IKB-Kapitalmarkt-News – EZB: Was ist normale Geldpolitik? 9. Juni 2016 Dr. Klaus Bauknecht [email protected] Des einen Leid ist des anderen Freud. Die Finanzmärkte erwarten und hoffen auf eine Ausweitung der EZB-Geldpolitik, während vor allem deutsche Kommentatoren die EZB-Politik als kritisch und für Sparer gänzlich schädlich einschätzen. Immer wieder wird von der Ineffizienz der aktuellen Geldpolitik gesprochen. Die EZB steht nicht nur in der Kritik, eine falsche und sinnlose Geldpolitik zu betreiben, sondern sogar kontraproduktiv zu agieren. In diesem Rahmen wird auch immer wieder auf die Prinzipien der Bundesbank und deren Geldpolitik vor der Finanzkrise verwiesen. Doch ist die aktuelle Geldpolitik so viel anders? Noch braucht Europa eine Krisenpolitik, doch wirtschaftliche Prinzipien sollten nicht darunter leiden Volkswirte verweisen oftmals darauf, dass der aktuelle Zustand der Geldpolitik nicht haltbar ist. Kritische Beobachter befürchten eine Blasenbildung als Folge der exzessiven Aufkaufprogramme, andere Auguren erwarten, dass mit einer anhaltenden Konjunkturerholung die Zinsen steigen werden. Doch wie die USA zeigen, ist es ein beschwerlicher Weg, aus der Krisenpolitik der letzten Jahre nachhaltig auszusteigen. Es wird deutlich, dass die Geldpolitik sich schwer tut, eine nachhaltige Erholung bzw. steigende Inflationsraten sicherzustellen. Andererseits benötigt ein Kurswechsel in der Geldpolitik seine Zeit und die Fiskalpolitik ist ebenfalls gefordert (siehe IKB-Kapitalmarkt-News vom 17. März 2016). Draghi verwies in der jüngsten Pressekonferenz darauf, dass nicht die EZB für die niedrigen Zinsen verantwortlich sei, sondern die schwache Konjunktur. Doch so einfach mag es nicht sein. Geld- und Fiskalpolitik stehen in der Verantwortung, da sie die Konjunktur beeinflussen – im positiven wie auch im negativen Sinne. Nach der Theorie von Hayek verhindern die niedrigen Zinsen einen Anpassungs- und Reinigungsprozess, da durch das billige Geld alle Unternehmen am Leben gehalten werden, auch solche, die perspektivisch keine Wachstumsdynamik entfalten. Gemäß dieser Sicht muss die Notenbank die Zinsen anheben, um nachhaltig höhere Zinsen und Wachstum sicherzustellen sowie unrentable Unternehmen nicht künstlich am Leben zu halten. Die aktuelle Notenbankpolitik verschleppt demnach das Unausweichliche. Für die Keynesianer wird aktuell noch nicht genug getan, um den Konjunkturmotor nachhaltig zum Laufen zu bringen. Noch bleiben beide Seiten den Beweis schuldig, welche Theorie aktuell die bessere Lösung bietet. Das Argument, dass ein Reinigungsprozess in der momentanen Lage Wachstum schafft, ist fragwürdig. Ein Reinigungsprozess und damit steigende Insolvenzen schaffen kein Wachstum, vor allem nicht in Zeiten anhaltender Unsicherheit und Skepsis über die Nachhaltigkeit der Konjunkturdynamik. Hayek hat einen Idealzustand beschrieben, nicht aber Lösungsansätze für eine Krise, wie es Keynes getan hat. So haben zwar beide Theorien ihre Berechtigung, können aber nicht miteinander verglichen werden. Die eine Theorie beschäftigt sich mit Krisenpolitik, die andere formuliert prinzipielle Grundsätze der wirtschaftlichen Ordnung. Um eine effizientere Allokation und damit höheres Wachstum sicherzustellen, ist ein Reinigungsprozess zentraler Bestandteil struktureller Reformen und für die Steigerung des Potenzialwachstums nötig. Laut Keynes sind folglich in konjunkturellen Krisen nicht nur eine Konjunkturstimulierung erforderlich, sondern gleichzeitig auch Strukturreformen, um nachhaltige Konjunkturimpulse zu geben. Festzuhalten ist jedoch, dass in der Diskussion um die Angemessenheit der Geldpolitik nicht mit Prinzipien argumentiert werden sollte, wenn eine pragmatische Lösung benötigt wird. Doch vielleicht haben wir gar keine Krise. Oder wird die nächste Krise durch die Geldpolitik hervorgerufen? Der aktuelle Stand der Arbeitslosenquote in der Euro-Zone spricht durchaus für eine Strukturkrise, ebenso die Reformträgheit vieler Euro-Staaten. Benötigt wird eine engagierte Geld- und Fiskalpolitik unter der Voraussetzung, dass das Wachstumspotenzial durch Strukturreformen gestärkt wird. Dies wird von der EZB auch immer wieder betont. So ist es unangebracht, die Geldpolitik für ihre Zinspolitik zu kritisieren, wenn ausbleibende fiskalische Stimulierungsmaßnahmen und die Reformträgheit einiger EU-Staaten den Handlungsspielraum der Notenbank begrenzen. Was ist normale Geldpolitik? Die Geldpolitik der EZB wird von vielen Volkswirten als exzessiv und nicht nachhaltig beschrieben. Und sicherlich hat die EZB in den letzten Jahren viel Unkonventionelles angekündigt und realisiert, was in Finanz- und Euro-Krise auch durchaus angemessen war. Was das Zinsniveau angeht, mag die EZB allerdings um einiges weniger ungewöhnlich gehandelt haben, als vielfach unterstellt wird. Inwiefern unterscheidet sich die aktuelle Geldpolitik von der vor der Krise? Kapitalmarkt News Für die Bestimmung des Zinssatzes wird oftmals eine Taylor-Regel verwendet. Sie bestimmt das optimale oder „korrekte“ Zinsniveau der Notenbank auf Grundlage von Wachstum und Inflation bzw. deren Abweichungen von der gewünschten Zielgröße. Die Zielgröße für die Inflation in der Euro-Zone ist bekannt – sie liegt bei 2 %. Bei der Definition des Wachstumsziels wird das Potenzialwachstum referenziert, das in der Euro-Zone in den letzten Jahren sicherlich gesunken ist. Liegt das reale Wachstum über diesem Potenzial, ist das ein Hinweis auf Inflationsdruck und führt zu einem höheren optimalen Zinsniveau. Liegt das Wachstum darunter, so sind niedrigere Zinsen angebracht, um die Wirtschaft zu stützen. Die Gewichtung von Wachstum und Inflation durch die Notenbank kann vom Mandat der Notenbank abgeleitet oder durch relevante Daten geschätzt werden. Im Folgenden geht es weniger um eine erneute Schätzung einer Taylor-Regel als um die Frage, ob die bis vor der Finanzkrise gültige Taylor-Regel immer noch gilt. Anders formuliert: Welcher Zinssatz wäre aktuell bei einer fortgeführten „traditionellen“ Geldpolitik der richtige? Deutet die damals geschätzte Taylor-Regel auf ein Leitzinsniveau, welches sich nicht viel vom aktuellen unterscheidet, so hat sich die Zinspolitik nicht grundsätzlich geändert, nur die Umstände bzw. ihre Treiber sind andere. Da Zinsen nicht deutlich unter 0 % gehen können, solch eine Notwendigkeit aufgrund der Taylor-Regel aber durchaus gegeben sein könnte, kann auch die Durchführung von Aufkaufprogrammen bzw. anderen, die Geldpolitik ausweitenden Maßnahmen durch die Analyse einer Taylor-Regel gerechtfertigt werden. Ist das aktuelle Leitzinsniveau auf Basis einer Vorkrisen-Taylor-Regel nachvollziehbar, so würde dies dafür sprechen, dass es nicht die “exzessive“ EZB-Politik ist, die geändert werden sollte, sondern dass vielmehr insbesondere zusätzliche fiskalische Maßnahmen erforderlich sind, um die Konjunktur zu stimulieren. Abb. 1: Berechneter Zinssatz nach Taylor-Regel und EZB-Leitzins 6.0 5.0 Prognose 4.0 3.0 2.0 1.0 0.0 -1.0 -2.0 -3.0 -4.0 2000 2002 2004 2006 Leitzins 2008 2010 2012 2014 2016 Zinssatz gemäß Taylor-Regel Quellen: EZB; IKB-Berechnung Abb. 1 zeigt zum einen den realen Leitzins der EZB und zum anderen den berechneten Leitzins, der auf einer Taylor-Regel basiert, die vor der Finanzkrise geschätzt wurde. Während der Finanzkrise hätte der Leitzins deutlich niedriger sein sollen als es der Fall war. So gab es bereits 2010 gute Gründe für ein Aufkaufprogramm. Mit der schnellen Erholung der Euro-Zone in 2010 ist allerdings der laut Taylor-Regel „korrekte“ Leitzins deutlich angestiegen. Auch hat die EZB in 2011 den Leitzins leicht angehoben, was sich allerdings im Nachhinein als falsch herausgestellt hat. Denn seit 2011 sank der „korrekte“ Zinssatz aufgrund der Konjunktur- und Inflationsentwicklung kontinuierlich auf unter 0 % in 2014. So hat die EZB zwar zwischen 2010 und 2015 den Zins nicht erhöht, als der eigentliche Leitzins deutlich unter dem nach der Taylor-Regel berechneten lag, doch hat sich der reale Zinsverlauf im Nachhinein als richtig erwiesen. Dies ist anhand der eingetretenen Entwicklungen und am Verlauf des „korrekten“ Zinssatzes zu erkennen. Seit Mitte 2014 ist der nach der Taylor-Regel berechnete Zinssatz nun schon negativ. Da das Risiko aufgrund der Erfahrungen der letzten Jahre nach unten gerichtet ist, waren seit dieser Zeit zusätzliche Maßnahmen wie das Aufkaufprogramm durchaus angebracht – selbst nach dem Maßstab der Geldpolitik vor der Finanz- und Euro-Krise. Würde die reale Wachstums- und Inflationsentwicklung den Prognosen nach Jahren der Enttäuschung entsprechen, wäre eine Rückführung des Aufkaufprogramms in 2017 durchaus angebracht. Doch erst müssen sich die Prognosen bewahrheiten bzw. sollte ein ausgeglichenes Risikoprofil zu erwarten sein und eine nachhaltige Erholung einsetzen. Notenbanken müssen vorausschauend agieren, um als Anker der Stabilität dienen zu können. Ein Vergleich zwischen realem und „korrektem“ Leitzins zeigt sehr wohl, dass die EZB ihr grundsätzliches Handeln nicht verändert hat und den Fokus weiterhin auf Kapitalmarkt News wirtschaftliche Stabilität legt. Eine große Herausforderung bleibt im aktuellen Umfeld jedoch die korrekte Einschätzung der volkswirtschaftlichen Entwicklung. Zwar wird bei zunehmender Inflation bis Ende 2016 und mit der erwarteten Konjunkturerholung auch der Taylor-Zinssatz wieder steigen, doch noch handelt es sich um Prognosen und das Risiko ist weiter nach unten gerichtet. Auch wird es noch Jahre dauern, bis der auf den aktuellen Inflations-, wie auch Wachstumsprognosen basierende Taylor-Zinssatz soweit zugenommen hat, dass die EZB in der Tat den Raum für eine nachhaltige Zinsanhebung haben sollte. Und wie oben beschrieben, ist es nicht die Zinspolitik, die die Erholung bremst oder verhindert, sondern die passive Fiskalpolitik in den Staaten der Euro-Zone. So ist die aktuelle Geldpolitik angemessen. Fazit: Die EZB steht in der Kritik, eine unkonventionelle und destabilisierende Geldpolitik zu betreiben, die konjunkturelle Blasen hervorruft und den deutschen Sparer unnötig belastet. Doch die aktuelle geldpolitische Ausrichtung der EZB hat sich hinsichtlich Inflation und Wachstum seit der Finanzkrise nicht wesentlich geändert, wie die Anwendung einer Taylor-Regel beweist. Es sind die makroökonomischen Umstände und vor allem das Prognoserisiko, die sich verändert haben und die sich nur langsam verbessern und somit eine anhaltende Niedrigzinsphase erfordern. Steigende Zinsen, die einen Konsolidierungsprozess in der Wirtschaft vorantreiben und dadurch Wachstumsdynamik generieren sollen, sind aktuell keine Lösung. Die historisch niedrigen Zinsen sind das Ergebnis und nicht die Ursache für das schwierige konjunkturelle Umfeld. Sie resultieren aus verschiedenen Krisen, hohen Schuldenquoten, einer restriktiven und reformträgen Fiskalpolitik sowie einer dadurch in ihrer Effektivität gebremsten Geldpolitik, die die Niedrigzinsphase verlängert. Die aktuellen Wachstums- und Inflationsprognosen sollten sich im Gegensatz zu den letzten Jahren als belastbar erweisen und nicht nur eine Hoffnung auf Besserung darstellen. Dann wäre auch eine Rückführung des Aufkaufprogramms im Jahr 2017 zu erwarten. Auf Basis aktueller Wirtschaftsdaten stehen die Chancen nicht schlecht. Ein Verbleib Großbritanniens in der EU würde sicherlich ebenfalls helfen. Kapitalmarkt News Disclaimer: Diese Unterlage und die darin enthaltenen Informationen begründen weder einen Vertrag noch irgendeine Verpflichtung und sind von der IKB Deutsche Industriebank AG ausschließlich für (potenzielle) Kunden mit Sitz und Aufenthaltsort in Deutschland bestimmt, die auf Grund ihres Berufes/ Aufgabenstellung mit Finanzinstrumenten vertraut sind und über gewisse Erfahrungen, Kenntnisse und Sachverstand verfügen, um unter Berücksichtigung der Informationen der IKB Deutsche Industriebank AG ihre Anlage- und Wertpapier(neben)dienstleistungsentscheidungen zu treffen und die damit verbundenen Risiken unter Berücksichtigung der Hinweise der IKB Deutsche Industriebank AG angemessen beurteilen zu können. Außerhalb Deutschlands ist eine Verbreitung untersagt und kann gesetzlich eingeschränkt oder verboten sein. 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