Tiefenblick, 27.03.2016

Tiefenblick, 27.03.2016
Sportstress (1/4): Kaderschmieden der Nation
Sven Sonnberg
Gibt für mich nichts Schöneres, als Fußball zu
spielen. Ich möchte alles dafür tun, um
irgendwann mal Profi zu werden.
O-Ton:
Flüsterin:
Du schaffst das! Ich bin mir sicher, du schaffst das.
Sven Sonnberg
Das treibt mich an. Schon sehr lange. Seit
bestimmt 12 Jahren. Im Kindergarten oder so.
O-Ton:
Flüsterin:
Du musst nur zu dir selbst halten.
Sprecherin:
SportStress
- Kaderschmieden der Nation.
Ein Feature von Ulrich Land.
O-Ton:
Autor:
Stefan Käppeler
Man muss extrem viel opfern, bleibt relativ
wenig Zeit fürs Liebesleben, also ich hab im
Moment keine Freundin.
Stefan Käppeler, geboren 1993. Ringer am
Bundesstützpunkt in Freiburg, wo die Athleten auf die
Olympiade vorbereitet werden.
O-Ton:
Stefan Käppeler
Wenn die Freunde am Freitagabend in die
Disco gehen, bleib ich zu Hause, weil das
einfach kontraproduktiv ist. Alkohol trinken usw.,
also ich hab mich da ganz gut unter Kontrolle,
und das muss man auch.
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2016
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Tiefenblick, 27.03.2016
Sportstress (1/4): Kaderschmieden der Nation
Autor:
Ob Teen oder Twen: Das Leben der Spitzensport-Novizen
wird radikal zugespitzt auf dieses eine, einzige Ziel: den
sportlichen Erfolg.
O-Ton:
Autor:
Helen Grobert
Keine Zeit mehr. Also absolut keine Zeit mehr,
unter
der
Woche
irgendwie
was
Freizeitmäßiges zu machen.
Helen Grobert. Profi-Mountainbikerin, geboren 1992 .Steht im
Moment enorm unter Druck: Sie ist eine der drei TopFahrerinnen, die derzeit um zwei Plätze in der deutschen
Olympiamannschaft konkurrieren.
O-Ton:
Autor:
Helen Grobert
Auch wenn ich 'en Frust hatte, und klar, den
gab's schon mal, dass alles zu viel geworden
ist, aber dann war's einfach wieder das Gefühl,
genau, was ich wollte und was ich so lieb: Drei
Stunden biken draußen, das ist einfach ein
Gefühl der Freiheit, der Natur, was einen stark
macht.
Freiheit – nach Trainigsplan.
O-Ton:
Helen Grobert
Sport ist schon 'en bisschen 'ne Sucht, aber
auch irgendwo 'ne Medizin, und ich fühl mich
damit einfach wohl und gesund.
O-Ton:
Fabian Riesle
Ich glaube, das macht einen psychisch auch
stark. Jeden Tag eigentlich das Meiste aus
seinem Körper rauszuholen, aus seiner Psyche
rauszuholen, das ist ja nicht einfach.
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Sportstress (1/4): Kaderschmieden der Nation
Autor:
Fabian Riesle, Nordischer Kombinierer mit energischem Blick
auf die Winterolympiade.
O-Ton:
Flüsterin:
O-Ton:
Autor:
Fabian Riesle
Dann nach so 'm Wettkampf zu sagen: "Heh,
das war jetzt wirklich 'en geiler Sprung heute",
für einen selber ist desch einfach 'en
Wahnsinnsding.
Na also, bitte.
Sven Sonnberg
Steh morgens ganz normal auf, geh zur Schule,
Hausaufgaben, und danach geht's für mich hier
zum Geißbockheim, wo ich dann trainiere bis
spät abends, und dann um 2o.oo Uhr komm' ich
wieder zurück, esse im Internat, wo ich lebe zur
Zeit, und, ja, so sieht mein Tag aus.
Sven Sonnberg, 17 Jahre alt. Als einziger Jugendspieler des
1. FC Köln in der U17-Nationalmannschaft. Im Moment kreist
über ihm ein Damoklesschwert: die Sorge, seine Leistung
könnte womöglich nicht reichen für die
Jugendeuropameisterschaft in Aserbaidschan.
O-Ton:
Sven Sonnberg
Und sonst hab ich noch Frühtraining, auch
zweimal in der Woche, wo ich im Athletikbereich
oder Technikbereich arbeite.
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Sportstress (1/4): Kaderschmieden der Nation
Autor:
Zuzüglich der Vereinsspiele am Wochenende kommt er auf
mindestens 20 Stunden Fußball pro Woche. Zudem 30 bis 35
Stunden Schule plus Hausaufgaben und Lernen für die
Oberstufenklausuren. Immerhin steuert er das Abitur an. –
Allemal eine 60-Stunden-Woche!
Flüsterin:
Hauptsache: Schönste Nebensache der Welt.
Autor:
Alle 36 Proficlubs der 1. und 2. Fußball-Bundesliga müssen
seit anderthalb Jahrzehnten Leistungszentren für die
Talentförderung unterhalten. Über die Hälfte aller
Bundesligaspieler hat inzwischen eine dieser Einrichtungen
durchlaufen; bei den Spielern der Nationalmannschaft sind
es 90%. Insgesamt investieren die Vereine jährlich an die
100 Millionen € in die Kaderschmieden. Der Ligaverband hat
sie zur Lizenzbedingung gemacht.
Flüsterin:
Wir gehen's gezielt an, Leute, nichts wird dem Zufall
überlassen. Verlasst euch drauf.
Autor:
Leistungsteigerung, Auslese, survival of the fittest. Die
Gesetze des Profi-Sports gelten auch für die
Leistungszentren selbst. In regelmäßigen Abständen führt
der Deutsche Fußballbund ein Ranking durch. Ein Krieg der
Sterne ist entbrannt.
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Sportstress (1/4): Kaderschmieden der Nation
Rainer Kubern
Trainingsinhalte, das Trainingsgelände, die
Kabinen, das wird alles mit bewertet. Und die
Effektivität: also wie viel Spieler bringt man in
den Profibereich, wie viele Spieler sind
Nationalspieler, oder auch wie lange sind die
Spieler an den Verein gebunden.
O-Ton:
Autor:
Rainer Kubern, administrativer Leiter des Leistungszentrums
des 1. FC Köln.
Rainer Kubern
Wir haben also die höchste Bewertung erreicht,
so dass wir drei Sterne plus einen Bonus-Stern
auch noch haben für die Effektivität und
Durchlässigkeit.
Sind
Zuschüsse
dran
gebunden aus einem Topf der UEFA, klar kriegt
man für einen Stern weniger Geld als für drei
Sterne, auf jeden Fall.
O-Ton:
Autor:
Die Nachwuchsfabrik ist wie ein Appendix ans
Geißbockheim, das Vereinshaus des 1. FC Köln, geheftet.
Unter der Restaurantterrasse, neben Fanshop und
Vereinsgeschäftsstelle. Hier werden 180 Jungfußballer
betreut. Frank Schaefer, zum Zeitpunk der Aufnahme Leiter
des Leistungszentrums:
Frank Schaefer
Wenn es gelingt, wirklich pro Jahr einen Spieler
an den Lizenzbereich heranzuführen, dann ist
das 'ne gute Quote.
O-Ton:
Autor:
Will heißen: Um eine Bundesliga-Mannschaft einmal zu
verjüngen, braucht man elf Jahre, mit Ersatzspielern sogar
20.
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Sportstress (1/4): Kaderschmieden der Nation
O-Ton:
Flüsterin:
Frank Schaefer
Der Weg ist schmal! Da kommen nicht so viele
durch.
Heh, du willst Triathlet werden ? Dafür haben wir den
Olympiastützpunkt:
 13 Wochenstunden Gruppentraining
 dreimal Frühtraining um 6.3o Uhr in der Schwimmhalle
 zuzüglich Eigentraining siehe individuelle Pläne
Hört sich hart an. Ist es auch.
O-Ton:
Autor:
Markus Bauer
So 'n innerer Stress. Klar vor den olympischen
Spielen, wo man von sich selber was erwartet
und man dann vorankommen möchte.
Markus Bauer, geboren 1989, Profi-Mountainbiker .Einer der
deutschen Top-Five, von denen nur drei ein Ticket zur
Olympiade in Rio bekommen.
O-Ton:
Flüsterin:
Markus Bauer
Dann hab ich den Sommer über gemerkt, dass
es
vielleicht
nicht
so
gelaufen
ist,
leistungsmäßig, wie ich mir das erhofft hatte,
und dann ist viel emotionaler Stress
dazugekommen, dass ich sofort das Gefühl
hatte, ich komm irgendwie nicht weiter in
meinem Leben, ich stagniere und, ja, da war
dann
irgendwann
viel
persönliche
Unzufriedenheit dabei auch.
Heh, nicht schlappmachen!
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Sportstress (1/4): Kaderschmieden der Nation
O-Ton:
Flüsterin:
O-Ton:
Markus Bauer
Also ich hab schon auch 'ne Zeitlang überlegt,
ob das die richtige Entscheidung war, sich
ausschließlich auf den Sport zu konzentrieren.
Bin ja 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche
bin ich Leistungssportler, und von daher will
man natürlich die Zeit und die Kraft und die
Energie, die man investiert, irgendwo als, ja, als
Benefit zurückbekommen. Und das ist natürlich
Return of Investment. Von daher versucht man,
sein Training auch so exakt wie möglich zu
steuern.
WIR wissen, was du leisten kannst.
Markus Bauer
Es gibt immer mehr Tools, die also dazu führen,
wirklich 'en objektiven Wert zu bekommen,
welche Leistung ich aktuell auf 'm Fahrrad
bringe ...
Autor:
Die Mathematisierung des Sports.
O-Ton:
Markus Bauer
… man kriegt vorgebeben von seinem Trainer:
"Heute hast du den Grundlage-1-Bereich
zwischen 190 und 240 Watt", und nach dem
Sport verwende ich dann Software, die also
diese Daten aufschlüsselt und mir eben sagt,
wie gut mein Training war, das speise ich dann
in 'ne Excel-Tabelle, damit mein Trainer sehen
kann: "Okay." Und dann gibt's schon mal auf 'n
Deckel auch, wenn jetzt irgendwo –
Ich hab doch gesagt – hab ich nicht gesagt, du sollst…!
Flüsterin:
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Sportstress (1/4): Kaderschmieden der Nation
Autor:
Im Freiburger Osten: einer von 19 "Betreuungs- und
Serviceeinrichtungen für die Bundeskaderathletinnen und athleten", die der Deutsche Olympische Sportbund unterhält.
In Freiburg: vor allem Ski- und Radsport, Ringen,
Frauenfußball und Triathlon. Mit insgesamt etwa 500
Nachwuchs- und Spitzensportlern.
Hinterm Lichthof die große Sporthalle. Oben rechts, auf dem
Galeriegang ein Arsenal von Fitnessgeräten. Die Halle selbst
durch eine flexible Wand geteilt: In der Regel sind zwei Drittel
für die Nachwuchselite der Ringer, und das andere für
weitere Sportarten reserviert.
O-Ton:
Toni Ügger
Jeder meiner Sportler hat einen separaten
Trainingsplan.
Wie
lang,
was
für
Übersetzungen, was für Pulsbereich und was
für Trittfrequenz er fahren muss. Das steht
präzise dadrin. Wie viel Pause dazwischen, und
was für Belastungen.
Autor:
Toni Ügger, Freiburger Mountainbike-Trainer.
Flüsterin:
Hau rein, Mann, hau rein! Immer einen Schritt über die
Grenze, über deine eigene Grenze, über die letzte Grenze –
und du fühlst dich stark. Du bist stark.
O-Ton:
Christoph Sacherer
Wo
einfach
irgendwann
mal
der
Bewegungsapparat sagt: Stopp! Wo wir sehen:
Irgendwie hat der Athlet ständig seine Krämpfe
oder unrundes Laufen, auch Faserrisse
bekommen, ja, warum? Weshalb sind die
ständig verletzt? Und immer an der gleichen
Stelle auch.
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Sportstress (1/4): Kaderschmieden der Nation
Autor:
Christoph Sacherer, seit 2003 Physiotherapeut des
Deutschen Leichtathletikverbands und mehrfach Betreuer der
Nationalmannschaft.
O-Ton:
Christoph Sacherer
Da kann's passieren, dass die da verheizt
werden.
O-Ton:
Helen Grobert
Es belastet wirklich extrem, aber es ist ein
positives Belasten.
Flüsterin:
Stress, okay, aber …
Fabian
… ja, aber …
Elena
… aber man hat dann immer das Ziel vor Augen
…
Manuel
… aber …
Helen
O-Ton:
O-Ton:
O-Ton:
O-Ton:
… aber ...
Stefan
… aber …
Sven
… aber ist mein Leben.
O-Ton:
O-Ton:
Flüsterin:
Siehste!
Autor:
Im hinteren Drittel der Sporthalle des Olympiastützpunktes
installieren die Mountainbiker den Parcours fürs
Zirkeltraining.
Flüsterin:
Baut eure eigene Folterstrecke auf, Leute! Also: In der Mitte
den Treckerreifen immer wieder aufrichten und umstürzen.
Rechts die schwarzen Gummibänder für Dehn- und
Kraftübungen.
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Tiefenblick, 27.03.2016
Sportstress (1/4): Kaderschmieden der Nation
Toni Ügger
Es wird in denne anderthalb Stund dem Körper
alles abverlangt. Immer nur volle Auslaschtung.
O-Ton:
Flüsterin:
Links die zwei Gymnastikbälle fürs Gleichgewichtstraining.
Und das lange Doppelseil drüben mit beiden Händen auf den
Boden schlackern, dass es nur so knallt. Die Kästen hinten
zum Draufspringen – aus dem Stand, versteht sich.
O-Ton:
Autor:
O-Ton:
Flüsterin:
O-Ton:
Flüsterin:
Helen Grobert
Man geht bei jeder Trainingseinheit einfach ans
Limit. Und sich quälen, wenn's dann so drei,
vier, fünf Stunden werden, dann muss ich schon
auch kämpfen. Und beim Wettkampf, da ist es
Knochenarbeit. So richtig. Ich seh aus, als ob
ich – keine Ahnung – als ob ich geschlagen
worden bin. Weil ich überall blaue Flecken hab,
und weil ich einfach richtig übers Limit gehen
muss.
Warum, um alles in der Welt, warum tut man sich das an?
Helen Grobert
Poh, das ist jetzt 'ne Frage – warum tu ich mir
das an?
Du weißt es nicht ? Doch du weißt es !
Helen Grobert
Da mich hochzuarbeiten und in der Eliteklasse
zu fahren, für was man den ganzen Winter
trainiert hat, die ganze Saison arbeitet, dann ist
es
'en
unbeschreibliches
Gefühl.
'En
Siegergefühl, oh, es war so 'ne, so 'ne
erfolgreiche
Saison!
Wenn
ich
jetzt
zurückblicke. Ich hätte das niemals gedacht,
dass ich da mich in den Top-Ten etablieren
kann. Und mich für Olympia schon qualifiziert
hab. Also das ist schon cool.
Durchhalten, Leute, weitermachen! Du musst über den Punkt
kommen, an dem es nicht mehr geht! Eigentlich nicht mehr
geht.
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Sportstress (1/4): Kaderschmieden der Nation
Autor:
Die Halle im Olympiastützpunkt ist mit einer riesigen blauen
Matte ausgelegt. Warmlaufen. Dann müssen immer wieder
andere Ringkampfgriffe angesetzt, andere Gegner auf die
Matte geworfen werden.
Flüsterin:
Schließlich lernen wir hier für's Leben.
O-Ton:
Christoph Sacherer
Also nervös sind sie auf jeden Fall, zapplig,
oder was so typisch ist, dass sie dann ständig
bei uns dann auf der Bank liegen kurz vorm
Wettkampf und einen bitten: "Kannst 'mal
gucken, schau mal schnell! Ich hab's Gefühl, da
ist irgendwas." Aber im Endeffekt ist da gar nix.
Ja, und wenn man dann die Hand anlegt, dann
sind sie eigentlich auch beruhigt.
Es gibt auch Athleten, die vor lauter
Wettkampfstress
sich
auch
komplett
zurückziehn. Wo man jetzt weiß, okay, der sitzt
jetzt in der Ecke, der hat seine Kopfhörer auf
dem Kopf, strahlt nach außen eigentlich 'ne
Mordsruhe aus, aber innerlich total nervös.
Toni Ügger
Stärker sein als der Stärkschte.
Christoph Sacherer
Was man mit der Hand deutlich spüren kann:
dass der Tonus zunimmt ...
… der Spannungszustand der Muskeln …
O-Ton:
O-Ton:
Autor:
O-Ton:
Christoph Sacherer
… wenn zu viel Nerveninformationen in den
Körper
weitergeleitet
werden.
Durch
irgendwelche
Stresssituationen.
Es
gibt
Veränderungen an Sehnenansätzen, wo immer
wieder Reizungen anstehn, dass der Fuß
instabil ist, und dann die Achillessehne
irgendwann überstresst ist und dann einreißt
oder anschwillt. Oder die Wirbelsäulenregionen,
da
sind
wirklich
klare,
strukturelle
Veränderungen.
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Sportstress (1/4): Kaderschmieden der Nation
Autor:
"Ernsthaftigkeit und Freude am Fußballspielen" – für den
DFB das zentrale Ziel der Nachwuchsförderung. Und
"systematischer Leistungsaufbau unter Druck".
O-Ton:
Autor:
Sven Sonnberg
Der Stress entsteht dadurch, dass man einen
strammen Plan hat, Zeitplan... Aber ich hab ein
Ziel, und dafür lohnt es sich.
Nur auszuhalten, der Sportstress, den die Klausur- und
Ordenshäuser für den Sportlernachwuchs ebenso evozieren
wie die Wettkämpfe selbst, nur durchzustehen, das Ganze,
weil man immer den Sieg im Blick hat. Über die Konkurrenz,
über den inneren Schweinehund. Getragen von der Hoffnung
auf eine steile Profi-Karriere, vorzugsweise mit
angeschlossenem Großverdienst, schnellen Autos,
traumhafter Berühmtheit. So irreal das Ziel für die Meisten ist,
so ist es doch magnetisch genug, einen den ganzen,
beschwerlichen Weg lang anzutreiben.
Flüsterin:
Du, genau du bist es, der durchkommt. Der's schafft bis ganz
nach oben, bis aufs Treppchen.
O-Ton:
Flüsterin:
Helen Grobert
Ich find's eigentlich cool, die Woche vorm
Wettkampf, da ist jede Minute, jede Sekunde,
jede Stunde ist durchgeplant. Also da, da hat
man auch für nichts anderes Zeit, wenn ich
dann zum Renngelände runtergehe, dann bin
ich schon nervös. Aber das ist so 'n positives
Nervös.
Heh, nimm den Stress einfach an! Nimm den Stress als das,
was dich will, aber nicht kriegt. Als das, was du willst.
O-Ton:
Helen Grobert
Also ich mag das echt, ich find's cool, ich
brauch das auch! Dass es nur um den Tag X
geht, wo ich eineinhalb Stunden volle Kanne
geben muss!
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Sportstress (1/4): Kaderschmieden der Nation
Autor:
Der extrem eng gezogene Fokus funktioniert gradezu als
Entlastung.
O-Ton:
O-Ton:
Autor:
O-Ton:
Autor:
Helen Grobert
Wo nichts anderes mehr wichtig ist.
Christoph Sacherer
Nicht umsonst gibt's es ja in der Phase der
Aufwärmung vorm Wettkampf, dass die
Athleten sich stressige Musik in den Kopf
dröhnen. Die haben ihre Kopfhörer auf und
hören sich dann 'ne Heavy-Metall-Musik an, das
ist ja auch ein gewisser Stress, der sie dann auf
Touren bringen wird. Und das hilft denen.
Stress als Doping.
Manuel Faißt
Ist beim Skispringen auf jeden Fall so, dass
man eben die letzte Konzentration dann einfach
auch durch die Aufregung bekommt, wo man
den Tick noch mehr oder schnell-griffiger am
Schanzentisch eben abspringen kann.
Manuel Faißt, 1993 geboren. 2013 dreifacher JuniorenWeltmeister in der Nordischen Kombination aus Langlauf und
Skispringen
O-Ton:
Flüsterin:
O-Ton:
Autor:
Manuel Faißt
Da ist man so auf sich fokussiert, dann nimmt
man eigentlich sonst nix außen rum wahr.
Stressresistenz, so heißt dein Zauberwort.
Toni Ügger
Es gibt ja Sportler, die liebe den Stress und
andere, die lerne des nie.
… sind over-stressed. Eh sie sich versehn.
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Toni Ügger
Letztes Jahr zum Beispiel, grad an der
Europameisterschaft, isch einer von meinen,
der isch dann so losgesprintet, als wenn das
Rennen nach 200 Metern zu Ende war. Und
wo's dann ins Gelände ging, da war bei dem der
Puls so hoch, dass er, dass er grad rückwärts
g'fahren isch. Ich lass sie immer zuerscht ins
Messer laufe, die müsse des selber erlebe. Nur
dann glaubt man's. Ne? Nur sind dann die
Situatione oft so krass, dass sie manchmal
dann zu viel Angscht kriege, und dann isch es
dann wieder viel Gespräche, um den wieder so
hinzukitzeln, dass er sich traut, bis an die
Schmerzgrenze zu gehen oder auch darüber
hinaus.
Stefan Käppeler
Wenn man sehr viel und sehr hart trainiert,
dann kommt's auch zum Übertraining,
Überlastung, wenn alle Muskeln verspannt sind,
einem der ganze Körper wehtut, dann ist der
Stresslevel im Körper relativ hoch, dann hat
man manchmal auch weniger Lust, ins Training
zu gehen, aber …
O-Ton:
O-Ton:
Flüsterin:
Aber?
Stefan
… aber
O-Ton:
Flüsterin:
Eben.
O-Ton:
Helen Grobert
An der Stelle, wo ich gemerkt hab, dass ich's
nicht mehr schaff, dass es jetzt einfach alles zu
viel wird, dann hab ich's verflucht. Verflucht hört
sich so, so hart an, weil oft war's dann so, ich
bin dann trotzdem rausgegangen und hab was
gemacht.
Eben. Das Trotzdem, das ist es. Damit kriegst du die nötige
Flüsterin:
Spannung. Ohne Widerstand kannst du dich nicht beweisen.
Nur so weißt du, dass du gut bist. Weißt du, dass du bist.
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Sportstress (1/4): Kaderschmieden der Nation
Helen Grobert
Ich hatte dreimal nacheinander 'n nicht so gutes
Ergebnis. Also's war einfach nicht mehr TopTen oder Top-Five. Und dann hab ich auf
einmal gemerkt, wie alle so um mich rum nicht
mehr mit der Leistung zufrieden waren.
Sondern gesagt ham: Huh, Helen, was war jetzt
los? Ich hab da aber auch eigentlich nicht
ang'fangen, klar, okay, doch, ich hab schon
bisschen ang'fangen zu zweifeln, aber …
O-Ton:
Flüsterin:
Eben: Aber!
Helen Grobert
… dann ist mir schon bewusst geworden, oh, es
gab schon paar Gründe, warum's nicht mehr so
gelaufen ist. Oder wo ich nicht mehr mein
Training komplett so durchgezogen hab, wie
ich's eigentlich wollte und sollte.
O-Ton:
Flüsterin:
Nachlassen rächt sich. Rächt sich sofort.
Helen Grobert
Man muss dann als Sportler halt auch einfach
hart zu sich sein können. Ich hab an den
Schwächen gearbeitet, und dann, dann ging's
wieder mega ab!
Christoph Sacherer
So 'n Athlet, der steht wahnsinnig unter Druck;
das ist nicht nur sein Ego, da steht natürlich
auch die Zukunft von so 'm Athlet im Spiel, er
hat Druck vom Verein, von den Sponsoren, von
seinem Umfeld, von den Freunden, und wenn
die natürlich so 'ne Zeit investiert haben für so
'n Highlight, jetzt Olympische Spiele, und
müssen kurz davor dann abbrechen ihr
Training, dann ist das natürlich 'ne Wahnsinns
psychische Belastung auch.
O-Ton:
O-Ton:
Flüsterin:
O-Ton:
… mega …
Frank Schaefer
Die Spieler alle bekommen ein Weltbild
vermittelt, wo alles möglich ist: "Ich hab die
Möglichkeit, was ganz Großes zu erreichen."
Das ist auch gut so, wenn man diese Träume
und Ziele hat, aber …
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Autor:
Frank Schaefer, ehemaliger Nachwuchschef des 1.FC Köln.
O-Ton:
Frank Schaefer
… du hast heute schon die Situation, dass im
U12-, U13-Bereich die Berater bei den Spielern
anrufen, und das alles führt natürlich dazu, dass
du mit 14, 15, 16 'ne Selbstwahrnehmung hast,
die einfach nicht realistisch ist.
… mega, mega …
Flüsterin:
Flüsterin:
Frank Schaefer
Sie sehn die Profis beim Training, die sehen
hier die Kamerateams, wie die Teenies mit
Autogrammkarten hinterherlaufen, der Wunsch
ist so groß, dass das 'en schmaler Grat ist
zwischen 'ner positiven Anspannung und 'ner
Verbissenheit. Und das wird natürlich auch z.T.
noch durch Eltern, durch Berater noch geschürt,
man weiß selbst, was die Jungs auf sich
genommen haben, da fließen auch Tränen,
aber wir beurteilen das ja rein sportlich: "Du,
pass auf, du bist superklasse, ich schätze dich
total, nur wie du Fußball spielst, komm ich nicht
klar." Und dann hat's keinen Zweck. Das ist
unglaublich hart und ganz, ganz schwierig, und
das sind die unschönen Momente.
Wenn alles nicht hilft, Mann, dann hilft vielleicht…
Autor:
Body-Enhancement?
O-Ton:
Das Pimpen körperlicher und psychischer Eigenschaften, das
Erhöhen von Ausdauer und Aggressivität über die
Schmerzgrenze hinaus ist spätetestens seit den 50er Jahren
des letzten Jahrhunderts der treue Schatten des
Leistungssports. Damals konkurrierten Athlethen im Auftrag
gesellschaftlicher Systeme. Heute sind sie Ich-AGs. Sie
erleben, dass Extasy die Disco geiler und Ritalin die Schule
einfacher macht. Aber – dopen dürfen sie nicht.
Flüsterin:
Und wenn du vorsichtig bist ? immer unter der
nachweisbaren Dosis bleibst?
© Westdeutscher Rundfunk Köln 2016
Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen
Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder
vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden.
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Tiefenblick, 27.03.2016
Sportstress (1/4): Kaderschmieden der Nation
O-Ton:
O-Ton:
Autor:
O-Ton:
O-Ton:
Flüsterin:
Christoph Sacherer
Also ich bin strikt dagegen.
Frank Schaefer
Ich halte jegliche Form von Manipulation für
unsinnig und auch nicht richtig und nicht gut.
Bekenntnis Numero 1 des aufrechten Sportsmanns.
Frank Schaefer
Also muss ich Ihnen ehrlich sagen: bei uns
nicht. Sie sind der Erste, der mich drauf
anspricht.
Es
finden
regelmäßig
Dopingkontrollen eben auch statt.
Rainer Kubern
Wir müssen Schulungsveranstaltungen zum
Thema Doping auch nachweisen, ich glaub, die
Spieler wissen: "Ich hab unterschrieben, dass
ich mich den Dopingregularien unterwerfen
muss."
Heh, willst du dich die ganzen Jahre geknechtet haben, um
jetzt feststellen zu müssen: Hat nicht gereicht. Knapp
daneben, kurz davor. Mann, dann doch lieber – ich meine,
was hast du zu verlieren?
O-Ton:
Autor:
Stefan Selke
Doping wird zwar immer wieder thematisiert,
aber wird letztendlich auch normalisiert,
hypnotisch redundant immer wieder etwas
skandalisiert, aber nicht wirklich bearbeitet als
Skandal. Tour de France, Dopingverdacht,
Skandal, Presse, Medien stürzen sich darauf.
Alles schrecklich. Aber tatsächlich ändert sich
nicht wirklich etwas. Sondern die Botschaft ist
eigentlich genau eine andere: 'Seht her, was
alles möglich ist', damit wird eigentlich etwas
legitimiert und trivialisiert, was man da versucht
zu skandalisieren.
Stefan Selke, Soziologe.
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Tiefenblick, 27.03.2016
Sportstress (1/4): Kaderschmieden der Nation
O-Ton:
Autor:
Stefan Selke
Durch diese Empörungsspiralen wird das
inflationär! Und da kann man mal jemanden
jetzt ausschließen, Armstrong usw., aber dann
gibt es dann zwei Jahre später einen Kinofilm
darüber! Man kann damit richtig berühmt
werden! Man kann damit richtig Kohle machen.
Empörung muss mit Veränderung gekoppelt
sein. Wenn Empörung tatsächlich nur ritualisiert
abläuft, dann ist es eben nicht wirklich etwas,
was zu einem Tabu irgendwann mal führt,
sondern genau zum Gegenteil. Es wird
enttabuisiert.
Längst ist eine Mehrheit davon überzeugt, dass Radfahren und
andere kraftraubende Hochleistungssportarten sowieso nicht mehr
funktionieren ohne Doping.
O-Ton:
Autor:
Stefan Selke
Es gehört so stillschweigend dazu. Nach dem
Motto: 'Wer gewinnen will, der muss auch da
irgendwie durch.' Ansonsten ist man eben kein
richtiger Profisportler.
Einer aktuellen Studie zufolge, bei der Wissenschaftler der
Uni Frankfurt fast 500 Menschen in elf Fitnessstudios
befragten, greift im Amateurbereich jeder vierte Mann, zu
leistungsfördernden Mitteln. Und jede achte Frau.
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Tiefenblick, 27.03.2016
Sportstress (1/4): Kaderschmieden der Nation
O-Ton:
Flüsterin:
Stefan Selke
Ich kann einem Leistungssportler nicht sagen,
dass Doping schlecht ist, wenn er aber ständig
mitbekommt, dass alle, aber auch wirklich alle
Maßnahmen der Leistungssteigerung – legale
und illegale – ergriffen werden, um noch die
letzte, ja, Tausendstel an Quäntchen Leistung
rauszupressen. Also diese schleichende
Normalisierung, diese shifting Baselines, dass
die Überformung des eigenen Körpers immer
normaler wird, weil wir in einer so gesättigten
Wohlstandsgesellschaft
scheinbar
nicht
akzeptieren können, dass wir gebrechlich sind,
dass wir sterblich sind, dass wir funktionale
Defizite haben werden, früher oder später, und
all diese Maßnahmen von der Cyborgisierung
angefangen bis hin zu den Dopingmitteln – was
ist die Botschaft dann eigentlich, ja?: Der
biologische Körper ist nicht das Ende der
Fahnenstange. Da geht es noch weiter. Und es
wird im Prinzip diese Steigerungslogik, die wir
kennen aus der Wirtschaft, die wir kennen aus
der Technologieentwicklung, einfach übertragen
auf den eigenen Körper, es wird immer legitimer
und attraktiver, sich zu enhancen, sich zu
steigern.
Noch mal: Du bist kurz davor! Kurz davor, die beste Form
deines Lebens zu erreichen. Erreiche alles! Jetzt.
O-Ton:
Flüsterin:
O-Ton:
Stefan Selke
The show must go on.
Hol's dir! Hol's aus dir raus!
Stefan Selke
Ist über so viele Sachen schon Gras
gewachsen, dass man bald keiner Wiese mehr
trauen kann.
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Tiefenblick, 27.03.2016
Sportstress (1/4): Kaderschmieden der Nation
O-Ton:
Autor:
Christoph Sacherer
Ist jetzt bissel krass, aber meiner Meinung nach
müsste man das ganze Geld rausziehn. Was
jetzt da verdient werden kann und was auch
bezahlt wird in manchen Sportarten, das ist
einfach zu hoch gesetzt, und da müsste man
eigentlich 'en Riegel davorziehn. Dass die
Sportart an sich im Vordergrund steht. Und
nicht 'ne Siegprämie von 50.000 und 'nen
Monatsgehalt von einer Million oder so. Aber ist
natürlich unrealistisch. Weil das einfach
mittlerweile
ein
Wirtschaftsunternehmen
geworden ist, der Spitzensport.
Stressfaktor Geld. Wenn nicht als Unterfütterung, dann als
Krönung oben drauf.
O-Ton:
Flüsterin:
O-Ton:
O-Ton:
Stefan Selke
Geld ist natürlich auch immer Schmerzensgeld
und Schweigegeld.
Heh, lass dich nicht beirren! Zieh an deinem Strang!
Stefan Selke
Interessanterweise regt sich niemand, fast
niemand auf über die absolut astronomischen
Gehälter, die Sportler einheimsen. Beim Sport
ist das geheiligt. Die Profisportler oder die, die
vom Sport leben, haben deswegen nichts von
ihrem göttlichen Nimbus eingebüßt. Seine
Götter kritisiert man nicht!
Christoph Sacherer
Da stehn natürlich auch andere im Hintergrund,
die jetzt interessiert sind, dass der Athlet da
oben ankommt bei der Weltmeisterschaft, in
den ersten Rängen, und dadurch dann auch
vermarktet werden kann und dadurch wieder
Geld reinkommt.
Der Athlet ist für den Manager 'en Geschäft.
Jeder ist ja dadrauf aus, sein Geld zu
verdienen. Ich und Sie, und alle. Wenn man da
diesen wirtschaftlichen Teil irgendwie kappen
könnte, dann würde das wieder stressfreier, das
Ganze, denk ich.
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Tiefenblick, 27.03.2016
Sportstress (1/4): Kaderschmieden der Nation
Flüsterin:
Geld und Ruhm. Ist doch schon mal was. Außerdem, heh, du
bist nicht allein auf der Welt.
O-Ton:
O-Ton:
Flüsterin:
Fabian Riesle
Klar, wenn so 'ne Saison vorbei ist, dann will
man natürlich von dem ganzen Sport nix mehr
wissen, und dann, wenn's wieder losgeht, und
man denkt sich: "Aah, ich muss jetzt jede
Woche wieder 30 Stunden Ausdauertraining
machen und 5 Stunden Krafttraining", also dann
ist' schon manchmal schwer. Aber wenn man
ein paar mehr Leute ist, dann geht's doch
leichter von der Hand, sich zu motivieren.
Helen Grobert
Wir sind ja in so 'nem hammer-coolen
Sportlerumfeld hier, und dann macht es auch
alles mega Spaß! Ist echt witzig mit denen.
Aber halt besonders am Renntag merkt man
dann einfach, wie jetzt – jetzt ist der Punkt
erreicht, wo jeder sein eigenes Ding macht und
man sich auf sich konzentriert. Unangenehm,
wenn in der Rennwoche einer den anderen
respektlos behandelt. Wie z.B.: "Helen, was
hast du heute schon wieder an deinem Fahrrad
kaputtgemacht, das ist doch immer dasselbe!",
und so, das kommt schon von den
Teammitgliedern untereinander.
Dass man mich angeschissen hat, das hat mich
verletzt halt: "So jemand wie du, die kann doch
keine Leistungssportlerin sein. Die müssen viel
härter und viel disziplinierter sein." Und da hab
ich mir gedacht: Häh? Die, die hat doch
überhaupt keine Ahnung, was ich eigentlich
mach.
Nee, weiß keiner. Nur du selbst. Du weißt es, du spürst es.
You did it!
O-Ton:
Sven Sonnberg
Ich werd' eher dafür bewundert, was ich mache,
dass man so 'ne Disziplin hat, aber dass
jemand sagt, der hat 'n Knall oder sonst was, ist
gar nicht so.
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Tiefenblick, 27.03.2016
Sportstress (1/4): Kaderschmieden der Nation
Autor:
Nachdieseln nach getaner Tat. Die Sportler schmeißen sich
auf den Hallenboden, machen die Beine lang, walken die
Muskeln auf Gummirollen durch, quasseln durcheinander.
Irgendwann dann verschwinden sie in den Tiefen und
Untiefen der Katakomben.
Flüsterin:
Geschafft, Mann. Also mach es, mach's wieder. Und weiter.
Sprecherin:
SportStress
- Kaderschmieden der Nation.
Ein Feature von Ulrich Land.
Es sprachen:
Frauke Poolman
und der Autor.
Technische Realisation: Jürgen Glosemeyer und Mechthild Austermann
Regie: Martin Zylka.
Redaktion: Thomas Nachtigall.
Produktion: Westdeutscher Rundfunk 2016.
In der nächsten Woche geht es weiter mit der Tiefenblickreihe Sportstress. Das
Thema dann: Anrennen gegen den Algorhytmus.
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