Periinterventioneller Umgang mit Antikoagulanzien und

MEDIZIN
ÜBERSICHTSARBEIT
Periinterventioneller Umgang
mit Antikoagulanzien und
Thrombozytenaggregationshemmern
Vorgehen bei viszeralmedizinischen endoskopischen Eingriffen
Christian M. Lange, Stephan Fichtlscherer, Wolfgang Miesbach, Stefan Zeuzem, Jörg Albert
ZUSAMMENFASSUNG
Hintergrund: In Deutschland werden mehr als 500 000 – meist ältere – Patienten
dauerhaft mit Antikoagulanzien behandelt. Die Zulassung neuer oraler Antikoagulanzien und Thrombozytenaggregationshemmer sowie neue Daten zum
etwaigen periinterventionellen Bridging mit Heparinen sorgen für eine erhebliche
Komplexität des Managements einer Therapie mit Antikoagulanzien und
Thrombozytenaggregationshemmern bei viszeralmedizinischen endoskopischen
Interventionen.
Methoden: Es wurde eine selektive Literaturrecherche in PubMed unter Berücksichtigung relevanter Leitlinien durchgeführt.
Ergebnisse: Es existieren belastbare Daten zum Umgang mit Vitamin-K-Antagonisten (VKA) und Thrombozytenaggregationshemmern bei interventionellen Eingriffen, wohingegen die Datenlage zum periinterventionellen Umgang mit
nicht-VKA-oralen Antikoagulanzien (NOAK) unzureichend ist. Viszeralmedizinische endoskopische Eingriffe mit niedrigem Blutungsrisiko können unter einer
Therapie mit Antikoagulanzien oder Thrombozytenaggregationshemmern vorgenommen werden. Vor Eingriffen mit hohem Blutungsrisiko (≥ 1,5 %) müssen
orale Antikoagulanzien aller Substanzklassen und P2Y12-Inhibitoren in der
Regel abgesetzt werden. Nur bei einem hohen Thromboembolierisiko
(≥ 10 %/Jahr) ist bei bestehender Therapie mit VKA ein Bridging mit Heparin
erforderlich. Bei NOAK ist das zeitgerechte Pausieren der Medikation abhängig
von der Nierenfunktion entscheidend, so dass sich ein Bridging daher meist
erübrigt.
Schlussfolgerung: Zum Umgang mit oralen Antikoagulanzien und Thrombozytenaggregationshemmern liegen für endoskopische Interventionen fundierte
Empfehlungen und Behandlungsalgorithmen vor. Die Empfehlungen zur Sicherheit und zum optimalen Management von NOAK bei interventionellen Eingriffen
müssen noch durch größere Untersuchungen abgesichert werden.
►Zitierweise
Lange CM, Fichtlscherer S, Miesbach W, Zeuzem S, Albert J:
The periprocedural management of anticoagulation and platelet aggregation
inhibitors in endoscopic interventions. Dtsch Arztebl Int 2016; 113: 129–35.
DOI: 10.3238/arztebl.2016.0129
ie intestinale Blutung ist eine der häufigsten Komplikationen nach endoskopischen Eingriffen (1).
Das Risiko kann sich durch eine Therapie mit Antikoagulanzien oder Thrombozytenaggregationshemmern erhöhen
(1). Bei Patienten, die mit diesen Medikamenten behandelt
werden, muss vor endoskopischen Interventionen abgewogen werden, ob die Reduktion des Blutungsrisikos durch
ein Pausieren der Antikoagulanzien beziehungsweise
Thrombozytenaggregationshemmer das damit einhergehende höhere Risiko thromboembolischer Komplikationen rechtfertigt. Hierfür sowie für die Entscheidung, ob
eine vorübergehende Therapie mit Heparinen, das sogenannte Bridging, indiziert ist, müssen vor jeder Endoskopie das Blutungsrisiko des endoskopischen Eingriffs, die
Vorrangigkeit der Therapie mit Antikoagulanzien oder
Aggregationshemmern und die Dringlichkeit des Eingriffs sorgfältig eingeschätzt werden.
Die vorliegende Übersichtsarbeit fasst die verfügbare Evidenz zum Umgang mit Antikoagulanzien und
Thrombozytenaggregationshemmern vor viszeralmedizinischen endoskopischen Interventionen zusammen
und hebt neue Erkenntnisse hervor.
D
Methodik
Eine selektive Literaturrecherche in Pubmed mit den
Suchbegriffen „bridging therapy“, „endoscopy“, „complications“, „bleeding risk“, „anticoagulants“, „antiplatelet agents“, „antithrombotic“, „clopidogrel“, „periprocedural managment“, „NOACs“ und deren Kombinationen wurde durchgeführt. Relevante Leitlinien der
Fachgesellschaften (Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten,
American Society for Gastrointestinal Endoscopy,
American College of Chest Physicians, European Society of Gastrointestinal Endoscopy, European Society
of Cardiology) wurden berücksichtigt.
Ergebnisse
Medizinische Klinik 1, Schwerpunkt Gastroenterologie und Hepatologie, Goethe Universitätsklinikum
Frankfurt, Frankfurt am Main: PD Dr. med. Lange, Prof. Dr. med. Zeuzem, Prof. Dr. med. Albert
Medizinische Klinik 3, Schwerpunkt Kardiologie, Goethe Universitätsklinikum Frankfurt, Frankfurt am Main:
Prof. Dr. med. Fichtlscherer
Medizinische Klinik 2, Schwerpunkt Hämostaseologie, Goethe Universitätsklinikum Frankfurt, Frankfurt am
Main: PD Dr. med. Miesbach
Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 8 | 26. Februar 2016
Blutungsrisiko bei viszeralmedizinischen endoskopischen
Interventionen
Bei einer diagnostischen Endoskopie mit oder ohne
Schleimhautbiopsie treten, auch unter einer Therapie
mit Antikoagulanzien oder Thrombozytenaggregati-
129
MEDIZIN
TABELLE 1
Risikostratifizierung gastroenterologischer endoskopischer Eingriffe
Eingriff mit hohem Blutungsrisiko
(≥ 1,5 %)
Eingriff mit niedrigem Blutungsrisiko
(< 1,5 %)
– Polypektomie
– diagnostischer Eingriff ± Biopsie bzw. ±
Abtragung kleiner Polypen?*
– Papillotomie (ERCP)
– endoskopischer Ultraschall (EUS) mit
Feinnadelaspiration
– Varizentherapie
– Dilatation/Bougierung
– Implantation eines Metall-Stents im
Magendarmtrakt mit Dilatation/Bougierung
– endoskopische Submukosadissektion
– Stentwechsel (ERCP)
– diagnostischer endoskopischer
Ultraschall (EUS)
– Kapselendoskopie
– diagnostische Ballon-Enteroskopie
– Implantation eines Metall-Stents im
Magendarmtrakt ohne Dilatation/Bougierung
– endoskopische Mukosaresektion
– Gastropexie, PEG
– Leberpunktion
* kontrovers diskutiert; ERCP, endoskopische retrograde Cholangiopankreatikographie;
EUS, endoskopischer Ultraschall; PEG, perkutane endoskopische Gastrostomie
130
(11, 12). Bei der Ektomie größerer Kolonpolypen erhöhte die Behandlung jedoch auch im Falle eines
Bridging mit Heparin die Rate an Blutungen (2,2 %
versus 0,2 %) (13, 14).
Endoskopische retrograde Cholangiopankreatikographie
Die diagnostische endoskopische retrograde Cholangiopankreatikographie (ERCP) ist mit einem niedrigen Blutungsrisiko (< 0,1 %) verbunden, wohingegen
die Papillotomie mit einem hohen Blutungsrisiko einhergeht (15). In prospektiven Studien wurde eine Blutungsrate von 2–6 % nach Papillotomie beobachtet
(16, 17). ASS scheint das Blutungsrisiko nach diesem
Eingriff nicht wesentlich zu erhöhen (18).
Perkutane endoskopische Gastrostomie
Eine kürzlich publizierte Metaanalyse ermittelte eine
Blutungsrate von 2,7 %, nachdem eine perkutane endoskopische Gastrostomie (PEG) angelegt wurde (19).
Lediglich eine duale Therapie mit Thrombozytenaggregationshemmern, nicht jedoch eine Monotherapie mit
ASS oder Clopidogrel, war in dieser Analyse mit einem
relevant gesteigerten Blutungsrisiko assoziiert (19).
onshemmern, nur sehr selten klinisch relevante Blutungen auf (< 0,1 %) (2–5). Endoskopische Maßnahmen werden in internationalen Leitlinien als Eingriffe
mit niedrigem Blutungsrisiko eingeordnet, wenn in
< 1,5 % der Fälle mit einer Blutung gerechnet werden
muss. Dahingegen wird ein Blutungsrisiko von
≥ 1,5 % als hoch gewertet (Tabelle 1) (2, 6, 7). Die
folgenden exemplarischen Studien helfen dabei, diese
Zahlen in den Kontext einer Therapie mit Antikoagulanzien oder Thrombozytenaggregationshemmern zu
übertragen.
Bronchoskopie
Bronchoskopische Eingriffe unterscheiden sich von
gastroenterologischen endoskopischen Interventionen durch die unter Umständen gravierenden Konsequenzen (Aspiration) auch bei nicht hämodynamisch relevanten Blutungen. Bronchoskopien mit/
ohne Biopsie können unter ASS durchgeführt werden. Clopidogrel und Antikoagulanzien sollten jedoch vor jeder Bronchoskopie mit Biopsie
(Schleimhautbiopsie und transbronchiale Biopsie)
abgesetzt werden (20).
Polypektomie
Die Ektomie kleiner Kolonpolypen (< 1 cm) ist mit
einem nur geringen Blutungsrisiko verbunden
(< 1 %) (5), wohingegen die Abtragung größerer
oder sessiler Kolonpolypen mit einem hohen Blutungsrisiko assoziiert ist. Zum Beispiel treten 5,2 %
leichte und 1,5 % schwere Hämorrhagien auf,
nachdem Polypen > 20 mm entfernt wurden (8).
Die Abtragung von Polypen im Magen und Duodenum ist generell mit einem hohen (> 1,5 %), die endoskopische Ektomie flacher Polypen im Duodenum mit einem sehr hohen Blutungsrisiko verbunden (> 10 %) (1).
Das Blutungsrisiko nach Polypektomie im Kolon
wird durch Acetylsalicylsäure (ASS) nicht wesentlich
gesteigert (9). Dagegen zeigte sich in einer Metaanalyse eine erhöhte Rate an verzögerten Hämorrhagien
nach Polypektomie bei Patienten, die Clopidogrel alleine oder in Kombination mit ASS (duale Thrombozytenaggregationshemmung) eingenommen hatten
(6,5 % versus 1,7 % mit/ohne Clopidogrel) (10). Unter Therapie mit Antikoagulanzien zeigte sich in einigen Studien kein relevant erhöhtes Blutungsrisiko,
nachdem kleine Kolonpolypen abgetragen wurden
Umgang mit Thrombozytenaggregationshemmern bei
viszeralmedizinischen endoskopischen Interventionen
Vor Eingriffen mit niedrigem Blutungsrisiko wie einer diagnostischen Ösophagoduodenoskopie (ÖGD),
Koloskopie oder ERCP ohne Papillotomie (Tabelle
1) müssen Thrombozytenaggregationshemmer nicht
pausiert werden (7, 21). Bei Eingriffen mit hohem
Blutungsrisiko (Tabelle 1) sollten Patienten die Einnahme von P2Y12-Inhibitoren (Clopidogrel, Prasugrel, Ticagrelor) unterbrechen, sofern ein Pausieren
seitens der Indikation der medikamentösen Therapie
vertretbar ist (Stratifizierung des Risikos von arteriellen Thrombosen/Stentthrombosen in Tabelle 2)
(7, 21–23). ASS kann hierbei in der Regel weiterhin
gegeben werden, wenn eine duale Therapie mit
Thrombozytenaggregationshemmern besteht, beziehungsweise vorübergehend anstelle einer Monotherapie mit P2Y12-Inhibitoren eingesetzt werden (7,
21). Clopidogrel, Ticagrelor und Prasugrel sollten in
der Regel sieben Tage vor dem endoskopischen Eingriff abgesetzt werden (7, 21). Für einen dringlichen
Eingriff kann gegebenenfalls das Blutungsrisiko
durch die Transfusion von Thrombozyten verringert
werden. Dieses Vorgehen gilt aber nicht für TicagreDeutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 8 | 26. Februar 2016
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lor, da der aktive Wirkstoff im Blut zirkuliert (24).
Bei Eingriffen mit hohem Risiko für Blutungen sowie arteriellen Verschlüssen beziehungsweise Stentthrombosen muss letztlich interdisziplinär und im
Konsens mit dem Patienten das individuelle NutzenRisiko-Verhältnis einer vorübergehenden Monotherapie mit ASS erörtert werden (Tabelle 2). Eine Hilfe
bei der Risikoabwägung kann die Placebo-kontrollierte POISE-2-Studie sein, die Risikopatienten mit
nichtkardialen chirurgischen Eingriffen einschloss.
Demnach führt die perioperative Gabe von ASS zwar
zu einem erhöhten Blutungsrisiko (4,6 % versus
3,8 %), nicht jedoch zu einer reduzierten Rate an
Myokardinfarkten (25). Allerdings hatten nur 4 %
der Studienteilnehmer einen einliegenden Koronarstent. In anderen Studien wurde bei Patienten mit
Koronarstents eine hohe Rate an kardialen und zerebrovaskulären Komplikationen von circa 10 % beobachtet, wenn die Einnahme von Aggregationshemmern komplett pausiert wurde (26).
Umgang mit Antikoagulanzien bei gastroenterologischen
endoskopischen Interventionen
Für die Risikoabwägung, ob eine Therapie mit Antikoagulanzien unterbrochen werden kann und ob gegebenenfalls eine überbrückende Therapie mit Heparin,
das sogenannte Bridging, durchgeführt werden sollte,
muss neben dem Blutungsrisiko des geplanten Eingriffs auch das individuelle Thromboembolierisiko
des Patienten bestimmt werden. Tabelle 3 fasst das
Thromboembolierisiko der wichtigsten Entitäten zusammen, wenn keine adäquate Therapie mit Antikoagulanzien erfolgt. Hierbei wird im Allgemeinen zwischen einem hohen (≥ 10 %), mittleren (circa 4–10 %)
und niedrigen Thromboembolierisiko (< 4 %) bezogen auf ein Jahr unterschieden (22, 23). Die Daten zur
Risikoeinschätzung thromboembolischer Komplikationen wurden jedoch nicht unter Berücksichtigung
von interventionellen Eingriffen erhoben. Wenn die
Antikoagulation bei Patienten mit niedrigem und mittlerem Thromboembolierisiko kurzfristig unterbrochen
wird, treten in etwa 0,1–0,7 % der Fälle eine Thromboembolie innerhalb von 30 Tagen nach dem Eingriff
auf. Dabei kann das (chirurgische) Trauma pathophysiologisch die Bildung von Thromben begünstigen
(27–29).
In Abhängigkeit vom Blutungs- und Thromboembolierisiko wird der periinterventionelle Umgang mit
Vitamin-K-Antagonisten (VKA) in Tabelle 4 und mit
nicht-VKA-oralen Antikoagulanzien (NOAK) in Tabelle 5 zusammengefasst.
Unterbrechung einer Therapie mit Vitamin-K-Antagonisten
bei elektiver Endoskopie
Bei endoskopischen Eingriffen mit niedrigem Blutungsrisiko (Tabelle 1) sollte die Therapie mit VKA
periprozedural unverändert fortgeführt werden (2, 6,
22). Dies gilt in der Regel gleichermaßen für Patienten mit einem hohen sowie niedrigen Thromboembolierisiko (2, 6, 22). Bei Indikationen mit hoher ZielDeutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 8 | 26. Februar 2016
TABELLE 2
Stratifizierung des Risikos von arteriellen Thrombosen/Stentthrombosen*1
hohes Risiko einer arteriellen
Thrombose bzw. Stentthrombose
(> 0,5 %)
niedriges Risiko einer arteriellen
Thrombose
– Zustand nach akutem Koronarsyndrom
(STEMI und NSTEMI) innerhalb der
ersten zwölf Monate
– periphere arterielle Verschlusskrankheit
(pAVK) ohne Stent
– koronare Stents innerhalb der ersten
sechs Monate nach Implantation (bei
„drug eluting stents“ vor allem in den
ersten drei Monaten, bei „bare metal
stents“ insbesondere in den ersten vier
Wochen nach Stentimplantation)*2
– Primär- und Sekundärprophylaxe des
nichtkardioembolischen Schlaganfalls
– koronare Herzkrankheit (KHK) ohne die
oben genannten Umstände
STEMI, ST-Strecken-Hebungs-Myokardinfarkt; NSTEMI, Nicht-ST-Strecken-Hebungs-Myokardinfarkt;
pAVK, periphere arterielle Verschlusskrankheit; KHK, koronare Herzkrankheit
*1 modifiziert nach (23)
*2 Es bestehen erhebliche Unterschiede abhängig von der Stentgröße, -lokalisation und -art sowie
den einzelnen medikamentösen Beschichtungen. Daher ist in Risikokonstellationen eine interdisziplinäre
Entscheidung mit den behandelnden Kardiologen sinnvoll.
TABELLE 3
Stratifizierung des Thromboembolierisikos verschiedener Diagnosen*
hohes Thromboembolierisiko (≥ 10 %/Jahr)
– TVT oder LAE innerhalb der letzten drei Monate
– VHF und Schlaganfall oder TIA innerhalb der letzten drei Monate
Gruppe A
– bestimmte mechanische Herzklappen (künstliche Mitralklappe,
einige ältere Modelle künstlicher Aortenklappen, Doppelklappenersatz, jede mechanische Herzklappe nach Thromboembolie)
– VHF mit CHA2DS2-VASc von 6–9 Punkten, valvuläres VHF, mit
Thrombus im Vorhof
– schwere Thrombophilie (Faktor-V-Leiden homozygot, Antiphospholipid-Syndrom, hochgradiger Protein-C-/Protein-S-/AntithrombinMangel)
mittleres Thromboembolierisiko (circa 4–10 %/Jahr)
– idiopathische TVT oder LAE innerhalb des letzten Jahres, aber länger als drei Monate zurückliegend
Gruppe B
– VHF bei CHA2DS2-VASc von 4–5 Punkten
– Herzklappen (Bioprothesen innerhalb der ersten drei Monate, die
meisten künstlichen Aortenklappen)
niedriges Thromboembolierisiko (< 4 %/Jahr)
Gruppe C
– sekundäre TVT oder LAE innerhalb des letzten Jahres, aber länger
als drei Monate zurückliegend
– VHF bei CHA2DS2-VASc = 1–3
– Bioprothesen nach drei Monaten
TVT, tiefe Venenthrombose; LAE, Lungenarterienembolie; TIA, transitorische ischämische Attacke;
VHF, Vorhofflimmern
*modifiziert nach (22, 23)
INR (INR, International Normalized Ratio), zum
Beispiel einer künstlichen Mitralklappe mit einer
Ziel-INR von 2,5–3,5, kann erwogen werden, die
INR in den unteren Zielbereich sinken zu lassen, da
nur wenige Daten zur Sicherheit endoskopischer
Eingriffe bei einer INR > 2,5 vorliegen (2). Die Gabe
131
MEDIZIN
TABELLE 4
Vorgehen bei einer Therapie mit Vitamin-K-Antagonisten (VKA) bei elektiven
viszeralmedizinischen Endoskopien
Thromboembolierisiko
Blutungsrisiko
niedrig
(Gruppe C nach Tabelle 3)
hoch
(Gruppe A nach Tabelle 3)
niedrig (< 1,5 %)
Therapie mit VKA
unverändert weiterführen
Therapie mit VKA
unverändert weiterführen
hoch (≥ 1,5 %)
Therapie mit VKA
pausieren, kein Bridging mit
Heparin
Therapie mit VKA
pausieren, Indikation zum
Bridging mit Heparin
Tabelle in Anlehnung an Müller-Lissner et al. (40). Bei mittlerem Thromboembolierisiko (entspricht Gruppe B
nach Tabelle 3) und hohem Blutungsrisiko des Eingriffs muss eine individuelle Entscheidung getroffen werden (Ausführungen im Text).
von Vitamin K sollte in dieser Situation jedoch vermieden werden (22, 23).
Bei endoskopischen Eingriffen mit hohem Blutungsrisiko (Tabelle 1) muss eine Therapie mit VKA
in der Regel unterbrochen werden (2, 6, 21–23). Die
Einschätzung des individuellen Thromboembolierisikos (Tabelle 3) ist von wesentlicher Bedeutung für die
Entscheidung, ob ein Bridging mit Heparin durchgeführt werden muss oder ob lediglich die VKA-Therapie ohne Bridging unterbrochen werden sollte. Bei Patienten mit niedrigem Thromboembolierisiko kann auf
ein Bridging verzichtet werden (Gruppe C in Tabelle
3) (2, 6, 21–23). Dagegen sollte bei Patienten mit hohem Thromboembolierisiko (Gruppe A in Tabelle 3)
in aller Regel ein Bridging erfolgen. Das Vorgehen bei
Patienten mit mittlerem Thromboembolierisiko
(Gruppe B in Tabelle 3) ist derzeit noch nicht eindeutig festegelegt. Auch die Leitlinien geben hier keine
eindeutige Empfehlung ab (2, 6, 21–23). Die im Folgenden skizzierten neuen Studien zeigen aber, dass
auch in dieser Gruppe meist kein Bridging erforderlich ist.
Bereits nichtrandomisierte prospektive Studien bei
Patienten mit kleineren chirurgischen oder interventionellen Eingriffen und deren Metaanalysen legten
nahe, dass ein Bridging mit Heparin zu einer erhöhten
Rate an Blutungen führt (4,2 % versus 0,9 % Majorblutungen), ohne das Risiko thromboembolischer
Komplikationen zu senken (30, 31). Eine prospektive
randomisierte Studie bestätigt diese Ergebnisse, indem sie zeigte, dass ein Bridging mit niedermolekularem Heparin im Vergleich zu einer fortgesetzten
Therapie mit Warfarin während der Implantation eines
Schrittmachers/Defibrillators mit einer signifikant
gesteigerten Rate an Blutungskomplikationen verbunden war (16 % [n = 56] versus 3,5 % [n = 12]).
Insgesamt traten allerdings nur sehr wenige Thromboembolien auf (n = 2) (32). Eine große placebokontrollierte Studie zum Bridging vor chirurgischen Eingriffen bei Patienten mit Vorhofflimmern wurde 2015
veröffentlicht (33): Fünf Tage vor der Intervention
wurde Warfarin abgesetzt und entweder Dalteparin
132
oder Placebo verabreicht. Ein Verzicht auf ein
Bridging führte in dieser Studie nicht zu einer erhöhten Rate an thromboembolischen Komplikationen (in
beiden Armen < 0,5 %), jedoch zu einer signifikant
niedrigeren Rate an periinterventionellen Blutungen
(1,3 versus 3,2 %). Im Analogieschluss ist auch für
endoskopische Eingriffe nicht zu erwarten, dass
thromboembolische Komplikationen vermehrt auftreten, wenn kein Bridging erfolgt.
Wenn indiziert, sollte die Einnahme der VKA so
kurz wie möglich unterbrochen werden – in der Regel
fünf, gelegentlich bis zu acht Tage. Zu beachten ist die
kürzere Halbwertszeit von Warfarin im Vergleich zu
Phenprocoumon (Marcumar). Ein Bridging mit Heparin in therapeutischer Dosierung wird begonnen, wenn
die Ziel-INR von < 2 erreicht ist (circa 36 Stunden
nach der letzten VKA-Dosis) und endet 4–6 (unfraktioniertes Heparin) oder 12–24 Stunden (niedermolekulares Heparin) vor der Intervention (2, 22, 23). In
der Regel kann der VKA in der bisherigen Erhaltungsdosis am Abend des Interventionstages wieder eingenommen werden. Wenn ein hohes Blutungsrisiko wie
bei der Papillotomie vorliegt, sollte die therapeutische
Heparindosis im Rahmen des Bridging erst nach
48–72 Stunden wieder verabreicht werden (6). Besteht hohe Dringlichkeit der Antikoagulation, zum
Beispiel bei einer künstlicher Mitralklappe, kann die
Behandlung unter Nutzen-Risiko-Abwägung gegebenenfalls auch früher eingesetzt werden. Insbesondere
bei Patienten mit mechanischen Kunstklappen sollte
das Vorgehen mit dem behandelnden Kardiologen vor
dem endoskopischen Eingriff besprochen werden.
Unterbrechung einer Therapie mit nicht-Vitamin-KAntagonist-oralen Antikoagulanzien bei elektiver Endoskopie
Wegen des sofortigen Wirkungseintritts und der kurzen Halbwertszeit von NOAK erübrigt sich ein Bridging mit Heparinen (34). Stattdessen kann die Einnahme von NOAK vor dem Eingriff prinzipiell einfach pausiert werden und wieder eingesetzt werden,
wenn eine ausreichende Hämostase erreicht ist. Problematisch ist, dass die zugelassenen NOAK mehr
oder weniger stark renal eliminiert werden und daher
bei Niereninsuffizienz kumulieren können. Bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion sind
NOAK daher abhängig von der Kreatinin-Clearance
und der eingesetzten Substanz für einen längeren
Zeitraum abzusetzen, um eine vollständige Wiederherstellung der Hämostase zu gewährleisten (21).
Tabelle 5 enthält eine modifizierte Empfehlung zum
Pausieren von NOAK vor endoskopischen Interventionen in Anlehnung an Baron et al. (21). Sie beruht
im Wesentlichen auf den Fachinformationen sowie
einigen wenigen Informationen aus den Zulassungsstudien, vor allem zu Dabigatran. Wegen einer sehr
spärlichen Datenlage kann Tabelle 5 derzeit nur als
Anhaltspunkt gewertet werden.
Zur Zeit liegen keine belastbaren Daten zur Sicherheit von endoskopischen Eingriffen bei Patienten, die
mit NOAK behandelt werden, vor. Bemerkenswert ist
Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 8 | 26. Februar 2016
MEDIZIN
jedoch, dass NOAK in den Zulassungsstudien im Vergleich zu VKA zwar mit einer geringeren Rate an
Blutungen im Allgemeinen assoziiert waren, aber
die Rate an gastrointestinalen Blutungen unter einer
Therapie mit NOAK höher als unter VKA sein konnte
(35, 36). Dies wird auf eine lokale Wirksamkeit der
NOAK im Gastrointestinaltrakt zurückgeführt, insbesondere bei Dabigatran und Rivaroxaban. NOAK
können 24 beziehungsweise 48–72 Stunden nach Eingriffen mit niedrigem beziehungsweise hohem Blutungsrisiko wieder eingesetzt werden (21). Die langen
Intervalle sind erforderlich, da NOAK wenige Stunden nach Einnahme ihre volle therapeutische Wirksamkeit entfalten. Sollte bei Hochrisikoeingriffen ein
noch längeres Pausieren notwendig erscheinen, muss
eine vorübergehende Gabe von Heparinen nach der
Intervention erwogen werden.
Notfallendoskopie bei Patienten unter Therapie mit
Antikoagulanzien oder Thrombozytenaggregationshemmern
Eine gastrointestinale Blutung bei Patienten, die mit
Antikoagulanzien oder P2Y12-Inhibitoren behandelt
werden, ist oft eine klinische Situation mit hohem Risiko für den Betroffenen. Nachdem der Patient stabilisiert wurde, muss eine Endoskopie zur Detektion
und Behandlung der Blutungsquelle durchgeführt
werden. Eine endoskopische Blutstillung ist auch unter Vollantikoagulation sicher und effektiv (37). In einer Studie betrug die Re-Blutungsrate nach oberer
gastrointestinaler Blutung 23 % bei Patienten mit einer INR > 2 und 21 % im Fall einer normwertigen
INR während der initialen endoskopischen Blutstillung (37). Wird die Antikoagulation zur Re-Blutungsprophylaxe pausiert, reduzierte sich das Re-Blutungsrisiko lediglich nichtsignifikant (circa 15 versus
20 %). Dadurch erhöhte sich jedoch das Thromboembolierisiko deutlich (8 versus 0,8 %) (38). Bei Patienten mit hohem Risiko für eine Thromboembolie beziehungsweise Stentthrombose sollte die Therapie
mit Antikoagulanzien beziehungsweise Thrombozytenaggregationshemmern daher nur in sehr gut begründeten Fällen, das heißt bei vital bedrohlicher
Blutung, unterbrochen werden. In diesem Fall kann
es auch sinnvoll sein, Antikoagulanzien beziehungsweise Thrombozytenaggregationshemmer noch vor
einer endoskopischen Intervention zu antagonisieren.
Heparine können mit Protamin, das niedermolekulare
Heparine nur unzureichend antagonisiert, VKA mit
Vitamin K und/oder Prothrombinkomplex-Präparaten
und Thrombozytenaggregationshemmer mit Thrombozytentransfusionen antagonisiert werden. Letzteres
ist jedoch bei Ticagrelor nicht wirksam. Zu beachten
ist allerdings, dass vor allem bei künstlichen Mitralklappen tödlich verlaufende Thromboembolien beobachtet wurden – selbst wenn eine derangierte INR mit
Vitamin K lediglich in den therapeutischen Zielbereich gesenkt wurde (22). Mittlerweile wurden Antagonisten für NOAK entwickelt, zum Beispiel Idarucizumab (zugelassen 2015) für Dabigatran, Andexanet
alfa (Phase III) für Apixaban, Rivaroxaban und mögDeutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 8 | 26. Februar 2016
TABELLE 5
Zeitraum, in dem direkte orale Antikoagulanzien vor elektiven
viszeralmedizinischen Endoskopien abgesetzt werden sollten*
Wirkstoff
Dabigatran
Rivaroxaban
Apixaban
Edoxaban
Nierenfunktion
(GFR in mL/min)
Blutungsrisiko
Standardrisiko
hohes Risiko
≥ 80
1 Tag
2 Tage
≥ 50 bis < 80
1–2 Tage
2–3 Tage
30 bis < 50
2–3 Tage
4–5 Tage
> 50
1 Tag
2 Tage
30 bis 50
1–2 Tage
3–5 Tage
15 bis < 30
2–3 Tage
4–7 Tage
> 50
1 Tag
2 Tage
30 bis 50
1–2 Tage
3–4 Tage
15 bis < 30
2–3 Tage
4–5 Tage
> 80
1 Tag
2 Tage
50 bis 80
1–2 Tage
3–4 Tage
15 bis < 50
2–3 Tage
4–5 Tage
Der Begriff „Standardrisiko“ wurde den Fachinformationen entnommen. GFR, glomeruläre Filtrationsrate
*modifiziert nach (21, 39)
licherweise Edoxaban. Bis zu deren Verfügbarkeit
kann bei vitaler Indikation erwogen werden, Dabigatran mit dem rekombinanten Faktor VIIa und Rivaroxaban, Apixaban oder Edoxaban mit Prothrombinkomplex-Präparaten zu antagonisieren (21). Dieses
Vorgehen ist jedoch nur eingeschränkt effektiv und
ebenfalls mit einem relevanten Thromboembolierisiko verbunden (39). Des Weiteren kann Dabigatran im
Falle einer Niereninsuffizienz mittels Hämodialyse
entfernt werden, bei einer Therapie mit Rivaroxaban,
Apixaban oder Edoxaban kann als ultima ratio eine
Plasmapherese oder Elimination mittels extrakorporalen Leberersatzverfahren (Prometheus, MARS) erwogen werden (39).
Fazit
Belastbare Daten zeigen, dass viszeralmedizinische
endoskopische Eingriffe mit niedrigem Blutungsrisiko unter einer Therapie mit VKA oder Thrombozytenaggregationshemmern durchgeführt werden können,
wohingegen bei Eingriffen mit hohem Blutungsrisiko
eine Therapie mit Antikoagulanzien und P2Y12-Inhibitoren pausiert werden sollte. Ein Bridging mit Heparin im Falle einer Behandlung mit VKA ist nur noch
bei wenigen Patienten mit sehr hohem Thromboembolierisiko indiziert. Bei NOAK erübrigt sich in der
Regel ein Bridging, denn hier ist das zeitgerechte
Pausieren der Medikation abhängig von der Nierenfunktion bedeutsamer. Allerdings basieren die Empfehlungen zum Umgang mit NOAK bei endoskopischen
Eingriffen im Wesentlichen auf Expertenmeinungen.
Prospektive Studien zur Absicherung dieser Empfehlungen sind dringend erforderlich.
133
MEDIZIN
KERNAUSSAGEN
● Eine Therapie mit Vitamin-K-Antagonisten (VKA), nichtVKA-oralen Antikoagulanzien (NOAK) und Thrombozytenaggregationshemmern kann bei gastrointestinalen
endoskopischen Eingriffen mit niedrigem Blutungsrisiko,
zum Beispiel diagnostischer Koloskopie, unverändert
fortgesetzt werden.
● Müssen VKA oder NOAK vor viszeralmedizinischen endoskopischen Eingriffen mit hohem Blutungsrisiko abgesetzt werden, ist in den meisten Fällen kein Bridging
mit Heparin erforderlich.
● Ein Bridging mit Heparin wird nur noch bei wenigen Patienten mit sehr hohem Thromboembolierisiko empfohlen, beispielsweise bei einer künstlichen Mitralklappe.
● Die kürzlich erfolgte (Idarucizumab) beziehungsweise
bevorstehende (Andexanet alfa) Zulassung von spezifischen Antidots gegen NOAK bedeutet einen erheblichen Fortschritt für die sichere Anwendung dieser Antikoagulanzien.
● Um den Einsatz von NOAK zu optimieren, sollten die
notwendigen periinterventionellen Pausierungsintervalle
abhängig von der Kreatinin-Clearance wissenschaftlich
exakt bestimmt werden.
Interessenkonflikt
Prof. Dr. med. Fichtlscherer wurde für Vorträge zum akuten Koronarsyndrom
(ACS)/Thrombozytenaggregationshemmern honoriert von den Firmen AstraSeneca
und Daiichi Sankyo.
Die übrigen Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Manuskriptdaten
eingereicht: 3. 8. 2015, revidierte Fassung angenommen: 5. 10. 2015
LITERATUR
1. Committee ASoP, Ben-Menachem T, Decker GA, et al.: Adverse
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Anschrift für die Verfasser
PD Dr. med. Christian M. Lange
Medizinische Klinik 1
Goethe Universitätsklinikum Frankfurt
Theodor-Stern-Kai 7
60590 Frankfurt am Main
[email protected]
Zitierweise
Lange CM, Fichtlscherer S, Miesbach W, Zeuzem S, Albert J:
The periprocedural management of anticoagulation and platelet aggregation
inhibitors in endoscopic interventions. Dtsch Arztebl Int 2016; 113: 129–35.
DOI: 10.3238/arztebl.2016.0129
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Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 8 | 26. Februar 2016
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