Die Schwester Der Pfleger, 54. Jg., 3/15

UNBEACHTETES LEIDEN
Stuhlinkontinenz. Viele sind betroffen, viele schämen sich dafür. Doch noch immer
führt das Thema Stuhlinkontinenz ein Schattendasein, ob in Veröffentlichungen,
Forschungsprojekten oder auf Kongressen. Wünschenswert wäre ein eigener
Expertenstandard zur Stuhlinkontinenz, um die Pflege der betroffenen Patienten
weiter zu verbessern und auch pflegewissenschaftlich nicht den internationalen
Anschluss zu verlieren.
Von Dr. Daniela Hayder-Beichel
E
s ist schwer zu sagen, wie viele
Menschen von einer Stuhlinkontinenz betroffen sind. Die hierzu
vorliegenden Studien unterscheiden
sich in den Studiendesigns, den zugrunde gelegten Definitionen oder
den genutzten Assessment-Instru-
EINTEILUNG DER
STUHLINKONTINENZ
Die Mitglieder der vierten internationalen
Konferenz zum Themenfeld Inkontinenz
(International Consultation on Incontinence)
empfehlen folgende Einteilung:
– Stuhlinkontinenz: Diese Form bezeichnet
den Verlust von flüssigem oder festem Stuhl,
was ein soziales oder hygienisches Problem
darstellt (Fecal Incontinence).
– Anale Inkontinenz: Bei dieser Inkontinenz
kann zusätzlich der Abgang von Winden/
Gasen nicht kontrolliert werden
(Anal Incontinence).
(Norton et al. 2009)
36
menten. Zwischen 0,4 bis 15 Prozent aller Erwachsener, die nicht in
einer Institution leben, sollen betroffen sein, davon mehr Frauen als
Männer (Milsom et al. 2009).
Im deutschsprachigen Raum finden sich nur sehr wenige Studien.
Eine Prävalenzerhebung hat an der
Charité stattgefunden. Hier konnte
anhand einer Stichprobe von 4 897
Studienteilnehmern gezeigt werden,
dass in Krankenhäusern 10,5 Prozent der Patienten stuhlinkontinent
sind, im Pflegeheim waren es sogar 37,9 Prozent der Bewohner
(Schmitz 2012).
Eine weitere Untersuchung in
zwei deutschen Pflegeheimen zeigt,
dass jeder dritte Bewohner an einer
kombinierten Harn- und Stuhlinkontinenz leidet (Pfisterer et al.
2008). Bei Personen mit demenziellen Erkrankungen steigt das Risiko
einer Doppelinkontinenz erheblich
an (Mair 2012).
Die Deutsche Kontinenz Gesellschaft schätzt, dass in Deutschland
zirka fünf Prozent der Bevölkerung
an einer Stuhlinkontinenz leiden
( Jünemann 2012).
Scham und
Angst dominieren
Personen, die an einer Stuhl- oder
Analinkontinenz leiden, beschreiben
in allen Bereichen ihres Lebens negative Auswirkungen und bemängeln eine Verringerung der Lebensqualität (Ahnis 2008, Peden-Mc
Alpine et al. 2008, Rasmussen &
Ringsberg 2010, Cockell et al. 2003).
Die Betroffenen beschreiben,
dass sich die Symptome der Stuhlinkontinenz von Tag zu Tag unterscheiden können und sie immerwährend einen ungewollten Abgang von
Stuhl befürchten. Vor allem im öffentlichen Raum empfinden die Betroffenen eine gesteigerte Angst vor
Die Schwester Der Pfleger 54. Jahrg. 3|15
Foto: iStockphoto
Pflegen + Unterstützen
beschämenden Situationen. Um
dennoch ihren Alltag gestalten zu
können, gibt es eine Reihe von Strategien, die Betroffene nutzen. Dazu
gehört beispielsweise, feste Rituale in
der Körperpflege einzuführen, aber
auch Toilettenpläne anzufertigen,
sich in der Nähe von Toiletten aufzuhalten, die Nahrungsaufnahme
sorgfältig zu planen oder besondere
Kleidung auszuwählen (Bliss et al.
2005, Peden-McAlpine et al. 2008).
Die Bedeutung der Inkontinenz
für Pflegebedürftige und Angehörige
ist kaum untersucht. Erste Studien
zeigen jedoch, dass die Stuhlinkontinenz zu besonderen emotionalen, finanziellen und sozialen Belastungen
führen kann. In Verbindung mit dem
Vorliegen einer Demenz überlegen
pflegende Angehörige zudem, ob die
Unterbringung der pflegebedürftigen Person in einer Altenhilfeeinrichtung möglich ist (Cassells &
Watt 2003, Messer 2012).
Was Pflege leisten kann
Sensibles Assessment: Für Pflegefachpersonen ist es von besonderer
Bedeutung, die Risikofaktoren und
Ursachen für eine Stuhlinkontinenz
zu kennen. Im Aufnahmegespräch
sollte eine mögliche Inkontinenz behutsam angesprochen beziehungs-
weise erfragt werden. Eine vorliegende Inkontinenz sollte mithilfe
geeigneter Assessmentinstrumente
objektiv eingeschätzt werden. Neben
der Erfassung der körperlichen Probleme sind ebenfalls die psychosozialen Auswirkungen zu erfassen
(AHQR 2007, NIH 2007). Die
Analyse des Assessments ermöglicht
die gezielte Beratung der Betroffenen hinsichtlich der therapeutischen
Optionen und die anschließende
Umsetzung der gewählten Interventionen.
Stuhlregulierung: Zur Kontinenzförderung sind je nach ursächlichem
Problem verschiedene konservative
Maßnahmen möglich. Eine wichtige
Säule stellt die Stuhlregulierung
durch eine diätetische oder medikamentöse Einstellung dar, sodass zu
flüssiger oder zu harter Stuhl vermieden wird. Die Anleitung zur analen Irrigation kann für Patienten mit
Stuhlinkontinenz, Obstipation oder
auch neurogenen Stuhlentleerungsstörungen hilfreich sein (Boelker et
al. 2006, Mair 2013).
Toiletten und Beckenbodentraining: Auch spielen Maßnahmen im
Bereich Toiletten- oder Beckenbodentraining eine Rolle. Letzteres
kann zudem durch den Einsatz spe-
URSACHEN FÜR
EINE STUHLINKONTINENZ
Eine Stuhl- und Analinkontinenz kann vielfältige
Ursachen haben, zum Beispiel:
– Innere und/oder äußere Schließmuskelschäden,
zum Beispiel nach Geburten, durch Tumore
und deren Operationen sowie Verletzungen
– Anorektale Sensibilitätsstörungen, wenn
Nerven vorübergehend oder dauerhaft
beeinträchtigt sind
– Eine gestörte Speicherfunktion des Darms,
zum Beispiel in Folge von chronisch
entzündlichen Darmerkrankungen
– Chronische Obstipation oder Beeinträchtigungen beziehungsweise Schädigungen des
Beckenbodens
Auch die Funktionelle Inkontinenz – vielen eher
bekannt aus dem Bereich Harninkontinenz –
spielt eine bedeutende Rolle. Nachlassende
körperliche und/oder geistige Fähigkeiten können
negative Auswirkungen auf die Fähigkeit haben,
den Darminhalt zu kontrollieren (Herold et al.
2005, Schön und Seltenreich 2011).
zieller Technik wie Biofeedback oder
Elektrostimulation erfolgen (Schön
und Seltenreich 2011).
Einsatz von Hilfsmitteln: Die Kompensation der Inkontinenz kann unter anderem mit aufsaugenden Hilfsmitteln oder Analtampons geschehen. Zudem ist der Hautpflege besondere Beachtung zu schenken, um
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Veranstaltungsort
Kontakt
Freitag, 20. März 2015
Samstag, 21. März 2015
jeweils 9:00 - 16:00 Uhr
Kongress Palais Kassel - Stadthalle
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Holger-Börner-Platz 1 • 34119 Kassel
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www.mre-nord-ost-hessen.de
anmelde- und
gebührenpflichtig
einer Inkontinenz assoziierten Dermatitis entgegen wirken zu können
(Boelker et al. 2006, Fader et al.
2008).
Ein systematisches Vorgehen in der
Problemanalyse, -bewältigung und
in der Evaluation der Maßnahmen
ist dazu unabdingbar. Es bleibt jedoch für die deutschsprachige Pflegelandschaft zu hinterfragen. So zeigen Pfisterer und Kollegen (2008),
dass kontinenzbezogene Tätigkeiten
in Pflegeheimen häufig an nicht
examiniertes Personal abgegeben
und insgesamt wenig thematisiert
werden. Weiterhin beklagen die Autoren eine mangelnde Dokumentation und weisen darauf hin, dass Ausscheidungsprotokolle häufig fehlen.
Expertenstandard könnte
Thema voranbringen
Derzeit liegt für Deutschland zwar
ein Expertenstandard zum Themenfeld „Förderung der Harnkontinenz
in der Pflege“ (DNQP 2014) vor, für
das Gebiet der Stuhlinkontinenz
und entsprechender Kontinenzförderung fehlt es jedoch an einem solchen. Er wäre jedoch wichtig, um im
pflegerischen Alltag auf evidenzbasiertes Wissen zurückgreifen zu können. Dazu wäre zu prüfen, ob Leitlinien, systematische Übersichtsarbeiten und Studien in ausreichender
Zahl vorliegen, um daraus Handlungsempfehlungen ableiten zu können. Weiterhin stellt sich die Frage,
ob es genügend Experten aus Wissenschaft und Praxis gibt, um eine
tragfähige
Expertenarbeitsgruppe
bilden zu können.
Denn im deutschsprachigen
Raum ist es eher still rund um das
Thema Stuhlinkontinenz – sowohl
auf Kongressen, als auch im Hinblick auf Publikationen. Spannende
Praxisprojekte oder Erfahrungen wird
es sicher geben, doch werden diese
selten öffentlich geteilt und diskutiert. Pflegeforschung zum Themenfeld scheint ebenfalls kaum zu existieren. Studien, beispielsweise zu
Effekten therapeutischer Optionen
oder der Wirksamkeit pflegerischer
Unterstützung, lassen sich im deutschsprachigen Raum nicht finden.
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Wie wirksam eine zielgerichtete und
geplante pflegerische Unterstützung
inkontinenter Personen ist, zeigen
Newman und Kollegen (2009) in einer systematischen Übersichtsarbeit
speziell bezogen auf die Harn- und
Stuhlinkontinenz. Sie stellen dar,
dass spezialisierte Pflegefachpersonen durch gezielte Anleitung und
Beratung bezüglich konservativer
Maßnahmen und Hilfsmittelnutzung die Inkontinenz bei den Betroffenen in Schwere und Häufigkeit
reduzieren konnten. Dadurch stieg
die Lebensqualität bei diesen Personen und die Kosten für das Gesundheitssystem wurden verringert.
International schreiten die Entwicklungen im Bereich der Kontinenzförderung stetig voran, sei es
mit der Entwicklung von Leitlinien,
der (akademischen) Ausbildung klinischer Experten oder in der Umsetzung und Untersuchung gezielter
Beratungs- und Unterstützungsangebote. Die Entwicklung eines Expertenstandards zum Themenfeld
der Stuhlinkontinenz könnte ein
möglicher Schritt sein, den Anschluss nicht zu verlieren und zudem
die Pflege der betroffenen Patienten
weiter zu optimieren.
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Maudrich Verlag, Wien
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