Das Interview als PDF - Auto

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Auto-Umweltliste
Der Klimawandel ist wesentlich komplexer als rauchende Schornsteine.
« Der Staat sitzt leider mit im Boot »
Wann ist es genug? Die Auto-Umweltliste sprach mit
Ernst Ulrich von Weizsäcker, dem berühmten Nachhaltigkeits­
experten, über den VW-Skandal, die Klimakonferenz
und über unser Wirtschaftssystem.
Auto-Umweltliste: Haben Sie mit
Ihrer langjährigen Erfahrung den
Eindruck, dass die Menschheit endlich die Dringlichkeit der Situation
unseres Planeten erfasst hat?
Ernst Ulrich von Weizsäcker: Ja und nein. Das
Thema ist unter anderem bei den Vereinten
Nationen durch die Diskussion der «Sustai­
nable Development Goals» (Ziele nachhaltiger
Entwicklung) international anerkannt. Die
meisten Firmen beschäftigen sich mit Nach­
haltigkeit, im Rahmen dessen, was ihnen ihre
Aktionäre erlauben. Aber gleichzeitig nimmt
die Summe der ökologischen Fussabdrücke
weltweit von Jahr zu Jahr zu, zum Teil sogar
beschleunigt. Daran sind das steigende
Konsum­bedürfnis aller 7,3 Milliarden Menschen
und die Zunahme der Welt­bevölkerung
schuld. 1972, als der erste Bericht an den
Club of Rome publiziert wurde, hatten wir
vier Milliarden Menschen und deswegen eine
Fussabdruckerlaubnis von ungefähr
3,5 Hektar pro Person. Heute hingegen –
mit 7,3 Milliarden – sind es noch 1,9 Hektar,
und wir überschreiten diese gewaltig.
In Ihrem Buch «Faktor Fünf» veranschaulichen Sie und Ihre Co-Autoren,
dass eine Energieeffizienzsteigerung
um das Fünffache möglich ist. Wird
diese Entwicklung bei den aktuell
niedrigen Rohstoffpreisen überhaupt
noch weiterverfolgt?
2011 veröffentlichte das McKinsey Global
Institute eine Studie, die prophezeite, dass
das Interesse an Ressourceneffizienz über
­längere Zeit immer weiter zunehmen werde.
Damals machte ich die Autoren darauf auf­
Auto-Umweltliste 2016www.auto-umweltliste.ch
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Auto-Umweltliste
merksam, dass dies kein sicherer Trend sei.
Und siehe da – seit 2013 fallen die Rohstoff­
preise. Mit dem Ergebnis, dass das Thema
Ressourceneffizienz leider fast weg vom
Fenster ist. Dies mit erheblichen Aus­wir­
kungen auf politische Rahmen­bedingungen.
Das zeigt leider, dass die Preise die Priori­
täten der Wirtschaft, der Ingenieure, der
Konsumierenden und der Länder dominieren.
« Der Schornstein muss
­rauchen » : Vor zwei Gene­
rationen war das ein ­positives
Symbol, ein Zeichen,
dass die Wirt­schaft boomt –
heute ­unvorstellbar.
Was ist Ihrer Meinung nach noch
möglich bezüglich der Energie­
effizienz im Automobilsektor?
Da gibt es drei verschiedene Strategien.
Erstens effizientere Motoren und Karosserien
bezüglich Luftwiderstand, Reifen usw. Der
Prototyp XL1 von VW, der nur noch 0,9 Liter
pro Kilometer braucht, ist ein gutes Beispiel.
Zweitens kann man von fossilen Brennstoffen
auf erneuerbare Antriebssysteme umsteigen.
Insbesondere aufs Elektroauto, wobei aber
dafür gesorgt werden muss, dass der Strom
aus erneuerbaren Energien wie Windkraft
oder Solarenergie kommt. Drittens muss die
Siedlungs- und Verkehrsstruktur verändert
werden, so dass die meisten Mobilitäts­­­be­dürfnisse durch öffentliche Verkehrsmittel,
Rad­fahren und Zufussgehen erledigt werden
können.
Der Volkswagen-Abgasskandal zeigt,
dass es für Konzerne möglich ist,
Betrug zu systematisieren, um ökologischen Standards zu entsprechen.
Leben wir in einem Wirtschafts­
system, in dem Ethik und Verant­
wor­­tung nur leere Worte sind?
Je gnadenloser der internationale Preis­wett­
bewerb, die sogenannte «Cheapeconomics»,
desto hoffnungsloser das Unterfangen, mit
Ethik dagegenzusteuern. Wenn die Volks­
wagen-Gruppe diesen «Gaunertrick» nicht
durchgeführt hätte, wäre wohl nur die Hälfte
ihrer Dieselwagen verkaufbar gewesen.
Welche Rolle spielte der Staat
beim VW-Skandal?
Es eine peinliche Tatsache, die die Deutsche
Umwelthilfe aufgedeckt hat, dass verschiede­
ne Regierungen in Deutschland es versäumt
haben, beschlossene EU-Umweltrichtlinien
betreffend des Abgasverhaltens und dessen
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Messung umzusetzen. Dies passierte natür­
lich unter dem Druck der deutschen Auto­
lobby. Wenn diese Messungen richtig durch­
geführt worden wären, wie es in Kalifornien
der Fall war, wäre es nie so weit gekommen.
Der Staat sitzt leider mit im Boot, das ist das
Peinliche.
Wenn fast jedes Auto auf der Strasse
mehr verbraucht als auf dem Prüf­
stand, sind Reduktionsziele zum
Beispiel für das Klima Makulatur . . .
Richtig, das haben genau diese Umwelt­
richtlinien der EU zu verhindern versucht. Die
Messverfahren müssen aber so sein, dass sie
das tatsächliche Fahrverhalten wiedergeben,
und wir hätten das schon ab 2007 einhalten
sollen.
War die Klimakonferenz COP21
in Paris Ihrer Einschätzung nach
ein Erfolg?
Es ist grossartig, dass die 195 Staaten, die
in Paris zusammengekommen sind, sich auf
einen Vertrag geeinigt haben, der völkerrecht­
lich verbindlich ist. Die Zielsetzung, deutlich
unterhalb von +2 Grad Celsius Erwärmung
gegenüber vorindustrieller Zeit zu bleiben, ge­
koppelt mit einer regelmässigen verbindlichen
Überprüfung, ist eine Verbesserung. Leider
bleibt aber die Durchsetzbarkeit immer noch
sehr fraglich. Die Vereinten Nationen haben
leider keine Möglichkeit, Sanktionen auszu­
sprechen, wenn der Vertrag von einzelnen
Ländern nicht eingehalten werden sollte.
Daher sind Entwicklungen wie die Energie­
wende und die sogenannte «DivestmentStrategie», die den Druck jenseits des Völker­
rechtlichen erhöht, sehr wichtig, damit die
Staaten sich de facto gezwungen fühlen, die
Ziele einzuhalten.
Der Vertrag wird erst ab 2020
­effektiv. Ist das nicht zu spät?
Ja und nein. Nein, da der Siegeszug der er­
neuerbaren Energien und der Effizienz in den
nächsten fünf Jahren weitere grosse Erfolge
erzielen kann. Es wird aber zu spät sein,
wenn Saudi-Arabien die Revolution der
­er­neuerbaren Energien weiterhin strategisch
bremst, indem das Land versucht, möglichst
viel billiges Öl auf den Weltmarkt zu bringen.
Ironischerweise hat zeitgleich zum Treffen
in Paris eine OPEC-Tagung der erdölexportie­
renden Länder in Wien stattgefunden, bei
der man sich nicht auf eine preiserhöhende
Förderobergrenze einigen konnte. Die
schlechte Nachricht ist, dass die ölproduzie­
renden Länder nun weiterhin in einem gegen­
seitigen Preissenkungswettbewerb stehen.
Vielleicht ist dies aber auch ein Zeichen, dass
die Saudis erkannt haben, dass das Ende des
fossilen Zeitalters begonnen hat und das Öl,
das noch im Boden ist, verkauft werden muss,
da es in Zukunft noch weniger wert sein wird.
Sie sind ein grosser Verfechter
der Besteuerung von Energie und
Rohstoffen. Wie würde diese
Besteuerung funktionieren?
Als ich Bundestagsabgeordneter war, habe
ich gelernt, wie unpopulär staatliche Preis­
erhöhungen sind und wie es aus Popularitäts­
gründen fast unmöglich war, diese umzu­
setzen. Um auf politischer Ebene effektiv zu
Solange das Darstellen
von gefundener Wahrheit
nicht unterdrückt wird,
wird man auch die nötigen
Lösungen finden !
Auto-Umweltliste 2016
Auto-Umweltliste
handeln, aber die Bevölkerungsmehrheit
nicht zu verlieren, habe ich daher einen Preis­
mechanismus entwickelt, der gleichzeitig fair
und wirkungsvoll ist. Bei diesem Konzept
­steigen die Preise der Rohstoffe so viele
Prozente pro Jahr an, wie die Effizienz der be­
treffenden Rohstoffnutzung im letzten Jahr
zugenommen hat. Damit die stärksten Gegner
jeglicher ökologischer Besteuerung – die
Vertreter aus der Sozialpolitik und der
Industrie – mit an Bord sind, muss zusätzlich
ein Sozialtarif für arme Familien ausgehandelt
werden. Für Industrien, die sich im inter­
nationalen Wettbewerb behaupten, muss eine
Aufkommensneutralität erstellt werden, so
dass die Branchen bei der Verteuerung von
Energie keinen Euro verlieren, aber innerhalb
der Branche ein Wettbewerb entsteht, der
­bewirkt, dass die Effizienz der Rohstoff­
nutzung rasch vorangetrieben wird.
Es kann natürlich sein, dass Moral oder andere
ethisch relevante Makro­veränderungen zu
­einer anderen Lebensform führen, aber dies
ist nur möglich, wenn politische Richtlinien
sie begleiten. Ein gutes Beispiel für die Ver­
änderung der Erzählweisen in unserer Gesell­
schaft, die zu einem Wertwandel führen
­können, ist der Slogan «Der Schornstein muss
rauchen». Vor zwei Generationen war das ein
positives Symbol, ein Zeichen, dass die Wirt­
schaft boomt – heute unvorstellbar. Ästhe­
tische und emotionale Veränderungen werden
zur Selbstverständlichkeit, aber nicht ohne
ein entsprechendes Preissignal, sonst dauern
die Veränderungen zehnmal so lange, oder sie
finden nie statt.
Energieeffizienz ist nicht möglich
ohne einen möglichst geringen
Rohstoff- und Energieverbrauch –
ein bescheideneres Leben ist
in unseren Breitengraden aber
für viele undenkbar. Wie schaffen
wir den Wertewandel?
Als ich angefangen habe, ging es um rauchen­
de Schornsteine oder Schaum auf den
Flüssen, doch diese Themen wurden im
Wesentlichen erfolgreich erledigt. Heute ha­
ben sie sich dramatisch verschärft und sind
komplexer geworden, und diese Veränderung
erschwert es, für diese Themen Aufmerk­
Seit mehr als 30 Jahren beschäftigen
Sie sich mit denselben globalen
Problemen. Was hat sich verändert?
samkeit zu gewinnen. Gegen die Wasser­ver­
schmutzung der Flüsse zu kämpfen, ist
­populistisch einfacher als gegen die Klima­
veränderung zu kämpfen, deren Auswirkung
hauptsächlich unsere Enkelkinder spüren
werden.
Nach all den Jahren der Erfahrung, wie blicken Sie der Zukunft
entgegen?
Ich habe immer wieder fantastische junge
Leute getroffen, die sich engagieren und
­erfolgreich sind, und daher habe ich einen
gros­sen Optimismus. Solange das Darstellen
von gefundener Wahrheit nicht unterdrückt
wird, wird man auch die nötigen Lösungen
finden!
Interview: Joséphine von Mitschke-Collande
© Herbert Piel/P!ELmedia
Ästhe­tische und emotionale
Verände­run­gen werden
zur Selbst­verständlichkeit,
aber nicht ohne ein ent­
sprechendes Preissignal,
sonst dauern die Verände­
rungen zehnmal so lange,
oder sie finden nie statt.
Zur Person
Ernst Ulrich von Weizsäcker zählt zu den Pionieren nachhaltigen Wirtschaftens. Seit
Jahrzehnten leistet er auf diesem Gebiet hervorragende Überzeugungsarbeit in Politik,
Wirtschaft und Gesellschaft. Sein Buch «Faktor Fünf. Die Formel für Nachhaltiges Wachstum»
(erschienen 2009) zeigt auf, wie die Gesellschaft fünffach energieeffizienter werden kann,
hauptsächlich durch bessere Technologie. Unter anderem ist Prof. Ernst Ulrich von Weizsäcker
Co-Vorsitzender des International Panel for Sustainable Resource Management und CoPräsident des Club of Rome. Zuvor war er Biologieprofessor an der Universität Essen, Präsident
der Universität Kassel, Direktor bei der UNO in New York, Leiter des Instituts für Europäische
Umweltpolitik, Gründungspräsident des Wuppertal-Instituts, Mitglied des Deutschen
Bundestags und Dekan der kalifornischen Umwelthochschule in Santa Barbara.
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