Seconda prova scritta

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Ordentlicher Termin 2014
Erste schriftliche Prüfung
Ministero dell’Istruzione, dell’ Università e della Ricerca
P0BZ – STAATLICHE ABSCHLUSSPRÜFUNG DER OBERSCHULEN
ARBEIT AUS DEUTSCH
(Für alle Fachrichtungen: Regelcurricula und Schulversuche)
Wählen Sie für die Ausführung der Arbeit eine der vier vorgesehenen Formen der Texterstellung.
TEXTFORM A
TEXTANALYSE
Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort
als mir die sprache abhanden kam
Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort.
Sie sprechen alles so deutlich aus:
Und dieses heißt Hund und jenes heißt Haus,
und hier ist Beginn und das Ende ist dort.
vielleicht trank ich gerade kaffee
oder schlug eine zeitung auf.
vielleicht zog ich die vorhänge zu,
oder sah auf die straße, als sie
mich verließ. ich dachte noch,
was für ein röcheln
aus der tiefe der wand,
was für ein klirren in diesem raum.
kein fensterglas sprang,
kein sessel fiel um in der küche.
an den straßenschildern erloschen
namen zu buchstabenasche.
über den häusern fuhr der
worttanker davon, massig, lautlos.
meine zunge zuckte wie ein
gestrandeter wal im trockenen mund.
Mich bangt auch ihr Sinn, ihr Spiel mit dem Spott,
sie wissen alles, was wird und war;
kein Berg ist ihnen mehr wunderbar;
ihr Garten und Gut grenzt grade an Gott.
Ich will immer warnen und wehren: Bleibt fern.
Die Dinge singen hör ich so gern.
Ihr rührt sie an: sie sind starr und stumm.
Ihr bringt mir alle die Dinge um.
(Rainer Maria Rilke, aus Sämtliche Werke, Band I,
Frankfurt/Main, 1976)
ich floh aus der stadt,
zog mich hinter die grenze zurück.
kein brief kam an und antworten
blieben aus. wo ich
war, klafft eine lücke.
wo ich bin, treibt
mein schatten ins kraut.
(Maja Haderlap, aus einem unveröffentlichten
Manuskript, Audioproduktion: 2004, M.Mechner /
Literaturwerkstatt Berlin)
Zur Autorin: Maja Haderlap, geboren 1961 in Bad Eisenkappel/Kärnten, studierte Theaterwissenschaft und
Germanistik in Wien.
Maja Haderlap arbeitete nach ihrer Promotion als Dramaturgin und Universitätslektorin und war Lehrbeauftragte am
Institut für Vergleichende Literaturwissenschaften in Klagenfurt. Seit 1992 arbeitet sie als Leitende Dramaturgin am
Stadttheater Klagenfurt. Bislang erschienen drei Lyrikbände von Maja Haderlap, erst die in slowenischer Sprache
verfassten Gedichtzyklen „Žalik pesmi“, 1983, und „Bajalice“, 1987, zuletzt 1998 ein großer dreisprachiger Sammelband
mit dem schlichten Titel „Gedichte/Pesmi/Poems“, dessen Zyklus 1990-1995 erstmals auf Deutsch geschriebene
Gedichte der Autorin enthält.
Die Autorin erhielt u.a. 1989 den Preis der France-Prešeren-Stiftung und 2004 den Förderpreis zum Hermann-Lenz-Preis
sowie 2011 den Ingeborg-Bachmann-Preis.
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Zum Autor: Rainer Maria Rilke, geboren1875 in Prag, besuchte die Militärschule St. Pölten 1886 bis 1891 und danach
die Militär-Oberrealschule in Mährisch-Weißkirchen, wich dann aber der Offizierslaufbahn aus. Er bereitete sich privat
auf das Abitur vor und studierte Kunst- und Literaturgeschichte in Prag, München und Berlin. 1900 ließ er sich in der
Malerkolonie Worpswede nieder und verbrachte 1905 als Privatsekretär des Bildhauers Auguste Rodin acht Monate in
Paris. Es folgten Reisen nach Nordafrika, Ägypten, Spanien, dann Aufenthalte auf Schloss Duino bei Triest, in München
und in der Schweiz, wo er 1926 im Sanatorium Val-Mont bei Montreux an Leukämie verstarb.
Aufgabenstellung:
 Verschaffen Sie sich einen ersten Überblick über die beiden Gedichte und halten Sie erste Eindrücke fest.
 Analysieren Sie die beiden Gedichte inhaltlich wie formal.
 Vergleichen Sie die Gedichte miteinander, indem Sie vor allem auf inhaltliche Aspekte eingehen.
 Lassen Sie auch persönliche Erfahrungen, Gedanken und Empfindungen zum Thema der beiden Gedichte oder
Überlegungen zu vergleichbaren Werken der Literatur in Ihre Ausführungen einfließen.
NB: Die Auflistung der einzelnen Teilschritte bei der Textanalyse ist lediglich als Hilfestellung gedacht und soll
keineswegs eine bestimmte Reihenfolge in der Abhandlung vorschreiben.
TEXTFORM B
„KURZER ESSAY” ODER „ZEITUNGSARTIKEL”
Sie können eine Thematik aus den vier vorgeschlagenen Bereichen wählen.
Arbeitsanweisungen
Schreiben Sie zur gewählten Thematik entweder einen „kurzen Essay” oder einen „Zeitungsartikel”, indem Sie – je nach
Bedarf – auf Aussagen der bereitgestellten Unterlagen Bezug nehmen.
Sollten Sie die Form des Essays wählen, schreiben Sie Ihre Abhandlung, indem Sie argumentierend vorgehen und dabei
sinnvolle Bezüge zu Ihren persönlichen Kenntnissen und Lernerfahrungen herstellen. Geben Sie dem Essay einen
passenden Titel und unterteilen Sie ihn, wenn Sie es für angebracht erachten, in Sinnabschnitte.
Sollten Sie die Form des Zeitungsartikels wählen, geben Sie ihm einen passenden Titel und führen Sie die Art der Zeitung
an, in der Sie ihn veröffentlichen würden.
Für beide Schreibformen gilt, dass sie den Umfang von vier oder fünf Spalten eines gefalteten Protokollblattes nicht
überschreiten sollen.
Hinweis
Berücksichtigen Sie bei Ihren Ausführungen die Tatsache, dass die Textauszüge aufgrund von Autorenrechten,
Redaktionsbeschlüssen oder anderen Schreibregelungen (z.B. in der Schweiz) in einer abweichenden Rechtschreibung
verfasst sein können.
1. BEREICH
LITERATUR UND KUNST
Ist Armut die Stiefmutter der Künste?
„,Sie saufen auf Samt, während unsereiner auf harten Bänken dünnes Bier schluckt.’ – Kurt Tucholskys Worte aus dem
Briefwechsel mit seinem Verleger Rowohlt [...] bringen das Los des Künstlers, so scheint es, schön auf den Punkt: Auf
harten Bänken dünnes Bier, mehr gibt's in dieser Welt für den armen Dichter, Maler, Sänger oder Schauspieler nicht zu
holen.“
(Aus: Rabe, Jens-Christian, Arme Künstler. Kein Brot, dafür Hoffnung, in http://www.sueddeutsche.de/karriere/armekuenstler-kein-brot-dafuer-hoffnung-1.515518 [17. 05. 2010], zuletzt geprüft: 22.04.2014)
„,In finanzieller Hinsicht’, hat die Schriftstellerin Eva Demski einmal erklärt, ‚ist das Schreiben ein so unbeschreiblich
demütigender Beruf, dass die meisten Kollegen um ihr Einkommen ein großes Theater machen müssen. Es ist so ein
verlogenes Thema, es wird Ihnen keiner die Wahrheit sagen.’
Und was ist die Wahrheit? Die Wahrheit ist, dass man als Schriftsteller wegen seines Brotberufs zu wenig schläft, nie
Urlaub hat – man muss ja schreiben –, keine Familie ernähren kann und im Alter – man hat ja kaum Rentenbeiträge
bezahlt – auch noch unter die Armutsgrenze rutscht.“
(Aus: Hungernde Poeten, in http://www.taz.de/!67265/ [12.04.2011], zuletzt geprüft: 22.04.2014)
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„Kunst ist ein Milliardengeschäft. Das globale Marktvolumen wird in den Medien mit 64,1 Milliarden Euro angegeben.
Allein Sotheby's setzte 2011 5,8 Milliarden Dollar um, das ist der zweithöchste Umsatz in der Geschichte des
US–Auktionshauses. Der englische Konkurrent Christie's machte einen Umsatz von 5,7 Milliarden Dollar. Chinesische
Käufer werden für den Kunstmarkt immer wichtiger. Studien zufolge beträgt der Marktanteil Chinas inzwischen 30
Prozent vor den USA mit 29 Prozent und Großbritannien mit 22 Prozent. ‚Der Markt in China entwickelt sich viel stärker
als in Europa oder in den USA, weil dort der Hunger nach Kunst riesengroß ist’, so der Europachef von Sotheby's,
Philipp Herzog von Württemberg. ‚Viele Chinesen sammeln asiatische Kunst, aber es gibt inzwischen auch ein
steigendes Interesse an westlicher Kunst.’ Zudem entstehen in China allein in diesem Jahr 100 Privatmuseen. ‚Man
vergisst die Masse an Menschen und die Geschwindigkeit, mit der die Wirtschaft dort wächst.’
Aber auch arabische Länder sind derzeit in Einkaufslaune, um ihre Museen mit westlicher Kunst zu bestücken. So soll
Berichten zufolge das Bild ‚Der Kartenspieler’ des französischen Impressionisten Paul Cézanne für 250 Millionen Dollar
von Griechenland nach Katar verkauft worden sein. Den höchsten Preis in einer öffentlichen Auktion hat bisher eine von
den vier existenten Versionen von ‚Der Schrei’ erzielt. Das expressionistische Gemälde von Edvard Munch wurde für
119,9 Millionen Dollar versteigert.“
(Aus: Steiner, Claudia, 120 Millionen für einen Munch?, in http://www.fluter.de/de/111/thema/10417/ [15.05.2012],
zuletzt geprüft: 22.04.2014)
Vincent van Gogh, Selbstporträt mit Palette (1889)
2. BEREICH
Carl Spitzweg, Der arme Poet (1839)
GESELLSCHAFT UND WIRTSCHAFT
Ich shoppe, also bin ich?
„Das Mantra der Meins-ist-deins-Ökonomen lautet: nutzen statt besitzen. Viele Konsumenten wollten gar nicht die
Produkte, sondern bloß deren Nutzen. Also nicht die CD, sondern die Musik. Nicht das Auto, sondern die Mobilität.
Nicht die Bohrmaschine, sondern die Löcher in der Wand. Deshalb kaufen sie nicht mehr alles, sondern sie tauschen,
teilen und leihen: Wohnungen, Fahrräder, Küchen, Instrumente, Taschen, Spielzeug. Collaborative consumption nennt
die Amerikanerin Rachel Botsman das Phänomen, das sie in ihrem Buch What’s mine is yours beschreibt:
gemeinschaftlicher Konsum. In bestimmten, urbanen Milieus ist nutzen statt besitzen mittlerweile schick. Nicht das dicke
Auto gilt als Statussymbol, sondern der Carsharing-Pass oder die Bahncard 100.“
(Aus: Bund, Kerstin und Rudzio, Kolja, Es geht auch anders, in: Die Zeit, Nr. 14, 06.04.2013)
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„‚Wir müssen mehr Dampf im Kessel machen!’, so ertönt es nun von allen Seiten. ‚Wir müssen mehr konsumieren!’
Warum entkalken Menschen lieber alte Wasserkocher, anstatt sich wöchentlich einen neuen zu kaufen? Ist das sinnvoll?
Nein, ist es nicht. Menschen sind faul geworden, sie lecken lieber am süßen Honig der hedonistischen
Konsumverweigerung, als sich auf die Socken zu machen und die Wirtschaft in Schwung zu bringen.“
(Aus: Die Zeit, Nr. 9, 20.02.2014)
„‚Ich shoppe, also bin ich’ – so fasst der Soziologe Zygmunt Bauman den Wandel der Gesellschaft zusammen.
Tatsächlich aber ist der Kitt des Konsums ebenso eine Illusion wie das Glück in Tüten. Die Sehnsucht nach
Zugehörigkeit werde durchs Kaufen nicht befriedigt, sagt Bauman, im Gegenteil: ‚Konsum ist eine höchst einsame
Aktivität, sie lässt keine dauerhaften Bindungen entstehen.’ Beziehungen würden zunehmend selbst als austauschbares
Konsumprodukt gesehen. ‚Soziale Bindungen sind die ersten und wichtigsten Kollateralschäden der Kultur des
Konsumismus.’
Ein ernüchternder Befund: Unser Überlebenstrieb macht uns zu Verschwendern, unsere Gefühle machen uns anfällig für
hohle Versprechen, unser Bedürfnis nach Gemeinschaft macht uns einsam. Und das alles kostet auch noch Geld, Zeit und
Ressourcen. ‚Wir zerstören unseren Planeten, und wir werden krank, müde, übergewichtig, verärgert und verschuldet’,
schreibt der Autor John Naish. Er fordert: ‚Wir müssen einen Sinn für das Genug entwickeln.’”
(Aus Schramm, Stefanie und Wüstenhagen, Claudia, Die tägliche Verführung, in http://www.zeit.de/zeitwissen/2012/03/Werbung-Manipulation-Kaufrausch/seite-4, zuletzt geprüft: 22.04.2014)
„Sie bauen Gemüse auf den Dächern der Stadt an. Sie stellen Kleidung, Schmuck und Alltagsgegenstände aus
gebrauchten Jeans, Nespresso-Cups oder alten Skateboards her. Sie holen Lebensmittel aus den Müllcontainern der
Supermärkte – prall gefüllt mit einwandfreier Ware. Sie kaufen Bauern Gemüse ab, das nicht der Norm entspricht, und
verarbeiten es zu Snacks für eilige Stadtmenschen. Sie reduzieren ihre Habe, um nur noch das Nötigste zu besitzen. Statt
Auto fahren sie Fahrrad. Statt Fleisch gibt es Gemüse. Statt Billigsemmeln Biobrot vom Vortag.
Über die gesamte Republik verteilt suchen Menschen nach einem Leben jenseits von Alles-immer-mehr-Sofort. ‚Es ist,
als hätte die Krise 2007 Raumwellen losgeschickt, die jetzt bei uns ankommen: in Form vieler zwingender Fragen’, sagt
der britische Wirtschaftswissenschaftler Robert Skidelsky. Endloser Konsum habe den Menschen kein Glück beschert.
Im Gegenteil: ‚Wir gewöhnen uns schnell an jeden neuen Standard von Wohlstand, sind erneut unzufrieden und
verlangen alsbald nach mehr.’ Skidelskys Buch, das er zusammen mit seinem Sohn Edward geschrieben hat, trägt den
Titel ‚Wie viel ist genug?’“
(Aus: Dilk, Anja und Littger, Heike, Konsumverweigerer: Geschichten vom Loslassen, in
http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/konsumverweigerer-zweifel-am-model-vom-ewigen-wachstum-a923964.html [27.10.2013], zuletzt geprüft: 22.04.2014)
3. BEREICH
GESCHICHTE UND POLITIK
Können Einzelne für sich etwas lösen, was alle angeht?
„Wer zum Whistleblower wird, vor allem im Bereich des Militärs und der Geheimdienste, muss einen hohen Preis
bezahlen. Ich habe meinen Job verloren, meine früheren Freunde. Sogar ein Großteil meiner Familie, in der es eine lange
Militärtradition gibt, hat den Kontakt abgebrochen. Dafür habe ich meine Selbstachtung wiedergewonnen. Und ich habe
neue Menschen gefunden, die mir gezeigt haben, dass ich nicht allein bin in diesem Kampf.
Ich brauchte acht Jahre, um ein Whistleblower zu werden. Im November 2004 war ich als Geheimdienstoffizier im Irak
und sah Videos, die zeigten, wie irakische Gefangene zusammengeschlagen wurden. Ich erzählte meinen Vorgesetzten
davon und versuchte später auch, das Verteidigungsministerium auf die Misshandlungen hinzuweisen. Aber niemand
wollte, dass die Wahrheit herauskommt. Sie belogen sogar die Öffentlichkeit und bestritten, dass es Beweismaterial vom
Vorfall gibt. Also entschied ich mich, die Wahrheit öffentlich zu machen und gab das Video und andere Belege an die
Medien weiter. [...] Moralische Standards zurückzuerobern: Darum geht es beim Whistleblowing.“
(Aus: „Die Folterer und die Lügner – Ein dänischer Geheimoffizier wendet sich an die Medien, in Die Zeit, Nr. 8,
13.02.2014)
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„Es gibt Männer und Frauen, die auserwählt wurden, um Glück in die Herzen der Menschen zu bringen – dies sind die
wahren Helden.“
(Nelson Mandela)
„Ein leuchtender Zug von charismatischen Einzelnen paradiert durch die Geschichte des Abendlandes, von Abenteurern
des Glaubens wie Franziskus, von Weltentdeckern wie Columbus, von Weltumstürzlern wie Luther oder Thomas
Müntzer, von Poeten und Musikern wie Shakespeare und Mozart, von Künstlern wie Michelangelo oder Joseph Beuys,
von spirituellen Weltveränderern wie Gandhi oder Martin Luther King, von Nelson Mandela oder dem Dalai Lama. Von
solchen, die unsere Weltbilder verändert haben wie Einstein oder Steve Jobs, vom polnischen Löwen Johannes Paul II.,
der die kommunistische Diktatur in die Knie betete, von Mutter Teresa, von allen, die uns bewegen bis heute. Ja, dass
Geschichte keine Geschichte der Klassenkämpfe ist, sondern von charismatischen Einzelnen gemacht wird, von diesem
Vertrauen ist auch die Redaktion des US-Magazins ,Time’ erfüllt, wenn sie jedes Jahr den Mann oder die Frau des Jahres
wählt.“
(Aus: Der Spiegel, Nr. 46, 12.11.2012)
“Auch scheint es einen politischen Habitus und Regierungsstil zu geben, mit dem milieuübergreifend Resonanz zu
erzielen ist, der Studienräte genauso beeindruckt wie diejenigen ihrer Angestellten, die ihnen das Haus sauber halten. In
diesem Typus des vergleichsweise erfolgreichen Politikers paaren sich Härte, evidente Durchsetzungsfähigkeit, ein Stück
souveräner Unabhängigkeit von der eignen Partei mit Biss, Witz, Schlagfertigkeit, oft auch mit einem Hauch lustvoller
rebellischer Provokation.
Der erfolgreiche Politikertypus solcher Fasson verbindet politischen Instinkt, Populismus, Stimmungs- und
Problemsensibilität, Konzentration auf das Wesentliche, virtuose Medienpräsenz und Pragmatismus miteinander. Er
muss eine immens facettenreiche Gestalt sein, muss als Projektionsfläche für verschiedene Bedürfnisse, Einstellungen
und Kulturen taugen, muss rochieren, sich neuen Verhältnissen blitzschnell anverwandeln, ohne dabei aber
opportunistisch zu wirken. Er sollte ein umarmungsfähiger Integrator sein, aber auch ein konzeptioneller Scout mit
Witterung für die Themen von morgen.
Es ist auffällig, dass oft der Typus des Aufsteigers viele dieser Eigenschaften in sich vereint. Er konnte sich auf seinem
harten Weg nach oben überflüssige Sentimentalitäten und übermäßiges Fairplay nicht leisten; er hatte die Ellbogen rüde
auszufahren, Mimikry zu üben gelernt, Rivalen früh wittern und ohne große Skrupel in den Orkus schicken müssen. Mit
Tiefschwätzereien kann man ihm nicht kommen. Sein Blick ist illusionslos. Er schlägt hart zu, wenn ihm genommen
werden soll, was er sich trotz der Widrigkeiten seiner inferioren Herkunft alles aufgebaut hat.
Oft sind sie, die nicht selten in ursprünglicher Gegnerschaft zur Gesellschaft angetreten sind, die rüden und robusten
Verteidiger des Systems, in dem sich ihr Aufstieg schließlich vollzog. Jedenfalls: Aus diesem Holz scheinen die harten
Führernaturen des politischen Establishments häufig geschnitzt zu sein.“
(Aus: Walter, Franz, Geheimnis der Machtmenschen: Wieso Politiker nicht die Klügsten sind, in
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/geheimnis-der-machtmenschen-wieso-politiker-nicht-die-kluegsten-sind-a608322.html [22.02.2009], zuletzt geprüft: 22.04.2014)
4. BEREICH
WISSENSCHAFT UND TECHNIK
„Ärztliche Kunst ist von allen Künsten die vornehmste“ (Hippokrates von Kos, etwa 460-370 v. Chr.)
„Luke Massella genießt sein Leben. Dass der heute 20-Jährige studieren kann, verdankt er auch dem Arzt Anthony Atala
und seinen Kollegen des Wake-Forest-Insituts für Regenerative Medizin im US-Bundesstaat North Carolina. Denn sie
erschufen eine neue Blase für Luke, dessen eigene aufgrund einer angeborenen Fehlbildung versagte. Zelle für Zelle
züchteten die Mediziner das Organ im Labor, versorgten es mit Nährstoffen und setzten es schließlich in Lukes Körper
ein. Der war damals gerade erst zehn.
Die Operation gelang, die Presse überschlug sich, Berichte prophezeiten die Produktion von Organen am Fließband.
Doch auch heute, rund ein Jahrzehnt später, können Leber, Niere und Herz nicht nach Bedarf gezüchtet werden.
Anthony Atala, der Lukes Blase damals züchtete, bastelt heute an mehr als 20 Gewebetypen, darunter Herzklappen und
Nieren. ‚Dr. Frankenstein’ nennen ihn Kritiker, er selbst spricht schlicht vom ‚Organezüchten’, das einfach wie Kuchen
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backen sei. Die wissenschaftliche Bezeichnung lautet ‚Tissue Engineering’, zu Deutsch Gewebekonstruktion. Atala ist
überzeugt, dass seine Arbeit die Medizin revolutionieren wird. ‚Die Medizin ist in der Lage, die Lebensdauer des
Menschen zu verlängern. Die Herausforderung dabei ist jedoch, dass unsere Organe mit der Zeit funktionsuntüchtig
werden. Wir müssen lernen, sie am Leben zu erhalten oder im Bedarfsfall durch neue zu ersetzen’, sagt Atala. Eine
Massenproduktion von Organen ist sein Ziel – jedoch erst in ferner Zukunft.”
(Aus: Schadwinkel, Alina, Laborgewebe kann Organspenden noch nicht ersetzen, in
http://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2011-07/kuenstliche-organe [14.07.2011], zuletzt geprüft: 23.04.2014)
„Die Tür zu Zimmer zwei ist geschlossen, dahinter ringt ein junger Mann um sein Leben. Zwei Jahre ist es her, dass er
neue Lungenflügel bekommen hat. Nun drohen sie, ihren Dienst zu versagen. Nur wer unbedingt muss, geht zu ihm
hinein. Bevor sie den Vorraum betreten, säubern Ärzte und Pfleger der Intensivstation 144i der Berliner Charité ihre
Schuhe auf einer Desinfektionsmatte. In der Schleuse desinfizieren sie ihre Hände, ziehen Einmalkittel und
Plastikhandschuhe an, schließlich noch Mundschutz, Haube und Schuhüberzieher. Auf dem Weg nach draußen dasselbe
in umgekehrter Reihenfolge.
Die Hygieneroutine soll die anderen Patienten der Station schützen. Denn der 31-Jährige trägt in seinen Atemwegen
einen gefährlichen Keim, der nicht aus dem Zimmer entkommen darf: eine multiresistente Variante des Bakteriums
Acinetobacter baumannii. ‚Wir wussten das schon, bevor der Patient zu uns verlegt wurde und haben ihn sofort isoliert’,
sagt Oberarzt Alexander Uhrig. […]
Acinetobacter baumannii ist neu unter den Krankenhauskeimen, vor zehn Jahren wurde er erstmals in Feldlazaretten im
Irak und Iran beobachtet. Nun kommt der hartnäckige Keim in Europa an. Monatelang kann er an Türklinken,
medizinischen Geräten oder Nachttischen überleben. Und er ist nicht allein: Staphylococcus aureus, Klebsiella
pneumoniae oder Pseudomonas aerguinosa heißen andere Bakterien, die immer wieder zu Krankheitsausbrüchen in
Kliniken führen.“
(Aus: Schlütter, Jana, Jeder Tag ist ein Kampf gegen die Keime, in http://www.zeit.de/wissen/gesundheit/201212/Krankenhaus-Infektionen-Risiko [18.12.2012], zuletzt geprüft: 24.04.2014)
„Gleichzeitig hat die Fülle der Leistungen, die möglich sind oder möglich scheinen, die Erwartungshaltung an die
Medizin deutlich steigen lassen: die Anforderungen, die die Gesellschaft an die Leistungsfähigkeit der modernen
Medizin stellt, sind zum Teil immens. Es ist vielerorts ein Gefühl entstanden, Gesundheit sei etwas, das in jedem Fall
machbar bzw. wiederherstellbar sei. Lassen sich nicht die Streuherde eines bösartigen Tumors einfach alle
‚herausoperieren’? Sind die Auswirkungen eines ungesunden Lebenswandels nicht durch Tabletten kurierbar? Wir
begegnen in Teilen der Bevölkerung einer Anspruchshaltung, bei der davon ausgegangen wird, dass nicht nur die Kosten,
die im Fall einer Krankheit entstehen, abgesichert sind, sondern auch, dass die erfolgreiche Behandlung garantiert ist.
Eine solche Haltung kann auch bewirken, dass präventive Bemühungen wie Gesundheitsförderung eher unwichtig
erscheinen. Wir beobachten das am Beispiel der antiretroviralen Therapie für HIV/Aids: sie ist medizinisch ein großer
Erfolg; aber man hat festgestellt, dass ihre Verfügbarkeit das Interesse an Prävention im Bereich HIV/Aids erheblich
unterminiert hat. Praktizierende Ärzte, gerade in der Klinik, werden oftmals mit der Überzeugung der Patienten
konfrontiert, in jedem Fall geheilt zu werden. Insbesondere betrifft das die Verheißungen der Chirurgie und der
Intensivmedizin.“
(Aus: Loss, Julia, Zwischen Technik und Menschlichkeit - Wissenschaftlicher Fortschritt in der Medizin, in
http://www.forschung-und-lehre.de/wordpress/?p=15115 [01.01.2014], zuletzt geprüft: 17.04.2014)
„Jonitz war einer von 17 Ärzten, Psychotherapeuten und Krankenschwestern, die sich vor zwei Jahren freiwillig an den
Pranger stellten. In der Broschüre ‚Aus Fehlern lernen’ bekannten sie sich zu eigenen Fehlern – mit Bild und
Namensnennung. Es waren keine Unbekannten, die da die Hosen herunterließen, sondern unter anderem Präsidenten von
Ärztekammern, Institutsleiter oder Direktoren von Universitätskliniken. Sie bekannten sich zu persönlicher Eitelkeit und
fachlicher Überforderung, zu Nachlässigkeit und einem falschen Umgang mit zu viel Hektik. Und es ging nicht um
Lappalien, sondern um Fälle, in denen Patienten am Ende schlechter dran oder gar tot waren. Noch vor zehn Jahren wäre
das Eingeständnis einem beruflichen Selbstmord gleichgekommen. Verlangte die Halbgott-in-Weiß-Attitüde früher eher
Stillschweigen nach der Devise ‚Wir machen keine Fehler’, ermutigten die fehlbaren Prominenten nun auch andere, aus
der Deckung zu kommen, damit es alle künftig besser machen.
Interessant sind für diese Eigendiagnose nicht nur Missgeschicke mit gravierenden Folgen, sondern gerade sogenannte
kritische Zwischenfälle, bei denen nichts passiert, aber fast etwas passiert wäre. ‚Wir schätzen, dass auf jeden
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Schadensfall etwa 300 Beinahe-Schadensfälle kommen’, sagt Matthias Schrappe, Direktor des Instituts für
Patientensicherheit an der Universität Bonn. Mit der Analyse von Beinahe-Schäden lasse sich sehr viel besser arbeiten
als mit wirklichen: ‚Sie sind häufiger, und die Ärzte haben keine Sanktionen zu befürchten.’ Zumal das Geschehen auf
echte Schwachstellen im Gesundheitswesen hinweist. Vorbild für ein geeignetes Meldesystem sind die Flugzeugpiloten,
die schon seit Jahrzehnten eine entsprechende Fehlerkultur pflegen, in der Beinahe-Unfälle gemeldet und analysiert
werden.“
(Aus: Heier, Magnus, In Kittel und Asche, in http://www.faz.net/aktuell/wissen/medizin/fehlbare-aerzte-in-kittel-undasche-1970496-p3.html [05.04.2010], zuletzt geprüft am 29.04.2014)
TEXTFORM C
GESCHICHTLICHES THEMA
„Sinnlose Europäer, die daran denken, sich gegenseitig zu erwürgen, wo doch die gleiche Zivilisation sie einhüllt und
vereint!“ (Anatole France, 1844-1924, französischer Erzähler, Lyriker, Kritiker und Historiker, Nobelpreis für Literatur
1921)
Setzen Sie sich mit diesem im Jahr 1914 veröffentlichten Zitat auseinander.
TEXTFORM D
ALLGEMEINES THEMA
„So verhängt man harte und entsetzliche Strafen über Diebe, während man viel eher dafür hätte sorgen sollen, dass sie
ihren Unterhalt haben, damit sich niemand der grausigen Notwendigkeit ausgesetzt sieht, erst zu stehlen und dann zu
sterben.“ (Thomas Morus, Utopia, Gutenberg e-Book, Reclam jun., Leipzig)
Thomas Morus deutet in seinem 1516 erschienenen philosophischen Dialog „Utopia“ einen Lebensunterhalt für alle an.
Diese Idee des Unterhalts ohne Gegenleistung wird derzeit heftig diskutiert. Wie stehen Sie zum bedingungslosen
Grundeinkommen für alle? Was spricht dafür, was dagegen? Wie realistisch schätzen Sie die Umsetzung dieser Idee ein?
____________________
Dauer der Arbeit: 6 Stunden.
Es ist nur die Benützung eines einsprachigen Wörterbuchs gestattet.
Der Gebrauch eines zweisprachigen Wörterbuchs (Deutsch – Sprache des Herkunftslandes) ist für die Schülerinnen und Schüler mit
Migrationshintergrund erlaubt.
Das Schulgebäude darf erst drei Stunden nach Bekanntgabe des Themas verlassen werden.