golderner herbst - Patrick Fonjallaz

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45 Grad steil
stürzen sich die
rebhänge bei
Chexbres VD dem
Genfersee zu.
GOLDERNER HERBST
IM LAVAUX
Die Terrassen am Genfersee gehören zu den eindrücklichsten
Landschaften, die der Mensch auf der Welt je gebaut hat.
Ein Spaziergang durch die Harmonie aus Stein und Reben.
Text Peter P. Schneider
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Schweizer Familie 39/2009
Fotos Max Schmid, Peter P. Schneider
Schweizer Familie 39/2009
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Reisen
Der Lausanner
Flaneur Pierre
Corajoud (l.)
führt Wanderer
durch die
Weinberge.
Die Ernte ist streng − aber auch ein Fest für die Winzer und ihre fleissigen Helfer.
N
ach dem Dunkel des Eisenbahntunnels bei Puidoux-Chexbres
zeigt sich plötzlich ein überwältigendes Bild, so, als würde ein Gott
selbst dem Reisenden diese riesige Kulisse
darbieten: die Weinterrassen des Lavaux,
seit 2007 Unesco-Welterbe. Rot-braungrün schillern die Reben im Herbst, tiefblau harrt der Genfersee, an dessen Ufern
sich die Farben sprühende Woge der abfallenden Landschaft bricht. Die «Schweizer
Riviera» empfängt die Besucher mit einem
unvergesslichen Anblick. Das Lavaux ist
nicht einfach pure Natur, sondern ein ge-
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Schweizer Familie 39/2009
waltiges Bauwerk, eine Komposition aus
Nagelfluh und Mörtel. 10 000 Terrassen
werden von 500 Kilometern Mauern gestützt, die immer wieder in den natürlich
vorhandenen Fels übergehen. Auf den Terrassen wachsen die Rebstöcke. Die Winzer
erreichen sie über schmale, in die Mauern
eingelassene Treppen. Es waren Zister­
ziensermönche, die im 12. Jahrhundert
begannen, die natürlichen Stufen zu befes­
tigen, die der sich zurückziehende Rhonegletscher nach der letzten Eiszeit hinterlassen hatte. Die Mönche setzten Reben in die
Südhänge und bauten Höfe, die später in
stattliche Herrenhäuser umgewandelt wurden. Die fleissigen Mönche erstellten auch
markante Wehrtürme, hinter deren dicken
Mauern sie sich verbargen, sobald sie sich
bedroht sahen.
Ein riesiges Gemälde
So wuchs über die Jahrhunderte ein Ineinander von Terrassen, Gemäuer, Strassen
und Gebäuden, ein Terrain aus zugleich
harten wie bezaubernden Gegensätzen
zwischen Steinen und Pflanzen. Von Menschen entworfene Formen treffen auf die
Natur. Die Weinbauern sorgen dafür, dass
Architektur, Landschaft und Reben des
Lavaux auf 900 Hektaren ein harmonisches Gefüge bilden. Dabei bedienen sie
sich auch der speziellen Leistungen der
Natur: So etwa, indem sie neben den
Weinstöcken eine einzelne Rose wachsen
lassen. Denn diese ist empfindlicher als
die Rebe und zeigt seit alters den Winzern
als erste Pflanze Krankheiten an, die auch
die Reben befallen könnten. Von ferne
wirken die Rebhänge wie ein riesiges, klar
strukturiertes, abstraktes Gemälde. Nicht
von ungefähr standen sie schon Legionen
von Malern Modell. Im Lichte der drama-
Die Weinberge im Lavaux
sind eine gewaltige
komposition aus
Nagelfluh und Mörtel.
tischen Wetterwechsel im Herbst verändert sich dieses Bild dauernd. Dunkle
Wolken schieben sich ineinander. Schwärme von Zugvögeln kurven im Tiefflug
über die Reben. Flatternde weisse Bänder
und grüne Netze halten sie ab, über die
Trauben herzufallen, die dieser Tage geerntet werden.
Und plötzlich reissen die Winde Löcher ins Gewölk. Die Sonne schickt ein
paar Strahlen vom Himmel, die wie
Scheinwerfer in den See leuchten und die
Blätter der Reben zum Leuchten bringen.
Unterhalb des Dorfes Chexbres ist das
Spektakel besonders faszinierend. So steil
wie hier sind die Rebhänge nirgends. Im
Winkel von 45 Grad fallen sie zum See hin
ab, wo der Sturmwind die Wellen vor sich
her peitscht. Schemenhaft ragen am ge- 
Schweizer Familie 39/2009
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Eingang zum
öffentlichen
Weinkeller in
Epesses.
«Das Lavaux wird von Drei
Sonnen beschienen:
Der am Himmel, ihrer Reflektion
im Wasser und den
aufgeheizten Mauern.»
Pierre Corajoud, Flaneur
Die Hänge sind steil, die Trauben schwer:
Monorails erleichtern die Arbeit.
genüberliegenden Ufer die Savoyer Berge
auf, gegen Genf hin verliert sich der See
im Ungefähren. Klart der Himmel auf,
präsentieren die Rebhänge sich wie die
lieblichsten Flecken Erde.
Ernte auf Schienen
José Feuz aus Bex hat aber keine Zeit, ins
Blau des Himmels zu gucken. Er kontrolliert die Monorails, die auf einer einzelnen
Schiene fahrenden Züge zum Transport
der Trauben. 200 solcher Bahnen ziehen
in eleganten Kurven durch die Rebberge
und enden an den Strassen, wo die Ernte
verladen wird. José Feuz ist guter Dinge:
Die Monorails sind in Schuss, die Winzer
werden die Trauben bei der Ernte nicht
selbst durch die Steilhänge schleppen
müssen. Und auch das Wetter verspricht
einen erfolgreichen Jahrgang: «Die kühle
Corajoud ist der denkbar beste Führer für
einen Spaziergang im Lavaux. Der Lau­
sanner ist der berühmteste Flaneur der
Westschweiz und hat genau die richtige
Gangart für die Rebberge. Nicht zügig
durchwandert er in den 14 Gemeinden
Geometrie in der Natur: Die Rebstöcke in den
Weinbergen bilden faszinierende Muster.
des Lavaux die bekannten Weinbaugebiete
wie Epesses, Dézaley und Saint-Saphorin.
Nein, Pierre Corajoud schlendert und
spürt die Kostbarkeiten am Wegrand auf.
Er erklärt die faszinierende Kunstlandschaft, weist auf die Geologie, auf Tiere
und Pflanzen hin: Er kennt hier alles, was
kreucht und fleucht. Das beschauliche
Flanieren hat der Geograf und Ethnologe
den Menschen am Genfersee zuerst auf
geführten Spaziergängen durch seine Heimatstadt Lausanne nahegebracht. Er hat 
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Bise ist perfekt – sie trocknet die Trauben», sagt José Feuz. Dem Spaziergängern
aber bleibt die Wärme sogar bei auffrischendem Nordwind gewogen. Der Fla-
neur Pierre Corajoud erklärt, wieso: «Das
Lavaux wird von drei Sonnen beschienen.
Der am Himmel, ihrer Reflektion im Wasser und den aufgeheizten Mauern.» Pierre
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Schweizer Familie 39/2009
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044 760 44 88
071 755 63 10
071 780 16 10
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056 631 09 03
031 305 00 00
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061 263 08 08
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032 652 52 02
041 910 57 70
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➽ Lavaux – Flanieren und degustieren
Terrain für Spaziergänger und Geniesser
Vor der Schönheit des
Lavaux werfen die
Deutschschweizer ihre
rEtoUrBiLLEttE aus
dem Zugfenster.
Der Genfersee verliert sich in der Unendlichkeit
des betörend schönen Herbstlichts.
Lauschiges Plätzchen für einen guten Tropfen: Der Gartenpavillon von Patrick Fonjallaz in Epesses.
Beschriebene Wanderung: Zug von Vevey nach
Chexbres, Abstieg nach
Rivaz, weiter nach Dézaley,
Epesses. Abstieg zum See
und mit Zug zurück oder
weiter nach Cully und
retour mit dem Zug oder
per Schiff. Dampfschiff Mai
bis Ende September. Dauer
2½ Std.
Weitere Routen:
■ Zug von Lausanne bis
Grandvaux, Abstieg nach
Riex, weiter nach Epesses,
Dézaley, Rivaz, St-Saphorin. Mit Zug ab Rivaz oder
St-Saphorin retour;
Dauer: ca. 2½ Std.
■ Rebberg-Weg Ouchy–
Chillon, Länge 33 km,
Dauer 8½ h
Übernachtung
und Essen:
Hotels Le Baron Tavernier,
Chexbres, 021 926 60 00
www.barontavernier.com
Auberge de l’Onde, StSaphorin, 021 925 49 00
www.aubergedelonde.ch
70
L A V A U X
Lavaux
VD
LAUSANNE
2km
Ziel
Cully
GENFERSEE
Auberge du Vigneron,
Epesses, 021 799 14 19
Epesses
Start
Chexbres
Rivaz
Vevey
der Gemeinden übers
Wochenende.
www.lavaux.ch
Flanieren mit Pierre
Corajoud: Der Autor leitet
auf Anfrage Gruppen-Spaziergänge; Anmeldung
über Waadtland Tourismus,
Tel. 021 613 26 26
Weinkeller:
Patrick Fonjallaz, Epesses,
Tel. 021 799 14 44
www.fonjallaz.info
Die Weinkeller der Winzer
sind in der Regel am
Samstagmorgen offen, jene
Literatur:
«Lavaux – Vignoble
en Terrasses»,
Editions Favre, 69 Fr.
«Genferseegebiet»,
B. Reiter und M. Wistuba,
Verlag. Michael Müller,
30.90 Fr.
Allgemeine Auskünfte:
Waadtland Tourismus,
Lausanne, 021 613 26 26
www.genferseegebiet.ch
ihnen gezeigt: Das Abenteuer, das Fremde
und das Neue liegt vor eurer Haustür. Ihr
müsst es nicht in weiter Ferne suchen. Ihr
findet es in der Stadt, in den Rebbergen,
in den Landschaften über dem See.
Im Lavaux empfiehlt Pierre Corajoud
den Spaziergang auf der geteerten Strasse
vom Dorf Rivaz durch die Rebberge von
Dézaley nach Epesses. Auf dieser klassischen Strecke trifft man auf alles, was
das Lavaux ausmacht: auf das harmonische Miteinander von Architektur und
Natur und auf die Menschen, die in den
Dörfern und in den Reben mit Hingabe
ihrer Arbeit nachgehen.
nahen See. Nach Fisch und Wein spazieren
sie beglückt nach Cully. An der Seepromenade spielen Männer Boule, eine Schulklasse vertreibt sich die Zeit bis zur Ankunft des
Schiffes mit Glaceschlecken. Das Schiff gleitet heran und nimmt die Ausflügler an Bord.
Zwischen altem Gemäuer und vorbei an pittoresken
Häusern führt der Weg von Epesses nach Cully.
Vom Wasser aus sehen sie die Felsen oberhalb der Rebberge, wo eine versprengte Kolonie Gämsen eine neue Heimat gefunden
hat. Und eben kommt ein Zug aus dem Tunnel und fährt am Clos des Billets vorbei. Das
Grundstück heisst so, weil die Legende will,
dass Deutschschweizer hier ihre Retourbillette aus dem Zugfenster werfen, wenn sie
zum ersten Mal die betörende Schönheit des
Lavaux mit dem Genfersee erblicken. Früher jedenfalls. Denn heute kann man die
Fenster ja nicht mehr öffnen.

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Romantische Tage im Herbst
Einer der 350 Winzer ist der 60-jährige
Patrick Fonjallaz in Epesses, dessen Familie die Reben im Lavaux seit 1552 pflegt.
Zum Degustieren führt der Winzer,
der das Weingut in der 13. Generation
führt, seine Gäste in den Garten. Da steht
ein lauschiger hölzerner Pavillon, daneben baden Spatzen in einem hübschen
eisernen Brunnen. Vom Pavillon sieht
man über die Reben auf pastellfarbene
alte Häuser, die sich eng aneinanderschmiegen.
Epesses ist ein romantisches Paradies.
Kurz vor der Ernte scheint das Dorf zu
schlafen. Eine Katze sonnt sich auf dem
Kopfsteinpflaster, Insekten tanzen lautlos
um Feigenbäume und Palmen in einem
Bauerngarten. Ausflügler sitzen verträumt
auf der Terrasse der Auberge du Vigneron
und geniessen still das Leben und die
Filets d’Ombles, die Saiblinge aus dem
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Schweizer Familie 39/2009
*Bei ausreichender Bewegung in SANO-Schuhen.