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Selbsternannte Ordnungshüter - Was Bürgerwehren umtreibt
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Selbsternannte Ordnungshüter - Was Bürgerwehren umtreibt
Bericht: Christian Werner
Die Bürgerwehr rollt an. Seit zwei Monaten patrouilliert Daniel Denkscherz mit einigen
Mitstreitern auf den Straßen von Nordhausen. Einsatzbesprechung an der Tankstelle
Daniel Denkscherz:
So Jungs, wie sieht es aus? Lust auf Streife? Ja. Wunderbar. Würde ich sagen, teilen wir uns
auf. Jeder auf irgendein Auto. Dann fahren wir ab. Oberstadt, Unterstadt, Altstadt ja, ja.
Fahrt vorsichtig.
Die meisten Mitglieder sind nicht älter als 30. Darunter ein Auszubildender, eine
Kantinenchefin und ein Sicherheitsmann. Möbelmonteur Daniel Denkscherz ist der Gründer
der Truppe. Die Idee sei ihm quasi vor dem Fernseher gekommen.
Daniel Denkscherz:
Ich habe irgendwann mal zu Hause gesessen und verfolge die Nachrichten intensiv und
dass sich eben viele darüber auskotzen, dass nichts passiert in den Städten, dass die Polizei
eben sehr wenig gemacht,…, so, da habe ich mir gedacht, gründest du mal bei Facebook so
eine Gruppe und über Nacht waren da schon über 100 Mitglieder.
Jetzt sind es bereits über 500. Wirklich aktiv sind jedoch nur etwa 25 von ihnen. Bürgerwehr
bedeutet hier: mit dem Auto durch die Stadt fahren. Die jungen Leute treibt eine allgemeine
Verunsicherung um - und Berichte über angebliche Gewalttaten.
Daniel Denkscherz:
Die haben da oben Fußball gespielt, wie Kinder so sind. Da kamen dann eben ausländische
Kinder und die deutschen Kinder haben dann zu denen gesagt, wir können doch
zusammen auf dem Platz spielen. Ihr gegen uns oder was. Und das wollten die wohl nicht
so akzeptieren oder was ich weiß und dann haben eben die anderen, die nichtdeutschen
Kinder haben dann halt die deutschen Kinder massiv verprügelt. So ist unser Standpunkt,
wie es uns zugetragen wurde.
In diesem Fall: reines Hörensagen. Die Polizei ist dem Gerücht nachgegangen. Fazit: Das
Ganze ist nie passiert.
In den letzten Wochen häufen sich die Meldungen über neu gegründete Bürgerwehren,
allerorten scheinen selbst ernannte Ordnungshüter zu patrouillieren. Auf Facebook finden
wir allein in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt 18 Bürgerwehren.
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verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig.
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Soziologe Matthias Quent arbeitet derzeit für die Amadeu Antonio Stiftung an einer
Broschüre über Bürgerwehren. Er meint, viele der Gruppierungen sind zu allererst ein
virtuelles Phänomen.
Matthias Quent, Soziologe:
Insbesondere im Internet, vor allem auf Facebook, sprießen diese Gruppen tatsächlich seit
der Silvesternacht wie Pilze aus dem Boden, die Gruppen die sich als Bürgerwehren
bezeichnen. Aber nur bei einem kleinen Bruchteil dieser entstandenen Organisationen,
dieser virtuellen Zusammenschlüsse, steht auch etwas dahinter, was wir auch auf der
Straße wiederfinden. Die allerwenigsten davon gehen tatsächlich patrouillieren.
So wie im Vogtland. Bei „Klingenthal passt auf“ spazieren eine Hausfrau, eine Rentnerin und
drei Arbeiter durch die Stadt. Mehrmals in der Woche ist die Gruppe um Andrea Metzner
unterwegs. Sie ärgern sich über Vandalismus.
Andrea Metzner:
Die Telefonzelle ist zerstört worden, aufgebrochen worden. Zwei Mal stand da hinten ein
Briefkasten und ein Briefmarkenautomat. Das wird alles nicht ersetzt, weil es immer
wieder zerstört wird.
Die nüchternen Zahlen können an ihrer Angst nichts ändern. 2014 zählte die Polizei in
Klingenthal 31 Sachbeschädigungen und 25 Körperverletzungen. Sie selber haben noch
niemanden auf frischer Tat ertappt. Und auch an diesem Nachmittag begegnen die fünf
kaum einer Menschenseele. Bis auf ein Ehepaar, das nichts mit der Bürgerwehr am Hut hat.
Vor wem beschützt ihr uns eigentlich? Im Allgemeinen. Vor wem beschützt ihr uns
eigentlich? Wir haben uns ja nicht gegründet aufgrund der Flüchtlinge.
Das Reizwort Flüchtlinge lässt den Streit erst eskalieren. Gerade mal 20 gibt es bisher in
Klingenthal.
Mann, wenn sie uns da 50 Familien reinsetzen würden. Ihr hier unten, ich da oben. Hätte
ich Bedenken. Hast du schon mal schlechte Erfahrungen gemacht mit Ausländern. Hast du
überhaupt schon mal einen gesehen?
Die Bürgerwehr wird zur Nebensache. Jetzt geht es um Asylbewerber.
Denken sie vielleicht, uns ist mal was geschenkt worden.
Ich fahre nicht dahin, weil ich will keine Ausländer hier, also fahre ich auch nicht dahin.
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Vorbehalte gegenüber Asylbewerbern spielen offenbar eine Rolle. Uns gegenüber bestreitet
die Klingenthaler Truppe wegen der Ausländer auf Streife zu gehen.
Soziologe Matthias Quent sieht bei den Bürgerwehren ein breites Spektrum.
Matthias Quent, Soziologe:
Das sind zum einen sogenannte Nachbarschaftshilfen oder Bürgerschaftshilfen, die
teilweise schon seit Jahren bestehen und Kriminalitätsprävention in ihrem Wohnumfeld
betreiben. Diese haben in der Regel keine politische Motivation und dann gibt es diese
Gruppen, die seit Silvester entstehen. Das sind oftmals Rechtsextreme, die sich Etikett
Bürgerwehr verpassen als Vehikel, um ihre rassistischen Deutungen, ihre Gewaltaffinität
auf die Straße zu tragen.
Ein Beispiel: die Leipziger Bürgerwehr. Seit Wochen wirbt sie im Internet um Unterstützung.
Auf Streife war sie allerdings noch nicht. Gründer René M. ruft bei Facebook zum Kampf
gegen das System auf, demonstriert gemeinsam mit Rechtsextremisten, wie hier 2015 in
Halle. Mit uns reden will er aber nicht.
In der Facebookgruppe rühmt sich ein Mitglied mit dem Überfall in Leipzig Connewitz. Dort
ziehen im Januar rund 300 vermummte Hooligans durch die Straßen, zerstören über 20
Geschäfte und Kneipen. Jetzt will man als Bürgerwehr für mehr Sicherheit sorgen?
Die Leipziger Polizei ist alles andere als begeistert. Die selbsternannten Hilfssheriffs
bedeuten mehr Arbeit für die Beamten. Den Gründer haben sie schon im Visier.
Bernd Merbitz, Polizeipräsident Leipzig:
Wir haben auch schon eine Art Gefährderansprache schon gemacht, haben diese Person
auch darauf aufmerksam gemacht, dass er hier gegen Recht verstößt, wenn er das macht
und zusätzlich kommt noch eins hinzu: ja, jetzt müssen wir noch gucken, was die
Bürgerwehren machen oder wenn jemand mit so einer Weste durch die Gegend läuft, ist
er natürlich auch für uns ein Zielobjekt: was will er denn? Also haben wir die zusätzliche
Aufgabe, diese sogenannten Bürgerwehren auch noch mit zu kontrollieren.
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Zurück bei der Nordhäuser Autostreife. Nach einer zwei Stundenfahrt durch die Stadt
bilanzieren sie wie bisher bei jeder Tour keinen Zwischenfall.
Was halt ganz wichtig ist, dass wenn wirklich mal etwas passieren sollte, wir steigen nicht
wie ein paar Chaoten aus den Autos aus und prügeln da auf die Leute ein. So was machen
wir nicht.
Der Polizei möchten sie nicht ins Handwerk pfuschen. Auf der Straße präsent sein wollen sie
aber weiterhin.
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