Frieden schaffen durch Gütekraft - Evangelischen Kirchengemeinde

Kirche | Krieg und Frieden
Frieden schaffen durch Gütekraft
„Ich würde die Kanzlerin fragen:
Wie viele Menschen müssen noch
in der Ukraine sterben, bevor wir
ihnen helfen, sich zu verteidigen?
[…] Will sie einfach nur zuschauen,
wie ein Land […] zerstückelt wird?“
sagte US-Senator McCain im ZDF.
Einen Tag zuvor hatte Bundeskanzlerin Merkel zusammen mit den
Präsidenten Hollande, Putin und
Poroschenko den ersten Versuch
unternommen, den Ukrainekrieg
durch Diplomatie zu beenden, und
äußerst aktiv alles andere getan als
‚einfach nur zuschauen‘. Diese Formel verfälscht die Wahrnehmung
der Wirklichkeit. Sie versteckt die
wahren Kriegsziele.
Niemand kann Menschen, die von
Gewalt und Tod bedroht sind, das
Recht absprechen, sich zu wehren,
ob in der Ukraine, in Syrien oder in
Nigeria. Um zu helfen, sich zu verteidigen, predigten im Ersten Weltkrieg viele für den Krieg. Ergebnis:
17 Millionen Männer, Frauen und
Kinder tot, Europa kaputt. Zweiter
Weltkrieg: mehr als 50 Millionen
Tote. Danach sagte der Weltkirchenrat: Krieg ist gegen Gottes Willen. Doch genügt dies nicht, damit
Frieden wird. Hierfür ist es vielmehr
erforderlich, Feindschaft zu überwinden, d.h. Feindesliebe zu praktizieren: als Entfeindungsliebe. Das
ist nicht etwa ein Gefühl, sondern
eine Tätigkeit. Sie ist wirksam durch
Gütekraft.
Beispiele: Die Evangelische Kirche
regte 1965 an, die polnische Westgrenze anzuerkennen. Willy Brandts
4
Kniefall und Ostpolitik baute darauf
auf. Sie führte zur Organisation für
Sicherheit und Zusammenarbeit
in Europa OSZE. Sie trug viel zum
Frieden in Europa bei. – Der muslimische ägyptische Staatspräsident
Anwar as-Sadat besuchte 1977 Israel und öffnete so die Tür zum Friedensvertrag zwischen Israel und
Ägypten. – Gütekräftiges Vorgehen
beendete 1986 in der ‚Rosenkranzrevolution‘ die Marcos-Diktatur
auf den Philippinnen. Gütekraft
prägte die Glasnost-Politik Michail
Gorbatschows und die Friedliche
Revolution in Deutschland 1989
sowie weitere Beendigungen von
Diktaturen in dieser Zeit. Der Amerikaner Walter Wink schrieb dazu:
„Die Menschheit hat in ihrer ganzen
Geschichte noch nie einen solchen
Aufschwung gewaltloser Befreiung
erlebt. Kein Mensch, der auch nur
das geringste Geschichtswissen
besitzt, kann jemals wieder von
der Gewaltfreiheit behaupten. ‚Das
funktioniert nicht.‘“ – Gütekräftiges
Engagement bewirkte die internationale Ächtung und das Verbot von
Landminen und von Streumunition.
– Hausfrauen wie Lemah Gbowee
brachten Politiker zur Beendigung
des Bürgerkriegs in Liberia (guter
Film ‚Zur Hölle mit dem Teufel‘).
Gütekräftiges Vorgehen in Konflikten, teils als Ziviles Peacekeeping
bezeichnet, wird gelehrt und praktiziert in der Werkstatt für gewaltfreie
Aktion Baden, der Kurve Wustrow,
im Forum Ziviler Friedensdienst, bei
‚gewaltfrei handeln e.V.‘, den Peace
Brigades International, Nonviolent
Peaceforce, Christian Peacemaker
Teams, der OSZE und anderen weltweit.
Gütekräftig wirken können Politikerinnen genauso wie Nachbarn,
Lehrerinnen und Schüler, z.B. als
Streitschlichter, wir alle können es.
Das Geheimnis ist die Grundannah-
me: Ich und auch alle anderen Menschen haben unter anderem eine
Neigung zum Guten, zu Wahrheit,
Gerechtigkeit und Menschlichkeit.
Darauf können auch Menschen, die
andere bedrohen oder unterdrücken, mit Respekt angesprochen
werden. Gegner werden dabei nicht
geschädigt oder abgewertet (Gewaltfreiheit). Zu dieser starken Haltung der Güte gehört der Wunsch,
sich für das Gemeinwohl einzusetzen, für den Abbau von Missständen, für das Leben in Fülle für alle.
Wie geschieht das praktisch?
Im Streit heißt es: Mut zeigen.
Selbst handeln anstatt nur von anderen etwas zu erwarten. Eigene
Anteile am Missstand finden und
abbauen. Aufbauend handeln. Mit
den anderen Beteiligten wohlwollend Kontakt aufnehmen. Bereit
sein, Kosten und Risiken auf sich
zu nehmen und Nachteile, Beleidigungen oder andere Schläge, hinzunehmen. Nicht zurückschlagen.
Und zugleich im Bestehen auf Gerechtigkeit nicht zurückweichen.
Beharrlichkeit. Zum wohlwollenden Gespräch immer bereit sein.
Wenn nötig, kann Dialogbereitschaft anderer durch öffentliche
Gütekraft-Aktionen gefördert werden. Solches Handeln bringt die
allgemein-menschliche Neigung
zu Wahrheit, Gerechtigkeit und
Menschlichkeit bei anderen ins Mitschwingen, es steckt an. Entschlossenes Handeln bringt auch schwere
Steine ins Rollen. Solidarisierung ist
möglich, auch in schwersten Konflikten.
Gütekraftberichte:
www.guetekraft.net.
Dr. Martin Arnold, Friedensforscher
(www.Martin-Arnold.eu)
Kirche | Krieg und Frieden
‘s ist Krieg! ‘s ist Krieg!
O Gottes Engel wehre,
Und rede Du darein!
‘s ist leider Krieg –
und ich begehre
Nicht schuld daran zu sein!
Diese erste Strophe eines Gedichtes, paradoxerweise geschrieben in
kriegsloser Zeit, ist ein flammendes
Plädoyer gegen den Krieg, verfasst
im Jahr 1778 vom deutschen Lyriker
Matthias Claudius. Sein „‘s ist leider
Krieg -“ will als Ausdruck echten
Kummers verstanden werden, und
das vehemente „ich begehre Nicht
schuld daran zu sein!“ ist eindeutige
Stellungnahme gegen den Krieg.
100 Jahre nach dem ersten und 70
Jahre nach dem zweiten Weltkrieg
ist dieses Gedicht immer noch aktuell. „‘s ist leider Krieg“ , immer
noch und immer wieder in vielen
Teilen der Welt, auch ganz nahe bei
uns, in der Ukraine.
Dagegen setzen wir in unserer Gemeinde die Bitte „O Gottes Engel
wehre, Und rede Du darein!“ - in
langer und guter Tradition von Friedensgebeten.
Diese Friedensgebete sind Teil
meiner eigenen Geschichte in und
mit der Gemeinde geworden. Als
ich 1982 mit meinem Freund und
späteren Ehemann nach Frohnhausen zog, hatte ich mit Kirche schon
lange nichts mehr im Sinn. Ich
hatte nicht einmal gemerkt, dass
es hier ein Kirchengebäude gab.
Jahre später, als ich einen Kinderwagen durch den Stadtteil schob,
fiel mir eine Kirche auf, offensichtlich evangelisch, die Apostelkirche.
Im Schaukasten entdeckte ich die
Einladung zu einem Friedensgebet
am 50. Jahrestag des Überfalls Nazi-Deutschlands auf Polen, am 1.
September 1989 um 5 Uhr 45. Was
mich veranlasst hat, zu so früher
Stunde diese Veranstaltung zu besuchen, weiß ich bis heute nicht.
Woran ich mich noch gut erinnere,
war das Gefühl völliger Fremdheit.
Ich schaute und hörte zu, beten
und singen konnte ich nicht. Was
mir Respekt abnötigte, war, dass
sich hier Menschen gemeinsam
offenbar ernsthaft und aufrichtig
mit dem Thema Krieg und Frieden
beschäftigt hatten. Die Abschiedsworte eines Gemeindemitgliedes
im Ohr „Kommen Sie doch mal wieder!“, war ich doch heilfroh, nach
diesem Friedensgebet die Kirche
wieder verlassen zu können.
1990 begann der Zweite Golfkrieg
in Irak und Kuwait. Ab Januar 1991
führte eine Koalition unter Führung
der USA Kampfhandlungen zur Befreiung Kuwaits durch. „In Bezug
auf die verwendeten Rüstungsgüter und den Mobilisierungsgrad der
Kriegsparteien war der Zweite Golfkrieg der schwerste Krieg seit dem
Ende des Zweiten Weltkrieges.“ (Wikipedia)
Wieder reagierte die Gemeinde
Frohnhausen: zweimal in der Woche fanden in der Apostelkirche
abends Friedensgebete statt, ein
halbes Jahr lang.
Und: ich ging wieder hin. Warum?
Keine Ahnung. Die Fremdheit wich
ganz allmählich und machte Platz
für das gute Gefühl, mit anderen
zusammen diesem Krieg etwas entgegenzusetzen, mit Gebeten und
Liedern. Ich bin geblieben. Gelernt
habe ich im Laufe der Jahre, dass
Gott nicht anders handeln kann
als durch uns, dass wir als Christen
und Christinnen besonders gefordert sind, uns für Schwache und
Ausgegrenzte einzusetzen und
sensibel zu sein für die Bewahrung
der Schöpfung. Das schließt den
Einsatz gegen den Krieg ein, das Lebensfeindlichste, was man sich nur
denken kann. All dies gelingt am
besten in einer Gemeinschaft, die
hilft und trägt. Diese Gemeinschaft
habe ich in der Kirchengemeinde
Frohnhausen gefunden.
Seit 15 Jahren bin ich ordinierte
Prädikantin der Gemeinde. Für meinen Weg bin ich dankbar.
Auch die Tradition der Friedensgebete in unserer Gemeinde wird
weitergeführt. Im Familienzentrum
am Postreitweg treffen sich einmal
in der Woche Menschen aus der Kirchengemeinde und dem Stadtteil,
um gegen Krieg und Terror und für
den Frieden zu beten.
Es ist gut, dass wir nicht nachlassen, im Sinne von Matthias Claudius
zu „begehren, Nicht schuld daran zu
sein“. Bleiben wir wachsam!
‘s ist Krieg! ‘s ist Krieg!
O Gottes Engel wehre,
Und rede Du darein!
‘s ist leider Krieg –
und ich begehre
Nicht schuld daran zu sein
Sonnhild Hasenkamp-Glitza
Engel der Kulturen
5