Tiefenblick, 27.03.2016 Sportstress (1/4): Kaderschmieden der Nation Sven Sonnberg Gibt für mich nichts Schöneres, als Fußball zu spielen. Ich möchte alles dafür tun, um irgendwann mal Profi zu werden. O-Ton: Flüsterin: Du schaffst das! Ich bin mir sicher, du schaffst das. Sven Sonnberg Das treibt mich an. Schon sehr lange. Seit bestimmt 12 Jahren. Im Kindergarten oder so. O-Ton: Flüsterin: Du musst nur zu dir selbst halten. Sprecherin: SportStress - Kaderschmieden der Nation. Ein Feature von Ulrich Land. O-Ton: Autor: Stefan Käppeler Man muss extrem viel opfern, bleibt relativ wenig Zeit fürs Liebesleben, also ich hab im Moment keine Freundin. Stefan Käppeler, geboren 1993. Ringer am Bundesstützpunkt in Freiburg, wo die Athleten auf die Olympiade vorbereitet werden. O-Ton: Stefan Käppeler Wenn die Freunde am Freitagabend in die Disco gehen, bleib ich zu Hause, weil das einfach kontraproduktiv ist. Alkohol trinken usw., also ich hab mich da ganz gut unter Kontrolle, und das muss man auch. © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 1 Tiefenblick, 27.03.2016 Sportstress (1/4): Kaderschmieden der Nation Autor: Ob Teen oder Twen: Das Leben der Spitzensport-Novizen wird radikal zugespitzt auf dieses eine, einzige Ziel: den sportlichen Erfolg. O-Ton: Autor: Helen Grobert Keine Zeit mehr. Also absolut keine Zeit mehr, unter der Woche irgendwie was Freizeitmäßiges zu machen. Helen Grobert. Profi-Mountainbikerin, geboren 1992 .Steht im Moment enorm unter Druck: Sie ist eine der drei TopFahrerinnen, die derzeit um zwei Plätze in der deutschen Olympiamannschaft konkurrieren. O-Ton: Autor: Helen Grobert Auch wenn ich 'en Frust hatte, und klar, den gab's schon mal, dass alles zu viel geworden ist, aber dann war's einfach wieder das Gefühl, genau, was ich wollte und was ich so lieb: Drei Stunden biken draußen, das ist einfach ein Gefühl der Freiheit, der Natur, was einen stark macht. Freiheit – nach Trainigsplan. O-Ton: Helen Grobert Sport ist schon 'en bisschen 'ne Sucht, aber auch irgendwo 'ne Medizin, und ich fühl mich damit einfach wohl und gesund. O-Ton: Fabian Riesle Ich glaube, das macht einen psychisch auch stark. Jeden Tag eigentlich das Meiste aus seinem Körper rauszuholen, aus seiner Psyche rauszuholen, das ist ja nicht einfach. © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 2 Tiefenblick, 27.03.2016 Sportstress (1/4): Kaderschmieden der Nation Autor: Fabian Riesle, Nordischer Kombinierer mit energischem Blick auf die Winterolympiade. O-Ton: Flüsterin: O-Ton: Autor: Fabian Riesle Dann nach so 'm Wettkampf zu sagen: "Heh, das war jetzt wirklich 'en geiler Sprung heute", für einen selber ist desch einfach 'en Wahnsinnsding. Na also, bitte. Sven Sonnberg Steh morgens ganz normal auf, geh zur Schule, Hausaufgaben, und danach geht's für mich hier zum Geißbockheim, wo ich dann trainiere bis spät abends, und dann um 2o.oo Uhr komm' ich wieder zurück, esse im Internat, wo ich lebe zur Zeit, und, ja, so sieht mein Tag aus. Sven Sonnberg, 17 Jahre alt. Als einziger Jugendspieler des 1. FC Köln in der U17-Nationalmannschaft. Im Moment kreist über ihm ein Damoklesschwert: die Sorge, seine Leistung könnte womöglich nicht reichen für die Jugendeuropameisterschaft in Aserbaidschan. O-Ton: Sven Sonnberg Und sonst hab ich noch Frühtraining, auch zweimal in der Woche, wo ich im Athletikbereich oder Technikbereich arbeite. © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 3 Tiefenblick, 27.03.2016 Sportstress (1/4): Kaderschmieden der Nation Autor: Zuzüglich der Vereinsspiele am Wochenende kommt er auf mindestens 20 Stunden Fußball pro Woche. Zudem 30 bis 35 Stunden Schule plus Hausaufgaben und Lernen für die Oberstufenklausuren. Immerhin steuert er das Abitur an. – Allemal eine 60-Stunden-Woche! Flüsterin: Hauptsache: Schönste Nebensache der Welt. Autor: Alle 36 Proficlubs der 1. und 2. Fußball-Bundesliga müssen seit anderthalb Jahrzehnten Leistungszentren für die Talentförderung unterhalten. Über die Hälfte aller Bundesligaspieler hat inzwischen eine dieser Einrichtungen durchlaufen; bei den Spielern der Nationalmannschaft sind es 90%. Insgesamt investieren die Vereine jährlich an die 100 Millionen € in die Kaderschmieden. Der Ligaverband hat sie zur Lizenzbedingung gemacht. Flüsterin: Wir gehen's gezielt an, Leute, nichts wird dem Zufall überlassen. Verlasst euch drauf. Autor: Leistungsteigerung, Auslese, survival of the fittest. Die Gesetze des Profi-Sports gelten auch für die Leistungszentren selbst. In regelmäßigen Abständen führt der Deutsche Fußballbund ein Ranking durch. Ein Krieg der Sterne ist entbrannt. © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 4 Tiefenblick, 27.03.2016 Sportstress (1/4): Kaderschmieden der Nation Rainer Kubern Trainingsinhalte, das Trainingsgelände, die Kabinen, das wird alles mit bewertet. Und die Effektivität: also wie viel Spieler bringt man in den Profibereich, wie viele Spieler sind Nationalspieler, oder auch wie lange sind die Spieler an den Verein gebunden. O-Ton: Autor: Rainer Kubern, administrativer Leiter des Leistungszentrums des 1. FC Köln. Rainer Kubern Wir haben also die höchste Bewertung erreicht, so dass wir drei Sterne plus einen Bonus-Stern auch noch haben für die Effektivität und Durchlässigkeit. Sind Zuschüsse dran gebunden aus einem Topf der UEFA, klar kriegt man für einen Stern weniger Geld als für drei Sterne, auf jeden Fall. O-Ton: Autor: Die Nachwuchsfabrik ist wie ein Appendix ans Geißbockheim, das Vereinshaus des 1. FC Köln, geheftet. Unter der Restaurantterrasse, neben Fanshop und Vereinsgeschäftsstelle. Hier werden 180 Jungfußballer betreut. Frank Schaefer, zum Zeitpunk der Aufnahme Leiter des Leistungszentrums: Frank Schaefer Wenn es gelingt, wirklich pro Jahr einen Spieler an den Lizenzbereich heranzuführen, dann ist das 'ne gute Quote. O-Ton: Autor: Will heißen: Um eine Bundesliga-Mannschaft einmal zu verjüngen, braucht man elf Jahre, mit Ersatzspielern sogar 20. © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 5 Tiefenblick, 27.03.2016 Sportstress (1/4): Kaderschmieden der Nation O-Ton: Flüsterin: Frank Schaefer Der Weg ist schmal! Da kommen nicht so viele durch. Heh, du willst Triathlet werden ? Dafür haben wir den Olympiastützpunkt: 13 Wochenstunden Gruppentraining dreimal Frühtraining um 6.3o Uhr in der Schwimmhalle zuzüglich Eigentraining siehe individuelle Pläne Hört sich hart an. Ist es auch. O-Ton: Autor: Markus Bauer So 'n innerer Stress. Klar vor den olympischen Spielen, wo man von sich selber was erwartet und man dann vorankommen möchte. Markus Bauer, geboren 1989, Profi-Mountainbiker .Einer der deutschen Top-Five, von denen nur drei ein Ticket zur Olympiade in Rio bekommen. O-Ton: Flüsterin: Markus Bauer Dann hab ich den Sommer über gemerkt, dass es vielleicht nicht so gelaufen ist, leistungsmäßig, wie ich mir das erhofft hatte, und dann ist viel emotionaler Stress dazugekommen, dass ich sofort das Gefühl hatte, ich komm irgendwie nicht weiter in meinem Leben, ich stagniere und, ja, da war dann irgendwann viel persönliche Unzufriedenheit dabei auch. Heh, nicht schlappmachen! © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. 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O-Ton: Markus Bauer … man kriegt vorgebeben von seinem Trainer: "Heute hast du den Grundlage-1-Bereich zwischen 190 und 240 Watt", und nach dem Sport verwende ich dann Software, die also diese Daten aufschlüsselt und mir eben sagt, wie gut mein Training war, das speise ich dann in 'ne Excel-Tabelle, damit mein Trainer sehen kann: "Okay." Und dann gibt's schon mal auf 'n Deckel auch, wenn jetzt irgendwo – Ich hab doch gesagt – hab ich nicht gesagt, du sollst…! Flüsterin: © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 7 Tiefenblick, 27.03.2016 Sportstress (1/4): Kaderschmieden der Nation Autor: Im Freiburger Osten: einer von 19 "Betreuungs- und Serviceeinrichtungen für die Bundeskaderathletinnen und athleten", die der Deutsche Olympische Sportbund unterhält. In Freiburg: vor allem Ski- und Radsport, Ringen, Frauenfußball und Triathlon. Mit insgesamt etwa 500 Nachwuchs- und Spitzensportlern. Hinterm Lichthof die große Sporthalle. Oben rechts, auf dem Galeriegang ein Arsenal von Fitnessgeräten. Die Halle selbst durch eine flexible Wand geteilt: In der Regel sind zwei Drittel für die Nachwuchselite der Ringer, und das andere für weitere Sportarten reserviert. O-Ton: Toni Ügger Jeder meiner Sportler hat einen separaten Trainingsplan. Wie lang, was für Übersetzungen, was für Pulsbereich und was für Trittfrequenz er fahren muss. Das steht präzise dadrin. Wie viel Pause dazwischen, und was für Belastungen. Autor: Toni Ügger, Freiburger Mountainbike-Trainer. Flüsterin: Hau rein, Mann, hau rein! Immer einen Schritt über die Grenze, über deine eigene Grenze, über die letzte Grenze – und du fühlst dich stark. Du bist stark. O-Ton: Christoph Sacherer Wo einfach irgendwann mal der Bewegungsapparat sagt: Stopp! Wo wir sehen: Irgendwie hat der Athlet ständig seine Krämpfe oder unrundes Laufen, auch Faserrisse bekommen, ja, warum? Weshalb sind die ständig verletzt? Und immer an der gleichen Stelle auch. © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 8 Tiefenblick, 27.03.2016 Sportstress (1/4): Kaderschmieden der Nation Autor: Christoph Sacherer, seit 2003 Physiotherapeut des Deutschen Leichtathletikverbands und mehrfach Betreuer der Nationalmannschaft. O-Ton: Christoph Sacherer Da kann's passieren, dass die da verheizt werden. O-Ton: Helen Grobert Es belastet wirklich extrem, aber es ist ein positives Belasten. Flüsterin: Stress, okay, aber … Fabian … ja, aber … Elena … aber man hat dann immer das Ziel vor Augen … Manuel … aber … Helen O-Ton: O-Ton: O-Ton: O-Ton: … aber ... Stefan … aber … Sven … aber ist mein Leben. O-Ton: O-Ton: Flüsterin: Siehste! Autor: Im hinteren Drittel der Sporthalle des Olympiastützpunktes installieren die Mountainbiker den Parcours fürs Zirkeltraining. Flüsterin: Baut eure eigene Folterstrecke auf, Leute! Also: In der Mitte den Treckerreifen immer wieder aufrichten und umstürzen. Rechts die schwarzen Gummibänder für Dehn- und Kraftübungen. © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 9 Tiefenblick, 27.03.2016 Sportstress (1/4): Kaderschmieden der Nation Toni Ügger Es wird in denne anderthalb Stund dem Körper alles abverlangt. Immer nur volle Auslaschtung. O-Ton: Flüsterin: Links die zwei Gymnastikbälle fürs Gleichgewichtstraining. Und das lange Doppelseil drüben mit beiden Händen auf den Boden schlackern, dass es nur so knallt. Die Kästen hinten zum Draufspringen – aus dem Stand, versteht sich. O-Ton: Autor: O-Ton: Flüsterin: O-Ton: Flüsterin: Helen Grobert Man geht bei jeder Trainingseinheit einfach ans Limit. Und sich quälen, wenn's dann so drei, vier, fünf Stunden werden, dann muss ich schon auch kämpfen. Und beim Wettkampf, da ist es Knochenarbeit. So richtig. Ich seh aus, als ob ich – keine Ahnung – als ob ich geschlagen worden bin. Weil ich überall blaue Flecken hab, und weil ich einfach richtig übers Limit gehen muss. Warum, um alles in der Welt, warum tut man sich das an? Helen Grobert Poh, das ist jetzt 'ne Frage – warum tu ich mir das an? Du weißt es nicht ? Doch du weißt es ! Helen Grobert Da mich hochzuarbeiten und in der Eliteklasse zu fahren, für was man den ganzen Winter trainiert hat, die ganze Saison arbeitet, dann ist es 'en unbeschreibliches Gefühl. 'En Siegergefühl, oh, es war so 'ne, so 'ne erfolgreiche Saison! Wenn ich jetzt zurückblicke. Ich hätte das niemals gedacht, dass ich da mich in den Top-Ten etablieren kann. Und mich für Olympia schon qualifiziert hab. Also das ist schon cool. Durchhalten, Leute, weitermachen! Du musst über den Punkt kommen, an dem es nicht mehr geht! Eigentlich nicht mehr geht. © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 10 Tiefenblick, 27.03.2016 Sportstress (1/4): Kaderschmieden der Nation Autor: Die Halle im Olympiastützpunkt ist mit einer riesigen blauen Matte ausgelegt. Warmlaufen. Dann müssen immer wieder andere Ringkampfgriffe angesetzt, andere Gegner auf die Matte geworfen werden. Flüsterin: Schließlich lernen wir hier für's Leben. O-Ton: Christoph Sacherer Also nervös sind sie auf jeden Fall, zapplig, oder was so typisch ist, dass sie dann ständig bei uns dann auf der Bank liegen kurz vorm Wettkampf und einen bitten: "Kannst 'mal gucken, schau mal schnell! Ich hab's Gefühl, da ist irgendwas." Aber im Endeffekt ist da gar nix. Ja, und wenn man dann die Hand anlegt, dann sind sie eigentlich auch beruhigt. Es gibt auch Athleten, die vor lauter Wettkampfstress sich auch komplett zurückziehn. Wo man jetzt weiß, okay, der sitzt jetzt in der Ecke, der hat seine Kopfhörer auf dem Kopf, strahlt nach außen eigentlich 'ne Mordsruhe aus, aber innerlich total nervös. Toni Ügger Stärker sein als der Stärkschte. Christoph Sacherer Was man mit der Hand deutlich spüren kann: dass der Tonus zunimmt ... … der Spannungszustand der Muskeln … O-Ton: O-Ton: Autor: O-Ton: Christoph Sacherer … wenn zu viel Nerveninformationen in den Körper weitergeleitet werden. Durch irgendwelche Stresssituationen. Es gibt Veränderungen an Sehnenansätzen, wo immer wieder Reizungen anstehn, dass der Fuß instabil ist, und dann die Achillessehne irgendwann überstresst ist und dann einreißt oder anschwillt. Oder die Wirbelsäulenregionen, da sind wirklich klare, strukturelle Veränderungen. © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 11 Tiefenblick, 27.03.2016 Sportstress (1/4): Kaderschmieden der Nation Autor: "Ernsthaftigkeit und Freude am Fußballspielen" – für den DFB das zentrale Ziel der Nachwuchsförderung. Und "systematischer Leistungsaufbau unter Druck". O-Ton: Autor: Sven Sonnberg Der Stress entsteht dadurch, dass man einen strammen Plan hat, Zeitplan... Aber ich hab ein Ziel, und dafür lohnt es sich. Nur auszuhalten, der Sportstress, den die Klausur- und Ordenshäuser für den Sportlernachwuchs ebenso evozieren wie die Wettkämpfe selbst, nur durchzustehen, das Ganze, weil man immer den Sieg im Blick hat. Über die Konkurrenz, über den inneren Schweinehund. Getragen von der Hoffnung auf eine steile Profi-Karriere, vorzugsweise mit angeschlossenem Großverdienst, schnellen Autos, traumhafter Berühmtheit. So irreal das Ziel für die Meisten ist, so ist es doch magnetisch genug, einen den ganzen, beschwerlichen Weg lang anzutreiben. Flüsterin: Du, genau du bist es, der durchkommt. Der's schafft bis ganz nach oben, bis aufs Treppchen. O-Ton: Flüsterin: Helen Grobert Ich find's eigentlich cool, die Woche vorm Wettkampf, da ist jede Minute, jede Sekunde, jede Stunde ist durchgeplant. Also da, da hat man auch für nichts anderes Zeit, wenn ich dann zum Renngelände runtergehe, dann bin ich schon nervös. Aber das ist so 'n positives Nervös. Heh, nimm den Stress einfach an! Nimm den Stress als das, was dich will, aber nicht kriegt. Als das, was du willst. O-Ton: Helen Grobert Also ich mag das echt, ich find's cool, ich brauch das auch! Dass es nur um den Tag X geht, wo ich eineinhalb Stunden volle Kanne geben muss! © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 12 Tiefenblick, 27.03.2016 Sportstress (1/4): Kaderschmieden der Nation Autor: Der extrem eng gezogene Fokus funktioniert gradezu als Entlastung. O-Ton: O-Ton: Autor: O-Ton: Autor: Helen Grobert Wo nichts anderes mehr wichtig ist. Christoph Sacherer Nicht umsonst gibt's es ja in der Phase der Aufwärmung vorm Wettkampf, dass die Athleten sich stressige Musik in den Kopf dröhnen. Die haben ihre Kopfhörer auf und hören sich dann 'ne Heavy-Metall-Musik an, das ist ja auch ein gewisser Stress, der sie dann auf Touren bringen wird. Und das hilft denen. Stress als Doping. Manuel Faißt Ist beim Skispringen auf jeden Fall so, dass man eben die letzte Konzentration dann einfach auch durch die Aufregung bekommt, wo man den Tick noch mehr oder schnell-griffiger am Schanzentisch eben abspringen kann. Manuel Faißt, 1993 geboren. 2013 dreifacher JuniorenWeltmeister in der Nordischen Kombination aus Langlauf und Skispringen O-Ton: Flüsterin: O-Ton: Autor: Manuel Faißt Da ist man so auf sich fokussiert, dann nimmt man eigentlich sonst nix außen rum wahr. Stressresistenz, so heißt dein Zauberwort. Toni Ügger Es gibt ja Sportler, die liebe den Stress und andere, die lerne des nie. … sind over-stressed. Eh sie sich versehn. © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 13 Tiefenblick, 27.03.2016 Sportstress (1/4): Kaderschmieden der Nation Toni Ügger Letztes Jahr zum Beispiel, grad an der Europameisterschaft, isch einer von meinen, der isch dann so losgesprintet, als wenn das Rennen nach 200 Metern zu Ende war. Und wo's dann ins Gelände ging, da war bei dem der Puls so hoch, dass er, dass er grad rückwärts g'fahren isch. Ich lass sie immer zuerscht ins Messer laufe, die müsse des selber erlebe. Nur dann glaubt man's. Ne? Nur sind dann die Situatione oft so krass, dass sie manchmal dann zu viel Angscht kriege, und dann isch es dann wieder viel Gespräche, um den wieder so hinzukitzeln, dass er sich traut, bis an die Schmerzgrenze zu gehen oder auch darüber hinaus. Stefan Käppeler Wenn man sehr viel und sehr hart trainiert, dann kommt's auch zum Übertraining, Überlastung, wenn alle Muskeln verspannt sind, einem der ganze Körper wehtut, dann ist der Stresslevel im Körper relativ hoch, dann hat man manchmal auch weniger Lust, ins Training zu gehen, aber … O-Ton: O-Ton: Flüsterin: Aber? Stefan … aber O-Ton: Flüsterin: Eben. O-Ton: Helen Grobert An der Stelle, wo ich gemerkt hab, dass ich's nicht mehr schaff, dass es jetzt einfach alles zu viel wird, dann hab ich's verflucht. Verflucht hört sich so, so hart an, weil oft war's dann so, ich bin dann trotzdem rausgegangen und hab was gemacht. Eben. Das Trotzdem, das ist es. Damit kriegst du die nötige Flüsterin: Spannung. Ohne Widerstand kannst du dich nicht beweisen. Nur so weißt du, dass du gut bist. Weißt du, dass du bist. © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 14 Tiefenblick, 27.03.2016 Sportstress (1/4): Kaderschmieden der Nation Helen Grobert Ich hatte dreimal nacheinander 'n nicht so gutes Ergebnis. Also's war einfach nicht mehr TopTen oder Top-Five. Und dann hab ich auf einmal gemerkt, wie alle so um mich rum nicht mehr mit der Leistung zufrieden waren. Sondern gesagt ham: Huh, Helen, was war jetzt los? Ich hab da aber auch eigentlich nicht ang'fangen, klar, okay, doch, ich hab schon bisschen ang'fangen zu zweifeln, aber … O-Ton: Flüsterin: Eben: Aber! Helen Grobert … dann ist mir schon bewusst geworden, oh, es gab schon paar Gründe, warum's nicht mehr so gelaufen ist. Oder wo ich nicht mehr mein Training komplett so durchgezogen hab, wie ich's eigentlich wollte und sollte. O-Ton: Flüsterin: Nachlassen rächt sich. Rächt sich sofort. Helen Grobert Man muss dann als Sportler halt auch einfach hart zu sich sein können. Ich hab an den Schwächen gearbeitet, und dann, dann ging's wieder mega ab! Christoph Sacherer So 'n Athlet, der steht wahnsinnig unter Druck; das ist nicht nur sein Ego, da steht natürlich auch die Zukunft von so 'm Athlet im Spiel, er hat Druck vom Verein, von den Sponsoren, von seinem Umfeld, von den Freunden, und wenn die natürlich so 'ne Zeit investiert haben für so 'n Highlight, jetzt Olympische Spiele, und müssen kurz davor dann abbrechen ihr Training, dann ist das natürlich 'ne Wahnsinns psychische Belastung auch. O-Ton: O-Ton: Flüsterin: O-Ton: … mega … Frank Schaefer Die Spieler alle bekommen ein Weltbild vermittelt, wo alles möglich ist: "Ich hab die Möglichkeit, was ganz Großes zu erreichen." Das ist auch gut so, wenn man diese Träume und Ziele hat, aber … © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 15 Tiefenblick, 27.03.2016 Sportstress (1/4): Kaderschmieden der Nation Autor: Frank Schaefer, ehemaliger Nachwuchschef des 1.FC Köln. O-Ton: Frank Schaefer … du hast heute schon die Situation, dass im U12-, U13-Bereich die Berater bei den Spielern anrufen, und das alles führt natürlich dazu, dass du mit 14, 15, 16 'ne Selbstwahrnehmung hast, die einfach nicht realistisch ist. … mega, mega … Flüsterin: Flüsterin: Frank Schaefer Sie sehn die Profis beim Training, die sehen hier die Kamerateams, wie die Teenies mit Autogrammkarten hinterherlaufen, der Wunsch ist so groß, dass das 'en schmaler Grat ist zwischen 'ner positiven Anspannung und 'ner Verbissenheit. Und das wird natürlich auch z.T. noch durch Eltern, durch Berater noch geschürt, man weiß selbst, was die Jungs auf sich genommen haben, da fließen auch Tränen, aber wir beurteilen das ja rein sportlich: "Du, pass auf, du bist superklasse, ich schätze dich total, nur wie du Fußball spielst, komm ich nicht klar." Und dann hat's keinen Zweck. Das ist unglaublich hart und ganz, ganz schwierig, und das sind die unschönen Momente. Wenn alles nicht hilft, Mann, dann hilft vielleicht… Autor: Body-Enhancement? O-Ton: Das Pimpen körperlicher und psychischer Eigenschaften, das Erhöhen von Ausdauer und Aggressivität über die Schmerzgrenze hinaus ist spätetestens seit den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts der treue Schatten des Leistungssports. Damals konkurrierten Athlethen im Auftrag gesellschaftlicher Systeme. Heute sind sie Ich-AGs. Sie erleben, dass Extasy die Disco geiler und Ritalin die Schule einfacher macht. Aber – dopen dürfen sie nicht. Flüsterin: Und wenn du vorsichtig bist ? immer unter der nachweisbaren Dosis bleibst? © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 16 Tiefenblick, 27.03.2016 Sportstress (1/4): Kaderschmieden der Nation O-Ton: O-Ton: Autor: O-Ton: O-Ton: Flüsterin: Christoph Sacherer Also ich bin strikt dagegen. Frank Schaefer Ich halte jegliche Form von Manipulation für unsinnig und auch nicht richtig und nicht gut. Bekenntnis Numero 1 des aufrechten Sportsmanns. Frank Schaefer Also muss ich Ihnen ehrlich sagen: bei uns nicht. Sie sind der Erste, der mich drauf anspricht. Es finden regelmäßig Dopingkontrollen eben auch statt. Rainer Kubern Wir müssen Schulungsveranstaltungen zum Thema Doping auch nachweisen, ich glaub, die Spieler wissen: "Ich hab unterschrieben, dass ich mich den Dopingregularien unterwerfen muss." Heh, willst du dich die ganzen Jahre geknechtet haben, um jetzt feststellen zu müssen: Hat nicht gereicht. Knapp daneben, kurz davor. Mann, dann doch lieber – ich meine, was hast du zu verlieren? O-Ton: Autor: Stefan Selke Doping wird zwar immer wieder thematisiert, aber wird letztendlich auch normalisiert, hypnotisch redundant immer wieder etwas skandalisiert, aber nicht wirklich bearbeitet als Skandal. Tour de France, Dopingverdacht, Skandal, Presse, Medien stürzen sich darauf. Alles schrecklich. Aber tatsächlich ändert sich nicht wirklich etwas. Sondern die Botschaft ist eigentlich genau eine andere: 'Seht her, was alles möglich ist', damit wird eigentlich etwas legitimiert und trivialisiert, was man da versucht zu skandalisieren. Stefan Selke, Soziologe. © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 17 Tiefenblick, 27.03.2016 Sportstress (1/4): Kaderschmieden der Nation O-Ton: Autor: Stefan Selke Durch diese Empörungsspiralen wird das inflationär! Und da kann man mal jemanden jetzt ausschließen, Armstrong usw., aber dann gibt es dann zwei Jahre später einen Kinofilm darüber! Man kann damit richtig berühmt werden! Man kann damit richtig Kohle machen. Empörung muss mit Veränderung gekoppelt sein. Wenn Empörung tatsächlich nur ritualisiert abläuft, dann ist es eben nicht wirklich etwas, was zu einem Tabu irgendwann mal führt, sondern genau zum Gegenteil. Es wird enttabuisiert. Längst ist eine Mehrheit davon überzeugt, dass Radfahren und andere kraftraubende Hochleistungssportarten sowieso nicht mehr funktionieren ohne Doping. O-Ton: Autor: Stefan Selke Es gehört so stillschweigend dazu. Nach dem Motto: 'Wer gewinnen will, der muss auch da irgendwie durch.' Ansonsten ist man eben kein richtiger Profisportler. Einer aktuellen Studie zufolge, bei der Wissenschaftler der Uni Frankfurt fast 500 Menschen in elf Fitnessstudios befragten, greift im Amateurbereich jeder vierte Mann, zu leistungsfördernden Mitteln. Und jede achte Frau. © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 18 Tiefenblick, 27.03.2016 Sportstress (1/4): Kaderschmieden der Nation O-Ton: Flüsterin: Stefan Selke Ich kann einem Leistungssportler nicht sagen, dass Doping schlecht ist, wenn er aber ständig mitbekommt, dass alle, aber auch wirklich alle Maßnahmen der Leistungssteigerung – legale und illegale – ergriffen werden, um noch die letzte, ja, Tausendstel an Quäntchen Leistung rauszupressen. Also diese schleichende Normalisierung, diese shifting Baselines, dass die Überformung des eigenen Körpers immer normaler wird, weil wir in einer so gesättigten Wohlstandsgesellschaft scheinbar nicht akzeptieren können, dass wir gebrechlich sind, dass wir sterblich sind, dass wir funktionale Defizite haben werden, früher oder später, und all diese Maßnahmen von der Cyborgisierung angefangen bis hin zu den Dopingmitteln – was ist die Botschaft dann eigentlich, ja?: Der biologische Körper ist nicht das Ende der Fahnenstange. Da geht es noch weiter. Und es wird im Prinzip diese Steigerungslogik, die wir kennen aus der Wirtschaft, die wir kennen aus der Technologieentwicklung, einfach übertragen auf den eigenen Körper, es wird immer legitimer und attraktiver, sich zu enhancen, sich zu steigern. Noch mal: Du bist kurz davor! Kurz davor, die beste Form deines Lebens zu erreichen. Erreiche alles! Jetzt. O-Ton: Flüsterin: O-Ton: Stefan Selke The show must go on. Hol's dir! Hol's aus dir raus! Stefan Selke Ist über so viele Sachen schon Gras gewachsen, dass man bald keiner Wiese mehr trauen kann. © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 19 Tiefenblick, 27.03.2016 Sportstress (1/4): Kaderschmieden der Nation O-Ton: Autor: Christoph Sacherer Ist jetzt bissel krass, aber meiner Meinung nach müsste man das ganze Geld rausziehn. Was jetzt da verdient werden kann und was auch bezahlt wird in manchen Sportarten, das ist einfach zu hoch gesetzt, und da müsste man eigentlich 'en Riegel davorziehn. Dass die Sportart an sich im Vordergrund steht. Und nicht 'ne Siegprämie von 50.000 und 'nen Monatsgehalt von einer Million oder so. Aber ist natürlich unrealistisch. Weil das einfach mittlerweile ein Wirtschaftsunternehmen geworden ist, der Spitzensport. Stressfaktor Geld. Wenn nicht als Unterfütterung, dann als Krönung oben drauf. O-Ton: Flüsterin: O-Ton: O-Ton: Stefan Selke Geld ist natürlich auch immer Schmerzensgeld und Schweigegeld. Heh, lass dich nicht beirren! Zieh an deinem Strang! Stefan Selke Interessanterweise regt sich niemand, fast niemand auf über die absolut astronomischen Gehälter, die Sportler einheimsen. Beim Sport ist das geheiligt. Die Profisportler oder die, die vom Sport leben, haben deswegen nichts von ihrem göttlichen Nimbus eingebüßt. Seine Götter kritisiert man nicht! Christoph Sacherer Da stehn natürlich auch andere im Hintergrund, die jetzt interessiert sind, dass der Athlet da oben ankommt bei der Weltmeisterschaft, in den ersten Rängen, und dadurch dann auch vermarktet werden kann und dadurch wieder Geld reinkommt. Der Athlet ist für den Manager 'en Geschäft. Jeder ist ja dadrauf aus, sein Geld zu verdienen. Ich und Sie, und alle. Wenn man da diesen wirtschaftlichen Teil irgendwie kappen könnte, dann würde das wieder stressfreier, das Ganze, denk ich. © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 20 Tiefenblick, 27.03.2016 Sportstress (1/4): Kaderschmieden der Nation Flüsterin: Geld und Ruhm. Ist doch schon mal was. Außerdem, heh, du bist nicht allein auf der Welt. O-Ton: O-Ton: Flüsterin: Fabian Riesle Klar, wenn so 'ne Saison vorbei ist, dann will man natürlich von dem ganzen Sport nix mehr wissen, und dann, wenn's wieder losgeht, und man denkt sich: "Aah, ich muss jetzt jede Woche wieder 30 Stunden Ausdauertraining machen und 5 Stunden Krafttraining", also dann ist' schon manchmal schwer. Aber wenn man ein paar mehr Leute ist, dann geht's doch leichter von der Hand, sich zu motivieren. Helen Grobert Wir sind ja in so 'nem hammer-coolen Sportlerumfeld hier, und dann macht es auch alles mega Spaß! Ist echt witzig mit denen. Aber halt besonders am Renntag merkt man dann einfach, wie jetzt – jetzt ist der Punkt erreicht, wo jeder sein eigenes Ding macht und man sich auf sich konzentriert. Unangenehm, wenn in der Rennwoche einer den anderen respektlos behandelt. Wie z.B.: "Helen, was hast du heute schon wieder an deinem Fahrrad kaputtgemacht, das ist doch immer dasselbe!", und so, das kommt schon von den Teammitgliedern untereinander. Dass man mich angeschissen hat, das hat mich verletzt halt: "So jemand wie du, die kann doch keine Leistungssportlerin sein. Die müssen viel härter und viel disziplinierter sein." Und da hab ich mir gedacht: Häh? Die, die hat doch überhaupt keine Ahnung, was ich eigentlich mach. Nee, weiß keiner. Nur du selbst. Du weißt es, du spürst es. You did it! O-Ton: Sven Sonnberg Ich werd' eher dafür bewundert, was ich mache, dass man so 'ne Disziplin hat, aber dass jemand sagt, der hat 'n Knall oder sonst was, ist gar nicht so. © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 21 Tiefenblick, 27.03.2016 Sportstress (1/4): Kaderschmieden der Nation Autor: Nachdieseln nach getaner Tat. Die Sportler schmeißen sich auf den Hallenboden, machen die Beine lang, walken die Muskeln auf Gummirollen durch, quasseln durcheinander. Irgendwann dann verschwinden sie in den Tiefen und Untiefen der Katakomben. Flüsterin: Geschafft, Mann. Also mach es, mach's wieder. Und weiter. Sprecherin: SportStress - Kaderschmieden der Nation. Ein Feature von Ulrich Land. Es sprachen: Frauke Poolman und der Autor. Technische Realisation: Jürgen Glosemeyer und Mechthild Austermann Regie: Martin Zylka. Redaktion: Thomas Nachtigall. Produktion: Westdeutscher Rundfunk 2016. In der nächsten Woche geht es weiter mit der Tiefenblickreihe Sportstress. Das Thema dann: Anrennen gegen den Algorhytmus. © Westdeutscher Rundfunk Köln 2016 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet oder öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht ) werden. 22
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