Migration – Chancen und Herausforderungen der Integration in die europäischen Arbeitsmärkte Dienstag, 01.03.2016 um 18:00 Uhr Vertretung des Freistaats Bayern bei der Europäischen Union Rue Wiertz 77, 1000 Brüssel Begrüßung Bertram Brossardt Hauptgeschäftsführer vbw – Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V. Es gilt das gesprochene Wort. 1 Sehr geehrte Damen und Herren, im Namen der vbw – Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V. begrüße auch ich Sie sehr herzlich zu unserem heutigen Parlamentarischen Abend. Ich danke der Bayerischen Staatsregierung, dass wir auch heute wieder hier zu Gast sein können. Welche Chancen und Herausforderungen bestehen für die EU im Zusammenhang mit der grenzüberschreitenden Wanderung von Menschen oder Arbeitskräften? Mit dieser Frage werden wir uns heute befassen. Wir haben zwei Arten von Migration: Erstens auf die sogenannte Binnenmigration von EU-Bürgern innerhalb der EU. Zweitens auf den Flüchtlingszustrom in die EU. Binnenmigration – Aktuelle Situation der Arbeitskräftemobilität Zunächst zur Binnenmigration. Aufenthalt von EU-Ausländern in Deutschland und Bayern Im Januar 2016 hielten sich 4,029 Millionen EUAusländer in der Bundesrepublik auf. Das sind PA Migration, 01.03.2016 Bertram Brossardt, Begrüßung 2 mehr als 4,5 Prozent der Gesamtbevölkerung, in Bayern waren es mehr als 800.000 EUAusländer, das sind mehr als sechs Prozent der Einwohner des Freistaats. Deutschlandweit stellen Polen (674.000) die größte Gruppe von EU-Ausländern dar, gefolgt von Italienern (575.000) und Rumänen (355.000). In Bayern stehen die Rumänen an erster (96.000), Polen an zweiter (94.700) und die Italiener an Dritter Stelle (92.000). Migration von EU-Bürgern nach Deutschland und Bayern Bis Dezember 2015 gab es einen positiven Wanderungssaldo von Unionsbürgern nach Deutschland im Umfang von 340.000 Menschen. Während die Zuwanderung gegenüber dem Vorjahr stark um 9,2 Prozent zugenommen hat, blieb die Abwanderung mit unter 1 Prozent geringfügig. Am höchsten war der Wanderungsgewinn nach Deutschland bei Rumänen und Bulgaren mit 140.000. PA Migration, 01.03.2016 Bertram Brossardt, Begrüßung 3 An fünfter Stelle steht mit Italien (20.000) das erste ältere EU-Mitgliedsland. Beschäftigungssituation von EU-Bürgern in Deutschland Auf den deutschen Arbeitsmarkt wirkt sich das wie folgt aus: Im Dezember letzten Jahres waren über 1,8 Millionen EU-Ausländer in Deutschland beschäftigt – und damit stolze 13,5 Prozent mehr als im Vorjahr. Damit sind inzwischen über 5 Prozent aller Beschäftigten in Deutschland EU-Ausländer. Einen großen Anteil bilden Arbeitnehmer aus den seit 2004 neu hinzugekommenen EU-Staaten. Deutlich über 40 Prozent aller in Deutschland arbeitenden EU-Ausländer kommen aus den sogenannten EU-8 und EU-2-Ländern. EU-8: Polen, Ungarn, Tschechien, Slowakei, Slowenien, Estland, Lettland, Litauen. EU-2: Rumänien und Bulgarien Die Beschäftigung von Menschen aus diesen Ländern in Deutschland verzeichnete im letzten Jahr gegenüber dem Vorjahr einen sehr dynamischen Zuwachs von 33 Prozent. PA Migration, 01.03.2016 Bertram Brossardt, Begrüßung 4 Ursache ist vor allem die Einführung der vollständigen Arbeitnehmerfreizügigkeit. Die andere große Gruppe auf dem deutschen Arbeitsmarkt bilden Personen aus den südeuropäischen GIPS-Staaten – also Griechen, Italiener, Portugiesen und Spanier. Sie stehen für über 20 Prozent aller in Deutschland beschäftigten EU-Ausländer. Viele von ihnen sind im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise zu uns gekommen. Die Zuwanderung aus diesen Gebieten ist konstant geblieben. Beschäftigungssituation von EU-Ausländern in Bayern In Bayern liegt der Anteil der Beschäftigten aus dem EU-Ausland mit 6,8 Prozent höher als in Deutschland. Der Anteil der Arbeitnehmer aus den seit 2004 neu hinzugekommenen EU-Ländern Mitteleuropas ist deutlich größer als im Bundesschnitt. PA Migration, 01.03.2016 Bertram Brossardt, Begrüßung 5 Dafür ist im Freistaat der Prozentsatz der Arbeitnehmer aus den südeuropäischen GIPSStaaten etwas geringer. Trend zur höheren Arbeitsmobilität gilt für ganz Europa Die gestiegene Arbeitnehmermobilität ist auch in ganz Europa zu beobachten. 2014 arbeiteten insgesamt 7,3 Millionen EUBürger in einem anderen Mitgliedsland, das sind knapp 3,5 Prozent aller Beschäftigten. Zwischen 2012 und 2014 wuchs sie um 12,4 Prozent. Deutschland und Großbritannien sind neben Österreich und den nordeuropäischen EUStaaten die wichtigsten Zielländer. Gut 41 Prozent aller mobilen EU-Bürger gingen nach Großbritannien und knapp 22 Prozent nach Deutschland. Bewertung der Binnenmigration Eine hohe Arbeitskräftemobilität in der EU bietet Vorteile für alle. Auf europäischer Ebene können der Arbeitskräftebedarf und die PA Migration, 01.03.2016 Bertram Brossardt, Begrüßung 6 Arbeitskräftenachfrage grenzübergreifend zusammengeführt werden. Das verringert makroökonomische Ungleichgewichte, erhöht die wirtschaftliche Stabilität und fördert generell das Zusammenwachsen Europas. Länder und Unternehmen mit Fachkräftebedarf können ihre Engpässe beheben und schaffen so mehr Wachstum. Länder mit hoher Arbeitslosigkeit entlasten ihre Sozialsysteme und stärken mittelfristig ihr Humankapital, wenn Fachkräfte nach Jahren im Ausland wieder zurückkehren. Arbeitnehmer haben die Chance, in einem anderen Land der zu Hause drohenden Arbeitslosigkeit zu entgehen und sich weiter zu entwickeln. Eine Erhöhung der Arbeitskräftemobilität in der EU ist deshalb ein richtiges und wichtiges Ziel. Unser Engagement: Beispiel career(BY) Die vbw und die bayerischen Metall- und ElektroArbeitgeber bayme vbm engagieren sich hier. PA Migration, 01.03.2016 Bertram Brossardt, Begrüßung 7 2013 haben wir das Projekt career(BY) initiiert, das ausbildungswilligen junge Menschen, insbesondere aus Spanien, eine Ausbildung bei Unternehmen in Bayern ermöglicht. Es reicht aber nicht aus, interessierte Bewerber aus anderen europäischen Ländern mit Unternehmen aus Bayern zusammenzubringen. Es braucht auch Vorbereitungs- und Integrationsmaßnahmen, wie etwa - vorbereitende Praktika, - Sprachkurse und interkulturelle Trainings, - bis hin zu eigens von uns eingestellten „Kümmerern“, die den Jugendlichen bei Alltagsproblemen und Schwierigkeiten im Ausbildungsbetrieb zur Seite stehen. Im vergangenen September haben 70 junge Europäer im Rahmen unseres Programms eine Ausbildung bei bayerischen Betrieben begonnen. Unsere Forderungen Arbeitskräftemobilität Meine Damen und Herren, PA Migration, 01.03.2016 Bertram Brossardt, Begrüßung 8 wir begrüßen das Ziel der Europäischen Kommission, die Arbeitskräftemobilität in der EU weiter zu erhöhen. Allerdings darf die Förderung der Arbeitskräftemobilität seitens der EU nicht als Vorwand missbraucht werden, um - die Unternehmen mit zusätzlicher Bürokratie und zusätzlichem Aufwand zu belasten oder - sich in die Ausgestaltung der einzelnen Sozialen Sicherungssysteme, die ja originär in der Verantwortung der Mitgliedstaaten liegt, einzumischen. Stattdessen müssen wir: Erstens: Das Erlernen von Fremdsprachen besser fördern. Fehlende Sprachkenntnisse sind eine der höchsten Hürden, um im EU-Ausland eine Stelle anzutreten. Zweitens: Einen Mentalitätswandel einleiten, damit die Menschen die gesamte EU als für sie relevanten Arbeitsmarkt begreifen. Drittens: Die Freizügigkeit in geordnete Bahnen lenken. Das zeigt auch die Diskussion um den Verbleib Großbritanniens in der EU. PA Migration, 01.03.2016 Bertram Brossardt, Begrüßung 9 Sinn und Zweck der Arbeitnehmerfreizügigkeit ist, dass man in jedem EU-Land seinen Lebensunterhalt verdienen darf. Der Bezug von Sozialleistungen in einem anderen Land ohne Erwerbstätigkeit wird dadurch nicht abgedeckt. Das hat der EuGH zuletzt bekräftigt. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit darf nicht zu einer bedingungslosen Bürgerfreizügigkeit verkommen. Der Missbrauch der Sozialsysteme würde die Akzeptanz für die EU in den betroffenen Ländern schwächen und europakritischen Parteien weiter Auftrieb verleihen. Das angekündigte Labour Mobility Package muss daher unbedingt bestehende Lücken schließen, die im Rahmen der Arbeitnehmerfreizügigkeit zu einem Missbrauch von Sozialhilfeleistungen einladen. Flüchtlingsmigration Jetzt zum zweiten Aspekt – der Flüchtlingsmigration nach Europa. PA Migration, 01.03.2016 Bertram Brossardt, Begrüßung 10 Im vergangenen Jahr sind rund 1,1 Millionen Flüchtlinge nach Deutschland gekommen, davon mehr als 165.000 nach Bayern. Im Januar wurden knapp 92.000 Flüchtlinge erfasst. Es wurden 50.500 Anträge auf Asyl gestellt. Bis zum Jahresende 2017 rechnet die EUKommission mit drei Millionen weiteren Flüchtlingen, die nach Europa kommen – viele davon wollen nach Deutschland. Bewertung der Flüchtlingsmigration nach Europa Die Integration der Asylbewerber in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt ist eine immense Herausforderung für uns alle. Sie erfordert große Anstrengungen und einen langen Atem. Die Flüchtlinge sind bisher nicht in den Arbeitsmarkt integriert. Kurzfristig wird das auch nur bei weniger als zehn Prozent möglich sein. Mittel- bis langfristig sehen wir vor allem für Jugendliche und junge Erwachsene gute Chancen, auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. PA Migration, 01.03.2016 Bertram Brossardt, Begrüßung 11 Das wird aber nur gehen, wenn jetzt die Flüchtlingszahlen entweder insgesamt deutlich reduziert werden oder der Teil, der nach Deutschland kommt, deutlich verringert wird. Anders geht das nicht. Unser Engagement Zur Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt leisten wir einen großen Beitrag. Im Oktober 2015 haben wir gemeinsam mit der Bayerischen Staatsregierung, der Regionaldirektion Bayern der Bundesagentur für Arbeit und den Kammern im Freistaat die sogenannte Vereinbarung „Integration durch Ausbildung und Arbeit“ unterzeichnet. Dabei haben sich die Beteiligten dazu verpflichtet - bis Ende 2016 20.000 Flüchtlingen einen Praktikums-, Ausbildungs- oder Arbeitsplatz anzubieten und - bis Ende 2019 60.000 Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Wir wissen, dass diese Ziele nicht von alleine zu erreichen sind. PA Migration, 01.03.2016 Bertram Brossardt, Begrüßung 12 Deswegen haben wir ein umfassendes Maßnahmenpaket aufgesetzt, das aus insgesamt 12 Einzelprojekten besteht. Dafür setzen wir insgesamt 6,7 Millionen Euro aus eigenen Mitteln der Verbände ein. Elementarer Bestandteil bei allen unseren Maßnahmen ist selbstverständlich der Spracherwerb. Lassen sie mich einige der insgesamt 12 Projekte exemplarisch herausgreifen. IdA Bayern Turbo Im IdA Bayern Turbo werden 1.000 jugendliche Asylbewerber und Gleichgestellte, die aufgrund ihrer guten Vorbildung direkt für eine Ausbildung in Frage kommen, unter anderem mit Sprachförderungen und Praktika für eine Ausbildung vorbereitet. Warum “Turbo”? Weil wir diese Jugendlichen in nur sechs Monaten fit machen wollen für eine Ausbildung. Das Projekt ist im Januar 2016 gestartet. IdA Ausbilderqualifikation PA Migration, 01.03.2016 Bertram Brossardt, Begrüßung 13 Ausbilder müssen sich bei jugendlichen Asylbewerbern auf veränderte Anforderungen einstellen: Um Unternehmensmitarbeiter für den Umgang mit jungen Asylbewerbern zu sensibilisieren, haben wir im Januar 2016 den Schulungsworkshop IdA Ausbilderqualifikation gestartet. IdA 120 bzw. IdA 1.000 Gemeinsam mit der Regionaldirektion Bayern der Bundesagentur für Arbeit und dem bayerischen Arbeitsministerium haben wir schon in der ersten Jahreshälfte 2015 das Projekt IdA 120 gestartet. An fünf Standorten befinden sich die Teilnehmer in Qualifizierungsmaßnahmen; die Projektteilnehmer absolvieren momentan Arbeitseinsätze bei Unternehmen. Insgesamt wurden bereits um die 80 Praktika absolviert, 13 Teilnehmer konnten bereits in eine Beschäftigung vermittelt werden. Auf diesen Erfahrungen bauen wir seit Februar 2016 mit dem Projekt IdA 1.000 auf und werden mit dem Programm 1.000 weitere Asylbewerber bei der Arbeitsmarktintegration in ganz Bayern unterstützen. PA Migration, 01.03.2016 Bertram Brossardt, Begrüßung 14 IdA Navigatoren Seit Januar 2016 sind wir außerdem in jedem Regierungsbezirk mit einem IdA Navigator vor Ort. Diese Projektnavigatoren steuern die vielfältigen IdA-Aktivitäten und sind Ansprechpartner für Unternehmen, Flüchtlinge und die Kooperations- und Netzwerkpartner. Was muss geschehen? Die Bewältigung des Flüchtlingszustroms und die Integration der Asylbewerber in den Arbeitsmarkt ist harte und mühsame Arbeit. Bayern und Deutschland sind an der Grenze der Belastbarkeit. Je mehr zu uns strömen, desto schwieriger wird die Integration derjenigen, die bereits bei uns sind. Eine Reduzierung des Flüchtlingsstroms ist deshalb dringend geboten. Europäische Lösung notwendig Wir sind nach wie vor fest davon überzeugt, dass eine echte Lösung nur auf europäischer Ebene gelingen kann – auch wenn eine Einigung derzeit nicht in Sicht ist. Eine solche Lösung besteht ganz wesentlich in der Sicherung der EU-Außengrenzen sowie in PA Migration, 01.03.2016 Bertram Brossardt, Begrüßung 15 europäischen Maßnahmen zur Bekämpfung der Fluchtursachen. Dazu gehört zum Beispiel die gezielte Unterstützung der Nachbarländer Syriens, um dort Perspektiven für Flüchtlinge zu schaffen. In diesem Zusammenhang unterstützen wir auch die Vereinbarung zwischen der EU und der Türkei. Eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge in Europa halten wir nach wie vor für erforderlich. Klar ist aber auch: Wenn es hier keine Einigung geben sollte, dann müssen wir auf anderen Wegen die europäische Solidarität einfordern. Unsere Projekte zeigen, dass Fördermittel für die Integration von Asylbewerbern gut angelegtes Geld sind. Die finanzielle Unterstützung der Mitgliedsländer, die die Hauptlast der Flüchtlingsintegration tragen, ist daher zwingend notwendig. Auf europäischer Ebene sollten folglich entsprechende Mittel bereitgestellt werden. Eines steht aus unserer Sicht jedoch ganz klar und deutlich fest: Grenzschließungen innerhalb der EU und das Aussetzen von Schengen sind PA Migration, 01.03.2016 Bertram Brossardt, Begrüßung 16 keine Alternativen. Sie müssen die Ultima Ratio bleiben und dürfen nicht zum Dauerzustand werden. Die negativen ökonomischen Konsequenzen wären gravierend und müssen unbedingt vermieden werden. Die Kosten für die Einschränkung des freien Verkehrs in Europa werden für einen Zeitraum von 10 Jahren auf bis zu 110 Milliarden Euro für den gesamten Schengen-Raum beziffert. Eine Volkswirtschaft wie Deutschland müsste zum Beispiel mit Einbußen in Höhe von 0,8 Prozent des BIPs rechnen. Besonders stark betroffen wäre der Handel, aber auch die Tourismusbranche würde die Folgen zu spüren bekommen – und zwar nicht nur in Deutschland Hinzu kommen die dramatischen negativen Folgen, die ein Flüchtlings-Rückstau bis nach Griechenland hätte. Sie sehen: Eine europäische Lösung ist unumgänglich. PA Migration, 01.03.2016 Bertram Brossardt, Begrüßung 17 Schluss Meine Damen und Herren, ich freue mich nun auf Einblicke aus der EUKommission zum Thema Migration und auf eine anregende und aufschlussreiche Diskussion. PA Migration, 01.03.2016 Bertram Brossardt, Begrüßung
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