Im Fokus: Die vierte industrielle Revolution – weniger Jobs durch Technologiesprung? Die vierte industrielle Revolution soll Millionen Arbeitsplätze überflüssig machen, so die Erwartung vieler Experten. Doch bietet sie zweifellos auch Chancen für mehr Wohlstand und neue Beschäftigungsformen. Experten sind sich einig: Die vierte industrielle Revolution geht weit über das hinaus, was sich viele Akteure in Politik und Wirtschaft bislang vorstellen konnten, und sie wird vieles verändern: die Art, wie die Menschen arbeiten, produzieren, leben, denken. So werden in fünf Jahren nicht – wie jetzt – sieben Milliarden Geräte über das World Wide Web miteinander verbunden sein, sondern 50 bis 75 Milliarden, andere Prognosen sprechen von bis zu 200 Milliarden. Zum Internet der Dinge wird alles zählen, vom Kühlschrank über die Zahnbürste und die Fabrik bis zum Auto. Hinzu kommen entscheidende Fortschritte in der Nanotechnologie, der Biotechnologie, der Sensorik, der Automatisierung, im 3D-Druck. Diese Entwicklung eröffnet Chancen: Die Weltwirtschaft könnte durch einen stärkeren Fokus der Unternehmen auf die Digitalisierung in den Jahren bis 2020 um 1,83 Billionen Euro zusätzlich wachsen, so das Ergebnis einer Studie. Schon heute sei die Digitalisierung ein wichtiger Treiber der wirtschaftlichen Entwicklung: Mehr als ein Fünftel des Bruttoinlandsprodukts der Welt hänge direkt oder indirekt von digitalen Fähigkeiten der Arbeitnehmer, von Kapital, das in Digital investiert ist, oder von digitalen Gütern und Dienstleistungen ab. Vernichtung vieler Arbeitsplätze Doch die Digitalisierung und die vierte industrielle Revolution versprechen nicht nur ungeahnte technologische Möglichkeiten, sie liefern auch Stoff für ein Szenario, dem Millionen von Arbeitsplätzen zum Opfer fallen könnten. Prognosen in diese Richtung gibt es viele. Anlässlich des Davoser Weltwirtschaftsforums Ende Januar ist eine Studie erschienen, die auf einer Umfrage unter den Personalchefs der 350 größten Konzerne der Welt beruht. Ihnen zufolge werden in den nächsten fünf Jahren sieben Millionen Arbeitsplätze durch den Einsatz von Robotern und die weitere Digitalisierung vernichtet, während zugleich nur zwei Millionen neue Stellen für Spezialisten für Computer und Technik entstehen sollen. Schon vor knapp zwei Jahren sorgte eine große Studie des Massachusetts Institute of Technology (MIT) über das „zweite Maschinenzeitalter“ für Furore, wonach die Automatisierung die Einkommensunterschiede zwischen den Menschen vergrößern wird und – zumindest als Übergangsphänomen – Massenarbeitslosigkeit unausweichlich werden lässt. Die britische Zentralbank hat vor kurzem sogar den möglichen Verlust von 15 Millionen Arbeitsplätzen allein in Großbritannien vorgerechnet. Chefvolkswirt Andy Haldane präsentierte eine Studie, wonach im kommenden „Maschinenzeitalter“ fast die Hälfte aller Beschäftigten gefährdet sein könnte. Damit nicht genug: Ebenfalls vor zwei Jahren hat eine Studie zweier Wissenschaftler der Universität Oxford Aufsehen erregt. Carl Benedikt Frey und Michael Osborne hatten untersucht, welche von 700 Berufen in den kommenden zwei Jahrzehnten durch den Einsatz neuer Maschinentechnologien potenziell ersetzt werden könnten. Ergebnis: 47 Prozent könnten verschwinden. Der Silicon-ValleySoftwareunternehmer und Autor Martin Fort warnt in seinem spekulativen Buch „The Rise of the Robots“ sogar vor unausweichlicher Massenarbeitslosigkeit. Und auch der amerikanische Ökonom und Nobelpreisträger Robert Shiller geht davon aus, dass zahlreiche Berufe völlig verschwinden werden: Was sich Menschen im Laufe vieler Jahre an Wissen angeeignet haben, werde in kürzester Zeit entwertet, weil bestimmte Qualifikationen nicht mehr gebraucht und von intelligenten Maschinen erledigt würden. Die Betroffenen Welche Jobs aber sind besonders gefährdet? Berufsgruppen, die Verwaltungsarbeit erledigen, laufen Gefahr, dass ihre Tätigkeiten von Algorithmen übernommen werden. Einige Berufe könnten beinahe ganz aussterben: Komplexe Spezialistentätigkeiten in der Buchhaltung gehören beispielsweise dazu. Insgesamt gehen viele Ökonomen davon aus, dass künftig auch anspruchsvollere Arbeitsplätze ersetzt werden – im Verkauf, über die Steuerberatung bis hin zu Banken und Versicherungen werden ihren Prognosen zufolge Computer und Maschinen die Arbeit übernehmen. Und selbst in der Medizin könnten Supercomputer vielleicht bald schon bessere Diagnosen stellen, als der klassische Arzt es kann. Getrieben wird die Weiterentwicklung von Robotern und Software vor allem durch wirtschaftliche Erwägungen und den Wunsch, teure menschliche Arbeit durch billigere Maschinen zu ersetzen. Roboter würden immer leistungsfähiger, cleverer und günstiger, erwarten die MIT-Forscher Eric Brynjolfsson und Andrew McAfee, die Autoren des Buchs „The Second Machine Age“. Nur in den sozialen Berufen, etwa in der Kranken- und Altenpflege, bei der Kinderbetreuung und in Schulen, würden auch künftig viele menschliche Kräfte gebraucht. Folgen und Konsequenzen Es stellt sich damit die Frage, wie all jene Menschen ihren Lebensunterhalt künftig finanzieren sollen, deren Jobs wegfallen und die nicht wieder in den Arbeitsmarkt integriert werden können. Die Diskussion über ein staatlich finanziertes Grundeinkommen hat in diesem Kontext neuen Auftrieb bekommen. Harvard-Ökonom Richard Freeman wünscht sich, dass breitere Bevölkerungsschichten zu „RoboterBesitzern“ werden, durch Aktienanteile an Technologie-Unternehmen. Robert Shiller fordert, die Industrieländer müssten eine neue Versicherung schaffen, die all jene auffange, deren erlernter Beruf komplett verschwinde. Umstrittene These Die These vom Jobverlust ist allerdings nicht unumstritten. Fachleute verweisen darauf, dass Pessimisten immer schon den massenhaften Verlust von Arbeitsplätzen durch den verstärkten Einsatz von Maschinen vorhergesagt hätten. Bisher bewahrheitete sich diese Annahme aber nicht – im Gegenteil: Eine steigende Produktivität und die menschliche Kreativität haben es möglich gemacht, dass mehr neue Jobs entstehen konnten als alte weggefallen sind. Und ob überhaupt in absehbarer Zeit alle Arbeitsplätze, bei denen die Möglichkeit besteht, auch tatsächlich durch Technologie ersetzt werden, sei ohnehin fraglich, so Experten. Einerseits werde es noch viele Jahre dauern, bis Roboter technologisch wirklich in der Lage sein werden, alle Aufgaben zu übernehmen, die ihnen zugetraut werden. Zum anderen könnte sich auch gesellschaftlicher Widerstand gegen die zunehmende Technologisierung regen. In jedem Fall dürften flexible Arbeiten auch in Zukunft vom Menschen ausgeführt werden. Optimisten wie der Bonner Makroökonom und Wirtschaftshistoriker Moritz Schularick gehen davon aus, dass durch den technischen Fortschritt zwar alte Jobs wegfallen, dafür aber völlig neue Möglichkeiten und Arbeitsplätze entstehen. Wenn Computer die bisherigen Bürotätigkeiten erledigen, werden Arbeitskräfte frei, sich kreativen oder sozialen Tätigkeiten zuzuwenden. Droht also wirklich eine Zukunft, in der Maschinen massenhaft den Menschen die Arbeit wegnehmen? Als sicher kann wohl gelten, dass mehr Arbeitsplätze im IT-Bereich entstehen werden. Und ganz grundsätzlich gilt: Wer gut ausgebildet ist, wird auch in der hochtechnisierten Arbeitswelt bestehen können. Als wichtigste Maßnahmen, um die Menschen auf das digitale Zeitalter vorzubereiten, empfehlen Ökonomen daher sehr viel stärkere Bildungsanstrengungen als bislang. Gleichwohl ist es unwahrscheinlich, dass all die Menschen, die bei diesen Umwälzungen ihren Arbeitsplatz verlieren, an anderer Stelle wieder einen neuen Job finden. Leidtragende wird es geben. Prognosen für Deutschland Und wie sieht es mit Deutschland aus? Die Wirtschaftsleistung hierzulande könnte bis zum Jahr 2020 um zusätzlich 82 Milliarden Euro (2,5 Prozent) steigen, wenn die Unternehmen den Aufbau von digitalen Fähigkeiten bei den Arbeitnehmern und die Nutzung digitaler Technologien weiter vorantreiben, so das Ergebnis einer Studie des Dienstleistungsunternehmens Accenture, die anlässlich des Weltwirtschaftsforums in Davos vorgestellt wurde. Auf einem anderen Blatt steht, dass nach Berechnung der ING-DiBa mittel- und langfristig mehr als die Hälfte aller Arbeitsplätze in Deutschland durch die sich zunehmend beschleunigende Technologisierung bedroht sind. Von den 30,9 Millionen sozialversicherungspflichtig und geringfügig Beschäftigten, die in der Untersuchung berücksichtigt werden, würden demnach 18 Millionen in den kommenden Jahren und Jahrzehnten durch Maschinen und Software ersetzt. Große Chancen für die deutsche Wirtschaft bestehen gleichwohl, sind sich Unternehmenslenker einig. Schließlich würde das Internet der Dinge nun auch jenen Bereich der Wirtschaft erfassen, den die deutschen Unternehmen und ihre Ingenieure besonders gut beherrschen: die Industrie. Dieser Artikel ist erschienen in der schul|bank 1/2016
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