gesicht mit einem Handtuch ab. Warum lerne ich
Bäcker und nicht Schlachter, fragte er sich wieder einmal. In
Schlachtereien ist es immer kühl. Wenn da nur nicht das blutige
Fleisch wäre. Dann doch lieber Bäcker, trotz der Hitze.
Flori nahm die Mütze ab. Seine langen, schwarzen Haare klebten
ihm am Kopf.
„Mütze auf in der Backstube!“, rief der Meister von der Knetmaschine her. „Ich will keine Haare im Brot haben.“ Er baute sich
vor Flori auf. „Wie oft soll ich es dir noch sagen, Florian: Ein langes, schwarzes Haar im Teig ist das Schlimmste was uns passieren kann. Wenn das jemand im Brot findet, kauft keiner mehr
bei uns. So was spricht sich rum im Dorf.“
Blöder Affe!, dachte Flori.
Widerstrebend stopfte er seine Haare unter die Mütze. Dann machte er sich über das Weizenbrot her, das Landbrot mit dem hohen Roggenanteil würde später kommen. Flori arbeitete schnell und konzentriert, schließlich war er bereits im zweiten Lehrjahr. Trotzdem
war es eine schwere Arbeit, er wünschte, sie hätten mehr maschinelle Unterstützung.
Als der letzte Laib für den Ofen vorbereitet war, stützte der Meister beide Hände in die
Hüften. Er reckte sich, stöhnte anhaltend, trat dann in den Garten hinaus.
Eigentlich ist der schrullige Alte ganz in Ordnung. Manchmal kann man sogar seinen Spaß
mit ihm haben. Doch wenn er Rückenschmerzen hat, ist Schluss mit lustig.
„Seinen Sie vorsichtig, Meister, dass Sie sich keinen Hexenschuss holen.“
„Paperlapap! Mein Rücken ist kaputt vom ewigen Stehen und der gebückten Haltung.
Nicht vom Luftzug.“
Jetzt ging auch Flori nach draußen. Der klare Morgen erfrischte ihn, er gierte nach einer
Zigarette, unterdrückte jedoch die Sucht. An so einem Morgen bot man besser keine Angriffsfläche, das hatte er schon im ersten Lehrjahr gelernt.
Der Bäcker ließ sich vorsichtig auf einen der
Gartenstühle nieder. Er drückte das Kreuz
durch, streckte die Beine aus und blinzelte
in die aufgehende Sonne.
„Uhrzeit?“
„Halb sechs.“
Der Meister schaute Flori feindselig an.
„Wir sind reichlich spät dran. Du warst zu
langsam.“
Immer das gleiche Spielchen. Kaum zwickt es ihm im Rücken, hat er schlechte Laune und
meckert rum. Natürlich mit mir, weil ich der Lehrling bin.
„Vielleicht wäre die Arbeit in der Brotfabrik besser für Sie, Meister. Da sitzen Sie am Schaltpult und steuern die Maschinen. Keine schweren Säcke mehr wuchten, keine Teigwanne
mehr schleppen. Wäre gut für Ihren Rücken.“
„Brotfabrik, Brotfabrik“, schimpfte der Alte los. „Bist du verrückt? Ich geh doch nicht in die
Industrie. Ich will Hefe riechen. Und Sauerteig. Ich brauche den Teig an meinen Händen.“
„Ist Ihre Gesundheit nicht wichtiger als Teig an den Händen?“
„Es geht um mehr als nur um den Teig, du Lausebengel. Es geht um das Leben und um das
Universum.“
Flori kniff die Augen zu engen Schlitzen zusammen. Er musterte den Alten misstrauisch.
Universum? Was soll das denn nun wieder? Ist er jetzt verrückt geworden?
Der Meister schnupperte in Richtung Backstube. „Wir vollbringen jeden Morgen einen
Schöpfungsakt, wenn ich das mal so sagen darf, philosophisch gesehen.“
Flori machte den Mund auf, wollte darauf antworten, unterließ es dann jedoch. Ich darf
ihn nicht reizen. Bei Verrückten muss man vorsichtig sein.
„Der Hefeteig ist die Ursuppe, verstehst du? Vorher ist
da nur Mehl und Salz und Presshefe. Doch dann gebe
ich Milch und Zucker dazu. Das ist die Muttermilch,
die ist auch süß. Das lässt den Teig wachsen. Natürlich
dauert das, zum Gehen braucht es Zeit. Und Wärme.
Und Geduld. Im Leben ist man auch nicht gleich erwachsen. Erst ist man Kind, dann Jugendlicher.“
Sag ich doch: Der ist verrückt geworden. Wenn er
mich beißt, haue ich ihm eine rein.
„Jetzt ist der Teig also halbwegs erwachsen, so wie du.
Du bist aufgeblasen, hast Flausen im Kopf und Luft
im Bauch. Dann kommt der Bäcker und knetet dich so
lange, bis du in die Form passt. Das ist wie im richtigen Leben. Dort macht es die Schule.
Und natürlich der Meister, so wie ich.“
Ob man morgens um halb sechs die Polizei rausklingen kann? Wenn er sich das Brotmesser
greift, renn ich zur Polizei.
„Zwischendurch lässt man dich in Ruhe, um zu sehen, ob du noch widerspenstig bist, dich
wieder aufbläst. Wenn ja, knetet man dich nochmal. Jetzt muckst du nicht mehr auf. Jetzt
pass du in die Form, die das Leben für dich bereithält. Schließlich bepinselt man dich, das
sind die Streicheleinheiten. Damit du ruhig bleibst.“
Der Alte beugte sich nach vorne und ritzte mit dem Schuh ein Kreuz in die Gartenerde.
„Und dann, ganz zum Schluss, packen sie dich in den Ofen. Da wird es dir verdammt heiß
an den Füßen. Das ist das Krematorium. Und das Ende.“
Er scheint nicht gefährlich zu sein. Nur etwas verwirrt. Ist ja auch viel zu heiß in der Backstube.
„Und wenn die mich dann in Scheiben schneiden und aufessen“, fragte Flori, „hat das auch
was mit dem richtigen Leben zu tun?“
Der Meister schlug mit der flachen Hand auf
seinen Oberschenkel, Mehlstaub wirbelte auf.
„Quatsch nicht rum, Junge! Sieh zu, dass du die
Semmeln aus dem Ofen holst.“