SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE Meister und Schüler Bindung und Vorbild in der Erziehung Von Katrin Albinus Sendung: Samstag, 26.03.2016 Redaktion: Christoph König Regie: Autorinproduktion Produktion: SWR 2016 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: Samstag, 26.03.2016 können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de Die Manuskripte von Samstag, 26.03.2016 gibt es auch als E-Books für mobile Endgeräte im sogenannten EPUB-Format. Sie benötigen ein geeignetes Endgerät und eine entsprechende "App" oder Software zum Lesen der Dokumente. Für das iPhone oder das iPad gibt es z.B. die kostenlose App "iBooks", für die Android-Plattform den in der Basisversion kostenlosen Moon-Reader. Für Webbrowser wie z.B. 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O-Ton Almut Renger: Interessanterweise ist es so, dass tatsächlich das Wort „Meister“, als Lehnwort bereits in sich birgt, dass der Meister „mehr“ ist. O-Ton Schmidt: Der packt das in größere Zusammenhänge, der hat Erkenntnisse, der entwickelt etwas weiter, oder erfindet etwas Neues... O-Ton Renger: Dieses Lehnwort birgt in sich einen Vergleich. Es stammt nämlich von dem lateinischen Substantiv „Magister“ ab, geht über das lateinische Adverb „magis: mehr, in höherem Grad, stärker“ – auf das Adjektiv „magnus: groß“, zurück – „umfangreich“. Musik: Kontrabass Erzählerin 1: Das Wort Meister signalisiert Größe. Autorität. Tradition, Erfahrung, Kompetenz. Charisma. Der Meister ist Vorbild. Und braucht ein Gegenüber, den Schüler. Denn erst durch den Schüler, der „weniger“ ist, wird die Größe des Meisters auch erkennbar. Der Schüler wiederum will werden. Und sein Streben braucht ein Ziel. Der Schüler will werden wie der Meister. Und wird dabei – im besten Fall - er selbst. Musik kurz hoch Ansage: Meister und Schüler. Bindung und Vorbild in der Erziehung. Eine Sendung von von Katrin Albinus. Atmo Schuhmacher Laden (Klappern, Presse Hydraulik) Erzählerin: Ein Laden für Schuhreparaturen in Hamburg Altona. An den Wänden Maschinen zum Pressen, Schleifen und Polieren, in der Mitte Regale voller Schuhe. An der Werkbank Schuhmachermeister Christian Schmidt mit seinem Lehrling. Lehrling: Obwohl, da ist gar keine Naht gewesen. / M: Darf ich? / L: Ja. / M: Nee, das ist vom Rahmen, die Abdrücke, und sonst kannst du immer hier rein gucken. Dann musst du die Decksohle oder das anheben, und dann siehst du: nur Brandsohle, keine Naht. / L: Ja. Dann, genau, Leder oder Gummi, soll da wieder Leder drauf? (Atmo unter Erzählerin langsam weg) Erzählerin 2: 2 In Deutschland kennt man den Meister vor allem aus dem Handwerk. Doch MeisterSchüler-Traditionen gibt es auch in Religion und Philosophie, in der Bildenden Kunst und der Musik, dem Militär oder den Kampfkünsten. Überall auf der Welt. Scheinbar auch zu allen Zeiten. Denn als personalisierte Form der Wissensvermittlung findet sie da statt, wo ein Älterer, Erfahrener Wissen an einen Jüngeren weiter gibt. Tatsächlich taucht der Begriff des Meisters im deutschen Sprachraum aber erst seit dem 8. Jahrhundert auf. O-Ton 3 Renger: Es wurde für Lehrer verwendet. Aber eben nicht nur für Lehrer, auch für Handwerker, für den Bürgermeister im Mittelhochdeutschen, überhaupt für Künstler, Gelehrte, für den Meistersänger, alles das waren Meister. Erzählerin: Professor Dr. Almut-Barbara Renger von der Freien Universität Berlin. Seit Jahren arbeitet sie am Institut für Religionswissenschaften zum Thema der Meister-Schüler-Beziehung. Im 16. Jahrhundert, erklärt sie, kommt noch eine Erweiterung im Sprachgebrauch dazu, durch Luthers Bibelübersetzung. O-Ton 4 Renger: Luther hat nämlich das Wort Meister als Bezeichnung für Jesus Christus im neuen Testament überall dort genommen, wo im Griechischen Begriffe wie kathegetés oder didáskalos – also im Prinzip „Lehrer“ oder „Führer“ – zur Anwendung kamen. Und überall dort hat er einfach das Wort Meister gewählt. Erzählerin: Doch der Meisterbegriff steht nicht immer für das Gute und Erhabene. Im Amerikanischen ist der „Master“ mit dem Makel der Sklaverei behaftet. Der Begriff ist in bestimmten Bereichen geschützt: im Handwerk, bei Fachangestellten, dem Polizeioberwachtmeister oder dem Bürgermeister. In anderen ist er es nicht, wie der alternativ-religiösen Szene. Hier tauchten in den letzten Jahrzehnten immer mehr selbsternannte Meister auf. Berühmtestes Beispiel ist Bhagwan Shree Rajneesh, später bekannt als Osho. Anfang der 80er Jahre gründete er die Bhagwan-Bewegung, konnte Tausende von Anhängern gewinnen, spirituell Suchende. Zu erkennen an ihrer rot-orange-farbenen Kleidung, eine Holzkette um den Hals, daran ein Bild des Gründers. Solche selbsternannten Meister profitieren von der positiven Aufladung des Begriffs. Und werden zu Meistern gemacht, wenn sie eine Anhängerschaft finden, die an ihre Autorität glaubt. O-Ton 5 Renger: Es war Peter Sloterdijk, der davon gesprochen hat, dass der Mensch in ein Vertikalverhältnis als kleines Kind gespannt ist hin zu seinen Eltern. Und aus dieser Erfahrung heraus, vor sich eine größere Person zu haben, in späterer Zeit dieses Verhältnis wieder sucht. Und dieses Verhältnis dann in einem Verhältnis zu Gott, zu einer Macht, oder Kraft findet, oder es da zumindest sucht – oder auch in Beziehungen zu bestimmten Autoritätsfiguren, die ihm oder ihr eine besondere Größe zu signalisieren scheinen. Musikakzent geht über in 3 Atmo Laden Schuster O-Ton 6 Schmidt (im Laden): Ich würde sonst sagen, dass du die jetzt definitiv nicht flacher machst, aber ausbesserst – d.h. die beiden und diese hier, Material ist auch da... aber dass du noch mal guckst, dass der Winkel stimmt – und eben nicht tiefer wirst. Ja, genau. (Maschine an) Erzählerin: Ob zertifiziert oder selbsternannt, den idealen Meister zeichnen Merkmale aus, die er tatsächlich haben, oder zumindest erstreben kann. Sich notfalls aber auch selbst erschafft. Alles, was als alt-überliefert gilt, zurückgeführt werden kann zu historischen Stiftern oder einem mythischen Ursprung, ist dem Meisterbild zuträglich. In der eigenen Biografie ist es die besondere Begabung, vielleicht auch ein besonderer Leidensweg, durch den jemand über sich hinauswachsen musste. O-Ton 7 Renger: Die Konstruktion eines Lebens, das außerordentlich ist, vielleicht begleitet von Aussagen: schon mit fünf habe derjenige ein besonderes Verhältnis zu Gott gehabt, und mit Acht hätte er seine ersten Visionen gehabt usw. sind tatsächlich Bestandteil hagiografischer Selbstkonstruktionen, und haben als solche eine lange und vielfältige Tradition. Erzählerin: Hagiografische Schriften, das sind Lebensbeschreibungen von Märtyrern, oder anderen Heiligen. Doch das Meister-Ideal kann auch deutlich bodenständiger ausfallen. Atmo Laden Schuster O-Ton 8 Schmidt: Der ideale Meister bewegt sich in seiner Handwerkskunst selbstverständlich, ist aber auch über sein Handwerk hinaus nach Möglichkeit ein Lehrender, ein Vorbild. Und fordert auch Menschen dahingehend, dass sie diesen Beruf auch eben erlernen. Erzählerin: Schuhmachermeister Christian Schmidt ist 49 Jahre alt. Vor fast 30 Jahren hat er seine Lehre begonnen, vor 20 Jahren die Meisterprüfung abgelegt. Robin Kalienke ist Lehrling im dritten Lehrjahr. Bei Christian Schmidt lernt er vor allem, Schuhe zu reparieren, arbeitet jeden Tag acht Stunden mit ihm zusammen. Atmo weg O-Ton 9 Kalienke: Ich hatte auch vorher angefangen zu studieren, da hatte ich dieses Meister-SchülerBild noch überhaupt nicht im Kopf. Wie das überhaupt funktioniert, dass zwei Menschen auf engstem Raum zusammen arbeiten, und dass es diese klare Hierarchie gibt, dass ich nicht nur auf mich allein gestellt bin, dass immer jemand da ist, der mich überprüft, und Feedback gibt. Für mich war es im Studium viel, viel schwieriger, diese Disziplin mit zu bringen, die ich jetzt hier mitbringen muss. 4 Deswegen hab ich mich auch bewusst nach einer Ausbildung umgeguckt, wo ich noch diesen Meister habe, der... ja, mich kontrolliert. O-Ton 10 Meister Schmidt (im Laden): Ich find das so erst mal gut. / Lehrling: Ja, reicht?/ M: Ja, erst mal. Weil ich kann das, wenn sie ihn abholt, mach ich einmal schwarz, braun – dann geb ich ihr das Finish, aber ich find das so gut. Das ist so ehrlich, es sieht aufgeräumt aus, oder? Und wenn sie sagt, nee, das muss gleich, sonst ist der Schuh versaut, dann mach ich ihr das dunkel. /L: Ok, dann mach ich den Zweiten genau so. / M: Ja. Atmo Laden Schuster Erzählerin: Im Gegensatz zu modernen Bildungsmodellen, die darauf setzen, dass sich der Schüler Wissen und Fertigkeiten in Eigenregie aneignet, der Lehrer nur LernBegleiter ist, gibt es in der Meister-Schüler-Beziehung meist eine klare autoritäre Struktur. Der Meister gibt Anweisungen und erwartet, dass der Schüler ihm folgt. O-Ton 11 Schmidt: Die Leute kommen ja zu mir und wollen dann von mir lernen, die Bereitschaft müssen sie mitbringen, weil ich so unterrichten kann. Ich kann das andere nicht gut, also nach dem Motto: komm wie du willst, wenn du es am Ende der Ausbildung kannst, dann mach mal wie du willst – damit komm ich nicht klar. Also diese Rahmenbedingungen, die sozusagen die Ordnung und eine Struktur geben, die brauche ich, und ich glaube auch, dass sie hilft, schneller und leichter zu lernen. O-Ton Kalienke: Er hat ne Erfahrung, die ich nicht annähernd habe. Und diese Erfahrung begründet seine Autorität auf jeden Fall schon. Und die Ergebnisse, die er am Ende erzielt. Ich hab ja von Anfang an gesehen, ok, das, was am Ende rauskommt, das sieht einfach schön aus. Und also muss auch der Weg dahin richtig sein, wenn das Ergebnis richtig ist. Erzählerin: Ein „Meister seines Fachs“ sollte durch Ergebnisse überzeugen können, aber auch, indem er lebt, was er lehrt. Dadurch beweist er Glaubwürdigkeit und Kompetenz, und zeigt ein Beispiel, was möglich ist. Er wird zum Vorbild und zeigt, wohin die Reise für den Schüler gehen kann. Wichtigste Methode der Vermittlung ist daher das Vormachen. Für den Schüler bedeutet das zunächst nachzumachen, und Abbild zu sein. O-Ton 12 Kalienke (im Laden): Du musst die Handgriffe lernen, mit den Augen lernen, du musst jemanden beobachten, wie er gewisse Handgriffe macht und die versuchen, zu übernehmen. Atmo Laden ruhig Erzählerin: Das klingt wenig originell, wenig kreativ. Nicht nach Innovation, sondern nach Reproduktion. Doch dass Nachahmung kein kreativer Prozess ist, sei ein 5 Missverständnis, meint Prof. Dr. Christoph Wulf, Anthropologe und Erziehungswissenschaftler. O-Ton 14 Wulf: Mimesis heißt kreative Nachahmung. Das ist ein Begriff, von dem Aristoteles gesagt hat: der Mensch ist das mimetische Tier. Damit ist gemeint, dass wir lernen durch Nachahmung. Und im Unterschied zu dem, was man vielleicht denkt, wenn man Imitation sagt, ist das ein produktiver Prozess. Sie können im sozialen Bereich nicht herstellen, wie eine Kopiermaschine. Alles, was sie im Sozialen machen, ist immer wieder neu produziert, neu hervorgebracht. Nehmen sie die Unterschrift. Grafologen sagen uns, dass jede Unterschrift – wir haben Tausende in unserem Leben vielleicht gemacht – ist anders. Erzählerin: Die Kopie eines anderen zu werden, ist schlicht nicht möglich. Und tatsächlich geht es im mimetischen Begehren, wie Christoph Wulf es nennt, auch nur darum, einem anderen ähnlich werden zu wollen. O-Ton 15 Wulf: Wir sind im tiefsten Sinne soziale Wesen, und wir brauchen, da wir ja kein InstinktSystem haben, wie die Tiere – wenn ein Pferd geboren ist, ist das nach ein paar Minuten lebensfähig - wir brauchen Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte dazu. Und das entscheidende Moment darin ist die soziale Beziehung zum Erwachsenen, zum anderen. Man kann auch von einem Begehren sprechen: das Kind, in unserem Beispiel der Schüler möchte wie der Meister werden, weil der etwa eine Fähigkeit hat, die man selber nicht hat, das ist also ein Begehren, ihm ähnlich zu werden. Erzählerin: Es ist der Impuls: ich will auch! – sein, wie der andere ist; können oder haben, was der andere hat; zur Spezies dazugehören. O-Ton 16 Wulf: Wir brauchen den anderen. Das geht unabhängig von Ihren Wünschen und Ihrer Kontrolle. Sie sind fasziniert durch bestimmte Personen, und dann haben die Einfluss auf sie. Das ist diese Macht der Mimesis, der man nicht widerstehen kann, weil wir eben kein geschlossenes System haben, wie etwa das Instinktsystem der Tiere, sondern wir müssen uns hervorbringen und in Bezug auf den anderen. Und beim Meister-Schüler-Verhältnis ist es das, man bringt sich als Schüler weiter, indem man eine Beziehung zu einem Meister hat. Eine soziale, eine emotionale, vielleicht manchmal auch eine erotische Beziehung, und die ist die Kraft, so zu werden, wie der andere. Aber: man wird nicht wie der andere. Man wird man selbst. Erzählerin: Die Nachahmung allein führt allerdings noch nicht dort hin. Es gehört auch die Erkenntnis dazu, dass ich ein anderer bin – der etwa dieselbe Tätigkeit zwangsläufig anders ausführt, sie an sich anpasst. Und vielleicht weiter entwickelt. Der Meister kann genau dabei helfen - oder aber diesen Prozess auch behindern. O-Ton 17 Schmidt: 6 Meinen aller ersten Lehrling, der musste nachmachen, der musste jeden Arbeitsschritt so machen, wie ich. Und den hab ich komplett eingeengt, der kam nicht frei, der wollte schon selber machen, ich hab ihn nicht gelassen. Und dann hat er irgendwann den Laden verlassen, und ist dann in den Hafen gegangen, und hat dann im Hafen im Prinzip als Tallymann, heute heißt das Fachpacker, gearbeitet. Und ich behaupte, hätte ich ihn gelassen, hätte es sein können, dass er geblieben wäre. Und auch ein sehr guter Schuhmacher geworden wäre. Ich denke, da hab ich das nicht gesehen. Und da liegt dann auch meine Verantwortung. Aber: that’s life. Musik O-Ton 18 Pazzini: Ein Moment bei dieser ganzen Diskussion ist ja die Frage der Schuld. Also wer nimmt es auf sich, in das Leben eines anderen eingegriffen zu haben. Eine MeisterSchüler Beziehung, oder eine Lehrer-Schüler-Beziehung, aber auch eine ElternKind-Beziehung ist immer eine des Übergriffs. Man greift in die werdende Integrität des anderen ein. Das geht gar nicht anders. Und es geht nicht darum, das zu vermeiden, sondern es zu kultivieren. Erzählerin: Zum Beispiel in Form von Entschuldungsriten, meint Professor Dr. Karl-Josef Pazzini, Erziehungswissenschaftler und Psychoanalytiker. Im Handwerk gibt es sie, am Ende einer Ausbildung, in Form der Freisprechung. Der Lehrling wird vom Meister losgesprochen, aus der engen Bindung entlassen. Statt Kost und Logis, wie früher üblich, erhält er jetzt für seine Arbeit echten Lohn. Umgekehrt wird aber auch der Meister frei, sein Schüler ist jetzt für sich selbst verantwortlich. Meister und Geselle geraten zunehmend auf Augenhöhe. O-Ton 19 Renger: Also idealster entwickelt sich die lernende Person hin zu jemandem, der auf seinem Gebiet ebenso brilliert, wie der Meister. Nur auf seine eigene Art und Weise, seinen eigenen Möglichkeiten entsprechend, mit seinem eigenen Stil. Erzählerin: Und idealerweise verhilft der Meister dazu, erklärt Almut-Barbara Renger. Doch die Geschichte ist voller Beispiele, die keinen idealen Verlauf genommen haben. Hierarchische Ordnung, Führung und Kontrolle haben den Schüler nicht in die eigene Freiheit geführt, sondern in Abhängigkeiten. Die Bewunderung einer charismatischen Autorität und ihre Nachahmung – das alles weckt vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte böse Erinnerungen. So überrascht es nicht, dass moderne Bildungsmodelle den Faktor Mensch versuchen aus dem System zu entfernen. Der Lehrer immer mehr in den Hintergrund tritt. Atmo Jugendgruppe O-Ton 20 Jonas: Wir starten komplett alleine, das wäre noch nicht mal notwendig, dass dafür ein Lehrer im Raum ist. Wenn ich absolut keine Probleme habe und mir alles selber beibringen kann, ist für mich der Lehrer nicht wichtig. 7 (O-Ton) Leon: Die Lehrer haben eigentlich kaum was erklärt, die hatten da solche Mappen, da lagen ganz viele Zettel drin, und die saßen dann vorne und haben einem gesagt, welches Fach man jetzt mal machen könnte. Erzählerin: Das neue Idealbild ist der aktive, eigenverantwortliche Schüler, der sich selbst Ziele setzt, selbstmotiviert und selbstgesteuert lernt. Für einige funktioniert das sehr gut, aber viele sind auch überfordert. Sie bringen die dafür nötigen Kompetenzen nicht von sich aus mit, und in der Schule werden sie nicht zwangsläufig vermittelt. O-Ton 21 Ljuba: Es ist manchmal auch einfach schwer, weil dann verquasselst du dich, und denkst so, ja, kann ich eh alles, also hab ich eh alles schon gemacht und ist alles gar nicht so wichtig, für zum Beispiel die Note, oder nicht schulrelevant. Und dann macht man manchmal auch nichts, so... O-Ton Pazzini: Diese Verantwortung, die sie da übernehmen sollen, das ist ganz wesentlich nur eine Entlastung der Erwachsenen. Also das tolle Kind ist das selbständige Kind, was nicht mehr fragt, und nicht mehr in Begleitung sein will, sondern das sein Ding alleine macht. Das passt ja dann auch wunderbar in die Berufstätigkeit und in die fehlende soziale Nachbarschaftsstruktur usw. das ist eine reine Anpassungsgeschichte, das halte ich noch nicht mal für eine besondere Errungenschaft. Das passt wunderbar. Erzählerin: Meint der Erziehungswissenschaftler Karl-Josef Pazzini. Fragt man Schüler, was sie sich stattdessen wünschen, wird deutlich, dass ihnen die persönliche Ansprache fehlt. Jemand, der glaubwürdig verkörpert, was er unterrichtet, und durch eigene Begeisterung vermittelt, dass es die Sache wert ist, Zeit und Mühe zu investieren. O-Ton 22 Martha: Dass da irgendwie mehr dahinter steht, als dass es einfach nur irgendwas vom Lehrplan ist. Man versteht selber eher einen Sinn dahinter, oder hat auch mehr Motivation, irgendwie das anzunehmen, wenn man merkt, dass es halt irgendwie direkt von jemandem kommt, der auch hinter dem steht, was er sagt. O-Ton Pazzini: Da kommt also dieses persönliche Beispiel mit rein, dass jemand auch immer zu verstehen gibt, was er durchgemacht hat. Und wenn dann eben einer ist, der keine Erfahrung hat, das ist ein Langweiler. Jeder Schüler, jeder Lehrling merkt, ob da was zu sagen ist aus einer persönlichen Geschichte heraus, aus dem Durchstehen von Gefahren. Erfahrung und Gefahr hängen ja auch zusammen. Erzählerin: Genau das ist aber häufig nicht der Fall. O-Ton 23 Pazzini: Ich hab 13 Jahre Schule hinter mir, und dann war ich vorher im Kindergarten und dann geh ich in die Hochschule, und dann geh ich wieder in die Schule und meine 8 Kinder, die werden dann auch noch Lehrer. Das gibt’s ja. Das gibt’s! Da entsteht so ne ganz eigene Kultur. Atmo, Training, Aufwärmen Erzählerin: Lehrer aus Leidenschaft – das scheint eher die Ausnahme zu sein. Oft ist die Wahl nur eine Verlegenheitslösung. Die Distanz zum Fach, wie auch zu den Schülern ist groß. Und auf dem Weg durchs Studium, in der Auseinandersetzung mit Theorien und Methoden, vergessen die Studenten, wie es war, ein Schüler zu sein. O-Ton 24 Uwe Bujack (im Training): Ja, zusammen. Chariot. Kyonge. Paroh. Herzlich willkommen, schön dass ihr da seid. Erzählerin Unterricht in einer Kampfkunstschule im Zentrum Hamburgs. Etwa 20 Schüler trainieren zusammen mit dem Shinson Hapkido Meister Uwe Bujack in einem 200 qm großen Raum, der mit Matten ausgelegt ist. O-Ton Uwe Bujack: Fangen wir an, einfach durcheinander laufen, (Schritte) überall Kontakt aufnehmen. Mit dem Raum Kontakt, mit sich selber Kontakt... Erzählerin: Uwe Bujack ist 57 Jahre alt, trainiert und unterrichtet seit über 30 Jahren die koreanische Kampfkunst Shinson Hapkido, zuvor 12 Jahre Judo. Er leitet die Schule, seit 2007 als Meister. Der 4. Dan - der Meister-Grad - wurde ihm wiederum von seinem koreanischen Groß-Meister verliehen. Neun Jahre hat er sich auf die mehrtägige Prüfung vorbereitet. (Atmo weg) O-Ton 26 Bujack: Beim Unterrichten geht es viel um Charisma, also ganz viel darum, was man auch ausstrahlt und wodurch man eine vertrauensvolle oder was weiß ich wie gewünschte Atmosphäre dann gestaltet. Und dies bewusst zu machen und dies zu verbinden auch mit Licht, mit Wetter, mit klimatischen Faktoren, mit Gruppenstimmungen, mit dem, was auch einzelne Leute an Problemen mitbringen, daraus – aus dieser Melange – etwas zu schaffen, was jedem weiter hilft, ist schon eine Frage der Meisterschaft. Atmo Training Erzählerin: Beim Shinson Hapkido ist das Erlernen der Kampfkunst nicht Ziel der Ausbildung, sondern der Weg, hin zum eigentlichen Ziel. Und das sei, so Uwe Bujack: Menschlichkeit. Dieses Ziel ausgerechnet über Kampf erreichen zu wollen, erscheint widersinnig - führt aber in die Auseinandersetzung mit zwei großen menschlichen Themen: Angst und Aggression. 9 O-Ton 28 Bujack (im Training): Die Wut ist da, die darf ich nicht unterdrücken. Das ist ganz wichtig. Das heißt, ich muss versuchen, das zu neutralisieren. Das heißt, wenn sie macht bei mir, sie versucht das weiterzugeben (Schülerin greift an, Kampfschrei) Und weiter! (Kampfschrei) Und! (Kampfschrei) Sie kann natürlich auch bisschen kontrollieren, bitte nicht (lacht) mich kaputt machen... (weiter als Atmo) Erzählerin: Gefühle wie Angst und Wut meistern zu lernen, ist Teil der Ausbildung. In der die Schüler häufig an persönliche Grenzen geführt werden. Bei Fallübungen, im Kampf, in Prüfungen – wo Dinge gefordert werden, die der Schüler sich vielleicht nicht zutraut. Daher ist das Vertrauen in den Meister besonders wichtig. Am Ende aber eine Grundbedingung für das Lernen überhaupt, meint Karl-Josef Pazzini. O-Ton 29 Pazzini: Dass ich das Vertrauen habe, dass ich eine solche Situation verkraften kann, dass ich damit umgehen kann, dass etwas Fremdes da kommt. Dieses Meister-SchülerVerhältnis, oder das Lehrer-Schüler-Verhältnis ist ja auch an den Mechanismus des Aufnehmens, des Einverleibens usw., an dieser Metapher orientiert. Und das sind hochaggressive Metaphern. Man weiß ja nicht, was man da aufnimmt. Man geht ja in eine Unterrichtssituation gerade rein, weil man was Unbekanntes unter Umständen da haben will, gleichzeitig will man es aber nicht haben, weil man nicht weiß, was das mit einem macht. Das könnte ja ein Gift sein. Aber wenn man dieses Risiko nicht eingehen kann, dann muss man sich die ganze Zeit dagegen wehren, und sich immun machen. Und das heißt auf Pädagogisch gesprochen: man wird dumm, indem man sich abschottet. Atmo Training Erzählerin: Eine vertrauensvolle Beziehung, zu Eltern oder zum Lehrer, ist daher Grundlage dafür, dass überhaupt Wissen aufgenommen wird. Im Vertrauen darauf, dass der andere es gut mit mir meint, und dass das, was er anbietet, gut für mich sein könnte. Atmo kurz hoch, unter Erzählerin langsam weg Erzählerin: Der Schüler sollte dem Meister vertrauen, der Meister den Schüler lieben. Eine Grundbedingung der Lehrer-Schülerbeziehung. Platon hat die Liebe des Meisters auch als pädagogischen Eros bezeichnet, und ihn von der körperlichgeschlechtlichen Liebe unterschieden. Doch die Übergänge sind fließend. Wer seinen Gegenstand liebt, will auch dazu verführen, etwas von seiner Leidenschaft weitergeben. O-Ton 30 Bujack: Je mehr der Lehrer sich reinhaut, quasi, sich investiert, als Person, desto mehr Anmut, oder schöner die Bewegungen werden, desto mehr berührt das ja auch den Schüler. Und im Idealfall kann er diese Berührung nehmen, und weiter entwickeln. 10 O-Ton 31 Demling: Natürlich hat das was damit zu tun, dass ich Uwe als Person, als Lehrer schätze, und bestimmt auch bewundere, teilweise. Und dass mich das fasziniert, wie er tatsächlich mit den Menschen im Unterricht arbeitet und dass ich Interesse daran hatte, davon was zu lernen. Erzählerin: Lea Demling, 35 Jahre alt, Sozialpädagogin. Sie trainiert seit 12 Jahren Shinson Hapkido, als Schülerin von Uwe Bujack. Was der Schüler bewundert und begehrt, das will er sich zu eigen machen, einverleiben. So kann ein Wechselspiel aus Bewunderung und Begehren entstehen, auch nach Anerkennung und Größe, das sich eben nicht nur auf den Lerngegenstand, sondern auch auf die Person richtet. O-Ton 32 Demling: Es geht nicht nur darum, Techniken zu lernen, sondern es geht auch darum, dem Lehrer gefallen zu wollen. Das scheint irgendwie in den Genen drin zu stecken. Aber ich glaube, dass man das gut nutzen kann. Dass auch der Trieb wirklich ein Antrieb ist, in diesem Sinne. O-Ton Bujack: Wenn jemand kommt, weil er oder sie mich toll findet, kann das ein ganz starkes Motiv sein. Aber der Lernprozess darf nicht bei diesem Motiv stehen bleiben, und ich darf das nicht ausnutzen. Ich darf das Vertrauen nicht missbrauchen. Sondern ganz im Gegenteil, ich muss eigentlich damit arbeiten, aber immer im Sinne von dem Wachstum des Schülers. Das ist meine Aufgabe als Lehrer. Eine andere Aufgabe hab ich nicht. Musik Erzählerin: Meister und Schüler, das Verhältnis steht für Größe und Anmaßung, Führung und Verführung, für selbstlose Liebe und Missbrauch, Ausbeutung und Abhängigkeit, für Treue und Verrat. Die Meister-Schüler Beziehung ist eine der persönlichen Einflussnahme und damit unvermeidlich auch der Prägung. In einer Gesellschaft aber, die auf das abgeschlossene, autonome, selbständige Individuum setzt, gilt jede Beeinflussung als gefährlich. Doch zu glauben, man könne sie ausschließen, sei eine Illusion, erklärt der Erziehungswissenschaftler Christoph Wulf. O-Ton Wulf: Es gibt natürlich diese Vorstellung eines eher neutralen Unterrichts aber wenn sie in eine Grundschulklasse gehen, dann sehen Sie, wie unendlich viel abhängt von der Beziehung des Lehrers, der Lehrerin zu den Kindern. Auch von der emotionalen Beziehung. Ob die Witze machen kann, ob sie Verständnis hat für das andere Verhalten von Kindern. Lernen wird heute manchmal sehr abstrahierend und sehr universell dargestellt, der Akzent liegt dann eher auf testbarem Wissen, auf rational reproduzierbarem Wissen, aber das ist, wenn man sich die Bedeutung des verschiedenen Wissensformen anguckt, eine Reduktion. Atmo Jugendgruppe (mit Gitarre im HG) 11 O-Ton 35 Dennis: Mir persönlich hat das immer mehr gefallen, wenn der Lehrer direkt auf uns zu gekommen ist und irgendwie ein Thema angefangen hat mit – nicht mit einem Zettel – sondern vielleicht mit einer Rede oder irgendwie versucht hat, das Interesse zu wecken. Erzählerin: Der Meister, er spricht zum Schüler. Und verteilt keine hundertfach kopierten Zettel. Die persönliche Ansprache, in einem bestimmten Moment an die ganz bestimmten Schüler einer Klasse, ist ein Moment der Exklusivität, der automatisch die Aufmerksamkeit erhöht. Mit seiner Stimme kann er die Schüler, den Meister oder den Lehrer in ihrem Innersten erreichen und Resonanz erzeugen. Die oft von Schülern gestellt Frage: wozu? - beantwortet sich, indem der Lehrer im Klassenraum leibhaftig verkörpert, dass es tatsächlich um etwas geht. Er dem Gegenstand seiner Lehre in Wort und Tat und als Vorbild Bedeutung verleiht. Die Leidenschaft, die er mit seinen Schülern teilt, wirkt sinnstiftend und treibt den Lernprozess voran - auf beiden Seiten. Dass bedeutet allerdings, dass auch der Lehrer ein Risiko eingeht: sich zu zeigen, zur Disposition zu stellen, und vielleicht auf Ablehnung zu stoßen. Aber auf diesen Lehrer warten die Schüler. O-Ton 36 Dennis: Was ich vermisst habe ist, den Lehrer als Mensch. (lacht) Ich hab nur den Lehrer als Lehrer kennen gelernt, in der Schule. ***** 12
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