IRSG Lektion II

Interna'onale Rechtshilfe in Strafsachen Frühjahrssemester 2016 PD Dr. Stefan Heimgartner Lek'on Semesterübersicht I. 22.2.16 Einführung, Begriffe, Eins?egsfall II. 29.2.16 Grundlagen: Rechtsquellen, Abgrenzung, Methodik, Kollisionsregeln, Güns'gkeitsprinzip III. 7.3.16 Auslieferung, Arten, materielles Auslieferungsrecht IV. 14.3.16 Auslieferungsverfahren, Exkurs: Europäischer HaObefehl V. 21.3.16 Kleine Rechtshilfe, Übersicht Verfahren, Einvernahmen VI. 4.4.16 Kleine Rechtshilfe, Herausgabe von Objekten, Exkurs: Europäische Beweisanordnung VII. 11.4.16 Stellvertretende Strafrechtspflege: Strafverfolgung, Strafvollstreckung. VIII. 18.4.16 Rechtshilfeausschluss wegen Deliktsart: Poli?sche/ Fiskaldelilkte IX. 25.4.16 Maximen der Rechtshilfe: Menschenrechtsschutz, Verhältnismässigkeit, Gegensei?gkeitsprinzip X. 9.5.16 Maximen der Rechtshilfe: Prinzip der beidsei?gen Stra_arkeit, Prozessuale Rechtshilfehindernisse: Ne bis in idem, Spezialitätsprinzip XI. 23.5.16 Kleines Rechtshilfeverfahren, Rechtsmiaelverfahren XII. 30.5.16 Besondere Verfahren: Sharingverfahren, spontane Rechtshilfeverfahren Einordung interna?onale Rechtshilfe in Strafsachen
Abgrenzung Rechtshilfe/Polizeihilfe Rechtshilfe im weiteren Sinne
• Rechtshilfe i.e.S.: Unterstützung einer ausländischen
Behörde im Strafverfahren gestützt auf
IRSG oder Staatsverträge
• Polizeihilfe: Grenzüberschreitende Zusammenarbeit der
Polizeiorgane gestützt auf Art. 350 ff. StGB
sowie Art. 35 Abs. 2 IRSV
Einordung interna?onale Rechtshilfe in Strafsachen
Abgrenzung Rechtshilfe/Amtshilfe Amtshilfe
• Hilfeleistung gegenüber einer ausländischen
Verwaltungsbehörde in Verwaltungsangelegenheiten
•  Abgrenzung nach finalem Kriterium (Strafzweck) nicht
entscheidend. Im Bereich der Amtshilfe dürfen nach
herkömmlicher Auffassung keine Zwangsmassnahmen
durchgeführt werden (anders bei Steueramtshilfe).
Einordung interna?onale Rechtshilfe in Strafsachen
Abgrenzung Rechtshilfe/Polizeilicher Austausch* Rechtshilfe
Polizeilicher Austausch
Auslieferungen Polizeilicher Informationsaustausch
vorhandener, nicht durch
Geheimnisse geschützter
Informationen, die nicht mittels
Zwangsmassnahmen erlangt
wurden.
Vornahme von Prozesshandlungen
(Zustellungen, Beweiserhebung für ein
Strafverfahren in einem andern Staat)
Vornahme von Zwangsmassnahmen
Förmliche Einvernahmen
Zwangsweise Beschaffung von
Personendaten (Fingerabdrücke, DNA)
Herausgabe von Strafurteilen
*Quelle: http://www.rhf.admin.ch/rhf/de/home/straf/
wegleitungen.html
Polizeiliche Befragungen
Herausgabe verfügbarer
Personendaten (Fingerabdrücke,
DNA)
Herausgabe von nicht besonders
geschützten Telekomm-Randdaten
(IP-Adressen)
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Grenzbereiche zwischen Rechts-­‐ und Amtshilfe • Amtshilfe aufgrund des Geldwäschereigesetzes
• Amtshilfe zur Bekämpfung krimineller Organisationen
• Amtshilfe im Interesse der Finanzmarktaufsicht
• Amtshilfe im Zollbereich
• Amtshilfe in Steuersachen
•  Polizeilicher Informationsaustauch
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Grundlagen: Rechtsquellen Verhältnis der internationalen
und nationalen Rechtsquellen
Bilaterale Verträge
Multilaterale Verträge
IRSG
In Rechtshilfesachen mit dem
Vertragspartner gehen diese
Regelungen dem IRSG vor oder
ergänzen dieses bzw. die multilateralen
Verträge
In Rechtshilfesachen mit
Mitgliedstaaten gehen diese
Regelungen dem IRSG vor oder
ergänzen diese
Gilt für die gesamte Rechtshilfe in
Strafsachen soweit in multilateralen
oder bilateralen Verträgen
nichts Spezifischeres geregelt wird
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Wich'gste Rechtsquellen des Rechtshilferechts • IRSG: Bundesgesetz über internationale Rechtshilfe in
Strafsachen (SR 351.1)
• EÜR: Europäisches Übereinkommen über die Rechtshilfe
in Strafsachen (SR 0.351.1)
• EAÜ: Europäisches Auslieferungsübereinkommen
(SR 0.353.1)
•  SDÜ: Schengener Durchführungsübereinkommen
(nicht in der SR;
http://www.rhf.admin.ch/rhf/de/ home/straf/recht/
multilateral/sdue.html (vgl. zum Schengen acquis SR
0.362)
•  Zahlreiche bilaterale Übereinkommen (Rechtshilfe/
Auslieferung):http://www.admin.ch/ch/d/sr/0.35.html; teilweise
ergänzende Übereinkommen zu Konventionen
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Interna'onale Rechtsquellen Einordung interna?onale Rechtshilfe in Strafsachen
Wich'gste Rechtsquellen des Rechtshilferechts Konventionen zur Bekämpfung bestimmter Delikte
wie etwa:
•  GWÜ:
Europäisches Übereinkommen über
Geldwäscherei sowie Ermittlung, Beschlagnahme
und Einziehung von Erträgen aus Straftaten
•  Cybercrime Convention (CCC):
Europaratsübereinkommen zur Bekämpfung der
Cyberkriminalität (auch für nichteuropäische Staaten
offen)
•  Internationales Übereinkommen gegen
Geiselnahme: UNO-Übereinkommen zur
internationalen Bekämpfung von Geiselnahmen
Je nach Ausgestaltung self executing oder
Verpflichtung zur gesetzlichen Umsetzung im
nationalen Recht
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Konven'onen zur Bekämpfung bes'mmter Delikte • Definition der zu bekämpfenden Straftaten
• Verpflichtung
zur Kriminalisierung
• Verpflichtung zur Ausgestaltung als
rechtshilfefähige Delikte
• Verpflichtung zur Einführung prozessualer
Massnahmen
• Definition der Jurisdiktion
• Grundsatz „aut dedere aut iudicare“
•  tw. konkrete Regelung der Voraussetzung &
Ausgestaltung der Abläufe
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Self Execu'ng Art. 27 GWÜ: Jedes Ersuchen um Zusammenarbeit
nach diesem
Kapitel muss folgende Angaben
enthalten: die Vermögenswerte, bezüglich deren die
Zusammenarbeit erbeten wird, den Ort, an dem sie
sich befinden, ihre Verbindung zu der oder den
betroffenen Personen, den Zusammenhang mit der
Straftat sowie alle verfügbaren Informationen über
die Interessen Dritter an diesen Vermögenswerten;
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Non Self Execu'ng Art. 17 CCC: Jede Vertragspartei trifft in Bezug auf Verkehrsdaten
die erforderlichen
gesetzgeberischen Massnahmen, dass
Verkehrsdaten in einem solchen Umfang umgehend an die
zuständige Behörde der Vertragspartei weitergegeben werden, dass
die Vertragspartei die Diensteanbieter und den Weg feststellen
kann, auf dem die Kommunikation übermittelt wurde.
Art. 18b IRSG: Die mit einem Ersuchen um Rechtshilfe befasste
Behörde des Bundes oder des Kantons kann die Übermittlung
elektronischer Verkehrsdaten an das Ausland vor Abschluss des
Rechtshilfeverfahrens anordnen, wenn:
a.
die vorläufigen Massnahmen zeigen, dass sich der Ursprung der
Kommunikation, die Gegenstand des Ersuchens ist, im Ausland
befindet;
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Ordre Public Interna'onale Zwingende Normen des Völkerrechts mit erga omnes
Wirkung: •  Verfolgung des Genozids
•  Verbot der Kollektivstrafe
•  Grundsatz der persönlichen strafrechtlichen Verantwortung
•  Verbot der willkürliche Aburteilung
•  Verbot der Folter
Nicht: Verbot der Todesstrafe
Folgen hinsichtlich der Leistung von Rechtshilfe:
• Leistung der Rechtshilfe nur, soweit keine konkrete
Verletzung von zwingendem Völkerrecht droht.
• Verweigerung von Rechtshilfe trotz vertraglicher
Rechtshilfepflicht bzw. Leistung von Rechtshilfe unter
Auflagen
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Weitere relevante Quellen Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK); SR
0.101
Internationaler Pakt über bürgerliche und politische
Rechte (IPBPR); SR 0.103.2
•  Anwendung im vertragslosen Rechtshilfeverkehr gestützt auf
Art. 2 lit. a IRSG
•  Anwendung im Verhältnis zu Vertragsstaaten der
Konventionen
•  Drittwirkung in Bezug auf konkret drohende Verletzung
gewisser Schutzrechte (etwa Art. 2, 3 und 8 EMRK)
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Kollisionsregeln • ius cogens geht als ordre public interna?onal stets vor • „lex posterior …“ gilt grundsätzlich auf gleicher Ebene und zwischen jüngerem Staatsvertrag und älteren Gesetzen • Schubert Praxis vs. pacta sunt servanda • Güns?gkeitsprinzip • Bes?mmte EMRK-­‐Individualrechte gelten uneingeschränkt (sog. Driawirkung) Besteht ein anwendbarer Staatsvertrag? Nein Ja Ist gestützt auf das IRSG Rechtshilfe zu leisten? Nein Besteht gestützt darauf in casu Rechtshilfepflicht? Ja Ja Nein Nein Ist die Leistung von Rechtshilfe mit dem „ordre public interna?onal“ konform? Keine Leistung von Rechtshilfe Leistung der Rechtshilfe Ja Güns?gkeitsprinzip? Armenien ersucht die Schweiz um Rechtshilfe
(Herausgabe von Bankunterlagen) wegen eines
Steuerbetrugs, der im Jahr 1998 begangen wurde.
Art. 2 lit. a EÜR: Keine Rechtshilfepflicht für die
Verfolgung von Fiskaldelikten.
Art. 3 Abs. 3 lit. a IRSG: Leistung von kleiner
Rechtshilfe für Steuerbetrug.
Verjährung: EÜR: keine Regelung; Art. 5 Abs. 1 lit.
c IRSG: Keine Leistung von Rechtshilfe mit
Zwangsmassnahmen bei Verjährung.
Fall (vgl. BGer, 1A.181/2001) Die USA ersuchen die Schweiz um die
Auslieferung von C, der im Jahr 2000 an einen
verdeckten Ermittler 20 g. Crack verkauft haben
soll.
C bringt vor, die betreffende Tat sei nach USamerikanischem Recht bereits verjährt.
Verjährung gemäss AVUS Art.
5 Verjährung
Die Auslieferung wird nicht bewilligt, wenn die
Verfolgung oder der Vollzug der Strafe oder
Massnahme durch Verjährung gemäss dem Recht
des ersuchenden Staates ausgeschlossen ist.
Verjährung gemäss IRSG Art. 5 Erlöschen des Strafanspruchs
Einem Ersuchen wird nicht entsprochen, wenn
seine Ausführung Zwangsmassnahmen erfordert
und die Strafverfolgung oder die Vollstreckung
nach schweizerischem Recht wegen absoluter
Verjährung ausgeschlossen wäre.
Rechtsquellen: anwendbares Prozessrecht 1.  Ausnahmsweise enthalten anwendbare
Staatsverträge einschlägige Bestimmungen
2. IRSG kommt (ergänzend) zur Anwendung
3. Art. 12 IRSG: StPO bzw. VStrR sind
massgebend für strafprozessuale Prozesshandlungen; VwVG kommt analog für übrige
Verfahrenshandlungen zur Anwendung.
Rechtsquellen: anwendbares Prozessrecht Art. 12 IRSG Prozesshandlungen StPO VStrR (übriges) Verwaltungsverfahren Kantonales Verfahrensrecht VwVG Fall Grossbritannien verlangt für ein Strafverfahren
eine sog. Eidesstattliche Erklärung eines
Zeugen.
Kann diesem Ansinnen (gestützt auf welche
Rechtsgrundlage) nachgekommen werden?
Anwendbare Bes'mmung Art. 3 Ziff. 2 EÜR
Wünscht der ersuchende Staat, dass die
Zeugen oder Sachverständigen unter Eid
aussagen, so hat er ausdrücklich darum
zu ersuchen; der ersuchte Staat hat
diesem Ersuchen stattzugeben, sofern
sein Recht dem nicht entgegensteht.
Vgl. dazu Art. 65 IRSG
Anwendbare Bes'mmung nach CH-­‐Recht Art. 27 IRSV Aussagebekräftigung
Ein Eid ist mit dem schweizerischen
Recht unvereinbar, wenn das Gesetz es
der Wahl des Zeugen oder
Sachverständigen anheim stellt, seine
Aussage durch Eid oder durch
Handgelübde zu bekräftigen, und er
einen Eid ablehnt.
Formelles Vorgehen: Zuständigkeit 1. Staatsvertragliche Regelung?
– Multilaterale Verträge;
• Erklärungen (vgl. schw. Erkl. zu Art. 15
EÜR: www.elorge.admin.ch)
– Bilaterale Verträge
• vgl. Art. 28 RVUS: Zuständigkeit des BJ als
Zentralstelle
• ZV zum EÜR mit D, A, I, F; Art. 4 2. ZP
zum EÜR; Art. 53 SDÜ: direkter Verkehr
2. Subsidiär: Zuständigkeit ergibt sich aus dem
IRSG bzw. ausländischem Rechtshilfegesetz
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Formelles Vorgehen: Zuständigkeit http://www.elorge.admin.ch/elorge/d/
Einordung interna?onale Rechtshilfe in Strafsachen
Formelles Vorgehen: Zuständigkeit Zuständigkeit zur Anordnung akzessorischer Rechtshilfemassnahmen Vertraglicher Verkehr IRSG (Beispiele) RV-­‐US BJ
SDÜ direkter Verkehr EÜR kt. StA/BA nach IRSG Über BJ (summarische Prüfung) kt. StA ev. Leitkanton BA/andere Bundesbehörde Einordung interna?onale Rechtshilfe in Strafsachen
Inhalt des IRSG Allgemeine Bestimmungen
• Erster Teil:
• Zweiter Teil: Auslieferung
• Dritter Teil: Andere Rechtshilfe
• Vierter Teil: Stellvertretende Strafverfolgung
• Fünfter Teil: Vollstreckung von Strafentscheiden
• Sechster Teil: Schlussbestimmungen
• Rechtshilfeverordnung (IRSV, SR 351.11)