Wie sich Fluchtrouten ändern – und warum Berlin Flüchtende müssen sich ständig neue Wege nach Europa suchen. Wie das mit politischen Entscheidungen zusammenhängt Seite 8, 9 AUSGABE BERLIN | NR. 10989 | 14. WOCHE | 38. JAHRGANG ANZEIGE Die Fahrradmesse. 16.–17.4.16 Messe Berlin www.veloberlin.com SONNABEND/SONNTAG, 9./10. APRIL 2016 | WWW.TAZ.DE € 3,50 AUSLAND | € 3,20 DEUTSCHLAND Wächst hier ein neuer NSU? STEU EROASEN Wege aus Panama ANSCHLÄGE Sächsische Ermittler wollen in Freital keine Terrorgruppe erkennen. Dann greift die Wie Staaten Steuerflucht bekämpfen wollen und warum legale Steuervermeidung das eigentliche Problem ist SEITE 5, 6, 11 Bundesanwaltschaft ein. Eine Recherche über Lehren aus der NSU-Affäre Gesellschaft SEITE 17–20 taz.thema 5 SEITEN ANTHROPOSOPHIE Foto: snapshot N ICHT DO CH Wir wissen nicht, wie die Deutsche Bahn – deren Chef Rüdiger Grube verrätselt zur Neuen Osnabrücker Zeitung sprach – das letzte wirklich große Problem in der Geschichte des Schienenverkehrs lösen will. Aus offenen Eilzugtoiletten in die Umgebung wirbelnde Fäkalien? Gelöst! Alte Züge verschrottet. Langes Winken bei der Abreise? Weg, weil: Fenster kann man nicht mehr öffnen. Bald, sagte Grube nun, soll es auch die verstörende Ansage „Der Zug verkehrt in umgekehrter Wagenreihung“ nicht mehr geben. Aber wie? Bahnsteig drehen, Zug umheben? DER STÄ R KSTE SATZ „Ich bin nicht im Iran aufgewachsen, sondern in meinem Zimmer“ PAYAM FEILI, schwuler iranischer Schriftsteller, der in Israel Asyl beantragt hat SEITE 22 Weitere Texte dieser Ausgabe: PHILIPP GESSLER über die „Freude der Liebe“ von Papst Benedikt und MALTE KREUTZFELDT über Energiespeicher im Keller taz.berlin Rassistische Demonstranten in Heidenau, 20 Kilometer von Freital, 22. August 2015 Foto: Florian Boillot 60614 4 190254 803208 TAZ MUSS SEIN Die tageszeitung wird ermöglicht durch 15.754 GenossInnen, die in die Pressevielfalt investieren. 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Seite 7 Essay Wegweiser Was die Fluchtrouten nach Europa mit konkreten politischen Entscheidungen zu tun haben Seite 8, 9 Argumente Flüchtlinge Warum man auf den Türkei-Deal nicht mit Zynismus reagieren sollte Seite 10 Kultur Zeitgeschichte Ein Journalist enthüllt die Zusammenarbeit der Schweiz mit der PLO Seite 12, 13 Buch Warum die ScifiAutorin Alice B. Sheldon zeitlebens unter einem männlichen Pseudonym schrieb Seite 14 Für die Göttinnen brennen Früh am Morgen am Ufer des Ganges, nahe der Stadt Allahabad. Das Navaratri-Fest hat begonnen, eines der wichtigsten der Hindus. Übersetzt heißt es „neun Nächte“, so lange dauert es auch, neun Nächte und neun Tage. Tage voller Spiritualität. Je drei gewidmet der Göttin der Energie, der Göttin des Reichtums und der Göttin des Wissens. Foto: Rajesh Kumar Singh/ ap Gesellschaft Seite 21 Porträt Der iranische Schriftsteller Payam Feili schreibt im Exil über Homosexuelle und Depressionen Seite 22 Sachkunde Sonnig Die Energiewende hängt am Speicher. Wie man sich den jetzt auch in den Keller stellen kann Seite 23–25 Medien Grenzerfahrung Warum die Medienkontrolle in Polen nun auch öffentlich-rechtliche Anstalten in Deutschland beschäftigt Seite 32 Reise Erbe In Armeniens Hauptstadt befindet sich die älteste Weinkellerei der Welt Seite 34 Leibesübungen Glossar Die Jobmaschinerie der Fußballindustrie Seite 38 LESERBRIEFE SEITE 37 TV-PROGRAMM SEITE 34 DIE WAHRHEIT SEITE 40 LEKTIONEN 5 Dinge, die wir diese Woche gelernt haben 1. Journalisten können global ein Thema setzen Seit Anfang der Woche spricht die Welt über die Panama Pa pers. Die mehr als 11 Millionen Dateien aus dem mittelamerika nischen Steuerschlupfloch (die es übrigens gar nicht auf Pa pier gibt), hat die Süddeutsche Zeitung zugespielt bekommen. Aber nur, weil sie den Offshore schatz mit vielen anderen Me dien teilte, kommt nun weltweit niemand an dem Thema vorbei. Erstaunlich ist, dass es aus den Reihen der 400 beteiligten Jour nalisten aus mehr als 70 Län dern kein vorzeitiges Leak gab. A ls wir klein waren, war das Allermeiste sonnen klar. Wenn ein Grüner zum Bundestagspräsi denten „mit Verlaub, Herr Prä sident, Sie sind ein Arschloch“ krächzte, dann war das die an gemessene Sprache der Dissi denz und der Ausdruck einer konfrontativen Haltung gegen über dem Establishment. Damit brach etwas auf. Over. Selbst falls man demnächst ein starkes Gefühl verspüren sollte, den Satz bei President Trump wieder anzuwenden: Was soll das bringen, außer sich kurz Luft verschafft zu haben? Nun werden die einen weiter darauf beharren, dass man ka putt machen müsse, was uns ka putt macht. Ich gehöre zu denen, die inzwischen überzeugt sind, dass man nicht das kaputt ma chen darf, was wir in den letz ten 50 Jahren an bewahrenswer ten Errungenschaften geschafft oder bekommen haben. Dass deshalb nicht das kaputtgehen darf, was uns in der Mitte zu 2. Kuckuckskinder sind sehr selten Wie viele fremde Eier werden den Familien ins Nest gelegt? Immer wieder werden ziem lich hohe Quoten für die „Ku ckuckskinder“ genannt: 10 Pro zent. Mindestens. Belgische Forscher zeigen nun: Diese po pulären Zahlen sind grotesk übertrieben. Sie gehen davon aus, dass vielleicht 1 bis 2 Pro zent der Kinder einen anderen Vater haben als den offiziellen. Denn mancher Forscher hat zu vor einfach im Vaterschaftsla bor nachgefragt, und dort las sen sich ja nur jene testen, die einen Verdacht haben. 3. Recht dauert lange Vor knapp sechs Jahren starben auf der Loveparade in Duisburg 21 Menschen, Hunderte wur den verletzt. Es war von einem Mammutprozess die Rede, der wegen der vielen Verfahrensbe teiligten und des großen Inte resses nicht in einem Gerichts saal, sondern in einer externen Halle stattfinden werde. Daraus wird nun nichts. Das Landge richt Düsseldorf will nicht ge gen zehn Mitarbeiter der Stadt und der Veranstaltungsfirma verhandeln. Die Richter halten vor allem ein zentrales Gutach ten für fehlerhaft und den Gut achter für befangen. Die Staats anwaltschaft hat Beschwerde eingelegt. Nun widmet sich das Oberlandesgericht den Akten. Die Prüfung werde wohl meh rere Monate dauern, hieß es. 4. Venezolaner bekommen strommangelfrei Das lange Wochenende wird von ganz oben verordnet: In Vene zuela bleiben im April und Mai alle staatlichen Einrichtungen freitags geschlossen, kündigte Präsident Nicolas Maduro in ei ner Fernsehansprache an. Der Grund: Der Klimawandel und „El Niño“ (Maduro) oder Miss wirtschaft (Opposition). Oder beides. Die Staatsbediensteten können sich dann zu Hause ei nen gemütlichen Tag vor dem Fernseher machen. Falls der Strom nicht gerade abgestellt ist. 5. Bei Daimler geht es um die Wurst Genau 12.500 schwäbische Sai tenwürschtle hat Daimler sei nen Aktionären bei der Haupt versammlung aufgetischt. Jedem der rund 5.500 anwe senden Anteilseigner standen im Schnitt 2,27 Stück zu. Offen bar nicht genug: Ein Mann soll mehrere Würste zum Mitneh men eingepackt haben. Eine Ak tionärin, der das auffiel, interve nierte. Am Ende musste die Po lizei den Streit schlichten. Was Vegetarier auf der Versamm lung zu essen bekamen, ist nicht bekannt. SEBASTIAN ERB Das Zitat „Ich fühle mich erschüttert in allem, an das ich je geglaubt habe“ Foto: dpa Titel Was haben Polizei und Justiz in Deutschland aus der NSU-Affäre gelernt? Wenig, so scheint es im sächsischen Freital. Verübt eine selbst ernannte Bürgerwehr dort rechtsextreme Terroranschläge? Seite 17–20 Hausbesuch Ein Ehepaar widmete sein Leben der Komplementärmedizin GEGEN DEN ZDF-SATIRIKER JAN BÖHMERMANN WIRD WEGEN EINES SCHMÄH GEDICHTS ÜBER ERDOĞAN ERMITTELT DI E EI N E FRAGE Mit Verlaub, Sie sind kein Arschloch WAS DEN WAH LERFOLG DER KRETSCHMAN N-GRÜN EN AUSMACHT: SI E SI N D POST-REALO-FUN DIS. UN D SI E SPRECH EN AN DERS ALS CLASSIC-GRÜN E sammenhält. Das ist eine radikal veränderte Aufgabenstellung. Zu viel von dem, was nach Ministerpräsident Kretsch manns historischem Wahlsieg gesagt wurde, geht von einem überholten Denken aus – Realo oder Fundi. Kretschmann und seine Baden-Württemberger sind eben nicht auf einem der beiden alten Grünen Wege un terwegs. Das sind keine „Realos“, die die „Fundis“ in Schach hal ten. Die Kretschmann-Grünen sind Post-Realo-Fundis. Sie sind Orientierungspartei der Gesell schaft. 30,3 Prozent kriegt man nur, wenn die aristotelische Ka tharsis hinter einem liegt. Wie auch bei anderen erfolgreich regierenden Landesverbänden (etwa Hessen und SchleswigHolstein) wird Staat, Gesell schaft, Wirtschaft und „wir“ zu sammengedacht. PETER UNFRIED IST TAZ-CHEFREPORTER Im Bund indes muss man den Sprung hinter die Lager noch machen. Dieser Sprung besteht im Kern darin, Kretsch manns Definition von Grün positiv nachzuvollziehen. Er ist nicht der Avantgardist, der die Mitte vom Rand aus piekst. Er ist der „Pater Patriae“, der Va ter des Vaterlandes, der mit sei nem progressiven Errungen schaftskonservatismus und dem Alleinstellungsmerkmal der sozialökologischen Trans formation eine neue Mehrheit in der Mitte gebildet hat. Eine völlig unterschätzte Vorausset zung dieses Erfolg ist die Art des Sprechens. Heute sammelt sich das AntiEstablishment in unserer EU bei Rechts- oder bei Linkspopulis ten und in Deutschland bei der AfD. Da sind Leute dabei, deren Wut mit einer kulturellen Ver wahrlosung einhergeht und die sich entsprechend artikulieren. In so einer Lage ist das öffent liche Krachwumms-Sprechen der frühen grünen Jahre keine aufrechte Haltung, sondern ge nauso kontraproduktiv wie der spaltende Moralstinkefinger. Was es brauche und was Kretschmann habe, sagt der So ziologe Heinz Bude, sei „repara tives“ Sprechen. Er spaltet nicht, er fügt Teile der auseinander strebenden Gesellschaft neu zu sammen. Er verkörpere die „Idee kollektiver Handlungsfähigkeit“ im Spätkapitalismus. Das ist si cher nicht im Sinne Sahra Wa genknechts, aber genau darum geht es. Die dialogische Hin wendung gilt selbstverständlich nicht für notorische Rassisten, aber sie reicht bis zu gekränkten Kleinbürgern, die sich jetzt ge gen Demokratie, EU und Gesell schaft wenden und dabei asozial und antikapitalistisch sind. Man muss mit allen reden und mit vielen möglichst gute Kompromisse machen können. Das gilt speziell für etwaige Grüne in einer künftigen Bun desregierung. Ein grüner Au ßenminister muss mit SaudiArabien, Assad oder dem Teufel so sprechen, dass etwas Positi ves herauskommen kann. Er sollte nicht wie Anton Hofrei ter bereits die Manieren verlie ren, wenn er es mit dem grünen Oberbürgermeister von Tübin gen zu tun hat. Die Drei INTERVIEW STEFAN REINECKE taz.am wochenende: Herr Ha beck, langweilen Sie sich in Kiel? Robert Habeck: Kein Stück. Ich bin als Minister verantwortlich für Energiewende, Umweltschutz und Landwirtschaft. Aber gerade diese Themen zeigen: Vieles wird im Bund entschieden, deshalb müssen die Grünen auch dort Einfluss haben. Das ist der Ansporn, warum ich Spitzenkandidat der Grünen werden will. Fürchten Sie sich nicht vor dem Haifischbecken in Berlin? Als ich vor zwölf Jahren Landesvorsitzender in Schleswig-Holstein wurde, haben mich viele gefragt, ob ich keine Angst habe, in die Politik zu gehen. Als ich in den Landtag kam, sagten manche: Da musst du dich warm anziehen, da bekommst du es mit Ralf Stegner und Wolfgang Kubicki zu tun. Als ich Minister wurde, fragten sie, ob ich nicht Angst vor den vielen Entscheidungen habe. Nein, ich hab keine Angst. Sie sind seit vier Jahren Minis ter. Hat Sie das verändert? Ich bin idealistischer geworden. Ach. Warum? Hat mich auch überrascht. Ich hab gedacht, dass ich mich als Minister aufreibe: Lauter Kompromisse, nie macht man es allen recht. Aber in der Flüchtlingsfrage, beim Stromnetzausbau, bei der Agrarwende gibt es enorm viel Gemeinsinn. Menschen handeln im Konkreten oft nicht nur im Eigeninteresse. Das beflügelt, finde ich. Was haben Sie noch im Amt ge lernt? Ich kann mich nicht wegducken. Meine Entscheidungen verändern das Leben von Menschen. Im besseren Fall stinkt es weniger nach Gülle. Oder aber jemand bekommt eine Strom trasse vor die Tür gesetzt. Wenn ich im Büro den Knickerlass unterschreibe, stehe ich zwei Tage später mit Landwirten auf dem Feld, die fragen: Wie soll ich jetzt mit meinem Trecker wenden? Knickerlass? Knicke sind Wallhecken und ein wichtiges Biotop in SchleswigHolstein für Insekten und Vögel. Ich habe dafür gesorgt, dass sie breiter wachsen dürfen – und besser geschützt sind. Das mag, von Berlin aus gesehen, niedlich klingen. Aber das war mein erster harter Konflikt mit den Landwirten. Denen geht damit Ackerfläche verloren. Wenn Ihnen das Kleinteilige so viel wert ist, warum wollen Sie in den Bundestag? Wollen Sie Minister werden? Mit „kleinteilig“ tun Sie das ab. Wir waren im Bund lange genug in der Opposition. Wir sollten regieren wollen – nicht zum Selbstzweck, sondern um zu gestalten. Müssen die Grünen sich 2017 bürgerlicher präsentieren? Ich kann mit Kategorien wie bürgerlich oder links zunehmend weniger anfangen. Wer hat denn applaudiert, als Merkel im letzten Herbst die Grenze öffnete? Das war die 75-jährige gestandene Bürgerin – und der Autonome mit Dreadlocks. Es gibt ein Verlangen in der Gesellschaft danach, dass sich Engagement lohnt. Wenn die Grünen das aufnehmen, werden wir Erfolg haben. 2013 sind die Grünen mit ih rem Steuerwahlkampf auf die Nase gefallen. Kann es sein, dass grüne Klientel die Illu sion liebt, dass sie selbstlos mehr Steuern zahlen würde – aber nur, solange es nicht kon kret wird? Das sehe ich anders. Die grünen Wähler wollen ihren Beitrag leisten – aber wir haben uns 2013 in Widersprüchen verhed- SON NABEN D/ SON NTAG, 9. / 10. APRI L 2016 TAZ.AM WOCH EN EN DE Robert Habeck, derzeit in Schleswig-Holstein Vizeministerpräsident, will Spitzenkandidat der Grünen im Bund werden. Wird er nicht gewählt, ist er danach vielleicht kein Politiker mehr KANDIDAT „Ich habe keine Angst“ Kann mit Kategorien wie links oder bürgerlich wenig anfangen: der Grünen-Politiker Robert Habeck Foto: Hans Christian Plambeck/laif dert. Wir haben gefordert, dass Leute ab 60.000 oder 70.000 Euro Jahreseinkommen als Reiche bezeichnet wurden und mehr Steuern zahlen sollten – während Milliardäre wie die Quandts steuerfrei ihren Reichtum vererben. Und wir haben das mit dem Bedarf nach höheren Staatseinnahmen begründet, während die Steuern sprudelten. Das haben die Leute nicht verstanden. Wenn Sie Spitzenkandidat werden, dann lassen die Grü nen also die Finger von Steuer erhöhungen? Wachsende Ungleichheit zu verhindern ist für sich ein politisches Ziel. Großer Reichtum muss höher besteuert werden. Die Panama Papers zeigen das doch. Konzerne wie Amazon und Ikea machen sich europaweit legal einen schlanken Fuß. Das müssen wir ändern. Ökologisch schädliche Subventionen sollten abgebaut und Kapital erträge nicht mehr pauschal mit nur 25 Prozent besteuert werden. Arbeit höher als Kapital zu besteuern war immer falsch. Über die Erbschaftsabgabe verhandelt Monika Heinold, die grüne Finanzministerin in Schleswig-Holstein, gerade im Bundesrat. Aber bei der Erbschaftsteuer hat das grün-rot regierte Ba den-Württemberg die Pläne von CDU-Finanzminister Schäuble ausgebremst. Der wollte, dass Unternehmen ab 20 Millionen Euro Erbschaft Robert Habeck ■■Der Politiker: Der 46-Jährige ist seit vier Jahren Vizeministerpräsident in Kiel und Minister für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt. 2004 wurde er grüner Landeschef in Schleswig-Holstein, 2009 Fraktionschef der Grünen im Landtag. ■■Der Schriftsteller: Er hat zusammen mit seiner Frau Andrea Paluch englische Lyrik übersetzt, zudem Kinderbücher und mehrere Romane verfasst. steuer zahlen müssen. BadenWürttemberg fand, das sei eine zu große Belastung für Unter nehmen. Was wollen die Grü nen denn jetzt? Schleswig-Holstein hat damals den Schäuble-Vorschlag unterstützt. Davon wären nur zwei Prozent der Betriebe betroffen gewesen. Ich glaube, die rotgrüne Seite hat sich damals taktisch ins Knie geschossen. Man wollte einfach keinem CDUMann recht geben. Das ist so ein blödes Ritual. Die Bundesrepublik ist un gleicher als die meisten OECDStaaten. Die Hälfte der Bevölke rung hat kein Vermögen, wer arm ist, bleibt arm. Ihre Steuer vorschläge sind viel zu zaghaft, um daran etwas zu ändern. 03 Das stimmt. Ein System, das ständig Ungleichheit produziert, kann man allein mit Steuern nicht korrigieren. Bessere Schulen, bessere Kitas, höhere Reallöhne sind für eine gerechte Gesellschaft wichtiger, als nachträglich mit Steuern und Sozialtransfers die Unwucht auszutarieren. Auch Fraktionschef Toni Hof reiter und wohl ebenso der Par teivorsitzende Cem Özdemir wollen 2017 Spitzenkandidat werden. Was können Sie bes ser als die beiden? Cem kennt den Berliner Polit betrieb und die Partei aus dem Effeff, Toni ist ein kerniger Fraktionsvorsitzender. Die beiden sind bekannter als ich und bespielen die Berliner Bühne. Ich weiß aber, wie man in Konflikten Mehrheiten schafft und Politik konkret umsetzt. Ein linker Fraktionsvorsitzender, ein Realo als Bundesvorsitzender und ich mit meiner Knick- und Strom trassenerfahrung – das ist doch ein spannendes Angebot für die Grünen. Werden Sie gewinnen? In der Poleposition sind die anderen. Sie wollen, falls Sie nicht Spit zenkandidat werden, auch nicht mehr für den Landtag kandidieren. Warum? Es wäre unfair und eigennützig, wenn ich die Grünen in Schleswig-Holstein als Versicherung benutze. Der Landesverband braucht Klarheit, um planen zu können. Außerdem verliere ich meine Kraft. Inwiefern? Ich habe als Minister gelernt, dass ich erfolgreicher bin, wenn ich nicht taktiere. Wenn ich bei Konflikten mit Bauern oder Naturschützern Angst hatte, Wählermilieus zu verschrecken oder parteiintern anzuecken, habe ich meine Kraft verloren. Wenn ich gesagt hab, was ich finde und will, gab es meist gute Lösungen. Herr Habeck, dann ist Ihre po litische Karriere zu Ende. Vielleicht. Schade, oder? Na ja, der Sinn von Politik in der Demokratie ist doch, dass jeder Politiker werden kann. Und dass man auch wieder kein Politiker sein kann. Ich mache das ja gerade alles aus demokratischer Leidenschaft. Die erlischt nicht, wenn ich scheitere. Dann trete ich nicht beleidigt aus der Partei aus, sondern werde mich weiter einbringen, Flyer verteilen oder Kreisvorsitzender werden. Was ich nicht will, ist, dass für mich ein Stuhl warmgehalten wird. Das ist eine heroische Geste. Aber auch vernünftig? Wenn vernünftig bedeutet, tue bloß nichts, was du vielleicht bereust, dann ist es unvernünftig. Aber es gibt die Freiheit, nur nach vorne zu gucken. Die kann man eben nicht ohne Risiko haben. Ich kann schlecht von einer mutigeren Gesellschaft reden und selbst ängstlich handeln. Sie erhöhen mit der Ankündi gung, im Fall einer Niederlage vielleicht ganz aus der Politik auszusteigen, den Druck auf die Partei, Sie zu wählen. Die Grünen sind selbstbewusst. Wenn sie sich erpresst fühlen, wählen sie mich nicht. Ich hoffe aber, dass meine Entscheidung nicht als Druck aufgefasst wird, sondern als Klarheit. Vielleicht ist das taktisch falsch. Aber es war auch taktisch falsch, schon vor einem Jahr meine Kandidatur anzukündigen. Ich will nicht alles nur taktisch abzirkeln, auch darum dreht sich meine Kandidatur. Sie sind Vizeministerpräsident in Kiel. Und grüne Nachwuchs hoffnung. Warum werfen Sie das weg? Vielleicht gewinne ich ja. Wolfsburg hat auch Real Madrid geschlagen.
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