Schattenblick Druckausgabe

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MA-Verlag
DIE BRILLE / REPORT
Links, links, links - im Auge des
Betrachters ...
Sabine Schiffer im Gespräch
Verzweiflung und Mut
20. Linke Literaturmesse in Nürnberg
Die Medienpädagogin und
Sprachwissenschaftlerin Sabine
Schiffer, Mitbegründerin und Leiterin des Instituts für Medienverantwortung in Erlangen, hielt auf der
Linken Literaturmesse in Nürnberg
am 31. Oktober 2015 einen Vortrag
zum Thema "ARD & Co - Wie Medien manipulieren" ... (S. 7)
(SB) ­
Elektronische Zeitung Schattenblick
Mittwoch, 13. April 2016
Profit aus Zerstörungskraft - den Finger in der Wunde ...
Dr. Ian Fairlie im Gespräch
5 Jahre Leben mit Fukushima ­ 30 Jahre Leben mit Tschernobyl
Internationaler IPPNW­Kongreß vom 26. bis 28. Februar 2016
in der Urania, Berlin
POLITIK / KOMMENTAR
"Böhmermann-Affäre" neue Helden, alte Ressentiments
(SB) ­ Arm in Arm mit Frankreichs
Präsident Francois Hollande und
EU-Ratspräsident Donald Tusk marschierte Bundeskanzlerin Angela
Merkel am 11. Januar 2015 in Paris
in Solidarität mit den Anschlagsopfern der Satirezeitung "Charlie Hebdo". "Je suis Charlie" - das unbedingte Eintreten für die Freiheit von
Wort und Bild bedeutete auch, daß
die Freiheit in Frankreich ... (S. 13)
SPORT / BOXEN
30 Jahre danach gehört die Tschernobyl-Katastrophe, die mit einer gewaltigen Explosion des Reaktors 4
am 26. April 1986 ihren Anfang
nahm, offiziell der Geschichte an.
Seit mehr als 10 Jahren gibt es keine
neuen Informationen mehr, wie weit
die radioaktive Verseuchung fortgeIan Fairlie über direkte und indirek- schritten oder unter Kontrolle ist,
te Wege, auf denen Radioaktivität un- obwohl bis heute Menschen unter ihsere Gesundheit schädigt, den leicht- ren Folgen leiden.
"Momentan explodieren die Statisti­
ken an Schilddrüsenkrebserkrankun­
gen." Dr. Ian Fairlie
Foto: 2016 by IPPNW freigegeben
via flickr als CC­BY­NC­SA 2.0
[https://creativecommons.org/licens
es/by­nc­sa/2.0/]
fertigen Umgang damit in der Medi-
Zu früh für den sportlichen Ruhe- zin, naheliegende Zusammenhänge,
Ärzte, die seither mit mehr
stand?
die nie erforscht werden und wie all Die
Krebsfällen
oder auch mit anderen
Manny Pacquiao glänzend gegen Ti­ das mit dem unerschütterlichen und
völlig verrückten Glauben an die Be- ungewöhnlichen, sogenannten konmothy Bradley aufgelegt
herrschbarkeit nuklearer Kräfte zu- genialien, d.h. angeborenen Erkran(SB) ­ Sollte dies tatsächlich der letz- sammenhängt, den viele Politiker und kungen in Belarus zu tun haben, erte Auftritt Manny Pacquiaos gewe- Wissenschaftler in Britannien und den klären, sie würden schon lange in der
sen sein, so hat sich der ... (S. 15)
Vereinigten Staaten teilen:
Anamnese nicht mehr fragen, wo
Elektronische Zeitung Schattenblick
denn die Eltern waren, als der Reaktor in die Luft flog, oder wo ihre Patienten groß geworden sind. Viel
Leid hätte verhindert werden können, heißt es unter anderem im jüngsten IPPNW-Report [1], wenn über
die Menge des freigesetzten radioaktiven Inventars und über seine Folgen größere Aufklärung geherrscht
hätte. "Weil die gesundheitlichen
Auswirkungen ionisierender Strahlung sowohl in der Sowjetunion als
auch im Westen unterschätzt und
heruntergespielt wurden, kamen effektive Schutzmaßnahmen für die
Bevölkerung zu spät oder unterblieben ganz." Damit wird vielleicht unbeabsichtigt von den Autoren nahegelegt, daß es möglicherweise einen
besseren und sachgemäßeren Umgang mit der Katastrophe und dem
freigesetzten radioaktiven Material
hätte geben können. Tatsächlich begründet sich die Sprachlosigkeit der
Ärzte angesichts offensichtlicher Zusammenhänge aber auch darin, daß
sich mit jeder Erkenntnis über die
Folgen ionisierender Strahlung eine
sich geradezu exponentiell ansteigende Menge an ungeklärten Fragen
ergibt, die weitere schwerwiegende
Folgen der radioaktiven Stoffe nahelegen. Da es bei Substanzen, die es
nie zuvor in der Natur gegeben hat,
ehe sie erstmals durch die vom Menschen eingeleitete Kernspaltung bei
Atombombenversuchen oder durch
Kernkraftexperimente in die Umwelt
geraten sind, keine Naturbeobachtungen oder Erfahrungen geben
kann, steht das Erforschen der Wirkungen und Wechselwirkungen mit
ihrer Umwelt, sprich die Auswirkungen von strahlenden Stoffen wie
Strontium-90, Cäsium-137, Plutonium-239 oder Jod-131 auf andere
Stoffe, Pflanzen und Lebewesen
noch immer ganz am Beginn, selbst
30 Jahre danach.
Einer, der immer schon Hinweise dafür gesammelt hat, daß bereits die
gesundheitlichen Auswirkungen der
Tschernobyl-Katastrophe dramatischer sein müssen, als sie ursprünglich angenommen wurden, ist der
Seite 2
britische Chemiker und Strahlenbiologe Dr. Ian Fairlie. Anläßlich des
30. Jahrestages der Ereignisse beauftragte ihn Global 2000 gemeinsam
mit der Wiener Umweltanwaltschaft,
eine Aktualisierung seiner von
Atomkraftbefürwortern oft kritisierten Studie "The other report on Chernobyl" (TORCH) zu den gesundheitlichen Folgen der Tschernobyl-Katastrophe vorzunehmen, insbesondere
aber ein Update zu den Auswirkungen für Österreich zu erstellen. Wie
schon der erste, "andere Bericht über
Tschernobyl", den die Grüne Europaabgeordnete Rebecca Harms veranlaßt hatte, zeigen auch die Ergebnisse der am 7. März in Wien veröffentlichten Neuauflage, daß Tschernobyl alles andere als Geschichte ist
und auch 30 Jahre nach der Verseuchung die zerstörerischen Auswirkungen der zivilen Nutzung von
Atomkraft immer noch nachweisbar
sind.
Zum Zeitpunkt der Konferenz war die
Studie noch nicht ganz komplett. Dr.
Fairlie gab den Teilnehmern des Forum 1 "30 Jahre Leben mit Tschernobyl - Eine Bilanz der gesundheitlichen und ökologischen Schäden" eine Sneak-Preview der hauptsächlichen Schwerpunkte, Erkenntnisse
und Schlußfolgerungen der erneuten
Untersuchung des Tschernobyl-Super-GAUs und bestätigte in vielen
Punkten den letzten TORCH-Bericht:
So bleibt er bei der Schlußfolgerung,
daß in Summe mindestens 40.000
Todesfälle weltweit durch die Reaktorkatastrophe zu beklagen sein werden, was wesentlich mehr ist, als bisherige Einschätzungen der IAEO,
UNSCEAR oder des TschernobylForums ergeben haben. Auch andere
Prognosen über die Freisetzung der
Radioaktivität in die Umwelt und die
davon zu erwartenden Gesundheitsschäden und potentiellen Opfer übertrifft der TORCH-Bericht um mindestens eine Größenordnung. Die markanteste Entwicklung findet sich hier
in der weltweiten Zunahme von
Schilddrüsenkrebspatienten. Wähwww.schattenblick.de
rend UNSCEAR offiziell 6.000 Fälle zugibt und 16.000 weitere Fälle
noch erwartet werden, sieht TORCH
allein für diese Erkrankung weitere
21.000 Krebsfälle voraus.
Nach Weißrußland war Österreich
mit 13 Prozent seiner Gesamtfläche
weltweit am zweitstärksten von der
hohen Cäsium-Belastung der
Tschernobyl-Katastrophe betroffen.
Auch radioaktives Jod-131, wie eine
nachträgliche, simulierende Modellierung aus Wetterdaten, Windströmungen und Stoffdaten nahelegt,
muß Österreich und vor allem Wien
stark getroffen haben. Letzteres akkumuliert bekanntlich in der Schilddrüse. Über die Menge des tatsächlich entwichenen, radioaktiven Inventars (190.000 kg hochradioaktives Material befand sich zum Zeitpunkt der Explosion im Reaktor) und
somit der genauen Emissionsmenge
konnten allerdings bis heute keine
genauen Zahlen ermittelt werden.
Die Schätzungen von 12 Trillionen
Becquerel (12 x 1018 Bq bzw.
12.000 Peta-Bq) an radioaktiven
Partikeln, die durch Explosion und
Feuer binnen weniger Tage in die Atmosphäre freigesetzt und um die
Welt verteilt wurden - 200mal so viel
wie die Atombomben von Hiroshima
und Nagasaki zusammen - könnten
also ebenso nach oben wie nach unten offen sein.
Belarus (Weißrußland), die Ukraine
und Rußland sind jene Länder, die
davon am stärksten kontaminiert
wurden und immer noch als stark
verseucht gelten müssen. Über fünf
Millionen Menschen leben heute
noch in Gebieten mit hoher Radioaktivität. 400 Millionen Menschen bewohnen Gegenden mit einer hohen
Cäsium-Bodenbelastung, die etwa
42 Prozent der europäischen Landfläche ausmachen. AufWesteuropa
(Europa ohne Weißrußland), Ukraine und Rußland entfielen 37 Prozent
des gesamten Tschernobyl-Fallouts
von radioaktiven Stoffen und 40
Prozent der radioaktiven Strahlenbelastung.
Mi, 13. April 2016
Elektronische Zeitung Schattenblick
Selbst der weltweite Anstieg von
Schilddrüsenkrebsfällen nach 1990,
vor allem auch in Österreich, könnte
abzüglich anderer Einflüsse (wie
Screening Effekte, Nukleardiagnostik und andere Strahlenbelastungen)
zu 8 bis 40 Prozent auf die Ereignisse von Tschernobyl zurückgehen.
Verglichen mit Basisdaten kommt
der Bericht hier in Weißrußland auf
einen Anstieg von unwissenschaftlichen "700 Prozent" für das quantitative Risiko, an Schilddrüsenkrebs zu
erkranken. Weniger drastisch, aber
die gleiche Tendenz wird allerdings
auch für Österreich, Tschechien, Polen, England, Frankreich oder die
Slowakei gesehen.
Aufgenommen wurden zudem die
Erkenntnisse neuer Studien, die zuverlässige Daten zur erhöhten Inzidenz von Leukämien, Tumoren,
Herz-Kreislauf-Erkrankungen, psychischen Leiden, Fehlbildungen bei
Neugeborenen und andere Strahleneffekte in den am stärksten betroffenen Ländern liefern. Die tägliche
Strahlung in hochbelasteten Gebieten wirkt sich ebenso wie der Verzehr
von kontaminierter Nahrung, selbst
von nicht tödlichen oder krebsverursachenden Dosen, bereits auf die allgemeine Befindlichkeit und den dauerhaft verschlechterten Gesundheitszustand vor allem bei Kindern aus,
der bislang nur durch die deutliche
Verbesserung nach einem Ferienaufenthalt im Ausland für die "Kinder
von Tschernobyl" nachgewiesen
werden kann. Hier besteht noch sehr
viel aktueller Forschungsbedarf,
worüber sich die teilnehmenden Ärzte und Wissenschaftler des Forum 1
auf dem IPPNW-Kongreß einig waren.
Der britische Chemiker und Strahlenbiologe Dr. Ian Fairlie gehört zu
den bekanntesten, unabhängigen,
wissenschaftlichen Beratern für das
IPPNW, sowie für Umweltorganisationen, das Europäische Parlament
und für lokale und nationale Behörden in verschiedenen europäischen
Ländern. Im Verlauf des KongreßMi, 13. April 2016
progamms war er bereit, dem Schat- nukliden oder nuklearmedizinische
tenblick einige Fragen zu beantwor- Diagnoseverfahren festlegen, wie etten.
wa für die Nutzung von Computer
Tomographen (CT), die einen geraSchattenblick (SB): In Ihrem Sneak dezu inflationären Gebrauch nach
Preview-Vortrag zum neuesten Up- sich gezogen haben. In den Vereinigdate der TORCH-Studie 2016, den ten Staaten werden sogar CTs [4] geSie im Forum 1 "30 Jahre Leben mit macht, wenn jemand erkältet ist oder
Tschernobyl - Eine Bilanz der ge- eine Grippe hat. Auch wenn man
sundheitlichen und ökologischen einen neuen Job antritt, wird heute
Schäden" hielten, zeigten Sie als ei- von der Versicherung ein CT verne mögliche Folge des Reaktorun- langt, wo früher eine Röntgenaufglücks eine Grafik, in der die Schild- nahme genügte. Der Unterschied ist
drüsenkrebsfälle in allen untersuch- nur: Bei einer Röntgenaufnahme
ten Bevölkerungsgruppen (Männer wird der Körper 0,4 Milligray ausgeund Frauen, Stadt oder Landbewoh- setzt, beim CT sind es 25 Milligray
ner) gleichermaßen exponentiell an- [5]. Das Problem ist in Europa nicht
steigen. Im vergangenen Jahr wurde so gravierend. Hier geht man sehr
dieses Phänomen von einigen Medi- viel weniger leichtfertig mit solchen
en und vom BDN (Berufsverband Verfahren um. In den Vereinigten
Deutscher Nuklearmediziner e.V.) Staaten scheint man dagegen den
aufgegriffen und analog zu dem viel- Trend zu strahlenintensiven, diagnodiskutierten Screening Effekt bei der stischen, aber auch sehr genauen
Zunahme von Schilddrüsenkrebs bei Verfahren einfach nicht stoppen zu
japanischen Kindern auf eine verbes- können. Natürlich sind die Genauigserte Diagnostik [2] zurückgeführt. keit und die AnwendungsmöglichKönnte die Erklärung, daß mögli- keiten dieser Verfahren unübertrofcherweise durch die Verfahren noch fen und einfach großartig. Dreidimehr Fälle erkannt und behandelt mensionale Bilder in Farbe können
werden, die aber möglicherweise nie einem einfach alles zeigen, was man
ausbrechen würden und somit auch sucht und wissen will und manchmal
nicht operiert werden müßten, Ihre auch noch sehr viel mehr als das.
eigenen Schlußfolgerungen noch re- Aber die Patienten zahlen dafür
vidieren?
einen hohen Preis, darüber sollte
man sich klar sein. Ich würde sehr
Ian Fairlie (IF): Nein, ich glaube dafür plädieren, daß zumindest Kinnicht. Es gibt tatsächlich im Augen- derärzte jeweils ganz genau überleblick eine große wissenschaftliche gen, ob ein computertomographiDebatte darüber, was die Ursachen sches Diagnoseverfahren wirklich
für den weltweit starken Anstieg von notwendig ist, ehe sie ein Kind dieSchilddrüsenkarzinomen sind. Bei- sen gewaltigen Mengen an radioakspielsweise explodieren die Raten in tiver Strahlung aussetzen.
Ländern, in denen auch früher schon
recht hohe Schilddrüsenkrebsraten SB: Im Vortrag von Frau Liudmila
festgestellt wurden, heute regelrecht. Marushkevich wurde besonders auf
Wir sind uns als Wissenschaftler die Zunahme der Kinderdiabetesfälnoch nicht ganz sicher, woran das le in Belarus eingegangen. In Ihrem
liegen könnte. Und wenigstens eini- Kurzeinblick in die neue Torch 2016ge dieser zusätzlichen Krebsfälle ha- Studie, haben Sie zwar nicht von
ben möglicherweise auch etwas mit Diabetes gesprochen, legen dafür
der Medizin zu tun.
aber einen insgesamt zunehmend
verschlechterten GesundheitszuProfessor Wolfgang Hoffmann stand von allen Menschen, die im
warnte beispielsweise in seinem Vor- Einzugsbereich der Fallout-Wolke
trag [3], man sollte klinische Richt- gewohnt haben in Ihrer Studie nahe.
linien für den Gebrauch von Radio- Halten Sie eine Korrelation von Diawww.schattenblick.de
Seite 3
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betes und Strahlungseinwirkungen hat man lange unterschätzt. Aber die
durch die von Tschernobyl verbrei- Schilddrüse steht auch in enger Beteten Radionuklide für möglich?
ziehung zu vielen anderen Körperfunktionen, wie etwa dem LymphsyIF: Anhaltspunkte dafür, daß hier ein stem, das heißt, den Lymphknoten,
Zusammenhang besteht, gibt es Thymus, Milz, Mandeln, auch mit
schon, seit man Überlebende der Hi- dem Immunsystem und den blutbilroshimabombe untersucht hat. Auch denden Organen, das heißt dem roten
bei den Liquidatoren, wie man sie Knochenmark. Auf all diese Körperfrüher nannte - dann wurden sie eine funktionen kann sich eine Störung
Zeitlang Aufräumarbeiter genannt der Schilddrüse auswirken.
und inzwischen, warum, weiß ich
nicht, nennt man sie Recovery-Wor- Das ist etwas ganz anderes als bei
kers (Wiederaufbau-Arbeiter) -, wur- Leukämie. Das ist eine bösartige Erde beispielsweise eine erhöhte Insu- krankung des Blutzellen bildenden
linproduktion und andere endokrine Systems. Es betrifft vor allem das
Störungen festgestellt. Darüber hin- Knochenmark. Infolge einer durch
aus gibt es noch einige vereinzelte Strahlungseinwirkung verursachten
Studien, in denen diese Problematik Mutation wird dort die Bildung der
zumindest erwähnt wird. Aber die Blutkörperchen gestört, was eine unZusammenhänge wurden nie genau- kontrollierte Erhöhung der weißen
er erforscht. Die letzten Untersu- Blutkörperchen zur Folge hat. In den
chungen zu vermehrten Fällen von meisten Fällen reifen diese auch nicht
Kinderdiabetes stammen aus dem mehr zu funktionstüchtigen Zellen
Jahr 2004.
aus. Sie können dann ihre natürlichen
Aufgaben im Abwehrsystem des
SB: Sie erwähnten auch eine mögli- Körpers nicht mehr übernehmen. Das
cherweise unterschätze Größe, das ist also tatsächlich ein bißchen anheißt, die bisher nicht untersuchte ders, obwohl auch hier eine gewisse
Verbreitung von radioaktivem Jod- Verbindung zu den Vorgängen in der
131 in Europa und die möglichen Schilddrüse gesehen werden muß.
Folgeschäden, die daraus entstanden
sind. Momentan wird sehr viel über
Niedrigdoseneffekte diskutiert, die
sich in sogenannten Nichtkrebs-Erkrankungen manifestieren sollen.
Kann man die radioaktive Schädigung der Schilddrüse vielleicht als
eine Art Auslöser für weitere Folgeerkrankungen wie Herz-Kreislauf,
zunehmende Schlaganfälle und allgemein verschlechterte Gesundheitszustände sehen?
IF: Ja, die Schilddrüse ist ein Teil des
endokrinen- bzw. Hormonsystems
und steht mit den anderen Teilen dieses Systems wie etwa der Bauchspeicheldrüse in enger Verbindung. Das
Ganze ist ein sehr großes und ausgeklügeltes System, das sich aus vielen
Faktoren zusammensetzt, die sich gegenseitig beeinflussen können. Daß
sich Störungen im Hormonhaushalt
der Schilddrüse und der Bauchspeicheldrüse gegenseitig beeinflussen,
Seite 4
Schilddrüsenerkrankungen im fort­
geschrittenen Stadium haben einen
direkten oder indirekten Einfluß auf
sämtliche Körperfunktionen.
Foto: Martin Finborud, gemeinfrei
www.schattenblick.de
SB: Es wird viel darüber spekuliert,
welche der beiden Reaktorkatastrophen, Fukushima oder Tschernobyl,
bezüglich der Folgen die schwerwiegendere ist. Wie schätzen Sie das
ein?
IA: Die Katastrophe von Tschernobyl ist definitiv verglichen mit Fukushima mindestens zehnmal folgenschwerer. In einigen Aspekten ist
sie sogar 50mal so schwer wie das,
was in Fukushima passiert ist, das
kommt auf den eigenen Standpunkt
an und welchen Aspekt der Folgen
Sie gerade betrachten.
SB: Ein anderes Thema heute, von
dem Prof. Hoffmann heute sprach,
sind die Leukämiecluster, das heißt,
eine Häufung von Blutkrebsfällen
von Kindern im Einzugsbereich von
nuklearen Anlagen. Hierzulande sind
Fälle aus der Elbmarsch und in
Geesthacht bekannt. Gibt es auch
Studien über ähnliche Erscheinungen in Großbritannien?
IF: Oh ja, die gibt es. Genau genommen hat die eigentliche Forschung
dazu in England begonnen. Mitte der
1980er Jahre wurde anläßlich von einigen Vorfällen um Sellafield erstmals der Verdacht geäußert. [6] Die
britische Regierung initiierte daraufhin zunächst die Bildung eines Untersuchungsausschusses, der später
in die sogenannte COMARE Gruppe (Committee on Medical Aspects
of Radiation in the Environment)
überging, ein Expertengremium des
Britischen Gesundheitsministeriums.
Dieses Gremium hat die Vorfälle
ganz genau untersucht und stellte
dann fest, daß es tatsächlich einen
Anstieg von Leukämiefällen bei
Kindern in der Nähe britischer Nuklearkraftwerke gibt.
SB: Warum hatte das kaum Resonanz in der Öffentlichkeit? Warum
hat dies die Menschen nicht auf die
Barrikaden gebracht?
IF: Das ist eine einfache Frage, die
allerdings nicht einfach zu beantMi, 13. April 2016
Elektronische Zeitung Schattenblick
worten ist. Ehrlich gesagt glauben die Menschen in Großbritannien gewöhnlich, daß Atomkraft
eine wunderbare Sache ist. Ich
weiß nicht, warum das so ist. Es
ist sehr dumm. Und vielleicht
kann man das auch nicht pauschal
für alle sagen. Doch die Befürworter der Kernenergie sind tatsächlich in der Überzahl. Fünfzig
Prozent der britischen Bevölkerung sind für Kernkraftwerke und
nur etwa dreißig Prozent sind dagegen.
Adenom einer Schweißdrüse, eine
Folge von ionisierender Strahlung
ist die Zunahme unterschiedlichster
gutartiger oder bösartiger Tumore.
Foto: By Klaus D. Peter, Gummersbach,
Germany (Own work) [CC BY 3.0 de
(http://creativecommons.org/licen­
ses/by/3.0/de/deed.en)], via Wikime­
dia Commons
SB: Derzeit sind in Großbritannien
sechs neue Kernkraftwerksanlagen
im Gespräch, die die Regierung
bauen möchte. Sie sagten, dreißig
Prozent sind dagegen, wie stark ist
denn der aktive Widerstand, der SB: Wie stellt sich die Fraktion der
sich gegen den Bau dieser Anlagen Wissenschaftler in Ihrem Land zur
wehrt?
Nutzung der Atomkraft? Gibt es
einen aktuellen Diskurs zu diesem
IF: Es gibt einige Bürgerinitiativen, Thema und welche Fragen, Probledie dagegen protestieren. Aber man matiken und Lösungen werden konkann das nicht mit der Antiatom- trovers diskutiert?
kraftwerkbewegung in Deutschland vergleichen. Hierzulande wür- IF: In Großbritannien - ist das Ihr
den sie eine Viertelmillionen Men- Ernst? Nein, ziemlich alle Wissenschen auf die Straßen bringen. In schaftler in Großbritannien sind für
Britannien sind es bestenfalls zwei- die Nutzung der Atomkraft. Es ist in
hundert, die protestieren. Zu einer etwa genauso, wie das bei Ihnen in
atomkritischen Konferenz wie die- Deutschland vor der Energiewende
ser hier würden in Großbritannien gewesen ist. Es ist keine Frage der
etwa nur eine Handvoll ausgesuch- Wissenschaft, sondern der Politik.
ter Leute kommen.
Auch in Deutschland waren es letztlich die Politiker, die das Ruder umSB: Wären die nachgewiesenen gelegt und im März 2011 - kurz nach
Leukämiecluster, also eine konkre- dem Beginn der Nuklearkatastrophe
te Bedrohung, nicht Argumente ge- von Fukushima - einen deutlichen
nug gegen den Bau solcher Anlagen Wechsel ihrer Atompolitik bzw.
und damit für eine Änderung der Energiepolitik beschlossen haben.
bisherigen Stellungnahme in der Und es waren weniger die rot-grüne
Bevölkerung?
Bundesregierung, die bereits in den
1980er Jahren in ihrem KoalitionsIF: Doch natürlich. Denn es ist nun vertrag den Atomausstieg schon vermal eine Tatsache, daß diese Anla- einbart hatte, als die Christdemokragen radioaktive Strahlung emittie- ten unter Angela Merkel, die schließren. aber auch radioaktive Isotope, lich nach der Nuklearkatastrophe
die beispielsweise wenn sie von von Fukushima Nägel mit Köpfen
schwangeren Frauen durch Nah- machten und die Schließung von
rung oder Wasser aufgenommen acht Kernkraftwerken angeordnet
werden, in das Fruchtwasser ihres haben. Auch wenn es 2010 durch die
Uterus gelangen und sogar den Em- vom Kabinett Merkel beschlossene
bryo schädigen.
Laufzeitverlängerung für deutsche
Mi, 13. April 2016
www.schattenblick.de
Kernkraftwerke zunächst noch aussah, als habe sich die Umsetzung der
Energiewende in die ungewisse Zukunft verschoben, und auch wenn
man vieles an Angela Merkels Politik kritisieren könnte, ihre Energiepolitik ist richtig gut. Vermutlich
liegt es daran, daß sie zu jenen Politikern gehört, die sich mit Atomphysik auskennen, die sich dann der
Herausforderung auch stellen. Angela Merkel war ja Teilchenphysikerin,
der ehemalige Premierminister von
Japan, Naoto Kan, war ein Atomphysiker, beide haben sich inzwischen gegen die Nutzung von Kernenergie ausgesprochen.
SB: Was halten Sie als Chemiker von
der in "Spektrum der Wissenschaft"
unlängst diskutierten Idee, abgereichertes Uran oder andere Formen
von Atommüll noch als Katalysator,
also bestimmte chemische Reaktionen befördernde Substanzen, in der
chemischen Industrie einzusetzen,
beispielsweise bei der großtechnischen Gewinnung von Wasserstoff?
IF: Nein, das halte ich für total verrückt. Natürlich wächst der Berg an
abgereichertem Uran und anderen
Atomabfällen derart an, daß man
verständlicherweise verzweifelt nach
irgendwelchen Lösungen sucht, um
das Zeug zu verbrauchen. Aber diese
Nutzungsmöglichkeit wäre ein Hirngespinst, verstehen Sie, was ich meine? Es wird nie geschehen, denn dieses Material ist zum Beispiel wegen
eines möglichen Mißbrauchs viel zu
gefährlich. Abgereichertes, aber immer noch radioaktives Uran, also
auch waffenfähiges Material, würde
damit unkontrolliert in den Umlauf
gebracht werden und in falsche Hände geraten. Solche Vorhaben wird
keine Regierung genehmigen.
SB: Vielen Dank, Herr Dr. Fairlie.
Anmerkungen:
[1] Zum IPPNW-Kongreß 2016 "30
Jahre Leben mit Tschernobyl - 5 JahSeite 5
Elektronische Zeitung Schattenblick
re Leben mit Fukushima, - Gesundheitliche Folgen der Atomkatastrophen von Tschernobyl und Fukushima" kam im Februar unter dem gleichen Titel auch eine ausführliche
Studie heraus:
http://www.ippnw.de/commonFiles/pdfs/Atomenergie/IPPNW_Report_T30_F5_Folgen_web.pdf
[2] Anders als bei den vermehrten
Fällen von Schilddrüsenkrebs bei
Kindern in Fukushima, deren Korrelation zum Reaktorunglück zumindest in Japan häufig als Screening
Effekt (mehr Funde durch flächendeckende Diagnose vieler Probanden) abgewertet wird, gibt es auch
durch die Anwendung immer verfeinerterer Diagnoseverfahren die Gefahr, mehr zu entdecken, als vielleicht notwendig wäre.
http://www.bdn-online.de/index.php?id=118&tx_ttnews%5Btt_news%5D=325&cHash=d39556ee3
2ee10e429deba60c9d69bf2
http://www.gesundheitsstadt-berlin.de/raetselhafter-anstieg-vonschilddruesenkrebs-bei-jungen-frauen-6693/
[3] Am 27. Februar hielt Prof. Dr.
Wolfgang Hoffman, Institut für
Community Medicine, Universitätsmedizin Greifswald (UMG) im Plenum des IPPNW-Kongresses 2016
den ersten Vortrag über "Die Gefahren ionisierender Strahlung".
[4] CT - Computer Tomographie
(Bezeichnung des bildgebenden Verfahrens und des damit gewonnenen
Abbildes) und Computer Tomographen (Geräte für die Durchführung
von CTs).
lendosen deutlich. Eine Röntgenuntersuchung des Brustkorbs entspricht
etwa 50 Mikrosievert, ein Computertomogramm (CT) 8 Millivievert
(8mSv=8000µSv). Durchschnittlich
beträgt die effektive Dosis durch
Röntgenuntersuchungen pro Bürger
und Jahr 1,6 Millisievert (mSv).
INTERVIEW/207: Profit aus Zerstörungskraft - eine ungehörte Stimme ... Prof. Dr. Toshihide Tsuda im
Gespräch (SB)
[6] Ian Fairlie promovierte über die http://schattenblick.de/infopool/umFolgen der radioaktiven Verseu- welt/report/umri0207.html
chung der Umgebung von Sellafield
und La Hague. In Deutschland wird INTERVIEW/208: Profit aus Zerder Grenzwert von 0,001 Sv (= störungskraft - Empathie und Trau1mSv) pro Jahr offiziell als unbe- ma ... Tatjana Semenchuk im Gedenklich eingestuft.
spräch (SB)
http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0208.html
Die Berichterstattung des Schatten­
blick zum IPPNW­Kongreß finden
Sie unter INFOPOOL → UMWELT
→ REPORT:
INTERVIEW/209: Profit aus Zerstörungskraft - so was wie Diabetes
... Liudmila Marushkevich im Gespräch (SB)
BERICHT/112: Profit aus Zerstö- http://schattenblick.de/infopool/umrungskraft - Herrschaftsstrategie welt/report/umri0209.html
Atomwirtschaft ... (SB)
http://www.schattenblick.de/info- INTERVIEW/210: Profit aus Zerpool/umwelt/report/umrb0112.html störungskraft - Schlußfolgerungen
verfrüht ... Dr. Alfred Körblein im
BERICHT/113: Profit aus Zerstö- Gespräch, Teil 1 (SB)
rungskraft - kein Frieden mit der http://schattenblick.de/infopool/umAtomkraft ... (SB)
welt/report/umri0210.html
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0113.html INTERVIEW/211: Profit aus Zerstörungskraft - Schlußfolgerungen verINTERVIEW/203: Profit aus Zerstö- früht ... Dr. Alfred Körblein im Gerungskraft - nach unten unbegrenzt ... spräch, Teil 2 (SB)
Dr. Alexander Rosen im Gespräch (SB) http://schattenblick.de/infopool/umhttp://schattenblick.de/infopool/um- welt/report/umri0211.html
welt/report/umri0203.html
INTERVIEW/212: Profit aus ZerINTERVIEW/204: Profit aus Zerstö- störungskraft - Schlußfolgerungen
rungskraft - Spielball der Atom- verfrüht ... Dr. Alfred Körblein im
mächte ... Dr. Helen Caldicott im Gespräch, Teil 3 (SB)
Gespräch (SB)
http://schattenblick.de/infopool/umhttp://schattenblick.de/infopool/um- welt/report/umri0212.html
welt/report/umri0204.html
INTERVIEW/213: Profit aus ZerstöINTERVIEW/205: Profit aus Zerstö- rungskraft - die Faust des Bösen ...
rungskraft - systemische Verschleierung Jonathan Frerichs im Gespräch (SB)
... Tomoyuki Takada im Gespräch (SB) http://schattenblick.de/infopool/umhttp://schattenblick.de/infopool/um- welt/report/umri0213.html
welt/report/umri0205.html
[5] Mit Gray (Gy) wird die durch ionisierende Strahlung verursachte
Energiedosis angegeben, mit der ein
Körper belastet wird. 1 Gy entspricht
1 J/kg (Joule pro Kilogramm). Ein
noch stärkerer Unterschied der Belastung wird bei ihrer Angabe in Sie- INTERVIEW/206: Profit aus Zerstövert (Sv) als Maßeinheit für Strah- rungskraft - auf verlorenem Posten
Seite 6
... Ian Thomas Ash und Rei Horikoshi im Gespräch (SB)
http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0206.html
www.schattenblick.de
http://www.schattenblick.de/
infopool/umwelt/report/
umri0214.html
Mi, 13. April 2016
Elektronische Zeitung Schattenblick
DIE BRILLE / REPORT / INTERVIEW
Links, links, links - im Auge des Betrachters ...
Sabine Schiffer im Gespräch
Verzweiflung und Mut
20. Linke Literaturmesse in Nürnberg
chenden Bilder dazu zu liefern. Auch
über Militärbewegungen und solche
Dinge wurden Behauptungen ohne
die entsprechenden Belege aufgestellt.
Sabine Schiffer
Foto: © 2015 by Schattenblick
Die Medienpädagogin und
Sprachwissenschaftlerin Sabine
Schiffer, Mitbegründerin und Leiterin des Instituts für Medienverantwortung in Erlangen, hielt auf der
Linken Literaturmesse in Nürnberg
am 31. Oktober 2015 einen Vortrag
zum Thema "ARD & Co - Wie Medien manipulieren". Am Rande der
Messe erklärte sie sich bereit, dem
Schattenblick einige Fragen zu beantworten.
(SB) ­
Schattenblick (SB): Ich möchte mit
einem kleinen Beispiel in das Thema
Medienkritik einsteigen. Bei RT
Deutsch [1] wurde vor einiger Zeit
die Frage gestellt, wie es angehen
könne, daß die US-Satellitenaufnahmen von russischen KampfflugzeuMi, 13. April 2016
gen in Syrien gestochen scharf sind,
während aus der Ukraine von den angeblich russischen Panzern nur grobkörnige Schwarz-Weiß-Fotos vorgelegt wurden. [2] Nun gilt Russia Today hierzulande als Propagandasender. Wie gehen Sie in der Medienkritik damit um?
Sabine Schiffer (SaS): Russia Today
hat diese Frage gestellt, wie wir zuvor auch schon, weil es unsere Herangehensweise ist, sich so etwas genau anzusehen. Eigentlich sind wir
es mindestens seit dem Kalten Krieg
gewöhnt, daß Satellitenaufklärungsbilder aus allen möglichen Gegenden
gezeigt werden, und dann ist es doch
interessant, wenn es plötzlich über
der Ukraine keine gescheiten Fotos
gibt. Es wurde auch sofort ein Verdacht dazu geäußert, wer dieses
Flugzeug der Malaysian Airlines abgeschossen hat, ohne die entsprewww.schattenblick.de
In solchen Fällen werden wir immer
skeptisch und fangen an zu recherchieren. Wir machen dann auch sehr
gerne eine Gegenüberstellung bzw.
Gegenprobe, wie wir es beispielsweise bei der Süddeutschen Zeitung
in bezug auf die Ukraine- und die
Syrien-Berichterstattung getan haben. Bei den Wahlen, die in beiden
Ländern durchgeführt wurden bei
durchaus vergleichbaren Voraussetzungen - umstrittene Regime, Bürgerkrieg, Wahlen, die nicht in allen
Gegenden durchgeführt werden
konnten - haben wir festgestellt, daß
die Wahl in der Ukraine durchweg
positiv bewertet, die in Syrien jedoch
abgelehnt und quasi als Machenschaft des Diktators Assad gewertet
wurde. Bei solchen Gegenüberstellungen merkt man sehr schnell, wie
unterschiedlich die Wertungen sind
bei vergleichbaren, manchmal aber
auch unterschiedlichen 'facts on the
ground', was ebenso ein Fall für eine
Gegenprobe ist. Die Frage nach der
schlechten Qualität der Ukraine- Fotos können wir selber nicht beantworten, aber es spricht natürlich einiges für bestimmte Interessen. Aber
was wir vor allen Dingen kritisieren,
ist der Punkt, daß unsere Medien
diese Fragen gar nicht stellen.
SB: Als Medienwissenschaftlerin
sind Sie im Grunde Bestandteil dessen, was Sie analysieren und kritisieren, denn Sie müssen Ihre ErgebnisSeite 7
Elektronische Zeitung Schattenblick
se, wenn Sie eine Wirkung erzielen
wollen, Ihrerseits in genau den Bereichen medialer Mittel veröffentlichen, deren Mechanismen Sie aufdecken. Wie gehen Sie mit dieser
Problematik um?
SaS: Wenn Sie sich unseren WebAuftritt, einen unserer Flyer oder
sonstige Dinge anschauen, werden
Sie sehen, daß wir zum Thema Medienverantwortung mit dem Slogan
gestartet sind: "Verantwortung für
Medien, durch Medien, mit Medien".
[3] Nach 10 Jahren - wir feiern dieses Jahr unser zehnjähriges Jubiläum
- würde ich sagen: Dieser Ansatz ist
grandios gescheitert, weil die Medien eine solche Debatte mit seriösen
Medienkritikern nicht wollen. Da
nimmt man sich lieber so ein paar
plakative Leute, die man dann präsentieren kann, um zu sagen: Medienkritik ist immer übertrieben und
unseriös, und außerdem machen wir
einen guten Job.
Fortbildung und bei Multiplikatoren,
sich mit den Medien kritisch zu befassen. Lehrer beispielsweise haben
sehr oft nachgefragt, um sich mit den
Medienmechanismen - auch mit den
neuen Medien - kritisch auseinandersetzen und das alles an die Schüler
weitergeben zu können. Leider gibt
es keinen systematischen Lehrplan
für Medienbildung, aber ein bißchen
was verändert hat sich da schon. Immerhin besteht dieser Anspruch
noch, und so freuen wir uns, wenn es
eine Gelegenheit gibt, mit den
großen Medien diese Dinge zu debattieren, was selten genug der Fall
ist. Dennoch kann man sagen: Die
Leute, die sich dafür interessieren,
finden uns trotzdem.
dann erlebe ich häufig, daß die Redakteure wahnsinnig unter Zeitdruck
stehen. Da ist es natürlich besonders
schwierig, bei irgendwelchen Texten, die von einer Agentur kommen
und die man vielleicht redigieren
muß, gleich die Kriterien voll anzuwenden und zu prüfen, was wir da
eigentlich weitertransportieren. Sind
wir schon wieder bei "Flüchtlingsströmen" angekommen, also bei einer Metapher, die den Menschen das
Gefühl vermittelt, da kommt eine
Naturgewalt auf mich zu, gegen die
ich mich wehren muß? Die Auswirkungen kennen wir ja schon aus den
90er Jahren.
Wir sehen an der Berichterstattung,
daß der kritische Aufmerksamkeitsgrad dafür nicht sehr hoch ist. Wenn
wir dann solche Dinge in die Redaktionen zurückmelden, bekommen
wir durchaus ein positives Feedback:
Danke für den Hinweis, das ist uns
so durchgerutscht. Aber das wird nie
veröffentlicht. Es gab zum Beispiel
einmal in einer überregionalen
großen deutschen Tageszeitung eine
fehlerhafte Berichterstattung über
uns selber und unsere Publikumsinitiative. Die hat behauptet, daß wir
bereits ein Publikumsrat wären, aber
wir sind erst eine Initiative zur Gründung eines Publikumsrates. Auf unseren Hinweis hin hat sie dann zwar
diesen Fehler korrigiert, aber so, daß
man ihn uns anlasten könnte, so als
hätten wir sie vorher bewußt falsch
informiert. Die Zeitung hat nicht öffentlich gemacht, daß sie den Fehler
gemacht hat. Und dann ging durch
die entsprechenden anderen Medien
beziehungsweise Blogs und Mediawatch-Seiten, die manchmal seriös
sind und manchmal eben auch nicht,
daß wir versucht hätten, uns etwas
auf die Fahnen zu schreiben, was wir
gar nicht sind. In einem solchen Diskurs hat der kleinere Akteur immer
die schlechteren Karten, da muß man
dann ein bißchen auf die Medienkompetenz der Leute setzen.
SB: Gibt es denn inzwischen Reaktionen der Medien, deren Mechanismen Sie aufdecken, daß vielleicht
gesagt wird: Oh, wir wurden erwischt, jetzt müssen wir doch ein bißchen sorgfältiger arbeiten? Wenn Sie
heute auf diese 10 Jahre zurückWir hatten tatsächlich gedacht, über blicken: Gibt es Beispiele, daß Ihre
das Thema Medien und Medienme- Arbeit insofern doch Früchte getrachanismen auch mit der breiten Be- gen hätte?
völkerung diskutieren und insgesamt
mehr Bewußtsein für diese Prozesse, SaS: Dazu können wir sagen, daß wir
die wir in einer Demokratie für abso- in Kontakt stehen zu etlichen Kollelut wichtig halten, schaffen zu kön- gen, die wirklich versuchen, benen. Wir wollten da Meinungsbil- stimmte Dinge umzusetzen. Wir hadungsprozesse in Gang setzen und ben zum Beispiel in verschiedenen
hatten die Medien dabei eher als Part- Institutionen eine Schulungseinheit
ner gesehen. Doch das ist, wie wir gemacht, die nennt sich "Rassismusfeststellen mußten, nicht der Fall. Da kritische Ansätze für den Journaliswird versucht, uns weitestgehend aus- mus'. Viele Kollegen greifen darauf
zugrenzen, was immer wieder gelun- zurück oder haben daran teilgenomgen ist. Da werden gerne einmal un- men. Natürlich kommen erst einmal
sere Forschungsergebnisse verwen- diejenigen, die sowieso eine gewisdet, ohne die Quelle zu nennen, oder se Sensibilität für das Thema haben.
unsere Beiträge und O-Töne werden Die meisten Leute wollen nicht rasin irgendwelchen Publikationen im sistisch sein und betrachten das dann
letzten Moment doch noch rausgestri- eher mythisch, so nach dem Motto:
chen. Das hat uns eigentlich über die "Wenn ich das nicht will, dann gucke
10 Jahre hinweg immer begleitet.
ich mir das lieber gar nicht erst an,
und dann bin ich auch nicht rassiWir sind den Weg über alternative stisch." Aber so funktioniert das naMedien und die Zivilgesellschaft ge- türlich nicht.
gangen und haben festgestellt, daß es
ein großes Bedürfnis gibt in der Be- Wenn wir beispielsweise etwas sevölkerung, der Friedensbewegung hen, das schiefgelaufen ist in der SB: Sie haben hier auf der Linken
und den Bildungsinstitutionen, in der Hektik des journalistischen Alltags, Literaturmesse in Nürnberg einen
Seite 8
www.schattenblick.de
Mi, 13. April 2016
Elektronische Zeitung Schattenblick
Vortrag zum Thema Medienmanipulation gehalten und sind in den vergangenen Jahren schon häufiger auf
Kongressen im linken Umfeld als
Referentin dabei gewesen. Verstehen
Sie sich als Teil der linken Bewegung oder definieren Sie sich ausschließlich über die Medienkritik?
SaS: Ich bin Medienanalytikerin und
medienwissenschaftlich unterwegs.
Von Hause aus bin ich Sprachwissenschaftlerin und habe mich dann in
dem Bereich der Semiotik, also der
Zeichenlehre, wo es darum geht, wie
Zeichen, Bilder und Sprache unsere
Wahrnehmung beeinflussen, weiterbewegt und da auch promoviert. Ich
betrachte mich als Teil der Friedensbewegung, und wenn man jetzt sagt,
die Friedensbewegung ist links, dann
müßte ich mich auch da verorten.
Es gibt zum Beispiel das Konzept
des Friedensjournalismus, von dem
ich nicht so begeistert bin, weil es,
wie man bei der Art, wie wir an eine
Medienanalyse herangehen, sehen
kann, bestimmte Regeln vorgibt, ohne den Kontext zu prüfen. Es ist
meiner Meinung nach gar nicht immer gut, über die Opfer vor oder in
einem Krieg ausschließlich aus ihrer
Sicht zu berichten. Natürlich ist es
sinnvoll, die Opfer sichtbar zu machen, keine Frage, das wurde ja oft
unterlassen. Aber ich kann - Stichwort humanitäre Intervention - mit
der Opferberichterstattung sogar
Kriegspropaganda machen. Da muß
man immer eine Kontext- bzw. Interessenklärung machen. Wir können das sehr gut an dem Beispiel sehen, wie mit muslimischen Frauen
argumentiert wird, um Kriege zu
rechtfertigen. Ich würde sagen, da
gibt es eine hohe Sensibilität, weil
wir solche Dinge schon öfter analysiert haben. Aber ich würde mich
auch ganz klar als einen Teil der
Friedensbewegung betrachten und
sagen: Kriegspropaganda, das geht
hier in unserem System gar nicht,
und dementsprechend würde ich das
auch aus einer politischen Perspektive heraus kritisieren.
Mi, 13. April 2016
SB: Sie haben in Ihrem Vortrag erwähnt, daß die privat organisierten
Medien keinen Auftrag zur Berichterstattung haben wie die öffentlichrechtlichen. In einer kapitalistisch
strukturierten Gesellschaft sind private Medien natürlich auch Unternehmen, die in erster Linie Gewinne
maximieren müssen. Läuft da eine
Medienkritik nicht insofern ein bißchen ins Leere, als man eigentlich
fragen könnte: Ja, was haben wir
denn anderes erwartet?
SaS: Ja, das könnte man. Eigentlich
wäre es sogar fair, darauf hinzuweisen und jeden Tag öffentlich zu machen, daß diese Medien den Anspruch, den wir auch an sie haben,
nämlich daß sie uns informieren und
bilden sollen, gar nicht zu erfüllen
brauchen. Sie müssen in erster Linie
ökonomisch erfolgreich sein, sonst
gäbe es sie gar nicht. Nun behaupten
sie aber selber - also auch die nicht
mit einem Staatsvertrag versehenen
Medien -, daß sie höhere Ansprüche
hätten und nicht nur nach dem
großen Mammon trachten, und da
können wir sie natürlich beim Wort
nehmen. Und wir haben beispielsweise den Pressekodex des Presserats [4]. Das ist eine Selbstkontrollorganisation der Presse. Da wurden
ein paar Richtlinien formuliert, die,
wie ich sagen würde, das Grundgerüst der Medienethik sind.
Doch die Verfahren - das Beschwerdeverfahren, auch das Prüfungsverfahren, in denen die Kollegen alle
ehrenamtlich arbeiten - funktionieren nicht wirklich hervorragend. Da
scheint viel nach persönlichem Gusto und nicht so sehr nach einem
richtigem Kriterienkatalog gearbeitet zu werden. Aber im Grunde genommen ist der Selbstanspruch da
und damit kann ich den Anspruch
auch von außen stellen, beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk natürlich
erst recht. Der wird von uns allen finanziert und hat gefälligst die Aufgaben zu erfüllen, die in den Rundfunkstaatsverträgen festgelegt sind.
Da sind wir als Publikum mit unsewww.schattenblick.de
rer Medienverantwortung aufgerufen, das auch einzufordern und auf
die Barrikaden zu gehen, wenn das
nicht geschieht. Vielleicht sollte man
tatsächlich einmal wegen der Verletzungen der Staatsverträge klagen, also nicht diesen Beschwerdeweg gehen, der ja meistens in der Länge der
Verfahren versandet.
SB: Stichwort vierte Gewalt: Ist es
wirklich sinnvoll, damit heute noch
zu argumentieren? Es gibt ja den
Einwand, daß die Gewaltenteilung
schon bei den ersten drei Gewalten
nicht wirklich halten würde, was sie
verspricht. Ist die Presse mit der Rolle der vierten Gewalt nicht auch
möglicherweise überfordert?
SaS: Wenn man dem System staatlicher Gewalt insgesamt skeptisch gegenübersteht, könnte man sagen, daß
die Idealisierung der Medien als
vierte Gewalt, so würde ich das einmal nennen, systemstützend ist, zumal wenn man in einem freiheitlichdemokratischen System davon ausgeht, daß die bürgerliche Kontrolle
funktioniert, was natürlich ein Idealtypus ist, der so überhaupt nicht zu
halten ist. Aufder anderen Seite muß
ich sagen, daß ich den Rahmen, den
wir jetzt haben, von der Idee her gar
nicht so schlecht finde, einmal abgesehen davon, daß wir kein gerechtes
Weltwirtschaftssystem haben. Mit
bestimmten Eigenheiten der Verwaltung - das Ganze muß ja auch irgendwie organisiert werden - könnte ich durchaus leben, wenn man es
denn ehrlich meinen würde. Aber das
funktioniert, wie man sehen kann,
eben nicht.
Die Akkumulation enormer Reichtümer bei ganz wenigen und - weltweit
betrachtet - die Verarmung großer
Massen, die dann zu den vielen
Fluchtbewegungen führt, die wir
jetzt haben, stellt eine Destabilisierung im großen Maßstab dar. Da versagen unsere Medien komplett, das
kann man eindeutig feststellen. Sie
erfüllen gerade nicht ihre Rolle der
vierten Gewalt. Manchmal kann man
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Elektronische Zeitung Schattenblick
sogar den Eindruck haben, sie verstehen nicht, was die vierte Gewalt
eigentlich bedeutet, nämlich nicht,
Mißstände anzuprangern. Nein, das
ist nicht genug, denn Mißstände gibt
es viele, und zwar auch auf der Seite der Schwachen. Aber es geht darum, die Mächtigen zu kritisieren, ich
muß eine Machtanalyse machen. Das
heißt, es ist die Frage, ob ich jetzt
zum Beispiel eine schwache Gruppe,
die sich radikalisiert, in den Fokus
nehme und deren Radikalisierung
anprangere oder ob ich die mächtige
Gruppe, die diese Radikalisierung
durch politische, ökonomische und
sonstige Entscheidungen herbeigeführt hat, analysiere und die systemische Macht, die da in Erscheinung
tritt, kritisiere. Da wäre ich immer
der Ansicht, daß das die Rolle der
vierten Gewalt wäre, doch ich habe
den Eindruck, daß dieses Verständnis zunehmend verlorengeht.
Das analysiert Conrad Schuhler jetzt
in seinem aktuellen Buch [7], Daniele Ganser vom Schweizer Friedensforschungsinstitut hat das in seinen
Studien dargelegt. Auch Werner Ruf
und ich haben wie viele, die sich mit
der MENA-Region, also dem Nahen
Osten und Nordafrika [8], beschäftigen, immer wieder auf diese Zusammenhänge hingewiesen, bei denen es
sich im Grunde genommen um eine
globale Strategie handelt. In dem
Buch, das ich auf der letzten Linken
Literaturmesse vorgestellt habe,
"Ukraine im Visier" [9], gibt es einen
Aufsatz von Jochen Scholz, der genau um dieses Thema kreist, nämlich
die geostrategischen Interessen in
Osteuropa und in der Ukraine. Was
er dort für diese Region zur Kontrolle ganzer Politiken, wie ich es einmal
nennen möchte, analysiert hat, kann
man auf den Nahen und Mittleren
Osten genauso anwenden.
SB: Sie haben vorhin Samuel Huntington erwähnt. Welche Rolle spielt
sein wohl bekanntestes Werk, der
"Kampf der Kulturen" [5], Ihrer
Meinung nach?
Wenn man dann die Katastrophen
einen Moment lang aus dem Fokus
nimmt, zeigt sich bei näherer Betrachtung, daß der angeblich plötzlich aufgetauchte sogenannte "Islamische Staat" ein Propagandawort
für eine ganz andere Organisation ist.
Wäre das ein islamisches Thema,
dann müßte es den doch seit 1400
Jahren geben! Das Phänomen ist
aber erst vor ein paar Jahren aufgetaucht. Wenn ich das geostrategisch
analysiere, kann ich sehr gut verstehen, warum es aufgetaucht ist und
welche Funktion es erfüllt. Und
wenn es mir dann noch gelingt, von
der Betrachtung der Greueltaten vor
Ort, was die meisten Medien machen, ein bißchen in eine Vogelperspektive zu gehen und mir das Ganze von oben anzusehen, komme ich
natürlich zu einer ganz anderen Analyse der Zusammenhänge.
SaS: Vielfach wird vergessen, daß
es eine Vorlage für Huntington gab,
die sein Kollege und Freund Bernard Lewis in einer Rede formuliert
hat, die dann 1990 als Aufsatz im
"Atlantic Monthly" erschienen ist
mit dem Titel "The Roots ofMuslim
Rage". [6] Was dort zur Radikalisierung von Muslimen und so weiter
geschrieben wurde, ist in das Buch
von Huntington eingeflossen. Ich
denke, man sollte so ein Buch nicht
immer nur als Analysebeschreibung
lesen, sondern als ein Strategiepapier. Sobald man das tut, kann man
sehen, daß Huntington sich leider
ziemlich gut durchgesetzt hat und
daß mit der Dämonisierung der
Muslime und dem Aufbau und der
Pflege des Feindbildes Islam sehr
gut geostrategische Politik zu machen ist, nämlich genau dort, wo
viele Muslime leben und wo die
Ressourcen lagern und die Ressourcenwege verlaufen.
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aus einem solchen Kriegs- und Katastrophengebiet berichten, eigentlich selbst Konfliktbeteiligte sind.
Müßte nicht spätestens an diese Stelle der in den Medien erhobene Wahrheitsanspruch in Frage gestellt werden?
SaS: Das könnte man natürlich tun.
Aber wir sind ja auch Akteure. Wenn
wir beispielsweise in der Bundespressekonferenz irgendetwas in Erfahrung bringen wollen, sind wir
nicht nur Beobachter und Berichterstatter, sondern selbst Akteure. Um
da rein zu kommen, muß man schon
etwas opportun sein. Syrien ist natürlich auch ein gutes Beispiel. Da ist
ja fast niemand. Unsere Korrespondenten reisen höchstens für sechs
Tage ein. Da kann man sich kein Bild
verschaffen und ist sozusagen von
vornherein geleaded und gebrieft beziehungsweise auf den Fixer oder
Stringer vor Ort angewiesen, der die
Kontakte hat und einen irgendwo
hinbringen kann. Wie frei man sich
in Syrien bewegen kann, wenn man
so ein Reisekorrespondent ist, kann
ich im Moment gar nicht beurteilen.
Ich weiß nur von der einzigen akkreditierten deutschen Journalistin in
Syrien, daß sie eine relativ unabhängige Berichterstattung macht, ihr
aber gleichzeitig vorgeworfen wird,
sie würde im Sinne des Assad- Regimes berichten. Das ist ein interessantes Phänomen, weil sich das jetzt
plötzlich ändert. Sie bekommt neue
Anfragen, auch von den Mainstream-Medien, weil die Politik sich
geändert hat. Da kann man sehen,
daß die Glaubwürdigkeit oder Unglaubwürdigkeit von Journalisten
nicht unbedingt von ihrer Arbeit abhängt, sondern davon, was hier gebraucht wird. Und dann sucht man
sich eben die entsprechenden StimSB: Der Krieg gegen den sogenann- men aus der Region und findet sie
ten Islamischen Staat und der Bür- auch.
gerkrieg in Syrien sind eigentlich
Beispiele, bei denen man sich fragen Ich amüsiere mich jeden Morgen,
könnte, wie es überhaupt eine eini- wenn ich im Radio höre, daß die
germaßen seriöse Berichterstattung "Syrische Beobachtungsstelle für
geben kann, wenn alle Akteure, die Menschenrechte", dieser Ein-Mannwww.schattenblick.de
Mi, 13. April 2016
Elektronische Zeitung Schattenblick
Betrieb in London, der eine ganz klare Agenda hat und den man auch in
seiner politischen Ausrichtung identifizieren kann, immer wieder als
neutrale Beobachtungsstelle und
Quelle zitiert wird. Warum er,
warum nicht zum Beispiel Karin
Leukefeld? Da wird vollkommen unhinterfragt - das ist wirklich teilweise erstaunlich - mit der Problematik
des "embedded journalism" umgegangen. Wenn ich in so einem Gebiet
oder überhaupt im Krieg von Militärs begleitet werde, was in diesem
Konzept ja so ist, dann nehme ich natürlich auch eine bestimmte Perspektive ein, was gar nicht so schlimm
wäre, wenn ich sie benennen würde.
Man könnte doch sagen: Ich bin hier
jetzt mit dem und dem unterwegs
und deswegen erwarte ich, daß ich
nur die und die Ausschnitte zu sehen
bekomme, ich habe aber auch noch
das und das gesehen.
Das ist eigentlich wie in der Wissenschaft. Man müßte im Journalismus
sehr viel mehr eine Transparenzschiene aufbauen und sagen: Das ist meine Position, von der aus betrachte ich
das. Wer behauptet denn, neutral zu
sein? Das gibt es doch überhaupt
nicht. Jeder hat immer irgendwelche
Prämissen im Kopf, mit denen man
an eine Sache herangeht. Wenn die in
einem Medium klar aufdeckt werden,
kann ich die Betrachtung besser einschätzen, und dann ist es mir auch
egal, um welches Medium es sich
handelt. Das ist dann möglicherweise
sogar seriöser als alles, was wir immer in unseren Nachrichtenformaten
präsentiert bekommen, wo einer mit
Anzug und Krawatte steht und uns
suggeriert, er würde vollkommen
neutral berichten.
SB: Wenn verläßliche Angaben beispielsweise zur militärischen und humanitären Lage in Kriegs- und Krisengebieten eigentlich gar nicht gemacht werden können, wäre es dann
nicht das Seriöseste, dieses Unvermögen klarzustellen, wozu Medienschaffende allerdings kaum bereit
sein dürften?
Mi, 13. April 2016
SaS: Genau, das geht gar nicht. Und
wenn man Nachrichten bringt, muß
man natürlich auch Bilder liefern,
was nicht heißt, daß der Hörfunk da
wirklich in einer anderen Lage ist.
Bilder bekommt man irgendwo her,
notfalls aus Youtube. Wenn die aus
dem Irak sind, merkt es kaum jemand, wenn man die auch einmal für
Syrien nimmt. Das ist alles schon
passiert, ich spitze das jetzt nur ein
bißchen zu. Aber das ist tatsächlich
auch so eine Art Zwang, der bedient
werden muß und wo sich anscheinend bis heute niemand traut, das
Publikum für voll zu nehmen und
ihm klar zu sagen, was da eigentlich
Sache ist. Karin Leukefeld beispielsweise - ich nenne sie als Beispiel,
weil ich sie auf der Frankfurter
Buchmesse interviewt habe - sagt:
Ich bin keine Kriegsreporterin. Ich
kann nicht sagen, wer da wen beschossen hat, weil ich erst danach
dahin komme, verschiedene Leute
interviewe und versuche, mir ein
Bild zu machen. Damit kommt sie
eben nicht in die Nachrichten und
wird nicht wie die Syrische Beobachtungsstelle in London als Quelle
genannt. Bei ihrer Arbeitsweise
kommt anscheinend nicht das heraus, was man hören will, dabei wäre
das eindeutig der seriösere Journalismus.
gesehen habe - für eine nächste Generation, die sich diesen Themen
widmet und in diesem Bereich weitermacht. Man darf sich nicht entmutigen lassen von den Mächtigen,
auch wenn man manchmal den Eindruck hat, solche Tendenzen zu beobachten. In der Geschichte der
Menschheit insgesamt gesehen haben sich immer wieder sehr positive
Entwicklungen durchgesetzt. Ich bin
der Meinung, daß es die Menschen
längst nicht mehr geben würde, wenn
sie nicht grundsolidarisch wären. An
diesen vielen kleinen Mosaiksteinchen, den Gesprächen mit Multiplikatoren und anderen, halte ich mich
fest und schöpfe Mut, denn ansonsten müßte man verzweifeln.
SB: Frau Schiffer, vielen Dank für
dieses Gespräch.
Anmerkungen:
[1] RT, zuvor "Russia Today", ist ein
vom russischen Staat finanzierter
Auslandsfernsehsender, der seit November 2014 mit "RT Deutsch" auch
ein Nachrichtenportal in deutscher
Sprache unterhält.
[2] https://deutsch.rt.com/33509/international/wieso-funktioniert-ussatellitentechnik-in-syrien-aberSB: Fällt Ihnen noch ein Schlußwort nicht-in-der-ukraine/
ein?
[3] Institut für MedienverantworSaS: Eigentlich ist es zum Weglau- tung, Leitung: Dr. Sabine Schiffer
fen. Seit ich diese Arbeit mache - das http://www.medienverantworInstitut gibt es jetzt seit 10 Jahren, tung.de/
aber ich bin schon seit 20 Jahren dabei -, habe ich den Eindruck, daß es [4] www.presserat.de/pressekoimmer schlimmer wird. Es sind tat- dex/pressekodex
sächlich solche Veranstaltungen wie
hier die Linke Literaturmesse, wo [5] Samuel P. Huntington, US-Poliman in den Gesprächen merkt, daß tikwissenschaftler und Autor, lehrte
es doch ein ernsthaftes Interesse gibt, am John M. Olin Institute for Stratesich mit solchen Dingen auseinan- gic Studies der Harvard- Universität
derzusetzen, die einen immer wieder und war für das US-Außenministeriweitermachen lassen. Man wird ja um als Berater tätig. In seinem umbekämpft für diese Arbeit, das ist strittenen Buch "The Clash of Civinicht immer der leichteste Weg. Aber lizations" (Kampf der Kulturen) von
meine Hoffnung ist, daß es genügend 1996 stellte er die These auf, daß sich
Leute gibt - auch hier, wie ich heute anstelle der bisherigen nationalstaatwww.schattenblick.de
Seite 11
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lich verfaßten und sich zu verschiedenen Ideologien bekennenden
Bündnissen nach dem Ende der
Blockkonfrontation weltweit neue
Konfliktlinien zwischen kulturell
unterschiedlich geprägten Zivilisationen durchsetzen würden.
[6] http://www.theatlantic.com/past/issues/90sep/rage.htm
BERICHT/035: Links, links, links - ... Hans Modrow im Gespräch (SB)
dem Mainstream vorauseilend gehorsam ... (SB)
INTERVIEW/038: Links, links,
links - autark und souverän ... Kai
BERICHT/036: Links, links, links - Ehlers im Gespräch (SB)
Das wollt ihr nicht erleben ... (SB)
BERICHT/037: Links, links, links - INTERVIEW/040: Links, links,
Unfrei, rechtsfrei, Knastbrei ... (1) links - Freiheit Schritt für Schritt ...
(SB)
Doris Ensinger im Gespräch (SB)
BERICHT/038: Links, links, links - INTERVIEW/041: Links, links,
Unfrei, rechtsfrei, Knastbrei ... (2) links - Jede Hand und jeder Kopf ...
(SB)
Alexander Neupert-Doppler im Gespräch (SB)
BERICHT/039: Links, links, links Okkupierter Freiheitskampf ... (SB) INTERVIEW/042: Links, links,
links - Widerstand der Klassenlosen
[8] MENA ist die Abkürzung für
INTERVIEW/027: Links, links, ... Martin Veith im Gespräch (1)
Middle East & North Africa.
links - strukturell faschistoid ... (SB)
WolfWetzel im Gespräch (SB)
[9] Ukraine im Visier: Russlands
INTERVIEW/043: Links, links,
Nachbar als Zielscheibe geostrategi- INTERVIEW/028: Links, links, links - Widerstand der Klassenlosen
scher Interessen, von Ronald Thoden links - Neue Pläne ... Susann Witt- ... Martin Veith im Gespräch (2)
und Sabine Schiffer (Herausgeber), Stahl im Gespräch (SB)
(SB)
Eckart Spoo (Vorwort), Jochen
Scholz, Volker Bräutigam und Kai INTERVIEW/029: Links, links, INTERVIEW/044: Links, links,
Ehlers (Mitwirkende)
links - Familiendämmerung ... Gi- links - Besinnung radikal ... zwei
http://www.amazon.de/Ukraine-Vi- sela Notz im Gespräch (SB)
GegenStandpunkt-Aktivisten im
sier-Zielscheibe-geostrategischerGespräch (SB)
Interessen/dp/3981696301
INTERVIEW/030: Links, links,
links - vom fernen Verwandten ... INTERVIEW/045: Links, links,
Peter Betscher im Gespräch (SB)
links - schweigende Mehrheiten ...
Berichte und Interviews zur
Attila Steinberger im Gespräch (SB)
20. Linken Literaturmesse im
INTERVIEW/032: Links, links,
Schattenblick unter
links - Teilen bis zur Revolution ...
www.schattenblick.de → INFO­ Daniel Horneber im Gespräch (SB)
Berichte und Interviews zur
POOL → DIE BRILLE → REPORT:
19. Linken Literaturmesse 2014
INTERVIEW/033: Links, links, siehe unter dem Sammeltitel "Links­
BERICHT/030: Links, links, links - links - Politik stirbt in repressiven literaten" im Schattenblick unter:
Getrennt publizieren, gemeinsam Raten ... Uschi Grandel im Geagieren ... (SB)
spräch (1) (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/d-brille/ip_d-brille_report_beBERICHT/031: Links, links, links - INTERVIEW/034: Links, links, links richt.shtml
in jedem Falle unbestechlich ... (1) - Nur wer festhält, bleibt sich treu ...
(SB)
Rehzi Malzahn im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/d-brille/ip_d-brille_report_inBERICHT/032: Links, links, links - INTERVIEW/035: Links, links, terview.shtml
in jedem Falle unbestechlich ... (2) links - alte Kämpfe, neue Wege ...
(SB)
Uschi Grandel im Gespräch (2) (SB)
[7] Alles Charlie oder was. Religionskritik - Meinungsfreiheit oder
Schmähung? von Conrad Schuhler
http://shop.papyrossa.de/SchuhlerConrad-Alles-Charlie-oder-was
BERICHT/033: Links, links, links - INTERVIEW/036: Links, links,
in jedem Falle unbestechlich ... (3) links - Stille Wasser ... Martin
(SB)
Birkner im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/
infopool/d­brille/report/
dbri0058.html
BERICHT/034: Links, links, links - Frei- INTERVIEW/037: Links, links,
heit, Gleichheit, Brüderlichkeit ... (SB) links - Domestiziert zum Schlachten
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Mi, 13. April 2016
Elektronische Zeitung Schattenblick
POLITIK / KOMMENTAR / KULTUR
"Böhmermann-Affäre" - neue Helden, alte Ressentiments
(SB) ­ Arm in Arm mit Frankreichs
Präsident Francois Hollande und
EU-Ratspräsident Donald Tusk marschierte Bundeskanzlerin Angela
Merkel am 11. Januar 2015 in Paris
in Solidarität mit den Anschlagsopfern der Satirezeitung "Charlie Hebdo". "Je suis Charlie" - das unbedingte Eintreten für die Freiheit von
Wort und Bild bedeutete auch, daß
die Freiheit in Frankreich lebender
Muslime, sich der nationalen Solidaritätsbewegung nicht anzuschließen
und an Schweigeminuten in der
Schule nicht teilzunehmen, als Gesinnungsdelikt unter dem Vorwurf
der "Verherrlichung des Terrorismus" [1] kriminalisiert wurde. Die
Karikatur, in der ein maghrebinischer Jugendlicher von einem Polizisten mit der Waffe an die Wand gedrückt wird, der auf sein Bekenntnis
"Je suis Charlie" ungerührt "Moi
aussi" antwortet, brachte den instrumentellen Charakter nationaler Solidarität treffend auf den Punkt staatspädagogischer Vereinnahmung.
Während die Regierung Frankreichs
sich heute auf den am 13. November
2015 verhängten Ausnahmezustand
beruft, der neben anderen Grundrechten die "Freiheit der Meinungsäußerung" nach Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention
(EMRK) einschränkt, werden in anderen liberaldemokratischen Staaten
wie den USA oder Großbritannien
schon im Regelfall bloße Meinungsbekundungen strafrechtlich sanktioniert, wenn sie etwa Zustimmung zu
aufstandsartigen Erhebungen oder
anderen Formen sozialen Widerstands betreffen. Auch in der Bundesrepublik endet die Meinungsfreiheit dort, wo etwa ein Aufruf zur Gewalt unterstellt oder Sympathien für
verbotene Organisationen bekundet
werden. Wie schon das Repression
im Namen der Freiheit gutheißende
Mi, 13. April 2016
Leitmotiv des BRD-Staatsschutzdiskurses "Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit" besagte, gibt es keine Freiheit, die uneingedenk gesellschaftlicher und staatlicher Imperative absolut gesetzt werden kann.
Dabei muß die Aufhebung der Legalität einer Meinung, die zum Verbrechen umdeklariert wird, weil sie sich
gegen die erklärte Staatsräson richtet, keineswegs mit dem Verlust ihrer Legitimität einhergehen. Der
Rechtshistoriker Giorgio Agamben
betrachtet den im juridischen Sinne
unauflöslichen Widerspruch der
Aufhebung geltenden Rechts bei Bewahrung der herrschenden Rechtsordnung im Ausnahmezustand als
konstitutives Fundament herrschender Verfassungswirklichkeit, die den
Keim diktatorischer Entwicklung
stets in sich trägt [2].
Dies in einer Debatte um die Freiheit
von Wort, Bild und Schrift nicht mitzudenken, heißt sie von vornherein
auf ein gesellschaftlich und rechtlich
sanktioniertes Feld zu begrenzen,
das etwa in der Ausweisung sogenannter Free Speech Zones an Universitäten, bei Parteitagen oder internationalen Gipfeltreffen in den USA
konkret Gestalt annahm. Die selektive Praxis, der freien Rede bestimmte Ort oder Diskurse zuzuweisen und
sie damit an anderer Stelle zumindest
unter den Verdacht regel- und gesetzeswidriger Gesinnungsbekundungen zu stellen, blendet gesellschaftliche Widerspruchslagen und materielle Gewaltverhältnisse auf eine
Weise aus, die bestimmte Positionen
gar nicht erst in den Rang diskursrelevanter Beiträge kommen lassen
soll. So muß, wenn wie im aktuellen
Fall um die sogenannte Schmähkritik des ZDF-Moderators Jan Böhmernann am türkischen Präsidenten
Recep Tayyip Erdogan das Recht auf
Meinungsfreiheit in einer von Staatswww.schattenblick.de
interessen hochgradig aufgeladenen
Situation auf die Probe gestellt wird,
die liberale Verabsolutierung dieses
Rechtes nicht unbedingt von einem
emanzipatorischen Anliegen getragen sein.
Indem die türkische Regierung die
inhaltlich fundierte Kritik des satirischen Songs "Erdowie, Erdowo, Erdogan" der NDR-Sendung extra 3
am 17. März zum Anlaß für eine diplomatische Intervention nahm, versuchte sie, die im eigenen Land massiv unterdrückte Meinungs- und
Pressefreiheit auch für ihre internationalen Beziehungen geltend zu
machen. Anläßlich dessen legte Jan
Böhmermann in der ZDF-Sendung
Neo Magazin Royale am 31. März
mit einem "Schmähgedicht" nach,
dessen kritischer Gehalt, wenn überhaupt vorhanden, von sexistischen,
im Höchstmaße beleidigenden und
unschwer als antimuslimischer Rassismus zu identifizierenden Anwürfen überlagert war. Er tat dies erklärtermaßen, um Erdogan den Unterschied zwischen erlaubter Satire und
verbotener, weil herabwürdigender
Schmähkritik vor Augen zu führen.
Für nur des Türkischen mächtige
Zuschauer kam erschwerend hinzu,
daß die Schmähungen mit türkischen
Untertiteln versehen waren, die damit verbundene Absicht des Moderators jedoch nicht.
Indem er mehrfach darauf hinwies,
daß die öffentliche Präsentation seines Gedichtes in Deutschland nicht
erlaubt sei, riskierte Böhmermann,
für das Begehen eines vorsätzlichen
Rechtsbruchs, der denn auch mehrere Anzeigen zur Folge hatte, zur Verantwortung gezogen zu werden. Der
Moderator provozierte mithin einen
Skandal, dessen rechtliche Beilegung für die Bundesregierung in die
eine oder andere Richtung von
Seite 13
Elektronische Zeitung Schattenblick
Nachteil sein wird. Bundeskanzlerin Angela Merkel, die 2010 bei einer Preisverleihung an den dänischen Karikaturisten Kurt Westergaard die Laudatio unter dem Titel
"Das Geheimnis der Freiheit ist der
Mut" auf den Zeichner der Mohammed-Karikaturen hielt [4], ist zweifellos regierungspolitischer Opportunismus anzulasten, wenn sie zur
Rettung der mit der Türkei ausgehandelten Flüchtlingsabwehr eher
keinen Mut zur Freiheit beweist.
Das ist jedoch kein Sonderfall
staatlichen Krisenmanagements,
sondern die Regel eines Regierungshandelns, dessen gesellschaftlicher Empörungshaushalt
unverzichtbare Begleiterscheinung
notwendiger Widerspruchsregulation ist. Daß das Wortgeklingel liberaler Freiheitsrhetorik der Befriedung herrschender Klassenwidersprüche in den Gesellschaften des
neoliberalen Kapitalismus dient, ist
als Malaise aller Diskursformationen, die von gleichermaßen ermächtigenden Rechtsverhältnissen
ausgehen, auch wenn die an einem
Konflikt beteiligten Akteure materiell höchst unterschiedlich bemittelt sind, seit jeher bekannt.
Doch derartige Probleme aufzugreifen, scheint nicht Sache eines
Medienprofis zu sein, der in Anbetracht der exekutiven Ermächtigung der AKP-Regierung zur Mißachtung
menschenrechtlicher
Schutzgarantien nichts anderes zu
bieten hat als die auf maximale
Schadensbilanz abonnierte Inszenierung einer Beleidigungsarie.
Daß Mathias Döpfner beim Lesen
des seiner Ansicht nach "gelungenen" Gedichtes "laut gelacht" [5]
hat, wie er in einer Solidaritätsbekundung an Böhmermann erklärt,
verrät mindestens so viel über die
politischen Absichten des SpringerChefs, der seinerseits 2010 unter
dem Titel "Der Westen und das
höhnische Lachen der Islamisten"
[6] eine neokonservative Kampfansage verfaßt hat, wie über seine ästhetischen Präferenzen.
Seite 14
Wenn Böhmermann die zutiefst notwendige Kritik an den repressiven
und imperialen Ambitionen Erdogans wie auch dem Widerstand gegen die deutsche-türkische Kollaboration, die sich gleichermaßen gegen
Kriegsflüchtlinge und die politische
Opposition in der Türkei richtet, auf
die Fallhöhe einer sympolpolitischen
Skandalisierung hebt, dann dient er
sich vor allem den Sachwaltern eines
Krieges der Kulturen an, die es nicht
nur in den Reihen des IS gibt. Der
Beifall, den er als vermeintlicher
Held des Kampfes für Meinungsfreiheit und gegen Zensur erhält, gilt
nicht zuletzt den kulturalistischen
Ressentiments, mit denen er aufwartet und die die Schmähungen rassistischer Feindseligkeit und sozialchauvinistischer Verachtung weiter
anheizen. Die Bereitschaft, sich mit
einer Kritik in die Nesseln zu setzen,
die Mut zur Parteinahme für gesellschaftliche Verlierer und ausgegrenzte Minderheiten erfordert, fehlt
dem öffentlich-rechtlichen Hofnarren ebensosehr wie den Betreibern
einer massenmedialen Heldenmaschine, die für die soziale Sicherheit
ihrer Akteure weitgehend folgenlose
Tabubrüche abfeiert.
Anmerkungen:
[1] http://www.spiegel.de/schulspiegel/ausland/charlie-hebdo-anschlaege-schueler-in-frankreich-stoerengedenkminuten-a-1013015.html
[2] http://www.schattenblick.de/infopool/buch/sachbuch/busar216.html
[3] http://uebermedien.de/3736/boehmermanns-satireschmaeh/
[4] KULTUR/0860: "Mut zur Freiheit" ... niemals ungeteilt, niemals
unbewaffnet (SB)
http://schattenblick.org/infopool/politik/kommen/sele0860.html
[5] http://www.welt.de/debatte/kommentare/article154171281/Solidaritaet-mit-Jan-Boehmermann.html
www.schattenblick.de
[6] http://www.welt.de/debatte/article11148187/Der-Westen-und-dashoehnische-Lachen-der-Islamisten.html
http://www.schattenblick.de/
infopool/politik/kommen/
sele0984.html
SCHACH - SPHINX
Amerikas erschwindelter Stolz
Bevor Bobby Fischer spätestens 1972 für die Amerikaner den
Stolz, sich für eine Schachnation
halten zu dürfen, erschwindelte, war
es Samuel Reshevsky, der unter der
amerikanischen Flagge Ruhm anhäufte. Als er am 4. April 1992 im
New Yorker Suffern-Krankenhaus an
den Folgen eines Herzschlags
verstarb, hatte der gerade einmal
1,58 Meter große Reshevsky sieben
Jahrzehnte hindurch Schachgeschichte geschrieben. Er, der einst als
polnischer Emigrant in das Land der
unbegrenzten Möglichkeiten und ihrer Freiheitsstatue - übrigens ein Geschenk der Franzosen - gekommen
war, gab den Amerikanern am 5. Juli 1955 das Gefühl, ein in der Welt
ebenbürtiges Schachvolk zu sein,
und zwar, weil er beim Moskauer
Wettkampf am Spitzenbrett der USAuswahl keinen Geringeren als den
damaligen Weltmeister Michail Botwinnik mit 2,5:1,5 geschlagen hatte.
Daß der Rest der amerikanischen
Schachmeister von den Russen mit
7:25 regelrecht verprügelt worden
war, ging im Presserummel gänzlich
unter. Selbst die Kremlführer Bulganin und Chruschtschow hatten sich
breittreten lassen und posierten wie
Trophäen neben dem Amerikaner auf
einem Foto. Als Reshevsky in die
Staaten zurückkehrte, berief die USDelegation speziell zu seinen Ehren
eine Pressekonferenz ein und verlangte außerhalb der FIDE- Satzungen ein Herausforderer-Recht für
ihn. Sie mögen kulturlos sein, unse(SB) ­
Mi, 13. April 2016
Elektronische Zeitung Schattenblick
re europäischen Vettern in Übersee,
SPORT / BOXEN / PROFI
vom Showgeschäft verstehen sie jedoch allerhand. Daß sich Reshevsky
auch von wilden Posen á la KönigsZu früh für den sportlichen Ruhestand?
gambit nicht beeindrucken ließ, bewies er im heutigen Rätsel der Manny Pacquiao glänzend gegen Timothy Bradley aufgelegt
Sphinx. Sein Kontrahent Jaffe war
der irrigen Meinung, mit 1.f4-f5?
einen Angriff inszenieren zu können. (SB) ­ Sollte dies tatsächlich der letz- perten ihrer Zunft zählen. Der favoDer Schuß ging jedoch nach hinten te Auftritt Manny Pacquiaos gewe- risierte Pacquiao wurde wie immer
los, Wanderer.
sen sein, so hat sich der legendäre von Freddie Roach betreut, der mit
Philippiner mit einer rundum über- ihrem gemeinsamen Werk höchst
zeugenden Vorstellung verabschie- zufrieden sein kann. Auch Teddy Atdet. Er schickte vor 14.665 Zuschau- las gebührt Hochachtung, da er Brern in der MGM Grand Garden Are- adleys Auftritt in nur zwei Kämpfen
na in Las Vegas seinen Gegner Timo- ihrer wesentlich kürzeren Zusamthy Bradley in der siebten und neun- menarbeit deutlich verbessert hat.
ten Runde auf die Bretter, worauf er
schließlich den hochklassigen Anfang Mai 2015 hatte Manny PacKampf im Weltergewicht einstimmig quiao in einem Kampf der Superlatinach Punkten gewann (116:110, ve gegen Floyd Mayweather klar den
116:110, 116:110). Nach 21 Jahren kürzeren gezogen, wobei ihn jedoch
im Profigeschäft stehen für den eine Schulterverletzung erheblich
37jährigen Pacquiao damit 58 Siege, einschränkte. Er mußte sich einer
sechs Niederlagen und zwei Unent- Operation unterziehen, so daß vor
schieden zu Buche, während der fünf dem aktuellen Auftritt niemand mit
Jaffe - Reshevsky
Jahre jüngere Bradley 33 gewonne- Sicherheit sagen konnte, ob der PhilNew York 1921
ne und zwei verlorene Auftritte so- ippiner vollständig wiederhergestellt
wie ein unentschieden gewertetes war. Diesbezügliche Bedenken erDuell auf dem Konto hat.
wiesen sich jedoch als gegenstandsAuflösung des letzten
los, da Pacquiao nicht nur mit vollem
Sphinx­Rätsels:
Pacquiao hat somit die Trilogie sei- Einsatz zu Werke gehen konnte, sonDie Reihenfolge einzuhalten, war ner Begegnungen mit dem US-Ame- dern buchstäblich an seine besten
unerläßlich, denn nach dem vor- rikaner aus Palm Springs nach offi- Zeiten erinnerte.
schnellen 1.Td1-d2? konnte Meister zieller Lesart mit zwei Siegen und eiTscherbakow dank der ungedeckten ner Niederlage zu seinen Gunsten Die ersten vier Runden waren von
Grundreihe mit 1...Lf6xc3! einen entschieden. Die Mehrzahl der Ex- einer vorsichtigen HerangehensweiBauern gewinnen und wenige Züge perten geht indessen davon aus, daß se geprägt, da beide Boxer bestrebt
der Philippiner in allen drei Kämp- schienen, ihre Taktik zu etablieren.
später die Partie.
fen der bessere Akteur war. Er domi- Während Bradley sehr beweglich
nierte 2012 das Geschehen im Ring, agierte und einige gute Konter lanhttp://www.schattenblick.de/
mußte sich aber am Ende umstritten den konnte, kam Pacquiao vor allem
infopool/schach/schach/
mit 1:2 Punktrichterwertungen ge- mit der gestochen scharfen linken
sph05804.html
schlagen geben - eine Fehlentschei- Geraden zum Zuge. Im fünften
dung, wie damals viele Beobachter Durchgang nahm das Gefecht
meinten. Bei der Revanche im Jahr schließlich Fahrt auf, da beiderseits
2014 war dann an seinem Punktsieg für schwerere Treffer Maß genomListe der neuesten und
nicht zu rütteln, worauf er sich nun men wurde. Bradley schlug mit
tagesaktuellen Nachrichten ...
mit der besten Leistung dieser Serie Schwingern etliche Löcher in die
Kommentare ... Interviews ...
erneut durchgesetzt hat. [1]
Luft, traf aber auch einige Male, was
Reportagen ... Textbeiträge ...
gleichermaßen für den Philippiner
Dokumente ... Tips und
Das vielbeachtete Aufeinandertref- galt. Nun kam es immer wieder zum
Veranstaltungen ...
fen in Las Vegas war zugleich ein offenen Schlagabtausch, den das Puhttp://www.schattenblick.de/
Duell zweier prominenter Trainer, blikum mit hörbarer Begeisterung
die zu den anerkannt führenden Ex- verfolgte.
infopool/infopool.html
Mi, 13. April 2016
www.schattenblick.de
Seite 15
Elektronische Zeitung Schattenblick
Gegen Mitte des Kampfs begann
sich abzuzeichnen, daß der Philippiner noch immer ungewöhnlich
schnelle und präzise Kombinationen
schlagen kann, während Bradley zusehends Probleme bekam, Treffer zu
landen. Kurz vor Ende der siebten
Runde ließ Pacquiao einem gelungenen Schlag mit der Linken sofort eine trockene Rechte folgen, worauf
sein Gegner in die Knie ging und mit
einem Handschuh den Boden berührte, was regelkonform als Niederschlag gewertet wurde. Teddy Atlas
sah das Unheil heraufziehen und
spornte seinen Schützling in der
glücklich erreichten Pause energisch
an, worauf Bradley mit vollem Einsatz in den folgenden Durchgang
ging und unter anderem drei harte
linke Haken ins Ziel brachte. Pacquiao mußte an die Seile zurückweichen, konnte sich aber aus der Affäre ziehen. Er klammerte kurz und
blieb anschließend in Bewegung, so
daß er keinen weiteren schweren
Treffer einstecken mußte.
Während Bradley den ersten Niederschlag offenbar gut verkraftet hatte,
galt das nicht für einen Volltreffer,
der etwa eine Minute vor Ende der
neunten Runde bei ihm einschlug.
Der US-Amerikaner kam zwar wieder auf die Beine, lag aber inzwischen so deutlich nach Punkten im
Rückstand, daß er im Endspurt alles
auf eine Karte setzen mußte. Er versuchte im zehnten Durchgang, den
Druck auf Pacquiao zu erhöhen, handelte sich dabei aber mehrere Linke
des Kontrahenten ein. Vor Beginn
der zwölften und letzten Runde
tauschten die Kontrahenten nicht nur
die obligatorische Berührung der
Handschuhe aus, sondern umarmten
einander zum Zeichen des Respekts.
Die verbliebenen drei Minuten boxte Manny Pacquiao unter stehenden
Ovationen der Zuschauer, die immer
wieder seinen Vornamen skandierten, den Sieg sicher nach Hause.
Wie Pacquiao im anschließenden Interview erklärte, habe er in jeder
Runde einen Niederschlag angeSeite 16
strebt. Bradley sei jedoch ein sehr
zäher Gegner und erstklassiger Konterboxer, dem er höchsten Respekt
zolle. Es sei nicht leicht gewesen,
sich gegen ihn durchzusetzen, doch
habe ihm seine Schulter keine Probleme bereitet. Es sei ein attraktiver
Kampf zweier nahezu gleichwertiger
Akteure gewesen, der beste in der
Reihe ihrer drei Duelle. Teddy Atlas
habe hervorragende Arbeit geleistet,
da Timothy Bradley gefährlicher als
bei ihren ersten beiden Begegnungen
gekämpft habe.
Pacquiao selbst ließ jedoch keinen
Zweifel aufkommen, daß seine Karriere nunmehr beendet sei. Er werde
zwar nach Hause gehen und in Ruhe
darüber nachdenken, wolle aber
künftig vor allem Zeit mit seiner Familie verbringen und dem Volk der
Philippinen dienen. Er gehört dort als
wiedergewählter Abgeordneter dem
Parlament an und kandidiert im Mai
mit offenbar guten Aussichten für
einen der zwölf Sitze im Senat. Zudem engagiert sich der in seiner Heimat als Idol verehrte Boxer seit langem in verschiedenen karitativen
Bradley, der in der Vergangenheit in Organisationen.
zwei Gewichtsklassen insgesamt
fünfmal Weltmeister geworden war, Manny Pacquiao kann auf eine beiwürdigte Pacquiao als außerordent- spiellose Karriere zurückblicken, die
lich starken Boxer, der gefährlich zu- von überragenden Vorstellungen im
schlage und zugleich sehr geduldig zu Ring und einem ungewöhnlich beWerke gehe. Er selbst sei jedoch un- scheidenen Auftreten außerhalb desgeduldig geworden und prompt in die selben gekennzeichnet war. Er wurSchläge des Gegners gelaufen. Man- de angefangen vom Fliegengewicht
ny sei überaus schnell, explosiv und bis hinauf ins Halbmittelgewicht
habe nach wie vor erstklassige Refle- Weltmeister in acht verschiedenen
xe, so daß es schwer sei, sich gegen Gewichtsklassen und stand gemeinihn zu verteidigen. Er gratuliere ihm sam mit seinem Erzrivalen Floyd
zu einem verdienten Sieg. Dem schloß Mayweather über Jahre an der Spitsich auch sein Trainer Teddy Atlas an, ze ihres Metiers. Als die beiden im
der Pacquiao einen großartigen Auf- Mai 2015 endlich aufeinandertrafen,
tritt attestierte. Bezeichnenderweise brach dieses sportliche Großereignis
übte Atlas keine Kritik an seinem mit einem Umsatz von rund 600
Schützling, sondern übernahm die Millionen Dollar alle Rekorde. MayVerantwortung für das Scheitern mit weather nahm im September mit eiden Worten, er habe nicht den best- nem leichten Sieg gegen Andre Bermöglichen Job für Bradley gemacht. to seinen Abschied, nun ist ihm Pacquiao offenbar mit dem Triumph
Nach dieser überzeugenden Vorstel- über Timothy Bradley in den Ruhelung Pacquiaos, der trotz seiner lan- stand gefolgt.
gen Karriere an diesem Abend keinerlei Ermüdungserscheinungen erkennen ließ, stand zwangsläufig die Anmerkungen:
immer wieder gestellte Frage im
Raum, ob er die Boxhandschuhe tat- [1] http://espn.go.com/boxing/stosächlich an den Nagel hängen wolle. ry/_/id/15174152/manny-pacquiaoSein Trainer Freddie Roach hatte im outpoints-timothy-bradley-jr-finalVorfeld des Kampfs erklärt, er wer- fight
de jede Entscheidung Pacquiaos unterstützen, wie immer sie auch aus- [2] http://www.boxingnews24.com/
falle. Nachdem sein Schützling je- 2016/04/pacquiao-decisions-braddoch so hervorragend gekämpft hat- ley/#more-207906
te, erklärte Roach unumwunden, daß
er sich glücklich schätzen würde,
http://www.schattenblick.de/
könnte man noch einige Zeit weiter
infopool/sport/boxen/
zusammenarbeiten. [2]
sbxp0625.html
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Mi, 13. April 2016
Elektronische Zeitung Schattenblick
KINDERBLICK / NATURKUNDE / WISSENSDURST
Himmelsleiter Wissenschaft Politik, die unbekannte Größe ...
Stefan und Ben haben herausgefunden, dass viele technische Geräte,
aber auch andere Produkte des alltäglichen Gebrauchs, nicht besonders lange einwandfrei funktionieren
und sogar recht schnell kaputtgehen.
Bei ihren Nachforschungen entdeckten sie, dass es aber durchaus technisch möglich ist, langlebige Produkte herzustellen. Sie sind zu folgender Überlegung gekommen:
Wenn man davon ausgehen würde,
dass alle Dinge so hergestellt werden, dass sie möglichst lange zu benutzen sind, vielleicht 30 bis 50
Jahre, dann ergibt sich für die Herstellerfirmen ein Problem. Sie wollen möglichst viel Ware verkaufen,
aber vermutlich befindet sich in jedem Haushalt schon ein Kühlschrank, eine Waschmaschine, ein
Fernseher, ein Staubsauger, Küchengeräte und dergleichen mehr.
Stefan und Ben haben sich nun gedacht, dass es für einen Fabrikanten
nur logisch wäre, wenn er selbst dafür sorgt, dass ein Bedarf an neuen
Geräten entsteht. Eine Möglichkeit
wäre, Produkte von minderer Qualität und begrenzter kurzer Lebensdauer herzustellen. Sie entdeckten
viele Hinweise darauf, dass es sich
tatsächlich so verhalten könnte. Das
ärgerte die beiden auch deswegen
besonders, da bei einer solchen Vorgehensweise viele Rohstoffe verschwendet werden, ebenso Energie
und Wasser.
Ben: "Ich habe gestern noch mal
überlegt, in welchen Ländern eine
auf schnellen Verschleiß ausgerichtete Produktionsweise sinnvoll wäre
..."
Ben: "Ein was?"
Stefan: "Also, ein Ort, an dem Leute kaputte Sachen reparieren können.
Bei uns in der Nähe, zwei Häuserblocks weiter, gibt es ein solches
'Repair-Café'. Meine Mutter meint,
dass wir dort bestimmt Leute treffen,
die auf unsere Fragen antworten
können."
Grafik: © 2012 by Schattenblick
Ben: "Zunächst einmal macht es
doch Sinn in den Ländern, wo vermutlich die meisten Menschen schon
fast alles besitzen. Ich denke da an
die USA oder Kanada, Japan, Frankreich oder England, also die sogenannten Industrienationen. Aber eigentlich ist es aus Sicht eines Herstellers, der möglichst viel herstellen
und verkaufen will, doch immer besser, wenn seine Produkte nicht so
lange brauchbar sind, ganz gleich in
welchem Land er produziert - oder
was meinst du?"
Stefan: "Ja, da hast du wohl recht.
Warte mal, wenn ich es recht überlege, wir leben zwar in einem reichen
Land, haben aber trotzdem nicht gerade viel Geld. Na ja, also, ich stelle
mir vor, ich hätte zum Beispiel auf
einen Fernseher gespart, den ich mir
dann endlich kaufen kann. Wenn der
nach kurzer Zeit nicht mehr richtig
funktioniert oder gar kaputtgeht, wäre ich stinksauer."
Ben: "Ob es hierzulande noch mehr
Menschen gibt, die mit diesem raschen
Kaputtgehen, dem Wegwerfen und
Neukaufen nicht einverstanden sind?"
Stefan: "Da fällt mir etwas ein. Gestern Abend hat meine Mutter von eiStefan: "... und zu welchem Schluss nem neu eröffneten Repair-Café erbist zu gekommen?"
zählt?"
Mi, 13. April 2016
www.schattenblick.de
Ben: "Wollen wir dahin gehen?"
Stefan: "Jetzt gleich?"
Ben: "Nun ja, es ist früher Nachmittag ..."
Stefan: "Okay, dann los!"
Die beiden Jungs schnappten sich ihre Fahrräder und radelten zu besagtem Repair-Café. Als sie die Ladentür öffneten, schepperte eine alte
Türglocke über ihren Köpfen. Sie
betraten einen hellen Raum mit einem kleinen Ausschank und drei
runden Tischen. Im Durchgang wuselten Leute hin und her, lachten und
riefen sich etwas zu. Stefan und Ben
waren ziemlich beeindruckt. Auf den
Tischen und in den Regalen lagen die
verschiedensten Werkzeuge herum.
Große und kleine technische Geräte
befanden sich im Reparaturmodus,
halb aufgeschraubt, das Innenleben
nach außen gekehrt; Lötkolben, mit
denen geschickte Hände gebrochene
Teile zusammenfügten, Schrauben
und Muttern, Drähte und Klemmen,
kleine Hämmer und Schraubenzieher
- ein buntes lebendiges Gewirr aus
Menschen, Maschinen, Werkzeugen,
Materialien, Stoffen und vielem
mehr, in einer Atmosphäre voller
Zuversicht. Eine junge Frau näherte
sich den beiden Neuankömmlingen
und begrüßte sie freundlich.
Seite 17
Elektronische Zeitung Schattenblick
Foto: by Ilvy Njiokiktjien (Stichting
Repair Café) [CC BY­SA 3.0
(http://creativecommons.org/licen­
ses/by­sa/3.0)], via Wikimedia Com­
mons
ausführen woll- mer mehr arme Leute gibt, und wenn
te.
die sich von dem wenigen Geld, das
sie entbehren können, günstig ein
Stefan: "Also, Gerät kaufen, das dann nach kurzer
noch mal von Zeit kaputtgeht, ist das total ärgervorn. Wir haben lich. An einem solchen Ort könnten
herausgefunsie wenigsten versuchen, schadhafte
den, dass Gerä- Geräte wieder zum Laufen zu brinte oft so gebaut gen. Stefan und Ben schauten sich
werden, dass sie noch eine Weile in dem Repair-Café
nach einer be- um und schlenderten dann nachstimmten, eher denklich nach Hause.
kurzen Zeit,
nicht
mehr Ben: "Das ist ja alles gut und schön,
funktionieren - aber mich wurmt, dass von den Erund dass das wachsenen an den entscheidenden
absichtlich so Stellen, die Möglichkeiten der Hergemacht wird stellung langlebiger Produkte nicht
..."
wahrgenommen wird. Für mich sieht
das so aus, als würde gar nicht die
Ben: "... und Absicht bestehen, etwas zu verbesdann müssen sern ..."
sie neu gebaut
werden, was Stefan: "... tja, und das Ganze funkwieder Roh- tioniert, weil die Sachen auch gestoffe, Wasser kauft werden ..."
und Energie verbraucht. Wir denken,
dass es möglich sein muss, eine sol- Ben: "Du liebe Güte, ich glaube wir
che Produktionsweise zu verhin- sind hier auf ein gewaltiges Problem
dern."
gestoßen."
Frau: "Guten Tag. Zum ersten Mal Stefan: "Da Sie hier alles reparieren,
dachten wir uns, dass Sie vielleicht
hier? Wie kann ich helfen?"
auch sauer darüber sind und nicht
Ben: "Hallo, ja, also, wir wollten uns einfach immer gleich alles wegwereigentlich nur einmal so ein Repair- fen wollen. Vielleicht könnten Sie
Café anschauen, da wir keine Ah- uns einige Fragen beantworten?"
nung hatten, dass es so etwas überFrau: "Ja, sicher, gern. Die Leute, die
haupt gibt."
den Reparierfreudigen mit Rat und
Frau: "Ja, und warum interessiert Tat zur Seite stehen, arbeiten alle eheuch das? Habt ihr ein kaputtes Ta- renamtlich hier, das heißt, sie beblet, Handy oder ein Fahrrad, das kommen keinen Lohn und machen
das aus Idealismus. Genau wie ihr,
klappert?", lachte sie freundlich.
sehen sie nicht ein, warum so verStefan: "Nein, wir beschäftigen uns schwenderisch mit Energie und Rohgerade mit Energiegewinnung und stoffen umgegangen wird. Ich denke
Rohstoffverbrauch und sind dabei mal, ihr könnt euch hier in aller Ruauf die kurzlebigen Geräte gestoßen he durchfragen."
..."
Stefan und Ben waren doch ziemlich
Die Frau legte ihren Kopf schief und erstaunt, wie viele Menschen sich
es war ihr anzusehen, dass sie noch über diese Verschleißproduktion, wie
nicht ganz begriff, was die Jungs ei- einige es nannten, ärgerten und nach
gentlich wollten. Sie wartete aber ab, Abhilfe suchten. Außerdem wussten
ob Stefan sein Anliegen noch weiter sie, dass es auch in Deutschland imSeite 18
www.schattenblick.de
Diesem Artikel liegen folgende
Quellen zugrunde:
http://www.topprodukte.at/de/NewsDetail/Langlebige-reparierbareElektrogeraete-ganzheitliches-Produktdesign-schont-die-Umweltressourcen-und-vermeidet-unnoetigeAbfallpr.html
http://www.finanzen.net/nachricht/aktien/InoTec-Erfolg-mit-langlebigen-Produkten-Alternativen-zurWegwerfgesellschaft-FOTO4735729
http://ddr-design.info/3-7-wie-sichlanglebige-produkte-verkaufen-lassen/
http://www.schattenblick.de/
infopool/kind/natur/
knwd0029.html
Mi, 13. April 2016
Elektronische Zeitung Schattenblick
MUSIK / VERANSTALTUNGEN / FOLKLORE
Kulturcafé Komm du ­ Mai 2016
Leisure Time - Country, Folk, Pop and more
Konzert am Freitag, den 27. Mai 2016, 20:00 bis 22:00 Uhr im Kulturcafé Komm du
Eintritt frei / Hutspende
Das Komm du lädt ein zu einem
Konzert am Freitag, den 27.05.2016,
20.00 bis 22.00 Uhr:
Leisure Time
Country, Folk, Pop & more
Die Hamburger Gruppe Leisure Time, zu deutsch "Freizeit" oder "Feierabend", bietet Folk-, Country- und
Pop-Musik, akustisch, unplugged
und mit persönlicher Note. Neben eigenen Kompositionen werden Cover
u.a. von Johnny Cash, Amy MacDonald und den Dixie Chicks gespielt.
Mehrstimmiger Gesang, abwechslungsreiche, geradlinige Arrangements mit Akustikgitarre, Mandoline, Banjo, Akkordeon, Bass und Percussion sorgen für lässigen CountryGroove und entspanntes Feeling.
Leisure Time Music ... ehrlich, hand­
gemacht, akustisch und unplugged!
Foto: © by Leisure Time
Zu Leisure Time gehören:
Michi: Gesang, Banjo, Mandoline,
Harp, Akkordeon, Gitarre
Daniela: Gesang, Gitarre, Irish Bouzouki, Mandoline
Daniel: Gesang, Bass, Gitarre, Akkordeon
Micha: Drums, Percussion
Zum Anschauen:
Leisure Time - Truth of the Blues live @Kulturcafé Komm Du,
08.05.2015 - https://www.youtube.com/watch?v=HZyGyprYMyk
*
Das Kulturcafé Komm du
in Hamburg-Harburg:
Kunst trifft Genuss
Hier vereinen sich die Frische der
Küche mit dem Feuer der Künstler
und einem Hauch von Nostalgie
Weitere Informationen:
Das Komm du in Harburg ist vor allem eines: Ein Ort für Kunst und
http://www.leisuretime-music.de
Künstler. Ob Live Musik, Literatur,
Theater oder Tanz, aber auch PantoDas Konzert im Kulturcafé Komm
Zum
Reinhören:
mime oder Puppentheater - hier hadu beginnt um 20:00 Uhr.
ben sie ihren Platz. Nicht zu vergesPlatzreservierungen per Telefon: 040 Leisure Time bei Soundcloud:
/ 57 22 89 52 oder E-Mail: komm- https://soundcloud.com/leisuretime- sen die Maler, Fotografen und Obhamburg
jektkünstler - ihnen gehören die
[email protected]
Mi, 13. April 2016
Leisure Time ­ Homepage:
www.schattenblick.de
Seite 19
Elektronische Zeitung Schattenblick
Wände des Cafés für regelmäßig
wechselnde Ausstellungen.
Britta Barthel und Mensen Chu geben mit ihrem Kulturcafé der Kunst
eine Bühne und Raum. Mit der eigenen Erfahrung als Künstler und Eindrücken aus einigen Jahren Leben in
der Kulturmetropole London im Gepäck, haben sie sich bewusst für den
rauen und ungemein liebenswerten
Stadtteil Harburg entschieden. Für
Künstler und Kulturfreunde, für
hungrige und durstige Gäste gibt es
im Komm du exzellente Kaffeespezialitäten, täglich wechselnden frischen Mittagstisch, hausgemachten
Kuchen, warme Speisen, Salate und
viele Leckereien während der Veranstaltungen und vor allem jede Menge
Raum und Zeit ...
__I n h a l t_________Ausgabe 1793 / Mittwoch, den 13. April 2016__
1 UMWELT - REPORT: Profit aus Zerstörungskraft den Finger in der Wunde ... Dr. Ian Fairlie im Gespräch
7 DIE BRILLE - REPORT: Links, links, links - im Auge des Betrachters ...
Sabine Schiffer im Gespräch
13 KOMMENTAR: "Böhmermann-Affäre" - neue Helden, alte Ressentiments
14 SCHACH-SPHINX: Amerikas erschwindelter Stolz
15 SPORT - BOXEN: Zu früh für den sportlichen Ruhestand?
17 KINDERBLICK: ... - Politik, die unbekannte Größe ...
19 VERANSTALTUNGEN: Country, Folk, Pop and more, 27. Mai
20 DIENSTE - WETTER: Und morgen, den 13. April 2016
DIENSTE / WETTER / AUSSICHTEN
Und morgen, den 13. April 2016
+++ Vorhersage für den 13.04.2016 bis zum 14.04.2016 +++
Das Komm du ist geöffnet von:
Montag bis Freitag
7:30 bis 17:00 Uhr,
Samstag von 9:00 bis 17:00 Uhr
und an Eventabenden open end.
Lauer Wind und trübe Tasse,
dafür aber Regenglück,
Frosch Jean-Luc findet das klasse
und genießt es Stück für Stück.
Näheres unter:
http://www.komm-du.de
http://www.facebook.com/KommDu
Kontakt:
Kulturcafé Komm du
Buxtehuder Straße 13
21073 Hamburg
E-Mail: [email protected]
Telefon: 040 / 57 22 89 52
© 2016 by Schattenblick
Komm du­Eventmanagement:
Telefon: 04837/90 26 98
E-Mail: [email protected]
Die aktuellen Monatsprogramme
des Kulturcafé Komm du
mit Lesungen, Konzerten, Vorträgen,
Kleinkunst, Theater und wechselnden Ausstellungen finden Sie im
Schattenblick unter: Schattenblick
→ Infopool → Bildung und Kultur
→ Veranstaltungen → Treff
http://www.schattenblick.de/infopool/bildkult/ip_bildkult_veranst_treff.shtml
http://www.schattenblick.de/
infopool/kunst/veransta/
vaus8815.html
Seite 20
IMPRESSUM
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Diensteanbieter: MA-Verlag Helmut Barthel, e.K.
Verantwortlicher Ansprechpartner:
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Telefonnummer: 04837/90 26 98
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Mi, 13. April 2016