Leseprobe zum Titel: Stuttgarter Zeitung (11.03.2016)

Die unabhängige Zeitung für Baden-Württemberg
Nr. 10 2016
Heute mit Ihrem
Fernsehmagazin
Heute mit
Sonderbeilage
Zwischen Drama und Komödie:
Woody Allens „Irrational Man“.
Blu-ray gewinnen: rtv.de/allen
Das Rückspiel live im ZDF
Bayern gegen
Juventus Turin
TV-Highlights auf einen
Blick
Leipziger Buchmesse
Eine Stadt
im Lesefieber
Was das Fernsehen zeigt
MERCEDES
BMW
VW
AUDI
„Hier darf
ich zu
Hause sein“
STEFANIE STAPPENBE
CK legt als
Neue in der Serie „Ein
starkes Team“
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Freitag, 11. März 2016
Nr. 59 | 10. Woche | 72. Jahrgang | E 4029
TZ
Spritze
ohne Wirkung
Afghanen auf der Flucht
Inflation Die EZB nimmt die
großen Risiken ihrer lockeren
Geldpolitik bewusst in Kauf.
Von Klaus Dieter Oehler
Gestrandet in
Griechenland
D
Foto: dpa
Neben Syrern sitzen vor allem Menschen aus Afghanistan an den
Grenzen fest. Sie sollen freiwillig in ihre Heimat zurückkehren. SEITE 2
Die Dritte Seite
Entdecken
Kultur
Fünf Jahre nach Fukushima – die
Angst ist noch überall präsent SEITE 3
Konferenz in Dakar: Afrika entdeckt
seine Wissenschaftler SEITEN 3, 18
Im „Cabaret“ der Frivolitäten:
Liza Minnelli wird 70 SEITE 27
Umfrage: Grüne
knapp vor CDU
Kurz vor der Landtagswahl zeigen Umfragen unterschiedliche Ergebnisse zu den
Chancen einer zweiten Amtszeit der grünroten Regierung unter Ministerpräsident
Winfried Kretschmann. Nach einer am
Donnerstag veröffentlichten Erhebung des
Instituts YouGov reicht es nicht für eine
grün-rote Mehrheit. Hingegen hatte eine
zuvor veröffentlichte Befragung des Instituts Forsa im Auftrag von „RTL aktuell“ ergeben, dass es für die Fortsetzung von
Grün-Rot reichen könnte.
Nach der YouGov-Umfrage liegen die
Grünen mit 32 Prozent knapp vor der CDU
mit 30 Prozent. Die SPD wird bei 12 Prozent gesehen und damit nur einen Prozentpunkt vor der Alternative für Deutschland
(AfD) mit 11 Prozent. Die FDP liegt bei 8
Prozent. Die Linke wäre mit 4 Prozent
nicht im Landtag vertreten.
dpa
– Weitere Berichterstattung SEITEN 5, 20, 27
Boss legt Zahlen vor
Der Modekonzern Hugo Boss verzeichnet
in Deutschland ein Umsatzplus von vier
Prozent, in Großbritannien sind es sogar 27
Prozent. In China und den USA hat das
Unternehmen dagegen mit Problemen zu
kämpfen und schließt einige Filialen. SEITE 9
Stellenabbau bei VW?
Der Abgasskandal bei Volkswagen bringt
nun auch Tausende Stellen in Deutschland
unmittelbar in Gefahr. In den USA, wo die
Affäre um manipulierte Dieselemissionen
ausgebrochen war, tritt zudem Landeschef
Michael Horn überraschend ab. SEITE 11
61-Jährige erstochen
Bluttat in Stuttgart-Ost: ein Mann soll die
Mutter seiner Freundin getötet haben. Seine 31-jährige Partnerin verletzte er bei der
Tat ebenfalls schwer, sie ist inzwischen
außer Lebensgefahr. Der 31-jährige Freund
ist geständig, nennt aber kein Motiv. SEITE 19
Freitag
7°/0°
Samstag
7°/2°
Sonntag
9°/1°
Börse SEITEN 13, 14
Dax 9498,15 Punkte (– 2,31 %)
M-Dax 19155,82 Punkte (– 1,64 %)
Euro 1,0857 Dollar (Vortag: 1,0973)
Ausführliches Inhaltsverzeichnis SEITE 2
56010
4 190402 902104
EZB senkt Leitzins
auf null Prozent
Europas Währungshüter pumpen noch mehr Geld in
den Markt und erhöhen die Strafzinsen. Von Klaus Dieter Oehler
Notenbank
ie Europäische Zentralbank (EZB)
hat ihre Geldpolitik überraschend
noch weiter gelockert, als dies von
Experten erwartet worden war. Zum ersten
Mal in der Geschichte wurde der Schlüsselzins für die Versorgung der Geschäftsbanken mit Notenbankgeld auf null Prozent
gesetzt. Bisher lag er bei 0,05 Prozent. Zugleich wurde der Strafzins für Geschäftsbanken nochmals verschärft. Der sogenannte Einlagensatz werde auf minus 0,4
Prozent von bislang minus 0,3 Prozent herabgesetzt. Damit wird es für die Institute
noch teurer, wenn sie überschüssige Gelder
über Nacht bei der Notenbank parken.
Außerdem werden die umstrittenen Anleihenkäufe auf monatlich 80 Milliarden Euro
(bisher 60) aufgestockt.
All das soll dazu dienen, die Wirtschaft
in der Eurozone anzukurbeln und die Geschäftsbanken dazu zu bringen, mehr Kredite an die Unternehmen auszugeben. Am
Ende sollen dadurch die Preise steigen, die
im Februar noch um 0,2 Prozent gesunken
waren. „Mit dem heutigen umfassenden
Paket geldpolitischer Entscheidungen liefern wir erhebliche Anreize, um den erhöhten Risiken für das EZB-Preisstabilitätsziel
entgegenzuwirken“, erklärte EZB-Präsident Mario Draghi. „Die Zinsen werden für
eine sehr lange Zeit niedrig bleiben.“ Die
Währungshüter streben eine Inflationsrate
von knapp zwei Prozent an, was sie als ideal
für die Wirtschaft erachten. Draghi hatte
nach seinen Worten bei der Entscheidung
zum weiteren Öffnen der Geldschleusen
D
großen Rückhalt im Führungsgremium der
Zentralbank. Der Beschluss sei mit einer
„überwältigenden Mehrheit“ getroffen
worden, sagte er. Die Diskussion sei „positiv und konstruktiv“ gewesen. Der deutsche Bundesbankpräsident Jens Weidmann, der als Kritiker der lockeren Geldpolitik gilt, konnte aufgrund des neuen Rotationsprinzips der EZB nicht an der Abstimmung teilnehmen.
Die Bankenwelt reagierte teils entsetzt
auf die EZB-Ankündigungen: Der Bankenverband bezeichnete das Maßnahmenpaket als „Gift“. Es sei „vollkommen unnötig“,
dass die EZB den Geldhahn noch weiter
aufgedreht habe, erklärte Hauptgeschäftsführer Michael Kemmer. Die Beschlüsse
der Notenbank würden für „immer mehr
Menschen in der Eurozone zu einer Belastung“, kritisierte der Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes,
Georg Fahrenschon. Die EZB habe „im
Prinzip alles auf den Markt geworfen, was
sie hat“, analysierte Jan Holthusen von der
DZ Bank. Sie nehme mit ihrer Ausweitung
in Kauf, Marktblasen zu erzeugen. Die EZB
darf demnach nur Papiere börsennotierter
Unternehmen kaufen, deren Kurs damit
künstlich aufgebläht würde.
Auch an den Aktienmärkten war die Euphorie über die deutliche Lockerung
schnell wieder verflogen. Nachdem die
Kurse im Leitindex Dax zuerst kräftig zugelegt hatten, schloss der Dax zum Handelsende mit 2,3 Prozent im Minus.
– Banken halten Entscheidung für unnötig SEITE 9
Viele Kinder in der
„falschen“ Schulart
In Stuttgart ignorieren besonders viele Eltern bei der Wahl der weiterführenden
Schule die Empfehlung der Grundschule.
Dies belegen aktuelle Zahlen des Statistischen Landesamts. Demnach haben in den
Realschulen der Landeshauptstadt 38,5
Prozent der derzeitigen Fünftklässler eine
Hauptschulempfehlung, während es im
Landesdurchschnitt nur 24 Prozent sind.
Auch an den Stuttgarter Gymnasien liegt
der Anteil der Kinder ohne Gymnasialempfehlung mit 15 Prozent über dem Landesdurchschnitt. Dieses Übertrittsverhalten
hat massive Folgen für das Niveau und die
Gestaltung des Unterrichts. Vor allem
Realschullehrer sind gefordert.
ja
– Bericht und Kommentar SEITE 19
Luff
Kleiner Schönheitsfehler
Tierische Attacken
wieder kriminell gesteuerte Firmen die Aufträge
o beginnt ein Thriller: schräges, fahles
Rom Die Stadt wird
erhalten. Ferner klagt die Bürgermeisterin der InMorgenlicht; die Frau öffnet ihr Kartender Ratten- und
häuschen – und sieht Blut auf dem Tisch. Möwenplage nicht mehr nenstadt, Sabrina Alfonsi: „An der Engelsburg dürfen wir nicht in die Gräben und die Kanäle hinab,
Ein Schrei gellt. Die Polizei kommt. Dann gehen
Herr. Von Paul Kreiner
wo die Ratten wohnen. Das erlaubt uns die Denksie die Leiche suchen. Dutzende Touristen
malschutzbehörde nicht. Und wer die Tiere nur an
schauen entsetzt zu. Und sie werden fündig:
Unter dem Metalldach des Kiosks vor dem Forum Romanum der Oberfläche bekämpfen kann, kommt nicht weit.“
Aber die Ratten sind nicht das einzige Problem der italienihat sich eine Ratte verfangen. In der Nacht ist sie verblutet.
Der Vorfall, passiert vor einer Woche, hat wieder mal ans schen Hauptstadt! Aufs Vierfache vermehrt haben sich auch die
Licht befördert, welches Problem die Stadt Rom mit ihrer riesigen Möwen, die ebenfalls im Biomüll reiche Nahrung finUnterwelt hat, nicht nur mit der zweibeinigen. Ratten sind all- den, Säcke zerreißen, den Inhalt großflächig über die Straßen
gegenwärtig; zwischen den Baudenkmälern und den Touristen verteilen – und sich mittlerweile, mitten unter den Gästen, auch
huschen sie auch tagsüber unerschrocken umher. Der milde an den Tischen von Freiluftcafés ungeniert bedienen. WiderWinter, sagen Fachleute, habe ihnen geholfen zu überleben. stand sei zwecklos, mahnt Fulvio Fraticelli vom römischen Zoo:
Nicht nur das: sie haben sich massiv vermehrt. Grund dafür ist „Die haben sehr starke Schnäbel und gut gespitzte Krallen.“
das überreiche Nahrungsangebot, vor allem der Biomüll, der oft Und was nun? Für den Rattenkrieg hat die Stadt kürzlich 1,25
tagelang nicht abgeholt wird und rund um die Container frei zu- Millionen Euro frei gemacht. Gegen die Möwen ist sie machtlos.
gänglich auf der Straße liegt. Zudem ruht seit Oktober die Rat- Und deren Saison beginnt erst: Sie bauen Nester auf den flachen
tenbekämpfung: aus Finanzgründen und weil Rom – nach dem Dächern der Palazzi und kreischen ohrenbetäubend dazu. AnAuffliegen der „Hauptstadtmafia“ – sichergehen will, dass nicht gesichts der Jahreszeit sind das wohl Liebesgesänge.
S
Wetter SEITE 18
ie Europäische Zentralbank (EZB)
setzt ihren riskanten Kurs in der
Geldpolitik ganz offensichtlich unbeirrt fort. Mit einem weiteren Maßnahmenpaket wollen die Währungshüter die
schwache Konjunktur ankurbeln, die
Unternehmen zu Investitionen anregen
und damit ihr eigentliches Ziel, eine Erhöhung der Preise, erreichen. Die Risiken und
Nebenwirkungen dieser extrem lockeren
Geldpolitik nehmen EZB-Präsident Mario
Draghi und seine Kollegen dabei offenbar
bewusst in Kauf. Zumindest hat eine „überragende Mehrheit“ den Beschlüssen zugestimmt, wie Draghi sagte.
Dennoch muss man skeptisch sein, dass
diese erneute Geldspritze wirklich positive
Wirkung zeitigen wird. Schon seit dem
Ausbruch der Finanzkrise 2008 befindet
sich die EZB (wie andere Notenbanken
auch) im Krisenmodus. Sie hat die Finanzmärkte mit ungewöhnlich viel Geld geflutet, die Zinsen schrittweise immer weiter
gesenkt und ist jetzt bei null angekommen.
Und selbst die Strafzinsen, die Banken bezahlen müssen, wenn sie ihr Geld bei der
Notenbank parken und nicht an Unternehmen oder Privatpersonen verleihen, haben
nicht die erwünschte Wirkung erzielt.
Ob deshalb jetzt mehr auch mehr bewirkt, darf bezweifelt werden. Dabei betonen selbst die Währungshüter, dass sie keine Gefahr einer Deflation sehen, einer gefährlichen Abwärtsspirale aus sinkenden
Preisen, Kaufzurückhaltung und Investitionsstau. Aber sie schreiben sich auf die
Fahnen, dass sie mit ihrer lockeren Geldpolitik dafür gesorgt haben, dass sich die
Wirtschaft in der Eurozone wieder erholt
hat, dass die Arbeitslosigkeit zurückgegangen ist. Jetzt müssten nur noch in einigen
Ländern die notwendigen Strukturreformen greifen, dann könnte man wieder zurück zur Normalität gehen – meint Draghi.
Gerade durch die lockere Geldpolitik aber
bremst die EZB die Reformanstrengungen
in manchen Ländern. Den Krisenländern
kommen die Niedrigzinsen zwar gerade
recht, in reicheren und wirtschaftlich stabileren Staaten wie Deutschland aber sind
sie ein Problem.
Allenfalls Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble kann sich freuen, weil für
ihn die Kapitalaufnahme noch billiger
wird. Schon lange müssen sich dagegen
Sparer Sorgen um ihre Altersvorsorge machen, weil sichere Anlagen keine Renditen
mehr abwerfen. Wegen der niedrigen
Preissteigerung ist der reale Verlust etwas
abgemildert, aber dennoch müssen immer
mehr Menschen überlegen, ob sie bei ihrer
Geldanlage nicht doch höhere Risiken eingehen sollten. Die Gefahr, dass die Kreditinstitute früher oder später auch von privaten Kunden „Strafzinsen“ verlangen, ist
zwar gering, aber weil die Banken in diesem
Umfeld kaum noch Geld verdienen können, werden sie möglicherweise den einen
oder anderen Weg finden, um ihre Kunden
doch zur Kasse zu bitten.
Auch die Sparer, die angesichts der niedrigen Zinsen daran denken, sich eine Immobilie zu kaufen, sollten diesen Schritt
gründlich überlegen. Zum einen werden
die Zinsen zwar noch ein paar Jahre niedrig
bleiben, doch die Monatsrate sollte auch
dann zu bezahlen sein, wenn die Zinsen
wieder anziehen. Zum anderen wächst die
Gefahr, dass die Immobilienpreise so stark
steigen, dass eine Blase entsteht – die jederzeit platzen kann. Und auch auf anderen
Märkten, etwa an der Börse, besteht das Risiko, dass die Kurse nur steigen, weil Billionen von Euro auf dem Markt sind und eine
Anlage suchen.
Es ist nicht zu erwarten, dass die Banken
nun plötzlich ohne größere Prüfung Kredite vergeben, die meisten Unternehmen
brauchen auch gar keine, weil sie ohnehin
keine Investitionen planen. Die Geldspritze der EZB wird daher nicht da ankommen,
wo ihr Präsident Draghi sie haben möchte.
Man kann nur hoffen, dass der Kater nach
diesem Feuerwerk nicht zu stark ausfällt.
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