Kraftakt Kraftprobe Kraftausdruck Wohnungsbau ist nicht nur wegen der Flüchtlinge dringend nötig. Seite 3 »Super Tuesday« in den USA für Sanders, Clinton, Trump und Co. Seite 7 Pöbel, Pack, Mob: Verbalinjurien und deutsche Debatte. Seite 15 Foto: dpa/Erik S. Lesser Foto: dpa/David Ebener Dienstag, 1. März 2016 71. Jahrgang/Nr. 51 Berlinausgabe 1,70 € www.neues-deutschland.de * STANDPUNKT Letzte Chance Aert van Riel über das NPD-Verbotsverfahren In nächster Zeit bietet sich eine große Chance, der rechten Szene eine juristische Niederlage zuzufügen. Diese würde vor allem deswegen schwer wiegen, weil man der NPD nach einem möglichen Verbot durch das Bundesverfassungsgericht endlich den Geldhahn zudrehen kann. Obwohl die Partei nur noch in Schwerin Abgeordnete in einem Landesparlament stellt, geht es hierbei nicht um Peanuts. 2014 bekam die NPD rund 1,4 Millionen Euro aus der staatlichen Parteienfinanzierung. Mit geringeren finanziellen Mitteln würde es den Neofaschisten deutlich schwerer fallen, neue Strukturen aufzubauen. Trotz ihrer Schwäche auf Bundesebene ist die Partei weiterhin äußerst gefährlich. In einigen ostdeutschen Regionen ist sie fest verankert und hetzt dort gegen Flüchtlinge. Eine direkte Folge davon sind die zunehmenden Anschläge auf Unterkünfte der Schutzsuchenden. Desaströs wäre es, wenn das Verfahren erneut wegen des Einsatzes der V-Leute scheitern würde. Denn ein drittes Verbotsverfahren wird es sicherlich nicht geben. In jedem Fall sind zusätzliche Maßnahmen notwendig, um die Umtriebe der Rechten einzudämmen. Denn als Alternative zur NPD steht die AfD bereit, die sogar breitere Wählerschichten mobilisieren kann. Die Regierungsparteien tragen an dem Aufstieg der neuen Rechtspartei eine Mitschuld. In der Flüchtlingspolitik wirken sie wie Getriebene der AfD. Deswegen sind die antifaschistischen Sprüche, mit denen Politiker von Union und SPD nun das NPD-Verfahren kommentieren, nur bedingt glaubwürdig. UNTEN LINKS Die deutsche Einheit ist noch längst nicht dort angekommen, wo wir sie uns wünschen. Beispielsweise ist die Verteilung der Feiertage ganz und gar nicht einheitlich, was der DGB jetzt angeprangert hat. Es gibt ein Feiertagsgefälle, und zwar von Nord nach Süd. Hoch oben gibt es teils nur neun Feiertage im Jahr, tief unten bis zu 13. In Augsburg sogar 14. Wie kann man diese eklatante Ungleichheit beseitigen? Wir haben eine redaktionelle Enquete-Kommission »Verteilung der Feiertage unter Berücksichtigung des Ziels sich angleichender Lebensverhältnisse« gebildet, und sie schlägt folgenden Umverteilungsplan vor: Man nimmt im Süden, bei den Bayern, Schwaben, den Saar- und Rheinländern, den einen oder anderen Feiertag weg und verschenkt ihn im Rahmen eines Länderausgleichs nach Norden, an die Hamburger, Bremer, Niedersachsen und Holsteiner. Umverteilung von unten nach oben – dazu müsste sich auch der DGB ausnahmsweise einmal durchringen. wh ISSN 0323-4940 Tausende Belege für rechte Hetze 20 Euro weniger als im Jahr 1992 Bundesverfassungsgericht verhandelt über das Verbot der neofaschistischen NPD DGB: Lohnzuwachs von Abgaben und Preiserhöhungen aufgefressen Berlin. Die Beschäftigten in Deutschland haben trotz Lohnerhöhungen des vergangenen Jahres im Schnitt 20 Euro weniger verdient als 1992. Das ist ein Ergebnis des Verteilungsberichts des DGB, über den die »Frankfurter Rundschau« berichtete. Zwar sei der durchschnittliche Bruttolohn seit 1991 von 1659 auf 2721 Euro gestiegen, also um 64 Prozent. Der Zuwachs sei aber durch höhere Abgaben und steigende Preise zunichte gemacht worden. Zudem wirkten sich Niedriglohnsektor und zurückhaltende Lohnpolitik auf die Einkommen aus. Zudem lag die Ungleichheit der Einkommen 2014 so hoch wie nie zuvor, von 2005 bis 2014 stieg sie laut DGB um 18 Prozent. Der durchschnittliche Vorstand eines DAX-Unternehmens erhielt pro Jahr das 167-fache eines durchschnittlichen Einkommenbeziehers. Die Tarifgehälter in Ostdeutschland lägen bei 97 Prozent des Niveaus im Westen. Doch wegen Tarifflucht oder Gehältern unterhalb des Tarifs liegen die tatsächlich gezahlten Effektivlöhne laut DGB um 17 Prozent unter dem Westniveau. nd Feuerpause hilft belagerten Orten Organisationen bringen dringend benötigte Güter in Syriens Städte Foto: dpa/Marijan Murat Berlin. Das zweite Verbotsverfahren gegen die NPD ist bereits weiter gekommen als der erste Versuch im Jahr 2003. An diesem Dienstag beginnt vor dem Bundesverfassungsgericht die zunächst dreitägige Verhandlung. Den neuen Antrag haben die Bundesländer vor mehr als drei Jahren beschlossen. Der erste Versuch war vor allem an der Quellengrundlage gescheitert. Die Karlsruher Richter mussten davon ausgehen, dass V-Leute des Verfassungsschutzes in Führungsgremien der Partei die Ausrichtung der NPD mitbestimmt und geprägt haben. Noch bevor verhandelt wurde, war das Verfahren wieder eingestellt. Die Bundesländer sehen bei der NPD eine Wesensverwandtschaft zum Nationalsozialismus mit einem ethnischen Volksbegriff und der Ablehnung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Nach Aufforderung des Bundesverfassungsgerichts reichten die Länder vergangenes Jahr einen Schriftsatz ein, der belegen soll, dass alle wesentlichen V-Leute in den Führungsebenen der Partei abgeschaltet wurden. Als Beweis der Verfassungsfeindlichkeit der NPD reichten die Länder hunderte Seiten mit tausenden Belegen ein. Allein 140 Seiten umfasst ein im August 2015 nachträglich eingereichter Schriftsatz, der auch aktuelle Fälle von Hetze gegen Flüchtlinge benennt. Es werde bewiesen, dass Anschläge auf Asylunterkünfte »eine konsequente Umsetzung der Ideologie der NPD« darstellen, hieß es. Bundesregierung und Bundestag, die auch zu einem Antrag auf ein Parteiverbot berechtigt wären, haben sich jeweils nach kontroverser Debatte gegen eigene Initiativen entschieden, signalisierten aber Unterstützung für die Länder. Der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz (SPD) kritisierte am Montag im Fernsehsender Phoenix erneut das Fernbleiben von Bundestag und Bundesrat. Agenturen/nd Seite 2 CDU beteuert Rückhalt für Merkel Nach Interview der Kanzlerin streitet die Koalition über SPD-Forderung nach einem Sozialpaket Angela Merkel verteidigt ihre Flüchtlingspolitik, die CSU bleibt auf Distanz. Laut einer aktuellen Umfrage ist die Popularität der Kanzlerin zuletzt wieder deutlich gestiegen. Von Velten Schäfer Inzwischen ist das eine Nachricht: Das CDU-Präsidium sicherte am Montag Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) weiterhin volle Unterstützung zu. Generalsekretär Peter Tauber erklärte, Deutschland sei bei der Bewältigung des Zuzugs von Flüchtlingen zuletzt »deutlich vorangekommen«. Die Registrierung sei weniger lückenhaft, die Zahl der Ankommenden seit Herbst deutlich gesunken. Dies brachte Tauber mit Maßnahmen in den Balkanstaaten und auch mit den Verhandlungen mit der Türkei in Verbindung. In den vergangenen Jahren hatte sich allerdings gezeigt, dass im Winter stets saisonale Rückgänge zu verzeichnen sind. Merkel hatte am Sonntagabend in der Sendung »Anne Will« Forderungen nach einer Obergrenze zurückgewiesen. »Ich bin zutiefst überzeugt, dass der Weg, den ich eingeschlagen habe, richtig ist.« Deutschland erlebe »eine ganz wichtige Phase« seiner Geschichte. Sie wolle eine Lösung, »bei der wir uns in ein, zwei Jahren nicht schämen müssen«. Laut ARD-Deutschlandtrend haben sich Merkels Popularitätswerte erholt. Inzwischen sind 54 Prozent mit ihr zufrieden, im Vormonat waren es 46 Prozent. Griechenland, wo derzeit Abertausende feststecken, dürfe man nicht »sitzen lassen«, so Merkel weiter. Laut Bundesregierung soll beim EU-Gipfel am 7. März über »gesamteuropäische Solidarität« gesprochen werden. Die CSU hält ihre Distanz weiterhin aufrecht, wie Parteichef Horst Seehofer verdeutlichte. Po- sitiver sieht die SPD Merkels Auftritt: Was die »Integrationsnotwendigkeit angeht, sind wir an der Seite von Frau Merkel«, so SPDVize Ralf Stegner im ZDF. »Statt Menschen gegeneinander auszuspielen, braucht es eine soziale Offensive für alle.« Katja Kipping, LINKE Streit gibt es um die Forderung von SPD-Chef Sigmar Gabriel nach einem Sozialpaket, das Benachteiligungsgefühlen in der Bevölkerung entgegenwirken soll. CDU und CSU sehen keinen Bedarf. Tauber erkennt einen Versuch, Flüchtlinge und Eingesessene »gegeneinander auszuspielen«. SPD-Generalsekretärin Katarina Barley machte demgegenüber deutlich, dass es vor allem um bereits Vereinbartes gehe. Sie mahnte die Mindestrente, die OstWest-Angleichung bei Altersbezügen und das Teilhabegesetz für behinderte Menschen an. Zudem gebe es Mehrbedarfe bei Wohnungsbau und Qualifizierung. LINKE-Chefin Katja Kipping erklärte, »statt Menschen gegeneinander auszuspielen, braucht es eine soziale Offensive für alle«. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) vermeldete aus Nordafrika den »Erfolg«, dass Marokko als Flüchtlinge nach Deutschland gekommene Staatsbürger schneller zurücknehmen wolle. Sie sollen demnach durch Fingerabdrücke identifiziert werden, das Land speichert diese derzeit für Personalausweise. Die Union forderte die Grünen erneut auf, ihre »Blockade« gegenüber der Einstufung Marokkos, Algeriens und Tunesiens als »sichere Herkunftsstaaten« aufzugeben. Kommentar Seite 4 Genf. UN-Organisationen und ihre Partner in Syrien haben mit der Lieferung von Hilfsgütern in belagerte Städte und Dörfer des Landes begonnen. Etwa 154 000 Menschen sollen in den nächsten Tagen erreicht werden. Am Montag hatte der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Seid Raad al-Hussein (Jordanien) in Genf betont, dass die Gefahr eines Hungertodes für Tausende Menschen in den eingekesselten Orten bestehe, wenn jetzt nicht geholfen werden könne. Etwa 18 Orte und Gebiete mit etwa 500 000 Bewohnern werden laut den UN von unterschiedlichen Konfliktparteien eingekesselt. Verantwortlich seien islamistische Terroristen, bewaffnete Rebellengruppen und die Truppen der Regierung. Die syrische Opposition hatte in einem Brief an UN-Generalsekretär Ban Ki Moon über schwere Brüche der Feuerpause durch das Assad-Regime und das mit ihm verbündete Russland geklagt. Ban sagte jedoch vor Journalisten, dass die Feuerpause im Großen und Ganzen eingehalten werde. epd/nd Eisenharter Jobabbau in China 1,8 Millionen Arbeitsplätze im Stahl- und Kohlebereich auf der Kippe Peking. China will wegen massiver Überkapazitäten rund 1,8 Millionen Jobs in der Stahl- und Kohleindustrie abbauen. »Die Aufgabe wird sehr schwierig, aber wir sind dennoch sehr zuversichtlich«, sagte der Minister für Arbeit und soziale Sicherheit, Yin Weimin, bei einer Pressekonferenz am Montag. Die Regierung in Peking wird demnach umgerechnet etwa 14 Milliarden Euro zur Unterstützung entlassener Arbeiter bereitstellen. Pro Wirtschaftszweig sind von dem Stellenabbau etwa 15 Prozent der Beschäftigten betroffen. Für die Entlassungen wurde zunächst kein zeitlicher Rahmen genannt. Allein die Überkapazitäten der Stahlindustrie sind in China laut einer Studie der Europäischen Handelskammer zwischen 2008 und 2014 von 132 Millionen auf 327 Millionen Tonnen gestiegen. Die Situation wird Wirtschaftsexperten zufolge auch zu einem immer größeren Problem für ausländische Konkurrenten, weil chinesische Unternehmen ihre Erzeugnisse zu Niedrigpreisen auf dem Weltmarkt anbieten. dpa/nd
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