SEITE EINS KRANKENKASSENBEITRÄGE Mutmaßungen Michael Schmedt itte letzter Woche gingen Schlagzeilen wie „Milliardenloch durch Flüchtlinge in der gesetzlichen Krankenversicherung“ durch die Medien. Was war passiert? Gab es neue Zahlen aus dem Bundesgesundheitsministerium, oder warnte der GKVSpitzenverband vor Verlusten? Nein. Die Frankfurter Rundschau (FR) hatte ausgerechnet, dass bereits 2016 ein Defizit von mehreren hundert Millionen Euro zu erwarten sei, weil der Bund für Flüchtlinge sowie HartzIV-Empfänger zu geringe Krankenkassenbeiträge überweise. Für 2017 müsse man daher mit einem Milliardenloch rechnen. Die Rechnung sieht wie folgt aus: Der Bund zahlt an die Krankenkassen für die gesundheitliche Versorgung von Hartz-IV-Empfängern circa 90 Euro im Monat. Unter der Annahme, dass die Flüchtlinge nach 15 Monaten Wartezeit, in denen die Kommunen die Kosten tragen, zunächst arbeitslos sind, haben sie dann ebenfalls Anspruch auf Hartz IV. Erfahrungswerte zeigen, dass ProKopf-Ausgaben von 180 bis 200 Euro für die Gesundheitsversorgung der Flüchtlinge realistisch sind. Ergo fehlen durchschnittlich 100 Euro. Wenn die erste Million Flüchtlinge 2017 ihre Wartezeit hinter sich hat, sei das Milliardendefizit schon erreicht, rechnet die FR. So einfach die Rechnung ist, so sehr wird sie aber von Mutmaßungen bestimmt. Denn kaum jemand kann prognostizieren, wie viele gesunde oder eben kranke arbeitslose Asylbewerber 2017 die Kassen belasten. Zudem ist ein Defizit auch ohne Flüchtlinge zu erwarten, denn für den „normalen“ Hartz-IV-Empfänger reichen die 90 Euro im Monat ebenfalls nicht. Das „drohende Milliardenloch“ ist eben kein Flüchtlingsproblem, wie auch der GKV-Spitzenverband bestätigt. Die Mehrausgaben der Kassen für ALG-II-Bezieher sei ein grundsätzliches Problem, das sich bereits seit Jahren stelle. „Ob und inwieweit sich dieses Problem durch die Flüchtlingswelle verschärft, kann zurzeit noch in keiner Weise eingeschätzt werden“, sagte eine Sprecherin. Keine Mutmaßung ist, dass der Gesundheitszustand der Flüchtlinge, der sich auf die Ausgaben der GKV aus- M Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 8 | 26. Februar 2016 wirkt, in der Regel gut ist. Sie haben zwar meist eine kräftezehrende Odyssee hinter sich, sind aber in der Regel jünger und seltener übergewichtig oder chronisch krank, wie die Bundesärztekammer, die AOK und das Robert Koch-Institut berichteten. Sicherlich werden wegen der vielen Flüchtlinge höhere Kosten auf den Staat und auch die Versichertengemeinschaft zukommen, die die Defizite zurzeit mit den Zusatzbeiträgen alleine schultern muss. Das darf auch nicht verschwiegen werden. Aber nicht mit Schlagzeilen, die Flüchtlinge quasi zu Schuldigen machen. Man sollte auch die Chancen sehen, die sich bieten. Denn die Asylbewerber von heute können die Beitragszahler von morgen sein. Bereits heute führt die demografische Entwicklung dazu, dass ausländische Ärzte und Pflegekräfte angeworben werden – und es sind immer noch zu wenige. Jetzt gibt es ein Projekt der Diakonie in Berlin, in dem Asylsuchende zu PflegehelferInnen ausgebildet werden. Das ist ein kleiner Anfang, eine Chance, die es zu verfolgen gilt. Die Sorge um die Belastung der Krankenkassen ist nicht unberechtigt, aber gerade deshalb ist eine gute Integrationspolitik so wichtig. Sie ist eine große Chance für den Arbeitsmarkt, denn das Gesundheitswesen braucht künftig immer mehr Arbeitskräfte und damit Beitragszahler. Dann geht es auch den Krankenkassen weiterhin gut. Michael Schmedt Stellv. Chefredakteur A 299
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